Stolpersteine Niebuhrstraße 58

Hauseingang Niebuhrstr. 58, Foto: Bukschat&Flegel, 20.4.13

Hauseingang Niebuhrstr. 58, Foto: Bukschat&Flegel, 20.4.13

Diese Stolpersteine wurden am 7.4.2010 verlegt.

Stolperstein für Dina Simon

Stolperstein für Dina Simon

HIER WOHNTE
DINA SIMON
GEB. ALEXANDER
JG. 1869
DEPORTIERT 29.7.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 17.8.1942

Dina Simon wurde als Dina Alexander geboren. Sie kam am 15. September 1869 in Berlin zur Welt und war das älteste Kind des Kaufmannes Friedmann Alexander und seiner Frau Johanna, geb. Rewald. 1871 wurde Dinas Bruder Siegfried geboren. Als sie 8 Jahre alt war, starb die Mutter. In zweiter Ehe heiratete ihr Vater Flora Simonis. Durch sie bekam Dina einen Halbbruder, Erich (*1880). Die kleine Lilly (*1888) starb kurz nach ihrer Geburt.

Friedmann Alexander war Kaufmann, wir wissen nicht, in welcher Branche. Um 1890 setzte er sich zur Ruhe und bezog eine Wohnung in der Bendlerstraße 35. Dort wohnte Dina, als sie am 27. Oktober 1892 den neun Jahre älteren Kaufmann Leonor Simon heiratete.

Leonor Simon betrieb eine „Mechanische Wollwarenfabrik“ in Luckenwalde, Kontor und Lager waren in Berlin in der Niederwallstraße 16. Er selbst wohnte mit seiner verwitweten Mutter Therese Simon, geb. Simon, in der Hohenzollernstraße 11. Nach der Heirat zogen Leonor und Dina zunächst in die Von-der-Heydt-Straße 13, 1895 lautete die Adresse dann Blumeshof 14. Leonor war inzwischen Eigentümer des Hauses Blumeshof 5, in das er mit Dina zwei Jahre später einzog. Es ist nicht eindeutig festzustellen, ob das Paar Kinder hatte. Vermutlich hatten sie zumindest einen Sohn, den sie nach dem Großvater väterlicherseits Julius nannten und der auf der Todesanzeige von Leonor aufgeführt ist. Denn Leonor starb bereits im Alter von 48 Jahren im November 1908, vermutlich bei einem Unfall, da die Sterbeurkunde präzisiert, er sei „vor dem Hause Kurfürstendamm 216“ verstorben, wenige Meter von seiner Wohnung in der Uhlandstraße 171/172 entfernt, wohin die Familie erst zwei Jahre zuvor umgezogen war.

Dina Simon Todesanzeige - Niebuhrstr 58

Leonor Simons Todesanzeige

Die verwitwete Dina nahm sich eine Wohnung in der Xantener Straße 13. Doch in den Jahren 1913-1923 ist sie nicht in den Berliner Adressbüchern – eine der wenigen verfügbaren Quellen zu Dina Simon – verzeichnet. Vielleicht wohnte sie bei ihrem Sohn, vielleicht anderswo zur Untermiete. Ihre Spur findet sich erst wieder 1924: Für 5 Jahre ist sie in der Spenerstraße 18 gemeldet. Danach wissen wir wieder nichts über sie, bis 1939. Bei der Volkszählung am 17. Mai dieses Jahres wurde sie in der Sonderkartei für Juden erfasst als wohnhaft in der Niebuhrstraße 58, zur Untermiete bei Helene Kaufmann.

Wie andere Juden und Jüdinnen, wurde Dina Simon nach 1939 zwangsweise in andere Unterkünfte eingewiesen, um Wohnraum für Nichtjuden frei zu machen. Das Mietrecht für Juden war außer Kraft gesetzt worden, eine der vielen Maßnahmen zu ihrer Entrechtung und Ausgrenzung. Möglicherweise musste Dina mehrmals umziehen, 1942 wohnte sie zur Untermiete bei Hormann – selber ein Untermieter – in der Elsässer Straße 54, ein Gebäude der jüdischen Gemeinde, das auch als Pflegeheim diente. Von hier wurden allein am 29. Juli 1942 zwölf Menschen von insgesamt 100 nach Theresienstadt deportiert. Die Strapazen der Zugfahrt und die verheerenden Lebensbedingungen im Ghetto überlebte Dina Simon nur wenige Tage. Laut Theresienstadt-Kartei starb sie am 17. oder 18. August 1942.

Dinas Bruder Siegfried konnte rechtzeitig fliehen, er starb 1951 in den USA. Das Schicksal von Halbbruder Erich konnte nicht geklärt werden. Er ist in keinem Gedenkbuch aufgeführt. Über den vermutlichen Sohn Julius war nichts Verlässliches herauszufinden, da der Name Julius Simon häufig vorkommt.

Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Landesarchiv Berlin; Arolsen Archives

Recherchen/Text: Micaela Haas, Stolpersteininitiative Charlottenburg-Wilmersdorf

Stolperstein für Helene Kaufmann

Stolperstein für Helene Kaufmann

HIER WOHNTE
HELENE KAUFMANN
JG. 1889
DEPORTIERT 19.1.1942
RIGA
ERMORDET

Über Helene Kaufmann ist leider nur wenig Belastbares in Erfahrung zu bringen. Es ist bekannt, dass sie in Brüssel am 6. Juli 1889 geboren wurde. Aber schon, wer ihre Eltern waren, konnten Brüsseler Archive nicht mitteilen. Möglicherweise war sie eine Schwester des ebenfalls in Brüssel am 16. August 1887 geborenen Felix Kaufmann, der später auch in Berlin lebte und zu dem Helene zumindest kurz vor ihrer Deportation einen Bezug hatte. Aber auch dessen Eltern konnten nicht ermittelt werden.

Einzige Anhaltspunkte über Helenes weiteren Werdegang bieten die Berliner Adressbücher. In ihnen ist Helene Kaufmann als Sekretärin 1937 und 1938 in der Niebuhrstraße 58 aufgeführt.

Das Haus Niebuhrstraße 58 wurde um 1910 erbaut. Zu den ersten Bewohner/innen gehörte laut Adressbuch 1912 die Kaufmannswitwe Else Kaufmann, geb. Simon. Sie ist durchgehend bis 1937 als hier wohnhaft gelistet. Auch Felix Kaufmann ist hier in einem Jahr gemeldet. Es liegt also nahe anzunehmen, dass Else Kaufmann die Mutter von Helene ist, mit der sie zusammenwohnte. Else ist wahrscheinlich um 1936 gestorben, ab da war Helene die Hauptmieterin.

Else Kaufmanns Spur ist bis 1900 zurückzuverfolgen. Vor der Niebuhrstraße wohnte sie in der Yorkstraße 84b. Vermutlich kam sie noch im 19. Jahrhundert mit ihren Kindern nach Berlin, vielleicht auch mit ihrem Mann oder nach dessen Tod. Also können wir davon ausgehen, dass Helene schon als Kind nach Berlin kam und in der Niebuhrstraße aufwuchs. Sie machte eine Ausbildung als Stenotypistin und Sekretärin und blieb ledig.

Laut der sogenannten „Ergänzungskartei“ zur Volkszählung im Mai 1939 – in der nur Juden erfasst wurden – lebte Helene in diesem Jahr immer noch in der Niebuhrstraße 58. Zur Untermiete bei ihr wohnte Dina Simon – vielleicht durch Heirat mit Else Kaufmann, geb. Simon, verwandt. 1941 musste Helene dann ihre langjährige Wohnung aufgeben, sicher nicht freiwillig. Beide Frauen mussten sich eine neue Bleibe suchen bzw. zuweisen lassen. Helene Kaufmann zog am 30. Mai 1941 zu ihrem (vermutlichen) Bruder Felix Kaufmann, am Hohenzollerndamm 194/195. Felix lebte dort mit seiner nicht-jüdischen Frau Else, geb. Trojandt, und seinem Sohn Herbert.

Von dort wurde Helene im Januar 1942 in die als Sammellager missbrauchte Synagoge in der Levetzowstraße 7/8 gebracht und am 19. Januar vom Bahnhof Grunewald vom Gleis 17 aus in das Ghetto Riga deportiert – „ausquartiert“ steht zynischerweise auf Helenes Meldekarte.

Das Ghetto Riga war von den Deutschen nach der Einnahme der Stadt im Juli 1941 eingerichtet worden. Fast 30.000 lettische Juden wurden dort auf engstem Raum und unter erbärmlichen Bedingungen eingepfercht. Ende November und Anfang Dezember des Jahres ließ die SS über 90 Prozent von ihnen ermorden – um Platz für die zu deportierenden „Reichsjuden“ zu schaffen. Von Dezember 1941 bis Februar 1942 wurden dann über 15.000 Juden aus dem „Reich“ dorthin deportiert. Sie fanden im Ghetto haarsträubende Lebensbedingungen vor. Zu sechst hatten sie sich zwei Zimmer zu teilen, überall sah man noch Spuren der Massenermordung der lettischen Juden, Ernährung und Hygiene waren katastrophal, im Winter gab es kein Wasser, da die Rohre eingefroren waren. Zudem wurden die Insassen zu harter Zwangsarbeit herangezogen.

Dies dürfte auch für die 53-jährige Helene zugetroffen haben, die auf der Deportationsliste als „arbeitsfähig“ bezeichnet wurde – falls sie überhaupt die 4-tägige Fahrt bei eisiger Kälte in gedeckten Güterwagen überstand. Von den 1002 Menschen in diesem „Transport“ überlebten nur 19 den Krieg. Helene Kaufmann gehörte nicht dazu.

Felix Kaufmann überlebte den Krieg in Berlin, wahrscheinlich durch seine „arische“ Frau geschützt. Er starb hier 1963. Seine Frau Else, geb. Trojandt, war vier Jahre zuvor gestorben. Der Sohn Herbert wanderte nach dem Krieg in die USA aus.

Recherchen/Text: Micaela Haas, Stolpersteininitiative Charlottenburg-Wilmersdorf

Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Landesarchiv Berlin; Arolsen Archives; Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005