HIER WOHNTE
HELENE KAUFMANN
JG. 1889
DEPORTIERT 19.1.1942
RIGA
ERMORDET
Über Helene Kaufmann ist leider nur wenig Belastbares in Erfahrung zu bringen. Es ist bekannt, dass sie in Brüssel am 6. Juli 1889 geboren wurde. Aber schon, wer ihre Eltern waren, konnten Brüsseler Archive nicht mitteilen. Möglicherweise war sie eine Schwester des ebenfalls in Brüssel am 16. August 1887 geborenen Felix Kaufmann, der später auch in Berlin lebte und zu dem Helene zumindest kurz vor ihrer Deportation einen Bezug hatte. Aber auch dessen Eltern konnten nicht ermittelt werden.
Einzige Anhaltspunkte über Helenes weiteren Werdegang bieten die Berliner Adressbücher. In ihnen ist Helene Kaufmann als Sekretärin 1937 und 1938 in der Niebuhrstraße 58 aufgeführt.
Das Haus Niebuhrstraße 58 wurde um 1910 erbaut. Zu den ersten Bewohner/innen gehörte laut Adressbuch 1912 die Kaufmannswitwe Else Kaufmann, geb. Simon. Sie ist durchgehend bis 1937 als hier wohnhaft gelistet. Auch Felix Kaufmann ist hier in einem Jahr gemeldet. Es liegt also nahe anzunehmen, dass Else Kaufmann die Mutter von Helene ist, mit der sie zusammenwohnte. Else ist wahrscheinlich um 1936 gestorben, ab da war Helene die Hauptmieterin.
Else Kaufmanns Spur ist bis 1900 zurückzuverfolgen. Vor der Niebuhrstraße wohnte sie in der Yorkstraße 84b. Vermutlich kam sie noch im 19. Jahrhundert mit ihren Kindern nach Berlin, vielleicht auch mit ihrem Mann oder nach dessen Tod. Also können wir davon ausgehen, dass Helene schon als Kind nach Berlin kam und in der Niebuhrstraße aufwuchs. Sie machte eine Ausbildung als Stenotypistin und Sekretärin und blieb ledig.
Laut der sogenannten „Ergänzungskartei“ zur Volkszählung im Mai 1939 – in der nur Juden erfasst wurden – lebte Helene in diesem Jahr immer noch in der Niebuhrstraße 58. Zur Untermiete bei ihr wohnte Dina Simon – vielleicht durch Heirat mit Else Kaufmann, geb. Simon, verwandt. 1941 musste Helene dann ihre langjährige Wohnung aufgeben, sicher nicht freiwillig. Beide Frauen mussten sich eine neue Bleibe suchen bzw. zuweisen lassen. Helene Kaufmann zog am 30. Mai 1941 zu ihrem (vermutlichen) Bruder Felix Kaufmann, am Hohenzollerndamm 194/195. Felix lebte dort mit seiner nicht-jüdischen Frau Else, geb. Trojandt, und seinem Sohn Herbert.
Von dort wurde Helene im Januar 1942 in die als Sammellager missbrauchte Synagoge in der Levetzowstraße 7/8 gebracht und am 19. Januar vom Bahnhof Grunewald vom Gleis 17 aus in das Ghetto Riga deportiert – „ausquartiert“ steht zynischerweise auf Helenes Meldekarte.
Das Ghetto Riga war von den Deutschen nach der Einnahme der Stadt im Juli 1941 eingerichtet worden. Fast 30.000 lettische Juden wurden dort auf engstem Raum und unter erbärmlichen Bedingungen eingepfercht. Ende November und Anfang Dezember des Jahres ließ die SS über 90 Prozent von ihnen ermorden – um Platz für die zu deportierenden „Reichsjuden“ zu schaffen. Von Dezember 1941 bis Februar 1942 wurden dann über 15.000 Juden aus dem „Reich“ dorthin deportiert. Sie fanden im Ghetto haarsträubende Lebensbedingungen vor. Zu sechst hatten sie sich zwei Zimmer zu teilen, überall sah man noch Spuren der Massenermordung der lettischen Juden, Ernährung und Hygiene waren katastrophal, im Winter gab es kein Wasser, da die Rohre eingefroren waren. Zudem wurden die Insassen zu harter Zwangsarbeit herangezogen.
Dies dürfte auch für die 53-jährige Helene zugetroffen haben, die auf der Deportationsliste als „arbeitsfähig“ bezeichnet wurde – falls sie überhaupt die 4-tägige Fahrt bei eisiger Kälte in gedeckten Güterwagen überstand. Von den 1002 Menschen in diesem „Transport“ überlebten nur 19 den Krieg. Helene Kaufmann gehörte nicht dazu.
Felix Kaufmann überlebte den Krieg in Berlin, wahrscheinlich durch seine „arische“ Frau geschützt. Er starb hier 1963. Seine Frau Else, geb. Trojandt, war vier Jahre zuvor gestorben. Der Sohn Herbert wanderte nach dem Krieg in die USA aus.
Recherchen/Text: Micaela Haas, Stolpersteininitiative Charlottenburg-Wilmersdorf
Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Landesarchiv Berlin; Arolsen Archives; Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005