Stolpersteine Nürnberger Str. 3

Hausansicht Nürnberger Straße 3

Hausansicht Nürnberger Straße 3

Die Stolpersteine für Istvan und Olga Kardos wurden am 31. August 2023 verlegt und von Martina Wunsch und Josef Westner gespendet.

Stolperstein Istvan Kardos

Stolperstein Istvan Kardos

HIER WOHNTE
ISTVAN KARDOS
STEPHAN KARDOSCH
JG. 1891
FLUCHT 1935
UNGARN
VERSTECKT GELEBT
MIT HILFE
ÜBERLEBT

István Kardos war Komponist, Pianist und Leiter der Anfang der dreißiger Jahre sehr beliebten „Kardosch-Sänger“. Er wurde am 6. Juni 1891 in der Stadt Debrecen in der Österreichisch-Ungarischen Doppelmonarchie geboren. Seine Eltern waren der Rechtsanwalt und Publizist Dr. Samuel Kardos und seine Frau Malvine. Neben ihrem Sohn István hatte das Ehepaar fünf Töchter. In Debrecen besuchte István Kardos das Katholische Gymnasium. Nach dem Abitur studierte er ab 1910 an der Franz Liszt Musik-Akademie in Budapest Komposition und Chordirigieren. Neben seinem Musikstudium absolvierte er auch ein Jura-Studium, entschied sich aber für die Musik als seinem zukünftigen Karriereweg.
Nach seinem Abschluss im Jahr 1913 arbeitete er zunächst als Musiklehrer und ging dann mit dem ungarischen Geigenwunderkind Ibolyka Gyárfás auf Tournee. In den folgenden Jahren komponierte er zahlreiche Gedichtvertonungen und auch kleinere Orchesterwerke und arbeitete an verschiedenen Budapester Theatern. Außerdem übersetzte er Operntexte ins Ungarische (Othello, Carmen). Von 1918 bis 1919 arbeitete er als Chefbibliothekar und Repetitor an der ungarischen Staatsoper in Budapest. Danach unterrichtete er von 1919 bis 1924 an der privaten Fodor-Musikschule in der Budapester Andrássy út. Am 24.Oktober 1921 dirigierte Ernst von Dohnányi bei einem Konzert an der Musikakademie eine sinfonische Fantasie von István Kardos.
Im April 1920 verlobte er sich mit der Opernsängerin Olga Váradi. Zwei Jahre später, am 20. April 1922, heirateten die beiden. Die Ehe der beiden blieb kinderlos.

Seit September 1925 lebte das Ehepaar in Deutschland und für eine kurze Zeit in der Schweiz, wo sie beide Engagements am Stadttheater in Bern hatten, Olga als Altistin, ihr Mann als Solorepetitor. Am 12. November 1928 wurde im Berliner Beethovensaal István Kardos‘ Klavierstück „Monologe“ uraufgeführt. Er arbeitete außerdem als Filmpianist im Tauentzien-Palast, einem der großen Ufa-Kinos.
Im September 1929 übernahm Kardos in Berlin die musikalische Leitung des erfolgreichen Abel-Quartetts, das nach dem Ausscheiden seines Gründers Pál Ábel nun als „Five Songs“ auftrat. Kardos leitete die Five Songs bis zum Mai 1932. Unter seiner Leitung nahm die Gruppe unzählige Platten für verschiedene Labels auf und steuerte auch ein Lied für den Film „Es war einmal ein Walzer“ bei.
Ungefähr ab Juni 1932 hatte Kardos seine eigene Gesangsgruppe, die Kardosch-Sänger, die schnell für Filme, Bühnenauftritte und Schallplattenaufnahmen engagiert wurde.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten verließen viele seiner Kollegen Berlin, darunter auch die „Five Songs“, die alle jüdischer Herkunft waren. István Kardos blieb jedoch in Berlin. Als Ausländer gelang es ihm lange, seine jüdische Herkunft zu verbergen, aber im Laufe der Jahre 1934 und 1935 wuchs der Druck auf ihn, einen sogenannten Ariernachweis vorzulegen. Konzertagenturen und Veranstalter verlangten nun einen Mitgliedsausweis der Reichsmusikkammer.

Das Ehepaar Kardos lebte mittlerweile in der Nürnberger Straße 3. Zum 1. Oktober 1935 meldeten sich die beiden in die Pension „von Eberswald“ in der Joachimsthaler Str. 9 um; vermutlich gaben sie ihre Wohnung auf, weil sie bereits ihre Flucht planten. Damalige Bekannte des Ehepaars erklärten, sie hätten die beiden im Herbst 1935 in einem sehr schlechten nervlichen Zustand angetroffen: „Im Oktober oder November 1935 bat mich Herr Kardos, sie möglichst sogleich aufzusuchen. Ich fand das Ehepaar in einem sehr schlechten Nervenzustand. Herr Kardos teilte mir mit, dass er zur Polizei vorgeladen war, wo ihm ein Termin von 30 Tagen gegeben wurde, um den arischen Nachweis zu liefern, widrigenfalls er und seine Frau das Reichsgebiet verlassen müssen. Er erwähnte auch, dass er befürchte, dass eine Anzeige gegen ihn erstattet wurde, und dass sie deshalb je eher, noch vor Ablauf der 30-tägigen Frist, aus dem Lande verschwinden müssen. Sie reisten sodann im Geheimen ab und zum Abschied begleitete ich sie zum Bahnhof.“ (Eidesstattliche Erklärung von Frau Hajnal Lengyel, Budapest, 1963)

Ende 1935 war das Ehepaar Kardos nach 10 Jahren wieder in Budapest. Dort stellte Kardos ein Gesangsquartett zusammen, mit dem er einige Plattenaufnahmen machte und das in der Budapester Uraufführung von Paul Abrahams Operette „Märchen im Grand Hotel“ im Februar 1936 mitwirkte. Von September 1936 bis September 1937 war er Kapellmeister beim Csokonai Theater in Debrecen, danach bis 1939 Aushilfskapellmeister ohne festes Engagement an verschiedenen Theatern in Budapest.
In der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre verschärfte sich die Lage der Juden in Ungarn durch neue antisemitische Gesetze. Ab 1939 war es Kardos unmöglich, eine Anstellung zu finden. Er gab nun halb illegalen privaten Musikunterricht. Eine feste Anstellung oder regelmäßige Einkünfte hatte er nicht mehr. Im März 1944 wurde Ungarn von deutschen Truppen besetzt und nun war es Kardos endgültig unmöglich, irgendeine Beschäftigung auszuüben. Ab dem 5. April 1944 mussten er und Olga wie alle jüdischen Bürger den gelben Stern tragen. Im Juni 1944 mussten sie aus ihrer Wohnung in der Teréz körút 15 in ein sogenanntes „Judenhaus“ in der Andrássy út 21 ziehen.

Ende Oktober 1944 flohen Olga und István Kardos aus dem Judenhaus und hielten sich den Winter über bis zur Befreiung Budapests im Januar 1945 mit falschen Papieren verborgen. Ihre Rettung verdankten sie einem Netzwerk um einige Verwandte von István Kardos, zu dem auch die bekannte ungarische Dichterin Ágnes Nemes Nagy gehörte. Alle Beteiligten wurden in den 90er- Jahren von der Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt. 22 Mitglieder der Familie Kardos fielen dem Holocaust zum Opfer, darunter auch István Kardos‘ Mutter Malvina, sein Onkel, mindestens eine seiner Schwestern und fast seine ganze Familie.

Komponist und Pianist István Kardos

István Kardos hatte Glück und kam mit dem Leben davon, aber nach 10 Jahren, in denen er nur unter großen Schwierigkeiten – wenn überhaupt – seinen Beruf als Lehrer und Dirigent hatte ausüben können, waren seine Existenz und seine Karriere zerstört und seine Familie größtenteils ausgelöscht. Er musste sich zum wiederholten Mal eine neue Existenz aufbauen. Nach Kriegsende begann er, als Pianist für den ungarischen Rundfunk zu arbeiten. Ab November 1949 lehrte er als Dozent an der Franz Liszt Hochschule für Musik in Budapest und ab 1952 auch an der Theater- und Filmakademie und gab zudem weiterhin privaten Musikunterricht. Außerdem komponierte er zahlreiche Werke vieler verschiedener Genres und war als Musikjournalist aktiv.
Nach dem Krieg lebten Olga und István Kardos in der damaligen Lenin körút 73 (heute: Teréz körút 19). Das Haus befindet sich direkt an der belebten Kreuzung Oktogon, im Zentrum Budapests. Olga Kardos erlitt Anfang der 70er Jahre einen Schlaganfall und wurde danach von ihrem Mann gepflegt. Er starb am 25. Dezember 1975 und ist auf dem Friedhof des Budapester Stadtteils Farkasrét begraben.

Verfasserin: Martina Wunsch
Paten der Stolpersteinverlegung: Martina Wunsch und Josef Westner

Literatur:
https://kardosch-saenger.de/die-herren-saenger/istvan-kardos
Wunsch, Martina: Herr Kardosch und seine Sänger, Books on Demand, Norderstedt, Oktober 2022

Die Kardosch-Sänger

Stolperstein Olga Kardos

Stolperstein Olga Kardos

HIER WOHNTE
OLGA KARDOS
GEB. VARADI
JG. 1891
FLUCHT 1935
UNGARN
VERSTECKT GELEBT
MIT HILFE
ÜBERLEBT

Olga Váradi wurde am 23. Oktober 1893 in Ujpest geboren und war jüdischer Herkunft. Ab Mitte der 1910er -Jahre arbeitete sie in Budapest als Opern- und Konzertsängerin. Bei Auftritten begleitete sie oft ihr späterer Ehemann, der Pianist und Dirigent István Kardos. Im April 1920 verlobten sich die beiden, am 20. April 1922 heirateten sie.
Seit September 1925 lebte das Ehepaar in Deutschland und für eine kurze Zeit in der Schweiz, wo 1927 beide Engagements am Stadttheater in Bern hatten, Olga unter ihrem Mädchennamen als Altistin, ihr Mann als Solorepetitor. Ab dem Sommer 1928 lebten die beiden in Berlin. Über eine dortige Tätigkeit von Olga als Sängerin ist bisher leider nichts bekannt. Die beiden lebten zeitweise in der Uhlandstraße 49, ab 1934 in der Nürnberger Straße 3. István Kardos leitete zwei bekannte Gesangsgruppen und hatte mit beiden großen Erfolg.
Im November 1935 musste Olga mit ihrem Mann in aller Heimlichkeit Berlin und das Deutsche Reich verlassen, da er seine jüdische Herkunft nicht mehr länger geheim halten konnte. Wertgegenstände und Möbel mussten sie zurücklassen. Die beiden gingen zurück nach Budapest. Ab ungefähr 1938/39 konnte das Ehepaar sich nur noch mit privatem Musikunterricht über Wasser halten, da die antisemitischen Gesetze in Ungarn die jüdischen Bürger aus dem öffentlichen Leben verdrängen sollten.

Olga Kardos

Im März 1944 wurde Ungarn von deutschen Truppen besetzt und ab dem 5. April 1944 mussten alle jüdischen Bürger den gelben Stern tragen. Im Juni musste das Ehepaar Kardos aus seiner Wohnung in der Teréz körút 15 in ein Judenhaus in der Andrássy út 21 ziehen.
Ende Oktober 1944 flohen Olga und István Kardos aus dem Judenhaus und hielten sich den Winter über bis zur Befreiung Budapests im Januar 1945 mit falschen Papieren verborgen. Ihre Rettung verdankten sie einem Netzwerk um einige Verwandte von István Kardos zu dem auch die bekannte ungarische Dichterin Ágnes Nemes Nagy gehörte. Alle Beteiligten wurden in den 90er- Jahren von der Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ anerkannt.
Nach dem Krieg lebten Olga und István Kardos in der damaligen Lenin körút 73 (heute: Teréz körút 19) in Budapest. Olga Kardos erlitt Anfang der 70er Jahre einen Schlaganfall und wurde danach von ihrem Mann gepflegt. Er starb am 25. Dezember 1975. Olga Kardos – Váradi starb am 4. November 1978 „nach langem Leiden“. Beide sind auf dem Friedhof des Budapester Stadtteils Farkasrét begraben.

Verfasserin Martina Wunsch
Paten für die Stolpersteine für Olga und István Kardos: Martina Wunsch und Josef Westner

Literatur: Martina Wunsch, Herr Kardosch und seine Sänger, BoD Norderstedt, 2022 www.kardosch-saenger.de

Bühnenfoto: Theatermagazin Színházi Élet (Ausgabe 41, Oktober 1924)