Der Kurfürstendamm - Boulevard und Symbol

von Karl-Heinz Metzger (2004)

1. Einleitung und Vorgeschichte

Die Geschichte des Kurfürstendamms ist eine Erfolgsgeschichte, aber sie ist auch – von Anfang an bis heute – umstritten. Der Kurfürstendamm war immer im Verlauf seiner mehr als 100jährigen Geschichte mehr als eine erfolgreiche Einkaufsstraße. Er war immer auch ein Symbol, ein Wahrzeichen und als solches ein Zankapfel – für die einen Anlass zum Jubel, für die anderen Gegenstand der Verachtung.
Der Boulevard ist nicht nur die meistbesuchte, sondern auch die meistdiskutierte Straße Deutschlands. Wer die Geschichte des Kurfürstendammes erzählen will, der kann sich also nicht auf die Geschichte der Berliner Straße zwischen Breitscheidplatz und Rathenauplatz beschränken, sondern er muss immer auch die Geschichte des Symbols mit bedenken – und das ist das Spannende am Kurfürstendamm: Seine Entwicklung ist ein Spiegel der deutschen Geschichte vom Kaiserreich bis heute.

Der Name
Dabei ist der Name “Kurfürstendamm” alles andere als symbolisch. Wie bei keiner anderen Straße bezeichnet der Name genau die reale Funktion, die sie hatte. In den Jahrhunderten vor ihrer Geburt als Boulevard führte sie durch teilweise sumpfiges Gelände als befestigter Knüppeldamm für die kurfürstlichen Reiter vom Tiergarten zum Grunewald. Denn als der Tiergarten für ein fürstliches Jagdrevier zu klein geworden war, ließ Kurfürst Joachim II 1542 mitten im Grunewald das Jagdschloss “Zum gruenen Wald” bauen, und natürlich musste ein Verbindungsweg vom Berliner Stadtschloss aus geschaffen werden. Auf einer Karte von 1685 ist der “Churfürstendamm” erstmals eingezeichnet.
Noch heute erinnern die Namen der Seitenstraßen am westlichen Ende des Kurfürstendammes in Halensee an die preußischen Kurfürsten: Markgraf Albrecht I der Bär (1100-1170), Friedrich II “Eisenzahn” (1413-1471), Albrecht III Achilles (1414-1486), Johann Cicero (1455-1499), Joachim I Nestor (1484-1535), Johann Georg (1525-1598), Joachim Friedrich (1546-1608), Johann Sigismund (1572-1619) und Georg Wilhelm (1595-1640). Ironie der Geschichte: Genau dort, wo heute die Straßen der Kurfürsten kreuzen, führte der Reitweg gerade nicht entlang. Er knickte etwa auf der Höhe des heutigen Olivaer Platzes nach Süden ab und führte entlang der jetzigen Konstanzer Straße über das Dörfchen Wilmersdorf zum Grunewald.

Die Idee
Die Entwicklung vom Knüppeldamm zum Boulevard ist ebenfalls einem Fürsten, nämlich Otto von Bismarck zu verdanken. Als er von der Gründung des Deutschen Kaiserreiches im Spiegelsaal von Versailles nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1871 nach Berlin zurückkam, wandte er sich gegen Pläne, den Kurfürstendamm wie viele andere Straßen in den westlichen Vororten Berlins lediglich zur gehobenen Wohnstraße auszubauen. In einem vielzitierten Brief an den Geheimen Kabinettsrat von Wilmowski forderte er am 5.2.1873 einen großzügigen Ausbau, da “der fiskalische Besitz ausnahmsweise Gelegenheit zu breiter und schönerer Straßenentfaltung bietet… Die Straße am Kurfürstendamm wird nach den jetzt bestehenden Absichten viel zu eng werden, da dieselbe voraussichtlich ein Hauptspazierweg für Wagen und Reiter werden wird. Denkt man sich Berlin so wie bisher wachsend, so wird es die doppelte Volkszahl noch schneller erreichen, als Paris von 800.000 Einwohnern auf 2.000.000 gestiegen ist. Dann würde der Grunewald etwa für Berlin das Bois de Boulogne und die Hauptader des Vergnügungsverkehrs dorthin mit einer Breite wie die der Elysäischen Felder durchaus nicht zu groß bemessen sein.”

Der Ausbau
Die Champs-Elysées waren also das große Vorbild, auf das auch in der Presse im-mer wieder hingewiesen wurde, und Bismarck prognostizierte für den Kurfürstendamm als Hauptspazierweg einen schnell wachsenden Vergnügungsverkehr. Er sollte Recht bekommen, auch wenn seine Voraussage noch einige Jahre auf ihre Realisierung warten musste. Immerhin wurde 1875 schon einmal per Kabinettsordre die Straßenbreite für den auszubauenden Kurfürstendamm auf 53 m zwischen den Fluchtlinien der Häuser festgelegt: je 7,5m Vorgarten, je 4m Bürgersteig, je 10m Fahrbahn und 10m Mittelpromenade mit Reitweig. Das war zwar nur knapp halb so breit wie die Champs-Elysées, aber die am Kurfürstendamm interessierten Unternehmer hatten weniger Interesse an einer repräsentativen, breiten Straße als an möglichst lukrativem Baugrund.
Der Ausbau vom Knüppeldamm zum Boulevard musste privat finanziert werden, und es war nicht einfach, die Geldgeber zusammen zu bekommen. Mehrere Versuche scheiterten. Schließlich gelang dem Baumschulenbesitzer John Booth als Vertrauensmann eines Bankenkonsortiums unter Führung der Deutschen Bank ein Kompensationsgeschäft. Gegen die Verpflichtung zum Ausbau der Straße erhielt die “Kurfürstendamm-Gesellschaft” ein Vorkaufsrecht auf 234 ha Grunewaldgelände zur Anlage einer Villenkolonie. Damit bekam das Konsortium nicht nur eine finanzielle Gegenleistung mit hohen Gewinnaussichten, sondern auch die Gewissheit, dass der neue Boulevard nicht im Wald endete, sondern in ein Siedlungsgebiet führte, und zwar in die Berliner Millionärskolonie.
Der Ausbau der Straße begann 1883, und die Eröffnung der Dampfstraßenbahn vom Zoologischen Garten nach Halensee am 5. Mai 1886 kann als Geburtsstunde des Boulevards angesehen werden.

2. Die Entwicklung im Kaiserreich von 1886 bis 1918

In seinem Roman “Frau Jenny Treibel” hat Theodor Fontane 1892 die Gegend um den Halensee am westlichen Ende des Kurfürstendammes noch als “ein von Spargelbeeten durchsetztes Wüstenpanorama” beschrieben. Aber nachdem die Straße erst einmal gepflastert und die Dampfstraßenbahn eröffnet war, verlief die weitere Entwicklung in einem überaus rasanten Tempo. Zunächst wurde der Berliner Teil des Kurfürstendammes, die heutige Budapester Straße zwischen Landwehrkanal und Zoo, mit prächtigen fünfgeschossigen Mietshäusern bebaut, dann in schneller Folge der Charlottenburger Teil zwischen Zoo und Halensee. Auch die Tauentzienstraße gehörte von Anfang an dazu. Einzelne Villen, die in den Jahren zuvor entstanden waren, wurden meist abgerissen, oder sie erhielten noch eine Schonfrist hinter den neuen Häuserzeilen. Nur das heutige Literaturhaus und die Villa Grisebach in der Fasanenstraße zeugen noch von der ursprünglichen Villenbebauung.

Architektur und Bewohner
Bis 1905 war der größte Teil des Kurfürstendammes bebaut, und unter Architekturkri-tikern bürgerte sich der Begriff “Kurfürstendammarchitektur” ein. Er war keineswegs schmeichelhaft gemeint, sondern stand für eine pompöse, überladene, protzende und geschmacklose Architektur, die nur nach außen wirkte. Die individuell sehr un-terschiedlichen Fassaden der einzelnen Häuser wirkten wie angeklebt und hatten mit dem eigentlichen Bauwerk wenig zu tun. Dahinter entstanden hochherrschaftliche Wohnungen mit oft 15 und mehr Zimmern für großbürgerliche und häufig auch prominente Bewohner.
Noch in den 50er Jahren wurde über die “Gemütsarmut dieser Behausungen” ge-klagt. Heute sind die Altbauwohnungen wohl die gefragtesten am Kurfürstendamm, und die restaurierten Stuckfassaden gelten als Schmuckstücke.
Der Anteil jüdischer Bewohner war am Kurfürstendamm von Anfang an mit etwa 25% besonders hoch. Das Charlottenburger Statistische Jahrbuch von 1910 zählte 35.811 Bewohner am Kurfürstendamm, von denen 23.410 “Evangelische Christen”, 8095 “Israeliten” und 3.732 “Römisch-katholische Christen” waren. 1912 wurde in der Fasanenstraße 79/80 unweit des Kurfürstendammes die große Synagoge eingeweiht. Heute befindet sich dort das jüdische Gemeindezentrum.

Kaiserliche Interessen
Aber der Kurfürstendamm sollte natürlich mehr werden als eine Wohnstraße. Dafür sorgte zunächst der Kaiser: Wilhelm II ließ zur Erinnerung an seinen verstorbenen Großvater Wilhelm I auf dem Auguste-Viktoria-Platz die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche bauen. Er nahm persönlich Einfluss auf den von Franz Schwechten entworfenen Bau und sorgte dafür, dass er mehr der kaiserlich-staatlichen Repräsentation diente als einem religiösen Bedürfnis. Mit 113 Meter war es lange Zeit Berlins höchstes Bauwerk überhaupt. Am 1. September 1895 wurde die Kirche mit großem militärischem Zeremoniell eingeweiht.
Für die Kirche selbst und für die gesamte Randbebauung des Auguste-Viktoria-Platzes hatte der Kaiser den romanischen Baustil festgelegt. Das gesamte Areal sollte als romanisches Forum entstehen. Westlich der Kirche zwischen Kurfürstendamm und Kantstraße entstand 1896 das erste Romanische Haus, in das in den 20er Jahren der Gloria-Palast eingebaut wurde, und östlich der Kirche zwischen Kurfürstendamm und Tauentzienstraße 1901 das zweite Romanische Haus, in dem in den 20er Jahren das legendäre Romanische Café eröffnet wurde. Heute zeugt vom romanischen Forum außer der Ruine der Gedächtniskirche nur noch der 1915 entstandene Rundbau des “Kaiserecks” am Kurfürstendamm 237 Ecke Rankestraße.

Intellektuelle Avantgarde
Der kaiserlichen Repräsentation trat respektlos die intellektuelle und künstlerische Avantgarde entgegen. An der Stelle der heutigen Kranzlerecke eröffnete in einem 1895 gebauten Haus am Kurfürstendamm 18-19 Ecke Joachimstaler Straße ein “Kleines Café”, das seit 1898 als “Café des Westens” firmierte. Hier trafen sich Künstler, Schriftsteller, Schauspieler, Kabarettisten und ihre Mäzene. Konservative Kritiker nannten es “Café Größenwahn”, aber die Besucher machten sich den als Schimpfwort gemeinten Namen zu eigen, und es wurde eine internationale Berühmtheit. Stammgäste waren Richard Strauss, Alfred Kerr, Maximilian Harden, Christian Morgenstern, Frank Wedekind, Carl Sternheim, George Grosz, John Heartfield, Else Lasker-Schüler und viele andere. Hier wurden Kabaretts und Zeitschriften gegründet, Autorenverträge geschlossen, Pamphlete verfasst und Künstlerportraits gemalt. Im Ersten Weltkrieg trafen sich hier die Kriegsgegner und Pazifisten um Wieland Herzfelde, der seinen Malik-Verlag hier gründete und in seiner Dachatelier-Wohnung am Kurfürstendamm 76 ansiedelte.
In den Feuilletons tobte der Kampf, und in der monarchistischen Presse wurde neben dem “verkommenen Literatentum” auch gegeiselt, wie hier “emanzipierte Weibchen ihre Losgelöstheit von aller bürgerlichen Gesittung schamlos zur Schau stellten”.

Moderne Kunst
Ähnliche Angriffe galten den Malern der Berliner Secession um Max Liebermann und Walter Leistikow, die 1905 von der Kantstraße in ihr neues Ausstellungsgebäude am Kurfürstendamm 208/209 zogen. Kaiser Wilhelm II hatte ihre Werke als “Rinnstein-kunst” tituliert, und der Berliner Stadtkommandant hatte angeordnet, dass Offiziere das Gebäude nur in Zivil betreten durften, womit er die Secession mit Etablissements von zweifelhaftem Ruf auf eine Stufe stellte.
Unterstützt wurden die Maler von Geldgebern wie Walther Rathenau, Richard Israel, Julius Stern und Carl Fürstenberg. Ohne das Mäzenatentum des liberalen, oft jüdischen Berliner Großbürgertums wäre die Entwicklung der modernen Kunst in Berlin undenkbar gewesen. Gegen den kaiserlichen Geschmack wurde die Secession zu einem weltweit bekannten Anziehungspunkt. Hier wurden die Werke von Käthe Kollwitz, Heinrich Zille, Lovis Corinth, Max Slevogt, Max Beckmann, Emil Nolde, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Oskar Kokoschka, Claude Monet, Edouard Manet, Edvard Munch und – in der Sommerausstellung 1912 erstmals in Deutschland von Pablo Picasso gezeigt. Am Kurfürstendamm wurde Berlin im Kaiserreich zur modernen Kunstmetropole.

Kultur und Unterhaltung
Aber der Kurfürstendamm wäre kein Boulevard geworden, wenn er nur den Eliten vorbehalten gewesen wäre. Im Gegenteil: Um die Jahrhundertwende entstanden un-zählige Cafés, Vergnügungslokale, Kabaretts, Theater, Kinos und Geschäfte, von denen die Massen aus allen Teilen Berlins aber auch Touristen aus aller Welt angezogen wurden. Bereits am Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Kurfürstendamm schlagartig zur City-Filiale und machte der alten Mitte Berlins Konkurrenz. Hier ver-banden sich Kommerz und Kultur, Witz und Unterhaltung, Turbulenz und Internationalität, Sensation und Avantgarde zu einer unwiderstehlichen Mischung.
Die Vergnügungsindustrie machte sogar in den noch vorhandenen Baulücken gute Geschäfte und bot in den bis zur Bebauung verbleibenden Jahren Sportparks, Transvaal- und andere Ausstellungen, Zirkus, Flottenspiele, den Untergang von Pompeji, Velodrome und andere Volksbelustigungen an. Theater und Kinos wurden rund um den Kurfürstendamm in der City West gebaut: 1896 das Theater des Wes-tens an der Kantstraße, 1902 das Renaissance-Theater an der Hardenbergstraße, 1907 das Schiller Theater und 1912 das Deutsche Opernhaus an der Bismarckstraße; 1913 das Marmorhaus am Kurfürstendamm 236 und der Union-Palast am Kurfürstendamm 26.

Vergnügungspark
Am westlichen Ende in Halensee eröffneten der Gastronom August Aschinger und der ehemalige Küchenchef bei Kempinski, Bernhard Hoffmann, 1904 die “Terrassen am Halensee”, die 1909 in “Lunapark” umbenannt wurden und bereits 1910 den millionsten Besucher zählten. Nach dem Vorbild von Coney Island in New York war ein Vergnügungspark entstanden, der Sensationen, Abenteuer, Gefahr, die Illusion der großen weiten Welt und das Erlebnis der scheinbar grenzenlosen Möglichkeiten der Technik anbot. Völkerschauen, die erste Rolltreppe, jede Nacht ein großes Feuerwerk, Theater, Revuen, Jazzmusik, Kabarett und vieles mehr wurden hier in konzentrierter Form geboten. Das berühmte Wellenbad wurde abschätzig als “Nuttenaquarium” beschimpft, weil sich hier die Damen den genießerisch am Beckenrand sitzenden Herren in der neuesten Bademode präsentierten. Für frivole Volksbelustigung sorgte auch eine Wackeltreppe, an deren Ende ein Gebläse die Röcke der Damen hob. Billy Wilder, der damals im Edenhotel am Kurfürstendamm bei den Five o’clock-Teas als Eintänzer arbeitete hat hier sicher einige Anregungen für seine späteren Filme erhalten.
Im Lunapark und in den unzähligen Tanzcafés und Hotels wechselten jedes Jahr die jeweils aktuellen Modetänze: Cake Walk, Ragtime und Tango waren vor dem Ersten Weltkrieg beliebt. Die Reiseführer betonten, dass die meisten Cafés am Kurfürstendamm auf Nachtbetrieb eingestellt waren.

Shopping und Kommerz
Von seinem östlichen Ende her, nämlich vom Wittenbergplatz und Tauentzien entwickelte sich der Kurfürstendamm – ebenfalls noch im Kaiserreich – auch als Shoppingmeile. Die Initialzündung dafür gab Adolf Jandorf, der am 21.3.1907 sein Kaufhaus des Westens eröffnete. Acht große, pompöse Mietshäuser mussten dafür abgerissen werden, obwohl sie erst 12 Jahre zuvor gebaut worden waren. Die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche wurde jetzt spöttisch zum “Taufhaus des Westens” degra-diert. Viele zweifelten an dem Mut Jandorfs, ausgerechnet in dem noch immer relativ ruhigen Vorort im Westen Berlins ein riesiges Kaufhaus zu errichten, aber der Erfolg war überwältigend, machte Tauentzien und Kurfürstendamm nun auch zur Geschäftsstraße und damit endgültig zur City-Filiale. Dieser Begriff bürgerte sich schnell in den Zeitungen ein, und er traf zu, denn viele Traditionsbetriebe des alten Berliner Zentrums eröffneten jetzt Filialen im Westen, und präsentierten sich hier in moderner, offener und oft internationaler Form. Die City-West war endgültig geboren, oder wie es damals hieß: Berlin W war jetzt kein Geheimtipp mehr.

Der Boulevard als Bühne
Die Offiziere der kaiserlichen Armee präsentierten sich in der festlichen Galauniform neben der seit 1899 elektrifizierten Straßenbahn auf dem Reitweg der Mittelpromenade den vornehm herausgeputzten Damen in den feinen Cafés. Auf den Gehwegen promenierten Dienstmädchen, Handwerksburschen und Touristen aus aller Welt, die sich für den Besuch des Boulevards ebenfalls in Schale geschmissen hatten. Stolz wurden die glänzend polierten Automobile vorgeführt. Der Kurfürstendamm war nicht zuletzt ein Laufsteg, wo Akteure und Zuschauer wechselseitig ihre Rollen tauschten.
Getragen und geprägt aber wurde der Kurfürstendamm mit seinen gepflegten Vor-gärten und eindrucksvollen Fassaden von seinen Bewohnern, einem liberalen Bürgertum, das zwar manchmal gegen den unvermeidlichen Lärm und gegen zweifelhafte Lokalitäten protestierte, alles in allem aber doch stolz war auf die Adresse Kurfürstendamm, Berlin W.

Fehlkalkulationen und Erster Weltkrieg
Auch die erste Baupleite erlebte der Kurfürstendamm bereits im Kaiserreich. 1912 baute der Regierungsbaumeister a.D. Robert Leibnitz zwischen Lietzenburger Straße und Kurfürstendamm 193/194 ganz im amerikanischen Stil ein “Boarding-House”, ein riesiges Appartementhaus mit 600 Zimmern in Luxusausstattung. Vor allem für Gäste, die längere Zeit in Berlin bleiben wollten, aber auch für alleinstehende ältere Damen und Herren oder junge Ehepaare, die zunächst noch keinen eigenen Haushalt gründen wollten, wurden Privatwohnungen angeboten mit Bedienung, einer Badeanstalt, elektrischem Licht, Mahlzeiten, Schreib- und Lesezimmer, großen Wandelhallen, American-Bar, Festsaal, Café, Confiserie und vor allem mit einer exzellenten Lage am Kurfürstendamm.
Aber die Bauherren hatten sich übernommen, und statt der im Oktober 1912 geplanten Eröffnung musste die Versteigerung des Inventars durchgeführt werden. Ein neuer Interessent eröffnete zwar im Frühjahr 1914 das Haus als “Hotel Cumberland”, aber auch dieses musste bereits nach 8 Monaten Konkurs anmelden.
Während des Ersten Weltkriegs residierte hier das “Wumba” (Waffen- und Munitionsbeschaffungsamt), danach bis 1922 das Reichswirtschaftsministerium, dann bis 1928 die Oberpostdirektion, bis 1935 das statistische Reichsamt und danach das Landesfinanzamt Berlin, seit 1966 Oberfinanzdirektion Berlin. Seit 2002 steht das Gebäude leer und wird von Zeit zu Zeit für Film- und Fernsehproduktionen vermietet.
Der Erste Weltkrieg unterbrach die stürmische Entwicklung, die der Kurfürstendamm in den letzten Jahren des Kaiserreichs erlebt hatte. Ein paar Großprojekte von Kaufhauskonzernen konnten nicht verwirklicht werden, die Vergnügungsangebote wurden mehr und mehr eingeschränkt, im Lunapark wurde eine Fleischkonservenfabrik zur Versorgung des Heeres und ein Lazarett eingerichtet. Der Kohlrübenwinter 1917/18 machte sich auch am Kurfürstendamm bemerkbar.

City-Filiale
Aber die City-Filiale war geboren. Das wilhelminische Kaiserreich brachte den ver-späteten Durchbruch der Moderne in Deutschland. Am Kurfürstendamm wurde das besonders deutlich und deshalb hier auch von vielen als besonders krass empfun-den. Was für die einen als Befreiung wirkte, war für die anderen ein Angriff auf ihr Weltbild und ihr Selbstverständnis. Die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und die Berliner Secession standen sich am Kurfürstendamm als Ausdruck zweier Epochen unversöhnt gegenüber.

3. Der Boulevard boomt in der Weimarer Republik von 1919 bis 1933

Wenn irgendwo die Rede von den goldenen Zwanziger Jahren zutrifft, dann am Kurfürstendamm. Alle Grundlagen waren im wilhelminischen Kaiserreich gelegt worden, und nach der Zwangspause im Ersten Weltkrieg konnte der Boulevard nahtlos da anschließen, wo er vor dem Krieg aufgehört hatte. Das Tempo beschleunigte sich, aber mit jeder Umdrehung wurde auch der Streit heftiger. Was die einen als modern, international und sensationell bejubelten, beschimpften die anderen als dekadent, undeutsch und unmoralisch. Und es blieb nicht bei verbalen Angriffen. Die zunehmende Aggressivität der Rechtsextremisten mündete am Ende der Zwanziger Jahre in antisemitische Pogrome auf dem Kurfürstendamm.
Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg waren die Anhänger der untergegangenen Monarchie in der Defensive. In der Weimarer Republik gab die Moderne, die sich im Kaiserreich mühsam hatte durchsetzen müssen, den Ton an, und der Kurfürstendamm war das Experimentierfeld der Moderne.

Up to date
Der Berliner Journalist Hardy Worm schrieb 1921: “Der Kurfürstendamm ist das, was der Berlin ‘feine Jejend’ nennt. Wo Regierungsräte, Hochstapler, Bankdirektoren, Schieber, Schauspielerinnen und Kokotten wohnen; derjenige, der am Kurfürstendamm haust, und sei es auch nur im Gartenhaus vier Treppen hoch, gilt als feiner Mensch, als gutsituierter Mensch. Und wenn er einen telefonischen Nebenanschluss hat, ist er ein kreditfähiger Mensch. Für Leute, die vorwärtskommen wollen, ist es also notwendig, am Kurfürstendamm zu wohnen. Zumindest aber in Berlin W.”
Am Kurfürstendamm war man up to date, wie es damals hieß. Gegen die moderne City-Filiale wirkte die alte Berliner Mitte etwas antiquiert. Das heißt natürlich nicht, dass sie keine Bedeutung mehr hatte. Regierung und Verwaltung, Pressezentrum, Universität, Museen, Oper, Theater, das Konfektionsgewerbe, die großen Kaufhäu-ser blieben natürlich im Bereich der alten Mitte, aber in der City-West eröffneten sie vielfach Filialen, und die waren moderner und glamouröser als die Stammhäuser.
Die Konkurrenz der Zentren war das, was Berlin für den internationalen Tourismus so attraktiv machte, und der Vergnügungsbetrieb war am Kurfürstendamm immer einen Schritt voraus. Die Tanzdielen, Cafés, Kabaretts, Revuen und Theater waren origineller, avantgardistischer, erotischer, geistvoller und anzüglicher. Das Publikum war prominenter, die Künstler verrückter, die Autos schneller. In den großen Premierenkinos gaben sich die Stummfilmstars persönlich die Ehre, und nach der Einführung des Tonfilms 1927 zeigten die Kinos am Kurfürstendamm die amerikanischen Filme zuerst und im Original, bevor sie in synchronisierter Fassung in der Friedrichstraße liefen.

Präsenzpflicht
Der Begriff “City-Filiale” bürgerte sich ein. Hier nur ein paar wenige Beispiele für berühmte Filialen am Kurfürstendamm: Am 30.9.1926 eröffnete Kempinski am Kurfürs-tendamm 27 eine Filiale als zweistöckiges Weinrestaurant, das mit halben Portionen zu halben Preisen ein großes Publikum anlockte. Am 1.11.1926 eröffnete das bekannte Wäschehaus Grünfeld seine Filiale mit gläsernem Aufzug am Kurfürsten-damm 227, wo heute das Kudamm-Eck mit großer Videowand auf sich aufmerksam macht. Am 3.1.1927 eröffnete der berühmte Rennfahrer Ruolf Caracciola am Kurfürstendamm 66 eine Mercedes-Filiale. Am 4.6.1932 eröffnete Café Kranzler am Kurfürstendamm 18/19 seine Filiale.
Die Erdgeschosse der vornehmen Mietshäuser waren jetzt fast vollständig mit Cafés, Restaurants, Geschäften, Kinos und Theatern gefüllt. Manche der reich verzierten Fassaden wurden entstuckt, um mehr Platz für Werbung zu erhalten. In der einzigen verbliebenen Baulücke am Kurfürstendamm 153-156 entstand als imposantes Beispiel moderner Architektur der 1928 eröffnete Komplex des Universum-Kinos und des Kabaretts der Komiker von Erich Mendelson. Heute ist in dem rekonstruierten Bau die Schaubühne am Lehniner Platz untergebracht. Aber auch dieser Neubaukomplex war verbunden mit Wohnungen. Der Kurfürstendamm blieb bei allen City-Funktionen, die hier angesiedelt wurden, eine Wohnstraße des reichen Bürgertums. Hier paarten sich auf eine wohl einzigartige Weise hochelitäre Lebenskultur und öffentliche Präsentation für ein Massenpublikum. Die City-Filiale war vornehm, teuer und exquisit, aber doch auch populär. Dienstboten und ihre Herrschaften saßen hier nebeneinander im Gloria-Palast, in der Nelson-Revue oder im Zigeunerkeller und besuchten gemeinsam die neuesten Sensationen im Lunapark. Klassenschranken schienen hier keine Bedeutung zu haben.

Kinokultur
Der Film wurde zum wichtigsten Medium der Unterhaltungsindustrie und setzte Trends. Am 27.2.1920 wurde im Marmorhaus am Kurfürstendamm der expressionistische Film “Das Kabinett des Dr. Caligari” uraufgeführt. Robert Wiene schuf im wohl berühmtesten deutschen Stummfilm eine alptraumhafte Atmosphäre für eine phan-tastische Geschichte, in der jegliche Autorität als brutal und wahnsinnig erschien. Die Kinos am Kurfürstendamm, die Läden mit ihrem Dekor, die Bucheinbände, Plakate, selbst der moderne Tanz, alles zeigte sich im Caligari-Stil der “farbenschreienden Linienverschiebung”. Man wurde Caligari, und vom Kurfürstendamm aus verbreitete sich der Stil über ganz Berlin und in die Provinz.
Am 11.9.1922 wurde im gerade eröffneten Alhambra-Kino am Kurfürstendamm 68 (heute Hotel Kurfürstendamm) der erste Tonfilm der Welt gezeigt. Die Erfindergemeinschaft Tri Ergon, Jo Engl, Josph Massolle und Hans Vogt hatte mit ihrem Lichttonverfahren die technischen Grundlagen für den Tonfilm geschaffen und demonstrierte dies mit einem Experimentalfilm. Die neue Erfindung stieß zunächst auf heftigen Widerstand. Kritiker befürchteten einen Niedergang der Schauspielkunst und die Künstlergewerkschaften einen Verlust von Arbeitsplätzen, vor allem für die Orchestermusiker, die in den großen Kinos zu den Aufführungen spielten. Auf Plakaten stand zu lesen: “Der Tonfilm verdirbt Gehör und Augen” oder “Der Tonfilm ohne Bei-programm mit lebenden Künstlern wirkt nervenzerrüttend!” Wie so häufig kam die deutsche Erfindung erst über den Umweg Amerika als durchschlagendes Erfolgsmodell zurück. Nach der Premiere von “The singing fool” am 10. Juni 1929 im Gloria-Palast gab es kein Halten mehr. Innerhalb kürzester Zeit verschwanden die Stummfilme von den Programmen und viele neue Filme spielten als Musikfilme die neuen technischen Möglichkeiten aus. Die Ufa schloss sich dem Trend an: Am 1.April 1930 wurde – ebenfalls im Gloria-Palast – “Der blaue Engel” uraufgeführt und mit Marlene Dietrich ein Weltstar für das Kino geboren.
Der Gloria-Palast war am 26.1.1926 als wohl luxuriösestes Kino seiner Zeit im völlig umgebauten Ersten Romanischen Haus westlich der Gedächtniskirche eröffnet worden. Da man die romanische Fassade nicht umgestalten konnte, wurden die Fenster genutzt, um mit großen, hell leuchtenden Buchstaben für das neue Kino zu werben.
Der Gloria-Palast hatte die Adresse Kurfürstendamm 10, und mit der Hausnummer 10 beginnt der Kurfürstendamm seit dem 22.4.1925. Denn an diesem Tag wurde der Teil zwischen Landwehrkanal (Corneliusbrücke) und Auguste-Viktoria-Platz (heute Breitscheidplatz) in Budapester Straße umbenannt. Die frühere Budapester Straße war nach dem Tod des Reichspräsidenten Friedrich Ebert nach ihm benannt worden, und die Ungarn wurden nun am Kurfürstendamm entschädigt.

Sex-Appeal
Im Januar 1926 machte Josefine Baker Sensation. Sie gastierte im Nelson-Theater am Kurfürstendamm 217 und brachte Jazzmusik, amerikanische Erotik und einen neuen Tanz, den Charleston, mit. Die Abende der “Schwarzen Venus” waren restlos ausverkauft. Der Begriff “Sex-Appeal” wurde zum Modewort. Das Publikum war begeistert, und die Hüter der Moral waren wieder einmal entsetzt.
Man kann diese bornierten, rassistischen Hinterwäldler heute gar nicht mehr zitieren. Über die selbstbewusst auftretenden Frauen hatten sie sich schon lange aufgeregt. Denn auch für die Emanzipation der Frau war der Kurfürstendamm zum Schauplatz und zum Symbol geworden. Der konservative Publizist Richard Korherr schrieb 1930: “Man wird am Kurfürstendamm kaum eine Dame zu sehen bekommen, die nicht wie ein Indianer auf dem Kriegspfade bemalt ist. Jedem natürlichen Menschen kommt der Ekel vor solch einer Frau; der Kurfürstendamm-Besucher aber ist entzückt.” Die Menschheit wurde also eingeteilt in natürliche Menschen und Kurfürstendamm-Besucher.
Neben den großen Kinos eröffneten in den Zwanziger Jahren neue Theater, Revue- und Kabarettbühnen: 1920 das Nelson-Theater des populären Pianisten und Komponisten Rudolf Nelson am Kurfürstendamm 217, am 23.12.1920 das Kabarett “Größenwahn” von Rosa Valetti am Kurfürstendamm 18/19, am 8.10. 1921 das “Theater am Kurfürstendamm”, Nr. 208/209, am 1.11.1924 die “Komödie” unter Max Reinhardt am Kurfürstendamm 206/207. Ständig gab es neue Aufführungsorte für große Aus-stattungsrevuen und kleine Kabarettbühnen in Hotels, Cafés oder Kellerlokalen. In unzähligen Tanzlokalen, Ballhäusern und Hotelsälen spielten die berühmten Tanz- und Showorchester von Bernhard Etté, Barnabas von Géczy, Adalbert Lutter, George Boulanger, Dajos Bela, Marek Weber, Teddy Staufer und vielen anderen.

Geist und Geld
Berühmt war der Kurfürstendamm vor allem für seine unzähligen Cafés. Eine der wichtigsten Aufgaben der Cafés war es, Künstler und ihre Mäzene, Schauspieler und ihre Regisseure, Schriftsteller und ihre Verleger zusammenzuführen, damit Kunst und Geld eine fruchtbare Verbindung eingehen konnten. Die literarischen Cafés des Berliner Westens waren Umschlagplätze für Literatur, Geist und Kultur. Hier wurde Starkult betrieben, wurden hohle Phrasen gedroschen, aber auch Projekte ge-schmiedet, Kontrakte unterschrieben und Genies entdeckt.
Die kulturelle Avantgarde und künstlerische Prominenz blieb auch in den Zwanziger Jahren am Kurfürstendamm. Aber sie hatte die Lokalität gewechselt. Das “Café des Westens” hatte ausgedient. Stattdessen bekam nun das Romanische Café im Zwei-ten Romanischen Haus östlich der Gedächtniskirche zwischen Tauentzienstraße und Kurfürstendamm (seit 1925 Budapester Straße) einen legendären Ruf: Kurt Tuchols-ky, Joachim Ringelnatz, Ernst Rowohlt, Egon Erwin Kisch, Anita Berber, Otto Dix, Heinrich Zille, Asta Nielsen, Klabund, Emil Orlik, Billy Wilder, Robert Siodmak, Gott-fried Benn, Ernst Lubitsch, Fritz Lang, Elisabeth Bergner, Bert Brecht, Alfred Kerr, Heinrich Mann, Carl Zuckmayer, Rudolf Nelson, Trude Hesterberg, Joseph Roth … es dürfte kaum einen prominenten Kulturschaffenden der zwanziger Jahre geben, der hier nicht gesehen wurde.
Über das “Romanische” wurden unzählige Geschichten erzählt und Erinnerungsbücher geschrieben, und jeder zählte seine persönlichen Stars auf, mit denen er hier zusammensaß. Viele Berichterstatter staunten über den Gegensatz zwischen dem legendären Ruf und dem eher unattraktiven Erscheinungsbild. Wie eine Bahnhofswartehalle wirkte der Raum, kalt und ohne Atmosphäre mit seinen Marmortischen. Das Café lebte ganz von seinen berühmten Gästen.

Denkmalschutz und moderne Architektur
Das Romanische Forum am Auguste-Viktoria-Platz mit der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche stand zwar unter Denkmalschutz, aber das verhinderte nicht, dass der Gloria-Palast und das Romanische Café in die beiden Romanischen Häuser westlich und östlich der Gedächtniskirche einzogen. Die bisher offene Nordseite am Zoologischen Garten aber wurde von Hans Poelzig, einem der bedeutendsten Archi-tekten der Zwanziger Jahre bebaut. In der Mitte eines über 133 Meter langgestreckten Geschäftshauses eröffnete am 15.12.1925 das Kino Capitol. Der Publizist Max Osborn begrüßte in der “charaktervollen modernen Bauanlage” den längst überfälligen Beitrag zur Auflockerung der starren romanischen Platzanlage, während der konservative Journalist Adolf Stein in dem “nüchternen, langen, gelbgetünchten Kas-ten” eine Verschandelung und Beleidigung der kaiserlichen Absichten sah. Wieder einmal wurde dem Kurfürstendamm “Talmiglanz” und amerikanische, also undeutsche Geschmacklosigkeit vorgeworfen.

Hass und Fanatismus
Immer wieder kam es in den Zwanziger Jahren auch auf dem Kurfürstendamm zu antirepublikanischen Ausschreitungen, etwa am Tag der Verfassungsfeier am 9.8.1925 oder am 20.3.1927 als Joseph Goebbels seinen Einstand als Berliner Gauleiter der NSDAP gab und mehr als 600 SA-Männer auf den Kurfürstendamm schickte, wo jüdisch aussehende Passanten angepöbelt wurden, Gäste im Romanischen Café verprügelt und das Mobiliar zerschlagen wurde.
Ihr brutalstes Pogrom vor der Machtübernahme veranstaltete die NSDAP unter der Leitung des SA-Oberführers und späteren Polizeipräsidenten von Berlin, Wolf Heinrich Graf von Helldorf, am 12.9.1931. Die jüdischen Bürger hatten in den Synagogen ihr Neujahrsfest gefeiert. Als viele Juden aus der Synagoge in der Fasanenstraße zum Kurfürstendamm kamen, mischten sich über 1.500 Nationalsozialisten unter die Passanten, brüllten antisemitische Sprechchöre und verprügelten jüdisch aussehende Personen. Jüdische Lokale wurden zerstört, die Gäste misshandelt. Vor Gericht erklärte einer der Pogromhelden später höhnisch: “Wir wollten dem Kurfürstendamm einen Denkzettel geben.”
Als Hitler im Januar 1933 Reichskanzler wurde, lief im Alhambra “Die blonde Venus” mit Marlene Dietrich, im Kabarett der Komiker brachten Curt Bois und Hans Moser die Zuschauer zum Lachen, im Eden-Hotel traten Rudolf Nelson und Hilde Hildebrandt mit ihrer Revue “Etwas für Sie” auf.

4. Die Zerstörung des Boulevards im Nationalsozialismus 1933-1945

Die Nationalsozialisten haben den Kurfürstendamm gehasst. Oder besser: Sie haben alles gehasst, was sie mit dem Begriff Kurfürstendamm verbanden. Deshalb gibt es unzählige Hasstiraden von Nationalsozialisten auf den Kurfürstendamm, aber sie haben ihn merkwürdigerweise weitgehend in Ruhe gelassen und nicht mit größenwahnsinnigen Umbauplänen traktiert wie die alte Mitte. Der Kurfürstendamm lag quer zu den nationalsozialistischen Vorstellungen von Berlin, quer zu den großen Achsen, auf denen sie ihre imperialen Ansprüche für die Ewigkeit demonstrieren wollten. Der Kurfürstendamm lag aus ihrer Sicht im Abseits. Das kam ihm ein Stück weit zu Gute. Aber natürlich war er ebenso wie ganz Deutschland betroffen von der doppelten Zerstörung: von der Vertreibung und Ermordung vieler Menschen, die seinen großen Erfolg geschaffen hatten – Juden zu einem großen Teil – und von den Zerstörungen vieler Häuser in den letzten beiden Jahren des Zweiten Weltkriegs.

Hass auf die Moderne
Ein gewisser Friedrich Hussong, Chefredakteur bei der rechtsnationalen Hugenbergpresse gab 1933 ein Buch heraus unter dem Titel “Kurfürstendamm. Zur Kulturgeschichte des Zwischenreichs”. Mit “Zwischenreich” meinte er die 15 Jahre der Weimarer Republik, und er triumphiert über die geschlagene Demokratie: “Der Kurfürstendamm zog sich mitten durch ganz Deutschland … das war ein Kulturbegriff schlechthin geworden. In seinen Namen gefasst war … jede Fäulniserscheinung einer sich zersetzenden Gesellschaft… Der Kurfürstendamm ist heute besiegt und geschlagen.”
Und wirklich: Viele Stammgäste des Romanischen Cafés mussten schon 1933 emigrieren. Max Reinhardt, Rudolf Nelson, Kurt Robitschek, die jüdischen Leiter der Theater, Revuen und Kabaretts ebenso. Die Kultur wurde zuerst “arisiert”. Am 1. April 1933 waren viele Geschäfte am Kurfürstendamm vom sogenannten “Judenboykott” betroffen.

Aufschub
Andererseits wurde dieser Tag von vielen wie ein Spuk empfunden, der schnell vorbei ging, und der Kurfürstendamm blieb eine turbulente Einkaufs-, Café- und Kinomeile. Thomas Wolfe, der junge Erfolgsautor aus den USA, besuchte Berlin im Frühjahr 1935 und noch einmal während der Olympischen Spiele 1936. Er wohnte im Hotel am Zoo, Kurfürstendamm 25 und empfand den ganzen Kurfürstendamm als “größtes Caféhaus Europas”.
In den Erinnerungen vieler Zeitzeugen erfuhr der Kurfürstendamm eine fast ungebrochene Fortsetzung der “Goldenen Zwanziger”. 1936 gab es mehr Olympiafahnen als Hakenkreuzfahnen. Die Filmpremieren am Kurfürstendamm, besonders im vornehmen Gloria-Palast, waren auch jetzt noch große Ereignisse. Wenn auch viele bedeutende Regisseure und Stars nach Hollywood emigriert waren, gab es doch neue Stars, die sich nicht selten gemeinsam mit Goebbels oder Göhring bei den Premieren sehen ließen: Gustaf Gründgens, Harry Piel, Veit Harlan, Paul Wegener, Marika Rökk. Lil Dagover, Heli Finkenzeller, Leni Riefenstahl, Hans Albers, Heinz Rühmann, Willy Fritsch, Willy Birgel, Kristina Söderbaum usw..
Bis 1940 wurden am Kurfürstendamm noch englische und amerikanische Filme im Original gezeigt. Internationale Zeitungen, Zeitschriften, Comics, Jazzschallplatten und Bücher waren am Kurfürstendamm eher zu bekommen als sonst wo. Bis in die Kriegsjahre hinein konnte man hier ausländische Zeitungen wie etwa den New Yorker “Daily Herold” bekommen – mit Hitler-Karikatur auf der Titelseite.

Pogrom und “Arisierung”
Am 9. November 1938 wurde auch die Synagoge in der Fasanenstraße angezündet, und die jüdischen Geschäfte am Kurfürstendamm wurden systematisch zerstört. Erich Kästner, der damals in der Roscherstraße nicht weit vom Kurfürstendamm wohnte, war im Taxi auf dem Heimweg: “Auf beiden Straßenseiten standen Männer und schlugen mit Eisenstangen Schaufenster ein. Überall krachte und splitterte Glas. Es waren SS-Leute … Jedem schienen vier, fünf Häuserfronten zugeteilt.”
Nach dieser Nacht begannen die “Maßnahmen zur Ausschaltung des jüdischen Einzelhandels”, die systematische “Arisierung” der Geschäfte. In der “Zeitschrift des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller” wurden diese “Maßnahmen” statistisch erfasst und nüchtern kommentiert: Im Gegensatz zur alten Berliner Mitte und zu anderen Stadtteilen gab es am Kurfürstendamm keinen langen Leerstand. Die ehemals jüdischen Geschäfte fanden schnell “arische” Inhaber. So übernahm etwa Max Kühl das traditionsreiche berühmte Wäschehaus Gründfeld. Zwar konnten nicht für alle exquisiten Modegeschäfte geeignete Nachfolger gefunden werden, und aus manchem wurde ein Zigarrenladen oder ein Fotogeschäft. Aber bereits im April1939 resümierte die Zeitschrift: “Am Kurfürstendamm sind jetzt sämtliche Lücken wieder ausgefüllt.”

Bombenkrieg
Nicht so schnell konnten die Lücken wieder ausgefüllt werden, die der Bombenkrieg seit dem November 1943 auch am Kurfürstendamm schlug. Am 23. November 1943 brannten die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, der Gloria-Palast, das Romanische Café und die benachbarten Wohn- und Geschäftshäuser völlig aus. Am Tag danach stürzte ein amerikanisches Kampfflugzeug in den Lichthof des KaDeWe. Das Haus brannte total aus. Weitere schwere Verwüstungen folgten. Bis zuletzt wurde Berlin sinnlos verteidigt. Am 23. März 1945 wurde in einem “Befehl des Luftflottenkommandos 6” der Kurfürstendamm als Startbahn für Kampfflugzeuge vorgesehen. Am 21. April wurde die Halenseebrücke noch einige Stunden gegen die Panzer der Roten Armee verteidigt, und am 28. April befahl Goebbels, den Zoo-Bunker bis zum letzten Mann zu verteidigen. bevor er am 30. April mit Hitler Selbstmord beging.

Widerstand?
Hat der Kurfürstendamm etwas mit dem Widerstand gegen die Nazidiktatur zu tun? Der gefürchtete Richter am Volksgerichtshof, Roland Freisler, war offensichtlich dieser Meinung. Im Prozess nach dem Attentat des 20. Juli 1944 auf Hitler verspottete er den Widerstandskämpfer Adam von Trott zu Solz mit den Worten: “Eine Jammergestalt an Körper, Geist und körperlicher wie geistiger Haltung, der Typ des geistreichelnden, entwurzelten, charakterlosen Intellektualisten vom Romanischen Café, eine Kurfürstendamm-Erscheinung.”
Diese Äußerung bezieht sich auf ein Klischee, für das Deutschlands einziger Boulevard von Beginn an stand: Der Kurfürstendamm verkörperte die Moderne schlechthin: geistreiche Unterhaltungskultur, kommerzielle Vielfalt, Internationalität, Mobilität und schnellen Wandel. Für die Nationalsozialisten symbolisierte der Kurfürstendamm alles, was sie hassten. Für sie war er “undeutsch”. Heute empfinden wir die Hasstiraden Roland Freislers und all der anderen als Auszeichnung – für die Widerstandskämpfer und für den Kurfürstendamm.

5. Wiederaufbau des Boulevards im Kalten Krieg 1945 bis 1961

Am 1. Mai 1945 eroberten die Sowjets vom Wittenbergplatz aus nach Artillerieduellen mit deutschen Soldaten, die sich noch im Zoobunker verschanzt hatten, den Auguste-Victoria-Platz. Damit war der Zweite Weltkrieg auch am Kurfürstendamm zu Ende.
Rund um die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche standen nur noch Trümmer und ausgebrannte Ruinen. Von 235 Häusern am Kurfürstendamm waren noch 43 bewohnbar. Die restlichen 192 waren total zerstört.

Hunger nach Kultur
Neben der Suche nach Wohnraum und Lebensmitteln, der Trümmerbeseitigung und den ersten Wiederaufbauversuchen, gab es sofort nach Kriegsende auch einen enormen Hunger nach Kultur und Unterhaltung. Generaloberst Bersarin, der am 28. April 1945 zum Stadtkommandanten von Berlin ernannt worden war, gestattete in seinem ersten Erlass ausdrücklich den Betrieb von Vergnügungsstätten wie Kinos, Theatern, Zirkus oder Sportstadion – wenn auch zunächst nur bis 21.00 Uhr.
Schon am 1. Juni 1945 präsentierte das Kabarett der Komiker im Café Leon am Kurfürstendamm 156 (neben der heutigen Schaubühne) ein Notprogramm, die städtische Oper begann am 15. Juni mit einem Ballettabend im Theater des Westens. Das bis auf den Dachstuhl intakt gebliebene Marmorhaus und das Astor-Kino spielten bereits 1945 wieder Filme.
In den Ruinen wurden Restaurants eröffnet und vor den Ruinen Straßencafés. Im Restaurant Burgkeller am Kurfürstendamm 25 begannen die Stachelschweine mit ihrem ersten Kabarettprogramm, bevor sie in die Rankestraße weiterzogen. Die Komödie wurde am 26. März 1946, und das Theater am Kurfürstendamm am 17. Dezember 1947 wieder eröffnet.

Wiederaufbau
Das historisch gewachsene Berlin lag in Trümmern. Viele Stadtplaner sahen darin eine Chance, endlich ihre Idealvorstellungen einer verkehrsgerechten Stadt in die Realität umzusetzen. Unersetzliche Bauten waren zwar in Schutt und Asche gelegt worden, aber an ihrer Stelle konnte etwas Neues, Modernes entstehen. Der Wunsch, die Nazi-Vergangenheit möglichst schnell zu vergessen und mit einer “Stunde Null” neu zu beginnen mag dabei mitgespielt haben.
Dennoch konnte man sich zunächst nicht auf neue Pläne einigen, denn die politische Zukunft Berlins war zunächst noch unklar, und im Prozess der langsam sich vollziehenden Teilung der ehemaligen Reichshauptstadt konnte zunächst kein neues Selbstverständnis entstehen.
Am Kurfürstendamm wurden vielfach notdürftig Flachdächer auf die übrig gebliebenen ein oder zwei Stockwerke der alten Häuser gelegt und Behelfsbauten in die Lücken gesetzt. Solche Provisorien hielten dann oft Jahrzehnte. 1950 eröffneten das Maison de France mit dem Cinema Paris, das Modehaus Horn und das Kaufhaus des Westens.
Danach entstanden die ersten Neubauten: 1951 ein Flachbau von Paul Schwebes mit dem Café Kranzler und 1952 als erstes neuerbautes Hotel in Berlin das Kempinski.
Die Neubauten der 50er Jahre sind fast durchweg durch einen klaren, sachlichen Stil gekennzeichnet. Sie fügen sich zurückhaltend in den städtebaulichen Zusammenhang ihrer Umgebung ein: 1953 der neue Gloriapalast am Kurfürstendamm 12, 1954 das ECO-Haus Nr.64/65, 1955 das Alianz-Hochhaus am Joachimstaler Platz , 1956 das Geschäftshaus der Hamburg-Mannheimer Versicherung am Kurfürstendamm 32 und das MGM-Kino Nr. 197/198, 1957 der Zoo-Palast und 158 das Victoria-Areal mit dem neuen Café Kranzler. 1959 schließlich wurden das Schimmelpfenghaus an der Kantstraße 1 und das Zentrum am Zoo mit dem “Bikini-Haus” vom Hardenbergplatz bis zur Budapester Straße fertig.
Vor allem die beiden letzteren sprengen die baulichen Maßstäbe ihrer Umgebung und wirken im Verhältnis zur Gedächtniskirche überdimensioniert. Der Riegel des Schimmelpfenghauses über der Kantstraße versperrt die Sicht auf den Turm. Inzwischen besteht Einigkeit darüber, dass er abgerissen werden soll.

Filmfestspiele
Neben dem zum Teil heftigen Streit um die neue bauliche Gestaltung der westlichen City gab es eine große Sehnsucht nach internationaler Beachtung. Der Hilferuf von Ernst Reuter an die “Völker der Welt” verlieh diesem Bedürfnis in der mehr und mehr abgetrennten westlichen Teilstadt auf höchst emotionale Weise Ausdruck. Der Kurfürstendamm war dazu prädestiniert, zum internationalen “Schaufenster des Westens” zu werden.
Das gelang zum ersten Mal nach dem Krieg mit den Filmfestspielen, die seit 1952 Jahr für Jahr unter großer internationaler Beteiligung am Kurfürstendamm gefeiert wurden. Die Ersten Internationalen Filmfestspiele Berlin waren 1951 noch im Steglitzer Titanie-Palast veranstaltet worden. Aber seit 1952 gab es neben dem Delphi-Kino an der Kantstraße das neue Kino Capitol im ehemaligen Universum am Kurfürstendamm 153. Bereits 1953 kam der Neubau des Gloria-Palastes, am Kurfürstendamm 12 und die Filmbühne Wien am Kurfürstendamm 26 hinzu, seit 1957 der Zoo-Palast als größtes Festival-Kino.
Auf dem abgesperrten Kurfürstendamm säumten Tausende die Star-Paraden und feierten enthusiastisch Gary Cooper, Sophia Loren, Gina Lollobrigida, Alec Guinness, Richard Widmark, Henry Fonda, Errol Flynn, Shirley MacLaine, James Stewart, Federico Fellini und Wald Disney. Während der Filmfestspiele der 50er Jahre fühlte Berlin sich für 14 Tage als Weltstadt. Ein großer Teil der Bevölkerung nahm daran Anteil und pilgerte zum Kurfürstendamm.

Modezentrum
Das alte Zentrum der Berliner Mode und Konfektion um den Hausvogteiplatz in Berlin Mitte war im Krieg zerstört worden. Die jüdischen Unternehmer, die in der Textilbranche Erfolg hatten, gab es in Berlin nicht mehr. In den 50er Jahren entstand im Westen Berlins, am Fehrbelliner Platz und vor allem am Kurfürstendamm eine neue, kurz aufblühende Modeindustrie. Die ersten Modeschauen nach dem Krieg gab es am Kurfürstendamm schon im Herbst 1945. Ein Jahr später gab es zwischen Gedächtniskirche und Halensee schon wieder 210 Geschäfte, darunter 43 Modefirmen. 1950 eröffneten vier große Modehäuser am Kurfürstendamm: Gehringer & Glupp, Horn, Staebe-Seger und Schwichtenberg.
Das 1955 am Kurfürstendamm 64/65 entstandene ECO-Haus war Domizil für eine Reihe von Konfektionsfirmen. 1000 Beschäftigte der Bekleidungsindustrie fanden hier neue Arbeitsplätze. 1957 kam das DOB-Haus am Zoo als Sitz der Damen-Oberbekleidungs-Industrie hinzu. Die kurze Blüte der Modeproduktion am Kurfürstendamm endete mit dem Mauerbau 1961.

Gedächtniskirche
Der Streit über den Umgang mit der Ruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche wurde zur Auseinandersetzung über den Umgang mit der Vergangenheit. Viele Stadtplaner hatten die Kirche seit jeher als Verkehrshindernis empfunden und plädierten unmittelbar nach dem Krieg dafür, die Turmruine abzuräumen und den Breitscheidplatz großzügig für den Verkehr umzubauen. Der frühere Auguste-Victoria-Platz war 1947 nach dem SPD-Politiker und Widerstandskämpfer Rudolf Breitscheid benannt worden. Andere setzten sich für eine Rekonstruktion der Kirche ein, und eine dritte Gruppe plädierte für die Erhaltung der Ruine als Mahnmal gegen den Krieg.
Den Gestaltungswettbewerb von 1956 gewann ein Entwurf von Egon Eiermann, der die Reste der Kirche als “Steinhaufen” und die Turmruine als “faulen Zahn” bezeichnete. Mehrere Berliner Zeitungen machten mobil dagegen und veranstalteten Meinungsumfragen, in denen sich eine überwältigende Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner für den Erhalt der Turmruine aussprach. Eiermann musste seinen Entwurf überarbeiten und legte 1958 schließlich die Pläne für einen Neubau der Kirche mit der Turmruine im Mittelpunkt vor. Mit der Einweihung des Kirchen-Neubaus am 17. Dezember 1961 wurde die erste Nachkriegsepoche am Kurfürstendamm abgeschlossen. Der “Tagesspiegel” formulierte: “Ein neues Kapitel von Berlin W wird aufgeschlagen.”

Politisches Symbol im Kalten Krieg
Mit der Teilung Europas und der zunehmenden Verschärfung des Kalten Krieges zwischen Ost und West wurde der Kurfürstendamm mehr und mehr zum politischen Symbol. Der Osten diffamierte ihn als “Schandfleck im Herzen Berlins”, der von “Schiebern, Nichtstuern, Dirnen und Spekulanten” bevölkert sei, so die “Berliner Zeitung” in einem Artikel vom September 1954. Die Überschrift “Sehnsucht nach diesem Kurfürstendamm?” ist allerdings wohl ein unfreiwilliger Hinweis, dass es sich bei diesen Schmähungen eher um einen Versuch handelte, die eigene Bevölkerung von dieser Sehnsucht abzubringen. Für den Westen war der Kurfürstendamm ein leuchtendes Schaufenster, eine Demonstration der Überlegenheit, des Wohlstands und wirtschaftlichen Erfolges der Insel West-Berlin mitten im Ostblock.
Wieder einmal war der Kurfürstendamm weit mehr als eine Geschäftsstraße in Berlin, er war wieder für viele zum ideologisch geprägten Begriff geworden, der mit der Wirklichkeit des Boulevards nur wenig zu tun hatte. Sein realer Zustand zeigte auch am Ende der 50er Jahre noch viele Spuren der Zerstörung. Auch der jährliche kurze Rausch der Internationalen Filmfestspiele konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zeit des exquisiten Weltstadtboulevards der 20er Jahre unwiderruflich vorüber war. Um so mehr lebte er von seinem Mythos. Sein Image wurde von den einen kräftig poliert und von den anderen heftig angegriffen.

6. Der Boulevard als Bühne in der Mauerzeit 1961 bis 1989

Das eingemauerte West-Berlin von 1961 bis 1989 erscheint heute als Episode. Mit dem Bau der Mauer am 13. August 1961 verlor die City-West ihren Charakter als City-Filiale, ihre Funktion als moderne Alternative zur alten Berliner Mitte. Noch in den 50er Jahren war es ja vor allem die Konkurrenz zur Ost-Berliner Tristesse des Mangels, mit der das Schaufenster des Westens sich als die glanzvollere City präsentierte. Jetzt wurde aus der Berliner City-Filiale plötzlich das Zentrum West-Berlins. Der Kurfürstendamm wurde zur Bühne für Staatsaktionen und für politische Demonstrationen. Erst nach dem Fall der Mauer wurde der provisorische, episodenhafte Charakter dieser drei Jahrzehnte deutlich. Die Akteure waren sich dessen nicht bewusst und hatten Mühe, eine neue Rolle für den Kurfürstendamm zu definieren. Die Überbeanspruchung tat dem Boulevard nicht gut. Fehler und Irrtümer müssen noch heute mühsam korrigiert werden.

Flucht der Wirtschaft
Die kurze wirtschaftliche Blütezeit der Mode- und Konfektionsindustrie auf dem Kurfürstendamm ging mit dem Mauerbau abrupt zu Ende. Die Modehäuser verlagerten die Produktion von Modellkleidung entweder nach West-Deutschland, oder ins Ausland, oder sie stellten sie ganz ein. Übrig blieben Boutiquen und Kaufhäuser.
Viele Grundstücke am Kurfürstendamm zeigten am Anfang der 60er Jahre noch die Spuren des verlorenen Krieges. Vielerorts standen einstöckige Ruinen oder hässliche Behelfsbauten. Die Eigentümer hatten kein Interesse am Wiederaufbau ihrer zerstörten Häuser. Viele zogen nach dem Mauerbau in den Westen und verkauften ihre Grundstücke – notfalls auch weit unter Wert. Der öffentliche Druck wuchs, die “Schandflecke” und “Andenken des Krieges” zu beseitigen. Medien und Politik beklagten, dass die Erneuerung zu langsam vorankam. Aber da es kein wirtschaftliches Interesse an entsprechenden Investitionen gab, konnten nur staatliche Programme für Bautätigkeit sorgen. Das Berlinhilfe-Gesetz und das Berlinförderungsgesetz schufen die Grundlage für umfangreiche Finanztransfers aus der Bundesrepublik nach West-Berlin.

Bausünden
Gefördert durch staatliche Bauprogramme entstanden am Kurfürstendamm moderne Großbauten, die sich bewusst abhoben vom traditionellen architektonischen Gesicht des Boulevards. Auf die räumlichen Proportionen wurde keine Rücksicht genommen, alle bis dahin gültigen Maßstäbe wurden gesprengt.
Von 1963 bis 1965 wurde das Europa-Center am Breitscheidplatz gebaut. Der sich drehende Mercedes-Stern als I-Punkt auf dem Hochhaus wurde zum Symbol dafür, dass West-Berlin am Wirtschaftswunder der Bundesrepublik teilhaben durfte. 1966/67 folgte das Bekleidungshaus von C&A Brenninkmeyer an der Jochoachimstaler Straße Ecke Augsburger Straße, 1971 Wertheim zwischen Kurfürstendamm 230-233 und Augsburger Straße 36-42, 1972 das Kudamm-Eck von Werner Düttmann und 1973 Kudamm-Karree von Sigrid Kressmann-Zschach und Kurfürstendamm-Center in Halensee.
Fast alle diese Großbauten, die mit staatlicher Unterstützung entstanden, waren mit Finanzskandalen verbunden und mussten auch nach ihrer Fertigstellung weiter direkt oder indirekt staatlich subventioniert werden, um überleben zu können. So mietete sich die Senatsverwaltung für Kultur im Europa-Center ein, und die Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege im Kudamm-Karree. Die meisten damals entstandenen Bauten mussten mehrmals umgebaut werden, die Wertheim-Fassade wurde in den 80er Jahren komplett umgestaltet, Kudamm-Eck und C&A wurden nach der Wende abgerissen und durch Neubauten ersetzt.

Politische Demonstrationen
Offizielle Paraden oder Demonstrationen hatte es bis 1961 auf dem Kurfürstendamm kaum gegeben. Dafür gab es das Brandenburger Tor, die Prachtstraße Unter den Linden oder den Platz der Republik vor dem Reichstag. Das änderte sich schlagartig mit dem Bau der Mauer. Als Zentrum West-Berlins wurde der Boulevard zur Bühne. Wer Aufsehen erregen wollte, der ging in West-Berlin auf den Kurfürstendamm. Den Anfang machten die US-Streitkräfte, als sie bereits eine Woche nach dem Mauerbau, am 20. August 1961 mit einer Militärparade über den Kurfürstendamm ihre Berlinpräsenz demonstrierten. Das Gleiche tat John F. Kennedy, als er am 26.6.1963 in einem Triumphzug über den Kurfürstendamm fuhr, wo ihm Tausende Berlinerinnen und Berlin zu jubelten. Nach ihm kamen Queen Elisabeth II., Richard Nixon, Astronauten Armstrong, Collins und Aldrin und viele andere. 1965 begannen die Demonstrationen gegen Bildungsnotstand, gegen den Vietnam-Krieg, gegen die Notstandsgesetzgebung, gegen die Ermordung Martin Luther Kings aber auch gegen die Besetzung der Tschechoslowakei durch die Truppen des Warschauer Paktes. Nachdem Rudi Dutschke am 11.4.1968 unweit des SDS-Büros am Kurfürstendamm 140 von einem Rechtsradikalen angeschossen und schwer verletzt wurde, kam es zu schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei.
Demonstriert wurde in der Folge auf dem Kurfürstendamm gegen die komplizierte Steuergesetzgebung, gegen die Umweltverschmutzung, gegen den Abriss von Baudenkmalen, gegen die Räumung von besetzten Häusern und gegen den Besuch des amerikanischen Präsidenten Reagan in Berlin. Dabei war der Kurfürstendamm als Demonstrationsort natürlich umstritten. Von Albertz bis Kewenig versuchten die Innensenatoren immer wieder, den Kurfürstendamm von Demonstrationen frei zu halten, aber am Ende setzten sich die Demonstranten durch.

Bouletten- und Skulpturen-Boulevard
Wie schon immer, so war der Kurfürstendamm auch während der Mauerzeit umstritten. Seit dem Ende der 70er Jahre nahm die Kritik zu und konstatierte Niveauverlust und Verfall. Der “Spiegel” sah am 23.2.1981 nur noch “Boulettenburgen am Boulevard”. Peep-Shows und Spielsalons wurden als unangemessen empfunden, und man versuchte, dem “Turnschuh-Tourismus am Boulevard” etwas entgegen zu setzen. 1981 wurde eine City-Kommission gegründet, die IHK machte Änderungsvorschläge, im Abgeordnetenhaus wurden Maßnahmen zur Erhaltung des Kurfürstendamms als Boulevard diskutiert. 1984 berief die City-Kommission eine Arbeitsgruppe “Gestaltung des öffentlichen Raumes”, die ein “Lineares Regelwerk Kurfürstendamm” ausarbeitete.
Ergebnis dieser Bemühungen war die Aufstellung der historischen Hardenberg-Leuchten am Kurfürstendamm, die “Kunstmeile Kurfürstendamm” und der Weihnachtsmarkt zwischen Gedächtniskirche und KaDeWe seit 1984. Es wurde wieder mächtig investiert in das Aushängeschild West-Berlins. Alte Qualitäten wurden wieder entdeckt, Stuckfassaden liebevoll restauriert, aber auch neue moderne Glanzpunkte wurden geschaffen, etwa 1984 mit dem Weltkugelbrunnen von Joachim Schmettau auf dem neu gestalteten Breitscheidplatz zwischen Gedächtniskirche und Europa-Center. Bereits 1981 war die neue Schaubühne am Lehniner Platz eröffnet worden: Den futuristischen Mendelsohn-Bau aus den 20er Jahren hatte man dafür abgerissen und mit komplett neuer Innenraumgestaltung äußerlich originalgetreu wieder aufgebaut.
Die Geschäftsleute inszenierten am Kurfürstendamm “die längste Galerie der Welt”, und Kultursenator Volker Hassemer gab anlässlich der 750-Jahr-Feier Berlins das Projekt “Skulpturenboulevard” in Auftrag: Acht Künstler und Künstler-Paare sollten für eine begrenzte Zeit auf dem Boulevard die aktuelle Berliner Kunst der breiten Öffentlichkeit vorstellen, der Kurfürstendamm sollte einmal Bühne für die Kunst sein. Hier, an ihrem prominentesten Ort wollte sich die “Kulturmetropole” präsentieren und damit über den Verlust der politischen Hauptstadtfunktion hinwegtrösten.
“Berlin”, die ineinander verschlungenen aber getrennten Röhrenarme von Brigitte und Martin Matschinsky-Denninghoff auf dem Mittelstreifen des Tauentzien wurden sofort zum beliebten Fotomotiv – mit der Gedächtniskriche im Hintergrund. Die Symbolik in der geteilten Stadt war unübersehbar. Am anderen Ende des Boulevards auf dem Rathenau-Platz wurden die “2 Beton-Cadillacs in Form der nackten Maja” von Wolf Vostell zum jahrelangen Streitobjekt. Kein Kunstereignis hat wohl im Berlin der Nachkriegszeit solche heftige Diskussionen ausgelöst. eine Bürgerinitiative stellte dem provozierenden Werk sogar zeitweise einen Beton-Trabi gegenüber. Weniger spektakulär war die “Pyramide” von Josef Erben an der Ecke Bleibtreustraße. Aber die drei Skulpturen konnten sich bis heute behaupten, während die anderen entsprechend ihrer ursprünglichen Bestimmung nur temporär auf dem Kurfürstendamm aufgestellt blieben.

Symbol der Sehnsucht
Auch wenn vom Qualitätsverfall des Kurfürstendammes die Rede war, blieb er ein Symbol der Sehnsucht. Sein Mythos war weder durch Bausünden noch Restaurantketten zu besiegen. 1985 kam der Film “Einmal Ku’Damm und zurück” mit Ursula Monn in die Kinos. Er war bereits 1983 gedreht worden und präsentierte den Kurfürstendamm als Ziel aller ostdeutschen Wünsche. Am 9. November 1989 war es dann so weit. Mit einer gigantischen Trabi-Parade auf dem Kurfürstendamm feierten Ost und West gemeinsam die Öffnung der Mauer, das Ende der Teilung. Die Episode der eingemauerten Stadt war nach 28 Jahren endlich vorüber. Mit einem großen Spektakel fiel der Vorhang für den Kurfürstendamm als Bühne, und der Vorhang öffnete sich für ein neues Kapitel in der Geschichte des Boulevards.

7. Selbstbehauptung und neue Identitätsfindung seit der Wende 1989

Nachdem die große Freude über den Fall der Mauer den Alltagsproblemen der Wiedervereinigung gewichen war und nachdem der Kurfürstendamm auch für die ostdeutsche Bevölkerung problemlos erreichbar wurde und sein Mythos verblasste, geriet das ganze ehemalige West-Berlin zunächst ins Hintertreffen.
Als neuer Touristenmagnet wurde erfolgreich der Potsdamer Platz als “Schaustelle Berlin” vermarktet. Das Brandenburger Tor als Symbol der wiedererlangten Einheit Berlins wurde zum beliebten Mittelpunkt für die großen Kundgebungen, Feste und Demonstrationen. Die alte Mitte Berlins mit der Straße Unter den Linden, Friedrichstraße und der fälschlicherweise als “Scheunenviertel” titulierten Spandauer Vorstadt sowie das neu entstehende Regierungs- und Parlamentsviertel rund um den Reichstag zogen die Aufmerksamkeit der Berlinbesucher, Investoren, Stadtplaner, Politiker, Künstler und Kreativen auf sich.
Der Kurfürstendamm und die gesamte City West waren nicht mehr angesagt. Sie standen für die alten West-Berliner Zöpfe, die es jetzt möglichst schnell abzuschneiden galt. Wenn in den 20er Jahren das alte Berliner Zentrum etwas verstaubt und antiquiert wirkte, während in der neu entstandenen City um den Kurfürstendamm das moderne, internationale Berlin zu besichtigen war, so war es jetzt umgekehrt: Die alte Mitte entwickelte eine faszinierende Dynamik. Hier gab es täglich Neues zu entdecken. Dagegen konnte man am Kurfürstendamm nur den Niedergang der altehrwürdigen West-Berliner Institutionen besichtigen – mit großem Symbolwert das Café Kranzler, vormals Ziel jedes Besuchs in der Mauerstadt, jetzt im Jahr 2000 als Verlegenheitscafébar in die Dachgeschossrotunde eines Bekleidungsgeschäftes verbannt.

Strukturwandel
Das Kinosterben am Kurfürstendamm ist nicht weg zu diskutieren. Die Filmfestspiele sind an den Potsdamer Platz gezogen, Schlüterkino (1997), Gloriapalast (1998), Filmbühne Wien (2000), Marmorhaus (2001), Astorkino (2002) und Royalpalast (2004) haben geschlossen. Für den Zoopalast gibt es Umbaupläne, und noch ist nicht sicher, ob das ehemals größte Kino Berlins an diesem Standort eine Zukunft hat. Broadway, Cinema Paris, Delphi, Filmkunst 66, Filmpalast Berlin und Kant-Kino halten sich mit Qualitätsfilmangeboten, und die Kurbel hat als Kino zum Discountpreis wieder eröffnet.
An allen ehemaligen Kinostandorten sind Filialen von großen Textilketten eingezogen. Vielfach wird beklagt, dass durch die Dominanz der immergleichen großen Ketten in der Bekleidungsbranche und in der Gastronomie die Unverwechselbarkeit und Einzigartigkeit des Boulevards nicht mehr erkennbar ist.
In den 20er Jahren hatte sich der Begriff “City-Filiale” für den Kurfürstendamm eingebürgert. Damals bedeutete das allerdings, dass die alteingesessenen Stammhäuser der alten City neue, moderne, exquisite Filialen am Kurfürstendamm eröffneten: Grünfeld, Kranzler und Kempinski waren wohl die prominentesten Beispiele.
Heute werden Gemeinschaftsaktionen wie die alljährliche Organisation der Weihnachtsbeleuchtung oder die Veranstaltung von Kurfürstendammfesten erschwert, weil Filialleiter mehr ihrem Mutterkonzern verpflichtet sind als ihrem Boulevard.

Feste
Das seit 1988 jährlich im August von der Arbeitsgemeinschaft City veranstaltete Kurfürstendammfest hat seine optimale Form wohl noch immer nicht gefunden. Der häufige Namenswechsel von “Europaparty”, “Euromeile”, “Fest auf dem Kurfürstendamm” bis zu “Globe City” ist nur ein äußeres Indiz dafür, und viele Anrainer beklagen, die Feste seien eher geschäftsschädigend, als dass sie den Boulevard beleben und fördern.
Kaum jemand erinnert sich noch daran, dass die Love Parade 1989 auf dem Kurfürstendamm begann und immerhin 5 Jahre hier regelmäßig veranstaltet wurde. Erst als sie aus allen Nähten platzte und die Zerstörungen überhand nahmen, wurde sie 1995 auf die Straße des 17. Juni verlegt.
Zur Erfolgsgeschichte wurde die Lange Nacht des Shoppings, die seit einigen Jahren jeweils zur Sommerzeitumstellung im Frühjahr und Herbst rund um den Breitscheidplatz veranstaltet wird – mit dem Ziel, die Abschaffung der Ladenöffnungszeitbegrenzungen zu erreichen.

Neubauten
1992-1994 baute der Chicagoer Stararchitekt Helmut Jahn am Adenauerplatz das schmalste Bürogebäude Berlins auf einem nur 2,5 m breiten Grundstück. Das 1992-1995 auf dem Kant-Dreieck von Josef Paul Kleihues gebaute 11stöckige Kap-Hag-Hochhaus mit einem großen, beweglichen Windsegel wurde 1994 mit dem Preis des Bundes deutscher Architekten ausgezeichnet.
Mit dem neuen 1998-2001 von Gerkan, Mark und Partner gebauten Ku’dammeck wurde in erstaunlich kurzer Abriss- und Bauzeit eine der schlimmsten Bausünden der 70er Jahre korrigiert. Auch das ehemalige C&A-Haus an der Augsburger Straße muss einem Neubau weichen.
Völlig neu gestaltet wurde das sogenannte Victoria-Areal 1998-2000 von Helmut Jahn als Neues Kranzler-Eck mit einer attraktiven Passage zur Kantstraße, wo der Boulevard mit dem Theater des Westens, dem Delphi-Kino, der angesagten Paris Bar, dem 1998/99 gebauten Stilwerk und dem Savignyplatz seine Fortsetzung findet.
Ebenfalls 1998-2000 bauten Hans Kollhoff und Helga Timmermann am neu entstandenen Walter-Benjamin-Platz zwischen Leibniz- und Wielandstraße die umstrittenen Leibnitz-Kolonnaden.
Das Schimmelpfenghaus, das mit seinem Brückenbau über der Kantstraße den Blick auf die Gedächtniskirche versperrt, soll abgerissen werden. Das Zoofenster wartet auf seine Bebauung und ist inzwischen provisorisch mit Foto- und Werbewänden umgeben worden. Der Joachimstaler Platz wurde umgestaltet und 2003 vom Bauherrn der umliegenden Neubauten mit dem Pendelobelisken von Karl Schlamminger versehen.
Der Breitscheidplatz wird umgestaltet. Der Autotunnel soll entfernt werden, damit der Platz den Anschluss an die Budapester Straße findet. Gegenüber dem Europacenter sind weitere Hochhäuser im Gespräch.
Im Haus Cumberland könnte eine Tradition des Scheiterns durchbrochen werden. Die Gelegenheit ist günstig. Das Riesenhaus steht leer, die Oberfinanzdirektion ist ausgezogen, und derzeit wird das Gebäude vor allem für Filmaufnahmen genutzt. Senat und Bezirk sind sich – ausnahmsweise – einig, dass hier kein zusätzliches Einkaufscenter entstehen soll.
Diese – keineswegs vollzähligen – Beispiele zeigen, dass der Kurfürstendamm sich seit der Wende in einem durchgreifenden Erneuerungsprozess befindet. Nimmt man die nördlich der Straße des 17. Juni zwischen Landwehrkanal und Spree neu entstehende Spreestadt hinzu, so zeigt sich, dass die City-West kaum weniger Dynamik entfaltet als die Berliner Mitte östlich des Brandenburger Tores.

Shopping und Kultur
Die Passantenzahlen zwischen Wittenbergplatz und Fasanenstraße übertreffen alle anderen Plätze und Straßen in Berlin. Das Kaufhaus des Westens bricht als größtes Kaufhaus Europas regelmäßig alle Rekorde und gehört zum Pflichtprogramm jedes Berlinbesuchers.
Das Stilwerk zeigt als Einkaufszentrum mit gehobenem Anspruch auch kulturelle Ambitionen mit dem Jazzclub Soultrane und der Galerie Quicksilver. Mit den Jazzclubs Quasimodo und A-Trane ist hier ein geradezu magisches Dreieck für Liebhaber des modernen Jazz entstanden.
Die 1992 in einem Spiegelzelt auf einem Parkdeck neben dem Haus der Berliner Festspiele eröffnete Bar jeder Vernunft hat sich als erste Adresse für gehobenes Varieté, Kabarett, Chanson und originelle Kleinkunst etabliert. Das Theater am Kurfürstendamm und die Komödie halten die Tradition des Boulevardtheaters am Kurfürstendamm aufrecht, und die Schaubühne am Lehniner Platz präsentiert junges Regie- und Tanztheater.
Die Eröffnung des Museums für Fotografie mit der Helmut-Newton-Stiftung am 4.6.2004 in der ehemaligen Kunstbibliothek im Landwehr-Casino brachte einen neuen kulturellen Anziehungspunkt in die Jebensstraße, direkt neben dem Bahnhof Zoo.
Im Oktober 2004 wird die von VW mitfinanzierte größte und modernste Universitätsbibliothek Deutschlands an der Fasanenstraße eröffnet. Die Universität der Künste und die Technische Universität Berlin betreiben diese Bibliothek gemeinsam. Beide Universitäten wollen sich in Zukunft gegenüber ihrem städtischen Umfeld mehr öffnen.
Trotz aller Szenelokale in Prenzlauer Berg und anderswo ist die Paris Bar an der Kantstraße wohl noch immer der bekannteste Promitreff in Berlin. Gastronomisch äußerst attraktiv sind nach wie vor der Savignyplatz, der Ludwigkirchplatz und die Schlüterstraße.

Kritik und Niedergangspropheten
Keine Erfolgsmeldung kann etwas daran ändern: Der Kurfürstendamm steht – wie schon immer – im Zentrum der Kritik. Das Berliner Stadtmagazin zitty hat seine Serie über die City West mit dem vielsagenden Titel “Der neue Osten” überschrieben. Vielleicht ist ja auch die Kritik ein positives Zeichen: Sie beweist das ungebrochene Interesse am Boulevard, den geradezu leidenschaftlichen Einsatz für seine Besserung. Wirklich kritisch wäre seine Lage wohl erst, wenn wir gleichgültig würden.
Die Kritikerinnen und Kritiker zeichnen sich meist dadurch aus, dass sie die Verluste des notwendigen Strukturwandels hervorheben, die Gewinne und Neuentwicklungen aber ignorieren. Dies gilt auch für ernsthaft besorgte und engagierte Kritik wie die der Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer, die am 18. Juli 2004 im Tagesspiegel über die “kulturelle Verödung” Charlottenburgs und Wilmersdorfs schrieb: “Hat die Berlin-Mitte-Manie der letzten Jahre die Verantwortlichen blind gemacht für das, was im alten Westen an kultureller Substanz bedroht ist? … Kultur bleibt einer der letzten Standortfaktoren von Berlin. Diese Ressource muss gepflegt werden und klug verteilt bleiben. Sind die Kulturinstitutionen doch lebendige Zentren, um die sich der eigene Kiez aus Restaurants, Geschäften und Cafés bilden kann.”

Fazit
Die große Attraktion Berlins ist die dezentrale Verteilung seiner Zentren, die sich untereinander in produktiver, kreativer Konkurrenz befinden. In dieser Konkurrenz behauptet sich die City-West mit dem Kurfürstendamm nicht schlecht.
Die Funktion als Schaufenster des Westens in der Mauerstadt war für den Kurfürstendamm eine Episode, die mit der Wende glücklich überwunden ist. Seit 1989 muss er seine Rolle als eine von mehreren Citys in Berlin wieder finden und zugleich neu definieren. Es gilt, zukunftsorientiert an die Tradition der City-West anzuknüpfen, die sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts herausgebildet hat.
Der Kurfürstendamm ist in einer kritischen Phase. War er das nicht immer? Das einzige konstante Merkmal des Boulevards ist und bleibt der permanente Wandel. Die City-West ist nach wie vor der wichtigste Einkaufsmagnet Berlins, aber als reine Shoppingstraße wird der Kurfürstendamm seine Anziehungskraft verlieren. Ein Boulevard zeichnet sich durch die Mischung aus: Unverwechselbare Gastronomie und Kultur gehören unbedingt dazu.