Charlottengrad

In das Berlin der Weimarer Republik in den 1920er Jahren kamen viele osteuropäische Juden, zumeist als Kriegs- und Revolutionsflüchtlinge aus Russland. Viele von ihnen, vor allem die wohlhabenderen, ließen sich in Charlottenburg, in der westlichen City Berlins rund um den Kurfürstendamm nieder. Hier gab es zeitweise so viele russiche Lokale, Kinos, Theater, Buchhandlungen, Verlage und Geschäfte, dass sich die Bezeichnung “Charlottengrad” einbürgerte.
Seit 2008 wird die Geschichte der osteuropäisch-jüdischen Migranten im Berlin der 1920er und 30er Jahre in dem Projekt ‘Charlottengrad und Scheunenviertel’ am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin unter der Leitung von Prof Verena Dohrn erforscht. Im Frühjahr 2012 zeigt das Jüdische Museum Berlin in Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlern der FU die Ausstellung “Berlin Transit. Jüdische Migranten aus Osteuropa in den 1920er Jahren”.
Zwischen 1,5 und 2 Millionen Menschen verließen nach der Oktoberrevolution das Russische Reich. Rund eine halbe Million kam – vorübergehend – in das Deutsche Reich, davon ca. 360.000 nach Berlin. Von diesen wiederum wurden 1925 etwa 63.500 Juden gezählt. Bereits vor 1933 verließen viele Migranten Berlin in Richtung Paris, New York oder Tel Aviv. Exemplarisch wird in der Ausstellung die Geschichte der weitverzweigten Familie Kahan dokumentiert, die ihr Vermögen im Erdölgeschäft erwarb. Sie stammte aus Baku in Aserbaidschan und emigierte nach dem Machtantritt der Bolschewiken im Frühjahr 1920 nach Berlin, wo sie Hauptgesellschafter der Naphta-Industrie- und Tankanlagen AG NITAG waren. Mittelpunkt des Familienlebens der Kahans in Berlin war eine Neun-Zimmer-Wohnung in der Beletage des Hauses Schlüterstraße 36 mit eigener Familiensynagoge.

Literatur
Berlin Transit. Jüdische Migranten aus Osteuropa in den 1920er Jahren (Begleitbuch zur Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin), Göttingen (Wallstein) 2012