am 9.4.2003, 15.30 Uhr Kreuznacher Str. 52 (Huchel) und 34 (Weinert)
Sehr geehrter Herr Münzer!
Sehr geehrter Herr Dr. Nijssen!
Sehr geehrte Frau Dr. Schrader!
Sehr geehrte Damen und Herrn!
Herzlichen Dank für die Einladung zu dieser doppelten Gedenktafelenthüllung. Ich freue mich sehr, dass der Verein KünstlerKolonie Berlin e.V. die Initiative dazu ergriffen hat, die beiden Tafeln herstellen und anbringen zu lassen. Ich habe diese Initiative von Anfang an unterstützt und freue mich, dass sie nun zum Ziel geführt hat. Daran hat auch die Eigentümerin dieser Häuser einen großen Anteil.
Die Deutschbau Immobilien-Dienstleistungs-GmbH hat nicht nur ihr Einverständnis zur Anbringung der Tafeln erklärt, sondern auch gleich noch die Finanzierung übernommen. Wir haben als Bezirksamt leider nicht mehr die Möglichkeit, solche Tafeln zu finanzieren. Um so mehr freuen wir uns, wenn es durch bürgerliches Engagement gelingt, öffentlich sichtbar an bedeutende Persönlichkeiten zu erinnern, die in unserem Bezirk gelebt haben. Herzlichen Dank also der KünstlerKolonie Berlin e.V. und der Deutschbau GmbH.
Hier in den Wohnblocks der Künstlerkolonie haben besonders viele Schriftsteller, Philosophen, Schauspieler, Journalisten, Tänzer und Sänger gelebt, und obwohl wir in den letzten Jahren rund um den Ludwig-Barney-Platz eine Reihe von Gedenktafeln enthüllen konnten, sind weiteren Initiativen für die Zukunft vorerst keine Grenzen gesetzt.
Und da auch heute wieder – dank der guten Zusammenarbeit von KünstlerKolonie und Deutschbau – viele Künstler und Intellektuelle hier leben, können wir auch in späteren Jahrzehnten mit Gedenktafeln rechnen für manche von denen, die jetzt hier leben.
Die Künstlerkolonie wurde gleich nach ihrem Bau seit 1927 durch die Bühnengenossenschaft und den Schutzverband deutscher Schriftsteller zu einem bedeutenden kulturellen Zentrum, und die Nationalsozialisten wussten sehr wohl, weshalb sie eine ihrer ersten Razzien und Bücherverbrennungen am 15. März 1933 hier veranstalteten. Die meisten der hier lebenden Künstler und Intellektuellen waren aktive Gegner der Nationalsozialisten. Sie verstanden sich als links und hatten sich für eine Einigung der gespaltenen Linken eingesetzt. Viele von ihnen wurden damals verhaftet. Die meisten sind noch im gleichen Jahr aus der Künstlerkolonie und aus Deutschland geflohen.
Viele von ihnen kehrten nach dem Krieg zurück und gingen voller Hoffnung in die DDR, um dort beim Aufbau eines besseren, sozialistischen Deutschlands zu helfen, gerieten aber nach einigen Jahren mit dem Staatssozialismus in Konflikt und verließen ihr Heimatland erneut, um in der Bundesrepublik Zuflucht zu finden. Alfred Kantorowicz gehörte dazu, Wolfgang Leonhardt und Ernst Bloch, der hier im gleichen Haus lebte wie Peter Huchel. Andere starben in der Emigration wie Walter Hasenclever oder kamen nach dem Krieg gleich in die Bundesrepublik wie Axel Eggebrecht.
Als Linke, die sich zwar vom doktrinären Kommunismus abgewandt aber ihre sozialistischen Grundüberzeugungen keineswegs aufgegeben hatten, saßen sie zwischen allen Stühlen und wurden nach 1945 in Ost und West gleichermaßen misstrauisch bis ablehnend beobachtet.
Viele ehemalige Bewohner der Künstlerkolonie wurden zu überzeugten Verfechtern menschlicher Freiheit und zu scharfen Kritikern jeder totalitären Ideologie, die diese Freiheit einzuschränken sucht.
Erich Weinerts Lebensweg erscheint demgegenüber eher geradlinig. Nachdem er eine Schlosserlehre absolviert hatte, entwickelte er sich in den 20er Jahren zum kommunistischen Agitator, nahm 1937/38 am Spanischen Bürgerkrieg teil, war von 1943 bis 1945 in Moskau Präsident des kommunistischen Nationalkomitees Freies Deutschland und wurde in der DDR Vizepräsident der Zentralverwaltung für Volksbildung. Als er 1946 in die DDR kam, war er gezeichnet von schwerer Krankheit. Er starb am 20. April 1953 an Tuberkulose.
Seine Agitprop-Literatur mutet uns heute vielleicht etwas naiv und eindimensional an, aber er engagierte sich zeitlebens gegen Militarismus, Restauration, Nationalismus und Nationalsozialismus.
Der 1903 in Lichterfelde bei Berlin als Sohn eines Beamten geborene Peter Huchel studierte Literatur und Philosophie. Hier in der Künstlerkolonie begann er enge Freundschaften mit Ernst Bloch und Alfred Kantorowicz, mit dem er sich sogar zeitweise eine gemeinsame Wohnung teilte. Er verließ Deutschland 1933 nicht. Er konnte bis 1940 als Hörspielautor arbeiten, bis er 1941 zum Kriegsdienst bei der Luftwaffe eingezogen wurde und 1945 in sowjetische Gefangenschaft geriet.
Nach Kriegsende begann er als Dramaturg beim Ost-Berliner Rundfunk, wo er schnell zum Chefdramaturgen, Sendeleiter und schließlich 1947 zum Künstlerischen Direktor aufstieg. Von 1949 bis 1962 war er Chefredakteur der Literaturzeitschrift “Sinn und Form”. 1951 wurde er mit dem Nationalpreis der DDR ausgezeichnet, von 1952 bis 1971 war er Mitglied der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin.
Nach dem Mauerbau 1961 wurde er in der DDR zunehmend angegriffen wegen seiner systemübergreifenden Vorstellungen. 1962 trat er als Chefredakteur zurück. Für den in einem bundesdeutschen Verlag erschienenen Lyrikband “Chausseen, Chausseen” erhielt er den West-Berliner Theodor-Fontane-Preis. Weil er diesen nicht ablehnte, wurde er in der DDR zunehmend isoliert. Erst nach Interventionen der West-Berliner Akademie der Künste und Heinrich Bölls als damaligem Präsidenten des Internationalen PEN-Zentrums, wurde ihm 1971 die Ausreise aus der DDR genehmigt.
Nach einem Zwischenaufenthalt in Rom lies er sich endgültig in Staufen bei Freiburg nieder. Vielfach ausgezeichnet starb er dort am 30. April 1981. Vielen gilt Peter Huchel als bedeutendster deutschsprachiger Lyriker der Nachkriegszeit.
Erich Weinert und Peter Huchel waren beide Schriftsteller und Lyriker, sie haben beide bis 1933 hier in der Künstlerkolonie gelebt. Sie haben beide im kulturellen Leben der frühen DDR eine wichtige Rolle gespielt. Aber damit hören die Gemeinsamkeiten wohl auf. Sie waren doch sehr unterschiedliche Persönlichkeiten und Künstler. Ich freue mich, dass wir heute beide mit einer Gedenktafel ehren können, und bedanke mich noch einmal herzlich bei allen, die dabei mit geholfen haben.