Lokale Agenda Wilmersdorf - Veranstaltungsprotokoll

Protokoll

DER 8. VERANSTALTUNG ZUR REIHE “BAUSTEINE FÜR EINE LOKALE AGENDA” AM

13. 01. 1998, 16.00 UHR, BVV-Saal

Referent: Herr Werner Kleist, Bezirksstadtrat für Finanzen und Wirtschaft

Herr BzStR Straßmeir begrüßt die Gäste der Veranstaltung und stellt Ihnen den Referenten, Herrn BzStR Werner Kleist, vor. Anschließend folgt eine kurze thematische Einleitung über die Einbeziehung der Wirtschaft in den Prozeß der Lokalen Agenda.

Anhand statistischer Auswertungen gibt Herr BzStR Kleist zunächst einen Überblick über die wirtschaftliche und sozialpolitische Struktur des Bezirks. Sein Vortrag liegt auch als Manuskript vor (siehe unten die Anlage zu diesem Protokoll). Wilmersdorf ist ein gutsituierter Bezirk mit einem jährlichen Steueraufkommen von ca. DM 800.000.000. Die Arbeitslosenquote, die lange Zeit konstant blieb, ist jedoch inzwischen auf 12,2% gestiegen, bei gleichzeitiger Bevölkerungsabnahme von 15%. Die Zahl der Betriebe beträgt 16 806, die sich fast ausschließlich aus Handel, Dienstleistungs- und Handwerksbetrieben zusammensetzt; einziges Industriegroßunternehmen ist die Firma Reemtsma. Grund für die Nichtansiedlung von Großbetrieben sind die fehlenden Flächen. Flächen, die durch Abwanderung von Unternehmen frei werden, werden von der Stadtplanung entsprechend berücksichtigt. Um die Betriebe zu unterstützen bzw. die Arbeitslosenzahl zu senken, soll das Arbeitsförderungsprogramm der Lohnkostenzuschüsse den Betrieben angeboten werden und wurde z.T. schon erfolgreich durchgeführt, aber im Ostteil der Stadt selten genutzt.

Abschließende Forderungen:

Wirtschaftliche Entwicklung im Sinne einer Lokalen Agenda.

Für die Zukunft müssen Bedingungen für eine qualitative Wirtschaft geschaffen werden, d.h. unter Berücksichtigung sozialer und ökologischer Aspekte, da die Grenzen des wirtschaftlichen Wachstums sichtbar sind.

Förderung einer flexiblen und anpassungsfähigen Wirtschaft.

Gerechtere Verteilung der Ressourcen zwischen reichen und armen Bezirken und Ausgleichszahlungen, z.B. der Beamten im Westteil der Stadt, für geringer verdienende Kollegen im Ostteil.

Eine stärkere Einbeziehung der Bevölkerung.

Erstellung einer Handlungsmaxime durch die BVV.

Im Anschluß an den Vortrag wurden folgende Aspekte diskutiert:

Wie kann der Kontakt zu den Betrieben hergestellt werden, um die Idee einer Lokalen Agenda zu vermitteln und zur Mitwirkung anzuregen. Das bisherige Vorgehen (Schreiben an Hotels, Gaststätten und Banken) brachte wenig Resonanz.

Welche Instrumentarien stehen zur Verfügung um einen Strukturwandel der Wirtschaft zu beeinflussen.

Herr Bremmer schlägt vor, die Unternehmen persönlich anzusprechen, weil eine Phase des Kennenlernens erfahrungsgemäß nötig ist. Er verweist auf die Erfolge des Industriegesprächskreis im Bezirk Neukölln und den Wirtschaftsstammtisch im Bezirk Tempelhof. Ein anderes Herangehen an die Betriebe wäre z.B. über das Ökoaudit u.ä. , da vielen Betrieben der Begriff Lokale Agenda 21 noch fremd ist.

Herr Latour gibt eine Übersicht über die Wilmersdorfer Wirtschaft aus Sicht der Stadtplanung. Die Nachwendezeit brachte einen erheblichen Strukturwandel an citynahen Standorten. Das Flächenangebot in Wilmersdorf für Gewerbe ist sehr knapp; es gibt nur drei Großstandorte (Forckenbeckstraße; die bahnnahen Flächen und das Verwaltungszentrum um den Fehrbelliner Platz). Die Einflußnahme des Bezirks auf die Steuerbarkeit der Betriebsansiedlungen sei gering, da diese von der Bodenpreisentwicklung abhängig ist. Lediglich die im Bebauungsplan enthaltene Festsetzung “Mischnutzung” ermöglicht es, von bezirklicher Seite etwas Einfluß zu nehmen. Trotzdem siedelten sich nicht die gewünschten wohnungsnahen Nutzungen und Handwerksbetriebe an, sondern primär Banken und Versicherungen (Beispiel Cicerostraße). Wesentlich sind seiner Ansicht nach, unter dem Gesichtspunkt der Steuerung von Modernisierungsprozessen, die Einbeziehung der Förder- und Finanzierungsinstrumente.

Frau Schümer-Strucksberg entwirft eine Vision: aufgrund des Defizits der Bausubstanz und der Flächenmöglichkeiten unter Berücksichtigung der Altersstruktur, des Bildungsniveaus und der Arbeitssituation im Bezirk sollte ein völlig neues Beschäftigungsmodell entwickelt werden, das folgendermaßen aussieht: Betriebe, die junge Mitarbeiter im höher qualifizierten Bereich suchen, eine Beschäftigungsunterstützung zu gewährleisten, damit diese Mitarbeiter eine Selbständigkeit beginnen können. Die Frage stellt sich, wo und für welche Fachrichtungen finden sich Ansprechpartner für dieses Modell.

BzStR Straßmeir fragt die anwesenden Wirtschaftsvertreter, wie sie sich den Kontakt zum Bezirksamt vorstellen und welche Erwartungen sie damit verbinden.

Für Herrn Imer, Vertreter des Alsterhof-Hotel, ist der Kontakt zu den Bezirken, und hier zu den Standesämtern entscheidend, da sein Haus primär Hochzeitsfeiern ausrichtet.

Für Herrn Schaube, Vertreter der Firma BEX, besteht der Kontakt zum BA über das Umweltamt. Im Zusammenhang mit den Beschwerden der Anwohner über den Lärm und die Abgase des Fuhrparks, ist er besonders an der Entwicklung der Mischnutzung im Bezirk interessiert. Im Hinblick darauf wünsche er sich Gesprächsrunden, um den Informationsfluß zu erhalten und Sorgen und Probleme zu besprechen. BzStR Kleist steht der Idee aufgeschlossen gegenüber und will demnächst Gesprächskreise initiieren.

Herr Freier spricht die finanzielle Umverteilung unter den Bezirken an.

BzStR Straßmeir antwortet, daß das Problem einer gerechten Verteilung in den unterschiedlichen Strukturen der Bezirke läge. Es könne deshalb nur an konkreten Beispielen veranschaulicht werden. BzStR Kleist nennt die Umverteilung der Mittel im Bereich des Tief- und Hochbaus: die Gelder für den Tiefbau im Westteil Berlins werden bereits um 50% zugunsten des Ostteils gekürzt, die des Hochbaus um 30%. Es dürfe dabei aber langfristig nicht zu einem Ungleichgewicht zu Lasten des Westteils führen.

Herr Graf zu Lynar äußert sich skeptisch über die Realisierungschancen, spricht sich aber prinzipiell für die Schaffung eines Arbeitskreises Wirtschaft aus und führt einige Gründe an, warum die Wirtschaftsbetriebe möglicherweise für die Ziele der Lokalen Agenda so schwer zu erreichen sind (evtl. Probleme der Wirtschaft mit dem Umweltamt; den Zeitrahmen der Betriebe, der dem der Lokalen Agenda entgegensteht; allgemeine ökonomische Sorgen). Er gibt noch bekannt, daß ein Reparaturführer für den Bezirk erstellt werden soll. Damit wird auch bezweckt, Wilmersdorfer Betriebe für den Prozeß der Lokalen Agenda zu gewinnen.

Herr Bremmer bezieht sich auf einen eventuellen Wegzug von Reemtsma aus dem Bezirk und macht auf folgende Lösung aufmerksam: da die Mitarbeiter von Reemtsma in der Mehrzahl Pendler sind, sollte der Bezirk für diese Mitarbeiter Wohnungen bereitstellen, um die Firma am Standort zu halten und die Arbeitswege zu verkürzen (Verkehrsaufkommen). Im Gegenzug soll Reemtsma das Sponsoring für Projekte im Rahmen der Lokalen Agenda übernehmen.

BzStR Straßmeir schildert anhand eines früheren Beispiels die Schwierigkeiten, die bei der Beschaffung des entsprechenden Wohnraumes auftreten können.

Frau Heinecke hält es für notwendig die Lokale Agenda bei den Betrieben stärker bekannt zu machen. Bezugnehmend auf die geringe Resonanz der Wirtschaftsbetriebe schlägt Frau Heinecke vor, die Betriebe persönlich anzusprechen. Außerdem würde ein “Stammtisch der Wirtschaft” erst dann attraktiv, wenn er ein Motto bzw. interessante Referenten anzubieten hätte. Sie selbst habe die Erfahrung gemacht, daß das Verteilen von Faltblätter mit Fragebogen erfolglos gewesen sei. Dann macht sie Herrn Imer (Alsterhof-Hotel) ein Angebot: Sein Haus solle nach den Kriterien der Lokalen Agenda arbeiten, dann könnte es als Vorzeigehotel in einem Faltblatt vorgestellt werden. Herr Imer entgegnet, daß sie im Umweltbereich schon tätig seien, indem das Müllvermeidungskonzept in seinem Haus umgesetzt wird.

Frau Falkowski kommt auf das Thema Arbeitslosigkeit zurück. Sie fragt die anwesenden Wirtschaftsvertreter, inwiefern sie von der Arbeitsplatzförderung Gebrauch machen, um Arbeitsplätze zu schaffen und somit zur Lösung sozialer Probleme beitragen.

Herr Schaube (Firma BEX) antwortet, sie hätten regelmäßigen Kontakt zum Arbeitsamt und würden entsprechende Instrumente nutzen. Die Ausbildungsquote betrage 20%; dafür hätte sein Betrieb eine Auszeichnung von der IHK und vom Bürgermeister bekommen. Zum Punkt des ressourcenschonenden Wirtschaftens fügte er noch hinzu, daß der Betrieb inzwischen mit Fernwärme, einer Wasserrückführungsanlage (Wiedergewinnung 95%) und sämtliche Fahrzeuge mit abgasarmen Motoren ausgestattet seien.

Graf zu Lynar bezieht sich auf die Beiträge von BzStR Kleist und Herrn Latour und schlägt vor, die Programme für nachhaltige Entwicklung aus dem Förderprogramm des Senats für Projekte zu nutzen.

Auf die Frage (Frau Falkowski) von leerstehenden Gewerberäumen hinsichtlich der hohen Mieten gibt BzStR Kleist folgendes zur Kenntnis: die Gewerberäume der öffentlichen Hand sind nicht vollständig belegt; es besteht schon seit langem eine geringe Nachfrage, obwohl der m2 zu einem Preis von DM 22,— und darunter angeboten wird. Auf Mieten der privaten Gewerberäume kann kein Einfluß genommen werden.

Im allgemeinen Teil weist Herr Minz auf die Treffen des “Forums Lokale Agenda” und gibt die Adresse bekannt (“Saftladen”, Ecke Sigmaringer/Wegener Straße).

Abschließend bedankt sich Herr BzStR Straßmeir bei den Teilnehmern und dem Referenten für ihre Beiträge und gibt eine Vorschau auf die nächste Veranstaltung für die als Themenbereiche “Stadtplanung”, “Forsten” und “Arbeit” zur Disposition stehen. Als Referent des Themas “Stadtplanung” wäre der Leiter des bezirklichen Stadtplanungsamtes, Herr Latour vorgesehen. Zum Thema “Arbeit” würde er gern Referenten vom Arbeitsamt und von den Gewerkschaften gewinnen.

Aus der Teilnehmerrunde wurden noch Referenten aus Arbeitsloseninitiativen und Initiativen der Bürgermobilisierung (Ehrenamt) gewünscht:); außerdem sollen die Referate positiv gestaltet werden, so daß sie auch Perspektiven schaffen.

Der Termin der nächsten Veranstaltung sowie das Thema werden so bald als möglich mit einer Einladung bekannt gegeben.

Porzner/Voß

Anlage:

Aus der Veranstaltungsreihe “Bausteine für eine Lokale Agenda in Wilmersdorf”

Zustand und Entwicklung der Wirtschaft im Hinblick auf eine Lokale Agenda für Wilmersdorf

von Bezirksstadtrat für Finanzen und Wirtschaft Werner Kleist

In der Veranstaltungsreihe Bausteine für eine Lokale Agenda in Wilmersdorf will ich heute zu dem Thema Wirtschaft Stellung nehmen und die Darstellung wie folgt gliedern:

Jetziger Zustand der Wirtschaft
Ausgewählte Vorhaben zur Entwicklung der Wirtschaft in Wilmersdorf
Wirtschaft unter dem besonderen Aspekt der Lokalen Agenda
Anmerkungen zu den bisherigen Aktivitäten in Wilmersdorf

Die Darstellung kann nur in groben Umrissen erfolgen, da einfach nicht ausreichend Zeit im Rahmen einer solchen Veranstaltung zur Verfügung steht und im Anschluß an die Darstellung auch noch Raum für die Diskussion gegeben sein sollte.

1. Zur jetzigen Situation

Wilmersdorf liegt mit rd. 140.000 Einwohnern im Durchschnitt aller Bezirke Berlins. Allerdings hat Wilmersdorf eine deutlich abfallende Bevölkerungs-entwicklung aufzuweisen, was im Vergleich zur Berliner Bevölkerungsent-wicklung deutlich hervorsticht. Wilmersdorf hat seit 1990 ca. 5 % seiner Bevölkerung verloren. In Berlin insgesamt ist dagegen nur ein Bevölkerungs-Rückgang von 0,5 % zu verzeichnen.

Wilmersdorf zählt zu den gutsituierten Bezirken, wenn man einmal die wirtschaftliche Situation der Bevölkerung betrachtet, jedenfalls was den Durchschnitt angeht. Wilmersdorf ist der Berliner Bezirk, in dem das mit Abstand höchste Aufkommen an Lohn- und Einkommensteuer erhoben wird – bei rd. 800 Mio. DM pro Jahr auf der Basis von 1995. Ein vergleichbares Bild ergibt

die Situation des Arbeitsmarktes. Wilmersdorf hat nach Zehlendorf die niedrigste Arbeitslosenquote. Lassen Sie mich an dieser Stelle zugleich eine politische Bemerkung machen:

Unter dem Aspekt der Verfassung von Berlin, nach der im Artikel 85 vorgesehen ist, daß bei der Bemessung der Globalsumme ein gerechter Ausgleich unter den Bezirken vorzunehmen ist, muß es für Wilmersdorf akzeptabel sein, und dieser Appell gilt an alle politisch Verantwortlichen im Bezirk, im Vergleich zu anderen belasteten Bezirken mit öffentlichen Finanzen für die Zukunft Abstriche hinzunehmen. Ein aktuelles Modell der bezirklichen Verteilung der finanziellen Mittel wird bei der Senatsverwaltung für Finanzen z. Z. entwickelt. Und nebenbei bemerkt: Eine gleichartige Entwicklung der Verteilung gebietet sich nach meiner Auffassung auch durch die Beschlüsse von Rio zur Agenda 21, nach denen u. a. ebenfalls eine gerechte Verteilung der Ressourcen Grundidee und Zielvorstellung ist.

Einige Worte noch zur wirtschaftlichen Struktur in Wilmersdorf, und ich darf an dieser Stelle darauf hinweisen, daß Ihnen ein Merkblatt der IHK auf den Tischen zur Verfügung steht.

Diese statistischen Zahlen für sich isoliert betrachtet sagen nicht allzuviel über die Situation der Wilmersdorfer Betriebe aus. Man muß wissen, daß in unserem Bezirk so gut wie kein Industriebetrieb existiert. Nach dem Wegzug der Firma Bosch in der Forckenbeckstraße ist nur noch die Firma Reemtsma als bedeutender Industriebetrieb zu nennen. Andererseits sind Dienstleistungsbetriebe in unserem Bezirk überproportional vertreten. Aber auch bei Handwerksbetrieben nehmen wir, bezogen auf die Einwohnerzahl, Berlinweit einen der vorderen Plätze ein. Als typischer Innenstadtbezirk fehlen uns die Flächen, die für Industrieansiedlung notwendig sind. Das führt dazu, daß in Wilmersdorf

schon dann Probleme entstehen, wenn ein mittelgroßer Handwerksbetrieb, aus welchen Gründen auch immer, in einen anderen bezirklichen Standort verlagert werden soll. Reserveland steht uns so gut wie nicht zur Verfügung, und Wilmersdorf ist im Industrieflächenprogramm der Senatsverwaltung für Wirtschaft und Betriebe nicht vertreten.

2. Ausgewählte Vorhaben zur Entwicklung der Wirtschaft in Wilmersdorf Um das dringendste Problem nicht nur in Wilmersdorf, sondern in ganz Berlin und darüber hinaus in ganz Deutschland – nämlich die steigende Arbeitslosigkeit – mit den Möglichkeiten des Bezirks wirksam bekämpfen zu können, werden wir versuchen, die Wilmersdorfer Betriebe auf eine Reihe von Möglichkeiten aufmerksam zu machen, die dazu dienen, die Wirtschaft zu beleben und Arbeitskräfte einzustellen. Dazu dient ein aktuelles Programm der Lohnkostenzuschüsse.

1993/94 haben wir dies schon einmal mit Erfolg durchgeführt. Hier ging es ebenfalls darum, Lohnkostenzuschüsse über einen Zeitraum von drei Jahren denjenigen Betrieben anzubieten, die bereit waren, einen Arbeitslosen einzustellen, allerdings waren damals die Bedingungen anders gestaltet. Aber über dieses Förderungsprogramm hinaus gibt es noch weitere Förderungsmöglichkeiten und Ratgeber über steuerliche Hilfen und dergleichen, insbesondere für solche Betriebe, die ihre Existenz begründen wollen oder ihren Betrieb verlagern wollen.

Die Wilmersdorfer Verwaltung wird in zwei Bereichen, in denen es um die Entwicklung bestimmter Areale geht, in besonderer Weise herausgefordert: Das betrifft den Gewerbebereich Forckenbeckstraße. Hier hat das Stadtplanungsamt eine Untersuchung eingeleitet, die insbesondere die Fläche von Bosch, Reemtsma und die verschiedenen Gewerbebetriebe umfaßt. Und

zum 2. das Gelände Bessy im Dreieck Lentzealle/Dillenburger Straße. Bessy wird im Jahr 2000 seinen Standort nach Adlershof verlagern, und wir haben die Aufgabe, dieses Gebäude im Einklang mit der Senatsverwaltungen für Wissenschaft und Wirtschaft neu zu ordnen.

Ein besonderes Augenmerk richtet das Wirtschaftsamt, und das muß ich sagen, auch mit besonderem Interesse, auf die öffentlichen Märkte, d. h. die Wochenmärkte.

Im Wirtschaftsamt und auf den Wochenmärkten findet aber auch Verbraucherinformation statt. Darüber hinaus veranstaltet das Wirtschaftsamt regelmäßig über längere Jahr hinweg schon sogenannte Aktionstage, die vornehmlich dazu dienen, die Bevölkerung auf bestimmte Produkte hinzuweisen, aber auch Händlern aus dem Umland Möglichkeiten zu verschaffen, ihre Produkte hier anzubieten, um auf diese Weise eine kontinuierliche Handelskette zu erzeugen. Aus der Sicht des Wirtschaftsamtes ist es richtig und sinnvoll, gerade im Bereich des privaten Verbrauchs auf Produkte des Umlands zurückzugreifen, weil erstens dann die Wirtschaft unseres Umlandes gestärkt wird, und zweitens die langen Transportwege, die sonst notwendig sind, beim Bezug der Waren und Produkte aus anderen Bereichen der Bundesrepublik Deutschland, entfallen.

Ich komme jetzt zum dritten Punkt meines Vortrags:

3. Wirtschaftliche Entwicklung unter dem besonderen Aspekt der Lokalen Agenda

Wir leben heute in einer Zeit des Umbruchs, der Ungewißheiten und des Unbehagens angesichts eines immer schneller gewordenen gesellschaftlichen Wandels. Große globale Aufgaben, wie die Frage nach der künftigen Entwick-

lung der Weltbevölkerung, ihres Lebensstils und dem damit verbundenen Ressourcenverbrauch, dem Abbau von weltweiter Armut und der Bedrohung durch Kriege paaren sich mit den alltäglichen Sorgen um eine lebensfeindlichere Umwelt, wachsende zwischenmenschliche Konkurrenz oder der Angst um einen Arbeitsplatz. In einer solchen Situation bedarf es einer Perspektive für eine lebenswerte und mitzugestaltende Zukunft. Schon zu Beginn der 70er Jahre stand die Frage nach der notwendigen Einschränkung eines unerschütterlichen Wachstumsglaubens im Mittelpunkt (“Club of Rome”). Inhaltlich ging es ebenso wie heute um die Frage der Versöhnung der drei großen Oberziele gesellschaftlicher Politik. Die Lösung des Zielkonflikts zwischen den Bereichen wirtschaftlichen Erfolges, sozialer Gerechtigkeit und der langfristigen Bewahrung unserer Umwelt mündete in der Forderung nach einem qualitativen wirtschaftlichen Wachstum, das sozial und umweltverträglich zu gestalten sei. Hier wurde der Begriff einer nachhaltigen Entwicklung geprägt. Als nachhaltige Entwicklung läßt sich eine gesellschaftliche Entwicklung bezeichnen, die eine leistungsfähige Wirtschaftsstruktur und ein funktionierendes soziales Gemeinwesen langfristig sichert, ohne dabei auf Kosten der Umweltqualität, anderer Regionen oder zukünftiger Generationen zu leben.

Auch Berlin, und da Wilmersdorf ein Teil Berlins ist, gelten diese Ausführungen gleichermaßen für Wilmersdorf, befindet sich in einem solchen historischen Prozeß des Umbruchs, der zum einen die Aufgabe von Alten, die Stadt spaltenden Strukturen zum anderen den Aufbau einer zukunftsfähigen Stadt für das nächste Jahrtausend bedeutet. Die Veränderungen haben dabei unter der Prämisse der Nachhaltigkeit zu erfolgen. Wwas wir jetzt in dieser Stadt planen und verwirklichen, muß der Zukunft dieser Stadt dienen. Zukunft heißt, daß diese Stadt ihre Lebensqualität verbessern und den Anforderungen des ständig voranschreitenden Urbanisierungsprozesses in einer Art und Weise gerecht werden muß, daß sowohl die Ziele der ökonomischen Machbarkeit als auch der ökologischen Nachhaltigkeit und der sozialen Gerechtigkeit gemeinsam erreicht werden können.

Den Anstoß für den Prozeß der Zukunftsfähigkeit hat die im Juni 1992 auf der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro von 179 Staaten, darunter auch der Bundesrepublik Deutschland, verabschiedete Agenda für eine nachhaltige Entwicklung gegeben, die sogenannte Agenda 21, über die ich hier nicht mehr viel zu sagen brauche, denn sie ist Gegenstand dieser Vortragsreihe in den letzten 1 ½ Jahren.

Zum Handlungsrahmen der Agenda 21 gehört auch die nachhaltige kommunale Wirtschaftspolitik. Die örtliche Wirtschaft bildet die materielle Grundlage des kommunalen Gemeinwesens. Die ansässigen Betriebe bedürfen einer stabilen Entwicklung um Wertschöpfung, Arbeitsplätze und Einkommen in der Region zu halten und neu zu schaffen. Die örtliche Wirtschaft muß deshalb darin unterstützt werden, durch ständige Innovationsprozesse neue Produkte und Verfahren zu entwickeln, um in einem schärfer gewordenen Wettbewerb auch zukünftig konkurrenzfähig zu sein. Der öffentliche Sektor kann die private Initiative nicht ersetzen, er kann aber Rahmenbedingungen schaffen, die zu einem innovativen Klima beitragen, eine flexible anpassungsfähige Wirtschaftsstruktur fördern und die Ressourcen der Region optimal nutzen. Dabei gilt es gleichermaßen soziale und ökologische Ziele mit zu berücksichtigen. Das heißt zugleich, daß kommunale Wirtschaftspolitik stärker mit der Beschäftigungspolitik zu koppeln ist. Dazu zählen u. a. bessere Formen der Arbeitsvermittlung, eine verstärkte Unter-stützung von Existenzgründungen, eine hochwertige Bildungsinfrastruktur, die Vernetzung regional ansässiger Betriebe und eine Bestandpsflege. Das heißt aber auch, die vorhandenen Produktions- und Handelsstrukturen durch ständige Innovatiosnprozesse ökologisch zu modernisieren.

Diese nachhaltige kommunale Wirtschaftspolitik basiert auf einer nachhaltigen Stadtentwicklungspolitik, die gleichen wie eben genannten Ansprüchen genügen muß. Sie geht einher mit einer nachhaltigen Verbraucherpolitik, mit einer

nachhaltigen Flächenhaushaltspolitik, d. h., daß die immer weitergehende Inanspruchnahme von Flächen für Bauland mit der Konsequenz eines vermehrten Verkehrsaufkommens, zunehmender Versiegelung der Böden, negative Auswirkungen auf das Stadtklima und Zersiedelung der Stadtränder künftig stark eingeschränkt werden muß. Denn wir wollen auch morgen noch Entwickliungsmöglichkeiten haben und wachsende Umweltbelastungen vermeiden. Dazu gehört aber auch, und das will ich hier nur abschließend erwähnen, eine nachhaltige Verkehrspolitik.

Ganz besonders wesentlich aber für den Lokalen Agenda 21-Prozeß scheint mir der Einbezug der Bevölkerung zu sein. Dabei geht es nicht nur um eine Teilhabe im Sinne der formellen Bürgerbeteiligung, wie z. B. im Bauleitplanverfahren, sondern um eine breitere Ansprache der Bürgerinnen und Bürger im gesamten Gemeinwesen. Ziel ist die Zusammenführung der verschiedenen Interessengruppen und Meinungsvertreter, um zu einem erweiterten Kommunikationsprozeß zu gelangen. Notwendig ist es, die bestehenden Kommunikationsstrukturen zwischen Verbändevertretern, lokaler Politik, den Verwaltungen und organisierten Bürgerinnen und Bürgern aus ihren festgefahrenen Rollenstrukturen zu befreien und eine neue Kultur demokratischen Interessenwiderstreits und die gemeinsame Suche nach Lösungen aufzubauen. Hierzu zählt auch die verstärkte Berücksichtigung von Frauen und die ernsthafte Auseinandersetzung mit ihren spezifischen Belangen. Nur eine erweiterte Kommunikation in einem Bürgerforum, einem runden Tisch oder in anderen Veranstaltungsformen, in welchen auch immer, wird dazu beitragen, Mißverständnisse und dogmatische Haltungen abzubauen, die heute eine Kooperatiion noch verhindern. In diesem öffentlichen Kommunikationsprozeß ist die Verwaltung mit einzubeziehen. In einem solchen Kommunikationsprozeß kann auch nach meiner Ansicht das allgemeine Bewußtsein in der Bevölkerung für eine Lokale Agenda 21 gebildet und verstärkt werden.

Ich begrüße in diesem Zusammenhang außerordentlich, daß sich die Bezirksverordnetenversammlung z. Z. mit einem Antrag über die Kommunale Agenda 21 zur nachhaltigen Entwicklung Wilmersdorfs in einer globalen Umweltpartnerschaft befaßt. Allerdings ist der Antrag bereits im April 1996 gestellt worden und wird z. Z. in den Ausschüssen der BVV behandelt. Ich hielte es für angebracht, daß in der nächsten Zeit die Bezirksverordneten-versammlung eine Handlungsmaxime für Wilmersdorf für die Agenda 21 erstellt.

Wenn dies nach Kritik klingt, dann will ich im gleichen Atemzug erwähnen, daß auch auf der Ebene des Abgeordnetenhauses ein Auftrag an den Senat besteht, einen Bericht darüber vorzulegen, was er zur Erarbeitung einer Lokalen Agenda 21 für Berlin bisher getan hat bzw. zu tun gedenkt. Dieser Berichtsauftrag war zum 30. Oktober 1997 terminiert. Nach meiner Kenntnis liegt dieser Bericht noch nicht vor.

Auf der anderen Seite will ich aber gern einräumen, daß auch Aktivitäten entfaltet worden sind, die durchaus beachtlich sind. So hatte die Bezirksverordnetenversammlung in begrüßenswerter Einhelligkeit das Bezirks-amt beauftragt, zu prüfen, ob die Bedingungen für den Pachtvertrag der Kantine im Rathaus so gestaltet werden können, daß Produkte aus fairem Handel angeboten werden. Ich kann hier berichten, daß dies nicht nur geprüft, sondern bereits umgesetzt wurde. Im neuen Vertrag des Bezirksamts mit der Kantine ist eine derartige Klausel enthalten.

Im übrigen war aus meiner Sicht die Aktion Fair Kaffee, die im Herbst des vergangenen Jahres in den Räumlichkeiten der Kirche Am Hohenzollernplatz stattfand, die bisher gelungenste und wirkungsvollste Maßnahme im Zusammenhang mit der Lokalen Agenda 21, die mir bisher in Wilmersdorf bekannt wurde. Die Beteiligten haben mit großem Engagement das Gespräch mit der Bevölkerung gesucht und dafür geworben, Solidarität mit den Kaffeebauern zu beweisen.

4. Damit, meine Damen und Herren, haben Sie sicherlich erkannt, daß ich nahtlos zum vierten Punkt meiner Ausführungen gekommen bin, nämlich zu den Anmerkungen über die bisherigen Aktivitäten in Wilmersdorf. Ich will zu dem, was ich bisher ausgeführt habe, nur noch kurz folgendes bemerken. Das Wirtschaftsamt hat zum Beginn des vergangenen Jahres in einem Brief an alle Banken Wilmersdorfs gebeten, in ihren Geschäftsräumen einen Brief an die Gewerbebetriebe und an die Bevölkerung Wilmersdorfs auszulegen, in dem auf die Lokale Agenda 21 hingewiesen wurde, mit der Bitte, Fragen, Wünsche und Anregungen beim Bezirksamt einzubringen. Lediglich drei Banken in Wilmersdorf waren dazu bereit. Auf die dort verteilten Briefe erfolgte nicht eine Reaktion. Ein gleiches negatives Ergebnis zeigte sich, als in einem Brief an die Wilmersdorfer Hotel- und Gaststättenbetriebe darum gebeten wurde, in ihrem täglichen Angebot auch fair gehandelte Produkte, insbesondere Fair Kaffee aufzunehmen und anzubieten. Es ist keine Reaktion erfolgt. Auf der anderen Seite aber darf optimistischerweise gehofft werden, daß der eine oder andere Betrieb diese fair gehandelten Produkte anbietet.

Diese kleinen Beispiele zeigen nach meiner Auffassung, daß der Bewußtseinsprozeß in der Bevölkerung und in den gesellschaftlich relevanten Gruppen noch nicht sehr weit vorangeschritten ist, ich behaupte vielmehr, daß nur eine sehr geringe Minderheit in der Bevölkerung mit dem Begriff Lokale Agenda 21 oder Agenda 21 überhaupt etwas anfangen kann. Das bedeutet aber für uns, daß wir verstärkt Öffentlichkeitsarbeit betreiben, d. h. mit der Bevölkerung in Gespräch kommen. Dazu sind alle gesellschaftlich relevanten Gruppen aufgerufen, mitzuwirken. Wenn wir die Agenda 21 als wichtige, ich sage als lebensnotwendige Handlungsmaxime für die kommenden Jahrzehnte gerade im Interesse der künftigen Generationen ansehen, dann müssen wir jetzt handeln. Finanzielle Mittel stehen in Wilmersdorf in einem begrenzten Rahmen zur Verfügung. Im Haushalt des Umweltamtes ist erstmalig für 1998 ein Betrag von

20.000 DM dafür vorgesehen. Wir können bei Bedarf aber auch auf Mittel des Landes Berlin zurückgreifen, wie der Senator für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie in einem Schreiben an das Bezirksamt dargelegt hat.

Lassen Sie mich bitte meinen Vortrag mit zwei Anmerkungen beenden, die in einem möglicherweise provokativ ist, im anderen Fall eine philosophische Betrachtungsweise rezitiert, die aber, wie ich meine, auch in einem besonderen Zusammenhang mit der Grundidee der Agenda 21 verknüpft werden kann.

Zum einen: 8 Jahre nach Wiederherstellung der deutschen Einheit muß festgestellt werden, daß die Lebensverhältnisse in Ost und West noch weit auseinanderklaffen, und zwar zu Ungunsten des Osten. Auch in dem Bereich, der durch staatliches Handeln unmittelbar geregelt werden kann, wird diese Diskrepanz weiter zementiert. Ich meine, die Einkommen im öffentlichen Dienst, nicht nur der Beamten, sondern im Tarifbereich. (Für Berlin gilt das nicht im Tarifbereich, hier hat Berlin lobenswerterweise im Alleingang die Gleichstellung der Einkommen Ost und West hergestellt). Die Beschäftigten im Osten erhalten nur 85 % der Bezüge, wie sie im Westen gezahlt werden. Bei annähernd gleichen Kosten für die Lebenshaltung ist die Minderbezahlung ein Skandal. Nun will ich einräumen, daß möglicherweise die öffentlichen Kassen das nicht hergeben. Deshalb mein provokativer Vorschlag: Wäre es den westlichen Staatsdienern nicht zuzumuten, daß ihnen für ½ Jahr die gekürzten Ostgehälter gezahlt werden, während die Ostbeschäftigten 100 % erhalten. Ich meine, daß dies im Sinne einer Agenda 21 durchaus als gerechte Verteilung angesehen werden könnte. Differenzierungen für niedrige Einkommen wären durchaus diskutabel. Und: Mit dem hierbei gesparten Geld könnte erreicht werden, daß für die weiteren vier bis fünf Jahre in Ost und West 100 % gezahlt werden könnten. Das soll nur exemplarisch sein und könnte auf andere Bereiche übertragen werden.

Und zum Zweiten, aber dies nun ganz am Schluß. Ich zitiere aus einem Gedicht von Laotse, dem großen Philosophen und Dichter aus dem Reich der Mitte um ca. 500 vor der Zeitrechnung:

“Ach, daß Ihr ließet Euch genügen,

Entsagtet toller Rennjagd nach Gewinn.

Begraben läge Neid und Streit und Kriegen,

und aus dem Grabe grünte neuer Sinn.”