77. Kiezspaziergang am 10.5.2008

Vom Bahnhof Grunewald zur Gärtnerei

Baustadtrat Klaus-Dieter Gröhler
Treffpunkt: Bahnhof Grunewald

Start am Bahnhof Grunewald, Foto: KHMM

Start am Bahnhof Grunewald, Foto: KHMM

Sehr geehrte Damen und Herren!
Herzlich willkommen zu unserem 77. Kiezspaziergang. Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen ist heute in unserer Partner Split in Kroatien.
Deshalb vertrete ich sie. Mein Name ist Klaus-Dieter Gröhler, ich bin Stellvertretender Bezirksbürgermeister und Baustadtrat, und ich möchte Ihnen heute unser Ausbildungszentrum Zierpflanzenbau im Grunewald vorstellen. Bekannter ist das Ausbildungszentrum vielleicht unter seiner früheren Bezeichnung “Bezirksgärtnerei”.
Vielleicht haben einige von Ihnen vor 10 Monaten im Juli 2007 an dem Kiezspaziergang von hier zum Ökowerk teilgenommen. Damals kamen Sie an der Bezirksgärtnerei vorbei, und Frau Thiemen hatte darauf hingewiesen, dass sich ein Besuch lohnt, und dass der Leiter, Herr Ryzek Sie bereits dazu eingeladen hatte. Heute also wollen wir das Versprechen einlösen, und da das Ausbildungszentrum in meiner Zuständigkeit liegt, trifft es sich gut, dass ich es Ihnen gemeinsam mit Herrn Ryzek präsentieren kann.

Es liegt unweit von hier im Grunewald und ist eine der großen Attraktionen in unserem Bezirk, die allerdings üblicherweise nicht im Licht der Öffentlichkeit steht. Deshalb ist es für Sie, aber auch für uns etwas ganz Besonderes, dass die Gärtnerei sich heute einmal für ein großes Publikum öffnet. Es ist ein Experiment, und ich bin gespannt darauf. Da es nicht weit von hier zum Ausbildungszentrum ist, empfiehlt es sich, nach der Besichtigung wieder hierher zurück zu gehen. Wir tun dies sicher gemeinsam. Aber wer den Rückweg individuell antreten möchte, der kann dies natürlich tun. Die Orientierung dürfte nicht schwer fallen.

Zuvor möchte ich Ihnen kurz einiges zum Bahnhof Grunewald, zur Villenkolonie, zu den Mahnmalen und zur geplanten Bebauung des Güterbahnhofgeländes sagen, wo ich als Baustadtrat federführend Verantwortung trage.

Wie Sie es gewohnt sind, will ich Ihnen gleich zu Beginn den Treffpunkt des nächsten Kiezspaziergangs nennen: Am 14. Juni wird Frau Thiemen den Kiezspaziergang wieder übernehmen. Und zwar wird sie die neue Altstadttour vom Rathaus zum Schloss Charlottenburg vorstellen. Diese Altstadttour haben wir in den letzten Monaten gemeinsam mit der Firma Wall entwickelt. Wall stellt uns die Stelen zur Verfügung und übernimmt die Gestaltung und den Einbau. Unser Kulturamt hat die Texte und Bilder zusammengestellt. Die neue Altstadttour wird den Altstadtpfad ersetzen, den vielleicht einige von Ihnen kennen. Die Tafeln waren an vielen Stellen beschädigt, einige sind inzwischen abhanden gekommen, und einige Texte waren überholt. Sie werden am 14. Juni quasi als erste die neue Tour erleben können.
Wir hoffen, dass bis dahin auch jede Stele fertig und am richtigen Ort montiert sein wird. Treffpunkt ist am Samstag, dem 14. Juni, um 14.00 Uhr vor dem Rathaus Charlottenburg an der Otto-Suhr-Allee 100 am U-Bahnhof Richard-Wagner-Platz.

Villenkolonie Grunewald
Die Villenkolonie Grunewald entstand im Zusammenhang mit dem Ausbau des Kurfürstendammes zum Boulevard. Fürst Bismarck hatte auf diesen Ausbau großen Wert gelegt. Da er privat finanziert werden musste, durfte die dafür gegründete Kurfürstendamm-Gesellschaft als Gegenleistung 234 ha Grunewaldgelände für die Anlage einer Villenkolonie erschließen. Dies geschah im Jahr 1889, unter anderem durch die künstliche Anlage von vier Seen: Dianasee, Koenigssee, Herthasee und Hubertussee. 1889 wurde auch das Straßennetz angelegt, und die ersten Grundstücke wurden baureif gemacht und verkauft. 10 Jahre später, 1899 erhielt die Kolonie den Status einer selbständigen Landgemeinde. Allgemein wurde sie in Berlin die “Millionärskolonie” genannt.
Die Anlage der Villenkolonie war höchst umstritten. Das Lied “Im Grunewald, im Grunewald ist Holzauktion” war nicht zuletzt Ausdruck des ohnmächtigen Protests gegen das Abholzen der meisten Bäume.
1920 gab es in der Landgemeinde Grunewald besonders starke Proteste gegen die Bildung der Einheitsgemeinde Groß-Berlin. Aber diese Proteste nützten nichts. Grunewald mit 6.449 Einwohnern wurde 1920 gemeinsam mit Eichkamp, der Gemeinde Schmargendorf und der Großstadt Wilmersdorf zum Bezirk Wilmersdorf, dem 9. Bezirk von Berlin zusammengefasst.
In der Kolonie Grunewald ließen sich Bankiers, Unternehmer, Professoren, erfolgreiche Künstler und Schriftsteller nieder und genossen bis zur Eingemeindung 1920 die Steuervorteile der Landgemeinde Grunewald.
Der jüdische Anteil der Bevölkerung war hier besonders hoch. Ungefähr ein Drittel der Bewohnerinnen und Bewohner waren jüdischer Herkunft. Viele jüdische Repräsentanten des neuen, modernen Berlin zog es seit der Jahrhundertwende in den “Neuen Westen”. Nach 1933 vertrieben die Nationalsozialisten die jüdischen Bürgerinnen und Bürger und zerstörten damit das kulturelle Zentrum Grunewald.

Bahnhof Grunewald
Dieser Bahnhof wurde 1879 zunächst als Bahnhof Hundekehle eröffnet, 1884 wurde er umbenannt in “Bahnhof Grunewald”. Zunächst wurde er vor allem von den Grunewald-Ausflüglern aus Berlin genutzt, seit der Zeit um 1900 zunehmend auch von den Bewohnern der Villenkolonie. Das Bahnhofsgebäude wurde 1899 von Karl Cornelius gebaut. Es steht ebenso unter Denkmalschutz wie der Tunnel, der 1884-85 entstand, gemeinsam mit dem Bahnsteig 1. Der Bahnsteig 2 wurde 1935 eröffnet.

An der Grunewald-Rampe, Foto: KHMM

An der Grunewald-Rampe, Foto: KHMM

Seit dem 18. Oktober 1941 fuhren von hier und von den Bahnhöfen Putlitzstraße und Lehrter Stadtbahnhof Deportationszüge nach Lodz, Riga und Auschwitz und brachten insgesamt mehr als 35.000 jüdische Berlinerinnen und Berliner in die Vernichtungslager, wo die meisten von ihnen ermordet wurden.

Mahnmal des Berliner Senats
Auf Initiative der Bezirksverordnetenversammlung Wilmersdorf wurde am 18. Oktober 1991 das Mahnmal von Karol Broniatowski enthüllt. Es zeigt in einem Betonblock Negativabdrücke von menschlichen Gestalten und informiert daneben auf einer Bronzetafel über die Deportationen. Diese Bronzetafel ist leider schwer lesbar, aber der Künstler wollte es so: Das Entziffern des Textes soll Mühe machen.
Der Text lautet:
“Zum Gedenken
an die mehr als 50.000 Juden Berlins,
die zwischen Oktober 1941 und Februar 1945
vorwiegend vom Güterbahnhof Grunewald aus
durch den nationalsozialistischen Staat
in seine Vernichtungslager deportiert und ermordet wurden.
Mahnung an uns,
jeder Mißachtung des Lebens und der Würde des Menschen
mutig und ohne Zögern entgegenzutreten.”

Am Gleis 17, Foto: KHMM

Am Gleis 17, Foto: KHMM

Mahnmal der Deutschen Bahn AG
Auch die Deutsche Bahn AG hat sich für die Erinnerung an die Deportationen von diesem Bahnhof engagiert. Am 27. Januar 1998 wurde das Mahnmal auf der Gleisanlage von der Deutschen Bahn AG enthüllt. Es wurde von Nicolaus Hirsch, Wolfgang Lorch und Andrea Wandel geschaffen. Es befindet sich an den Gleisen, von denen die Deportationszüge abgefahren sind. Es besteht aus Metallplatten auf den ehemaligen Verladebahnsteigen. Auf diesen Metallplatten sind die Daten, Bestimmungsorte und die Opferzahlen der einzelnen Transporte eingraviert. Wir kennen diese Daten aus den Transportlisten der Nationalsozialisten.
Die großen Transporte mit meist mehr als 1000 Menschen gingen zunächst nach Lodz und Riga, seit Ende 1942 bis Juni 1943 nach Auschwitz. Danach gab es noch bis zum 2.2.1945 kleinere Transporte, zuletzt am 2.2.1945 mit 11 Opfern nach Ravensbrück.
Die Reichsbahn verlangte von der SS pro Person und gefahrenem Schienenkilometer 4 Pfennige, pro Kind 2 Pfennige, nur die Hälfte wenn mehr als 400 Menschen transportiert wurden. Für die ersten Transporte wurden noch Personenzüge verwendet, später Güterzüge.
Von den etwa 170.000 in Berlin lebenden Juden wurden 55.000 in Konzentrationslagern ermordet. Von 5000, die in den Untergrund gingen, haben 400 überlebt – wie zum Beispiel Hans Rosenthal und Inge Deutschkron, die davon in ihren Lebenserinnerungen berichtet haben.

Seit Jahren organisieren Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit dem Holocaust-Überlebenden Isaac Behar am 9. November einen Gang vom Gedenkstein an der Koenigsallee Ecke Erdener Straße, der an die Ermordung Walther Rathenaus 1922 erinnert, hierher, wo eine Gedenkveranstaltung mit Holocaust-Überlebenden stattfindet.
Im Gegensatz zu dem großen Holocaust-Mahnmal am Brandenburger Tor ist der Bahnhof Grunewald ein authentischer Ort, der mit dem tatsächlichen historischen Geschehen des Holocaust in Verbindung steht. Deshalb hat dieser Ort eine große Bedeutung für uns und vor allem für Juden. Das wurde beispielsweise im Dezember 2006 deutlich, als der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert diese Gedenkstätte besuchte und hier der Opfer des Holocaust gedachte.

Für die geplante Bebauung des Güterbahnhof-Geländes mit Wohnhäusern hat die Bezirksverordnetenversammlung strenge Auflagen formuliert: Das Mahnmal muss in seiner jetzigen Anlage und künstlerischen Gestaltung unversehrt und unbeeinträchtigt bleiben. Die Sichtachse von Gleis 17 in die Ferne muss frei gehalten werden. Ein Supermarkt darf hier in der Nähe nicht errichtet werden. Im Zusammenhang mit dem Bauprojekt soll eine ausführliche Dokumentation zum Geschehen am Bahnhof Grunewald erstellt werden.

Unter der AVUS, Foto: KHMM

Unter der AVUS, Foto: KHMM

AVUS
Die AVUS ist heute Teil der Bundesautobahn A 115. Sie wurde 1913 bis 1921 als Automobil-Verkehrs- und Übungs-Straße AVUS gebaut und am 24.9.1921 mit einem Motarradrennen eröffnet. Auf der ursprünglich 10km langen Strecke, die in zwei Schleifen endete, fanden viele spektakuläre Autorennen statt. Am 1.5.1999 wurde sie mit einer großen Abschlussparty als Rennstrecke geschlossen.

Eichkamp
Die Siedlung Eichkamp war bereits mehrmals Ziel von Kiezspaziergängen. Deshalb hier nur noch einmal einige Grundinformationen: Die Siedlung Eichkamp wurde 1918-29 von Max und Bruno Taut, Martin Wagner und Franz Hoffmann unmittelbar neben der AVUS angelegt und war als preisgünstiger Wohnraum für Angestellte und Beamte konzipiert. Die Siedlung wurde benannt nach der Revierförsterei Eichkamp im Forst Grunewald.
Max Tauts Bebauungsplan hatte ursprünglich ein wesentlich größeres Areal zwischen Teufelssee Chaussee und Avus vorgesehen, im Westen vom Grunewald, im Osten durch einen Exerzierplatz, das heutige Messegelände begrenzt. Wenn dieser Plan so realisiert worden wäre, dann wäre der Grunewald heute nicht mehr der Grunewald. Bei der Bildung von Groß-Berlin 1920 kam die Siedlung zum Bezirk Wilmersdorf. 1938 wurde sie bei einer Gebietsreform mit relativ geringfügigen Korrekturen dem Bezirk Charlottenburg zugeschlagen. Jetzt gehört sie zu Charlottenburg-Wilmersdorf.

In der Gärtnerei mit dem Leiter des Grünflächenamtes, Herrn Maasberg, Foto: KHMM

In der Gärtnerei mit dem Leiter des Grünflächenamtes, Herrn Maasberg, Foto: KHMM

Ausbildungszentrum Zierpflanzenbau (Bezirksgärtnerei)
Das Ausbildungszentrum Zierpflanzenbau wurde 1969 als Bezirksgärtnerei Wilmersdorf auf dem 2 ha großen Gelände der früheren Tiergarten-Baumschule im Grunewald eröffnet. Es gibt hier 5.000 qm Gewächshausfläche und 0,6 ha Freilandfläche.
Für Charlottenburg-Wilmersdorf und andere Berliner Bezirke, vor allem Mitte und Marzahn-Hellersdorf, werden jedes Frühjahr 200.000 Pflanzen kultiviert, darunter Stiefmütterchen, Primeln, Tulpen, Osterglocken, Hyazinthen, Vergissmeinnicht und Tausendschön; im Sommer 220.000 Pflanzen, darunter Studentenblumen, Geranien, Begonien, Salvien, Petunien, Fuchsien, Fleißige Lieschen und Männertreu; im Herbst 5.000 Herbstastern.

Zwischen den Gewächshäusern, Foto: KHMM

Zwischen den Gewächshäusern, Foto: KHMM

Für Dekorationen in Seniorenheimen, Standesämtern, auf Friedhöfen und für Kranzniederlegungen und Jubiläen werden 150.000 Schnitt- und Topfpflanzen kultiviert, darunter Azaleen, Weihnachtssterne, Alpenveilchen, Usambaraveilchen, Grünpflanzen, Rosen, Tulen, Gladiolen und Chrysanthemen. Ein Pflanzenverkauf an Private ist nicht möglich.
Die Produktion der Pflanzen erfolgt in der Regel vom Samenkorn bis zum Endprodukt, so dass wenig Zukauf nötig ist und die Auszubildenden den gesamten Kulturablauf erlernen können. Derzeit arbeiten hier gemeinsam mit dem Betriebsleiter 8 Arbeiterinnen und Arbeiter und 11 Auszubildende. Auf die Qualität der Ausbildung legen wir besonders großen Wert.

Der Leiter der Gärtnerei, Herr Ryzek, Foto: KHMM

Der Leiter der Gärtnerei, Herr Ryzek, Foto: KHMM

Der Standort mitten im Grunewald bringt Vor- und Nachteile mit sich: Gutist die Lage im Landschaftsschutzgebiet wegen der günstigen Umwelteinflüsse. Es gibt weniger Luft- und Bodenverschmutzung und weniger Staub als im innerstädtischen Gebieten. Es gibt keine Beschattung durch umliegende Gebäude. Das Klima ist etwas ausgeglichener, allerdings im Durchschnitt etwas kälter. Die Unkrautbildung ist hier im Wald stärker als in der Stadt.
Der Nachteil besonders strenger Umweltauflagen hat sich inzwischen als Vorteil herausgestellt. Denn weil kaum chemischer Pflanzenschutz und chemische Düngung erlaubt sind, hat die Bezirksgärtnerei eine Vorreiter-Rolle übernommen beim Einsatz von überwiegend biologischem Pflanzenschutz mit Nützlingseinsatz. Eigene Komposte dienen der Herstellung von Substraten und zur Bodenverbesserung. Um Energie zu sparen, gibt es Solarstromanlagen, eine Solarheizung, Isolierverglasung der Gewächshäuser und Wasserversorgung fast ausschließlich aus Regenwassersammelanlagen.