266. Kiezspaziergang: 80 Jahre Spandauer Damm

266. Kiezspaziergang Detlef Wagner

Herzlich willkommen! Mein Name ist Detlef Wagner und ich bin der Stellvertretende Bezirksbürgermeister von Charlottenburg-Wilmersdorf und Leiter der Abteilung Jugend und Gesundheit. Ich begrüße Sie alle recht herzlich zu unserem 266. Kiezspaziergang. Heute gehen wir entlang des Spandauer Damms bis zum Meilenstein gegenüber vom Schloss Charlottenburg.

Bevor es losgeht, schon einmal der Hinweis auf den nächsten 267. Kiezspaziergang am Samstag, 10. Mai. Das Ende des Zweiten Weltkriegs jährt sich am 8. Mai zum 80. Mal. Deshalb widmen wir uns bei unserem Spaziergang der Zeit des Nationalsozialismus und den frühen Nachkriegsjahren in Wilmersdorf. Wir starten am Friedhof Wilmersdorf und treffen uns am Haupteingang (Feierhalle) an der Berliner Straße.

Intro: Spandauer Damm
Der Spandauer Damm ist heute eine wichtige Verbindungsachse zwischen Charlottenburg und Spandau, fast vier Kilometer lang. Doch das war nicht immer so.

Ursprünglich verlief der Weg zwischen Berlin und Spandau nördlich der Spree – durch die Jungfernheide. Erst ein königlicher Beschluss änderte das: Friedrich I. entschied 1708, den Verkehr über Charlottenburg zu leiten. Sein Sohn, Friedrich Wilhelm I., setzte das Ganze dann 1718 in die Tat um. Er öffnete den Tiergarten, wandelte das Jagdrevier in einen öffentlichen Park und ermöglichte so den öffentlichen Verkehr. Seitdem führt die neue Verbindung zwischen Spandau und Berlin durch Charlottenburg.

Dieser neue Weg überquerte den Spandauer Berg, einen sandigen Höhenzug aus der Eiszeit. Noch um 1900 war hier kaum etwas gebaut. Das Gebiet war fast leer – aber genau deshalb ein beliebtes Ziel für Ausflügler. Es gab jede Menge Wirtshäuser und Biergärten, allen voran die legendären Brauereien: der „Spandauer Bock“ und die „Spandauerberg-Brauerei“. Beide wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört.

Im 19. Jahrhundert baute man die Strecke zur befestigten Chaussee aus, als Teil der Verbindung zwischen Berlin und Hamburg. Die Straße verlief jetzt in gerader Linie am Schloss Charlottenburg vorbei. Eine technische Verbesserung, aber nicht ganz ohne Folgen: Der Schlosshof musste aufgeschüttet werden, weil sich dort das Regenwasser sammelte.

Lange Zeit trugen die verschiedenen Abschnitte der Straße auch unterschiedliche Namen: Spandauer Chaussee, Spandauer Berg, Spandauer Straße. Erst im März 1950 wurde daraus offiziell der „Spandauer Damm“.

Heute, 75 Jahre später, ist der Spandauer Damm vor allem viel befahren. Aber wenn wir genau hinsehen, entdecken wir noch viele Spuren der Vergangenheit und jede Menge Geschichten. Genau denen wollen wir heute nachspüren.

266. Kiezspaziergang Wasserturm

Wasserturm

Wir stehen hier an den beiden Wassertürmen, die direkt zwischen Spandauer Damm und Akzienallee liegen.

Der kleinere, östliche Turm entstand 1881, ist 27 Meter hoch und hat einen Durchmesser von 16 Metern. Der größere Westturm kam 1909 dazu. Er misst stolze 60 Meter und ist mit 14 Metern Durchmesser etwas schlanker. Beide Türme fassten jeweils 500 Kubikmeter Wasser.

Sie wurden gebaut, um die Wasserversorgung der damals neu gegründeten Villenkolonie Westend zu sichern. Denn schickes Wohnen allein war reichte nicht – Wasser musste her, und zwar mit genügend Druck.

Der Ostturm stammt vom Architekten Bernhard Salbach, der größere Westturm von Heinrich Seeling – beide im Stil der sogenannten Burgenarchitektur. Und tatsächlich: Mit ihren Zinnen, Umgängen und der erhöhten Lage wirken die Türme fast wie Wachtürme einer mittelalterlichen Festung.

In den 1970er-Jahren wurden sie stillgelegt – der technische Fortschritt hatte sie überholt. 1994 stellte man die beiden Wassertürme unter Denkmalschutz. Lange standen sie leer, bis die Berliner Wasserbetriebe sie 2008 verkauften.

Heute sind die Türme umgebaut: Der Westturm beherbergt nun auf 14 Etagen luxuriöse Wohnungen, im Ostturm sind es sieben großzügige Lofts. Jede Wohnung mit Balkon. Ein separater Anbau mit Treppenhaus und Aufzug sorgt für den nötigen Komfort.

Wir gehen jetzt den Spandauer Damm entlang bis zur Kolonie Birkenwäldchen. Dazu müssen wir einmal die Straßenseite wechseln.

266. Kiezspaziergang Kleingärten

Kleingärten

Wir stehen hier an einem ganz besonderen Ort: Mitten in der Stadt, und doch umgeben von Grün. Die Kleingärten am Spandauer Damm gehören zur Region Ruhwald – eine der größten Kleingartenregionen in Charlottenburg. Rund 20 Kolonien erstrecken sich von hier bis zur Spree. Ihre Namen klingen wie kleine Versprechen: „Birkenwäldchen“, „Sonntagsfrieden“, „Spreeblick“ – Orte der Ruhe und Erholung.

Die Geschichte dieser Gärten reicht 140 Jahre zurück. Schon 1885 vergab man die ersten Parzellen. Die Berliner Kleingartenkolonien entstanden aus der Wohnungsnot heraus als Behelfsunterkünfte. Gartenbau war damals zweitrangig.

Doch in Krisenzeiten wurden sie überlebenswichtig. Während der Inflation in den 1920er Jahren, halfen sie der Berliner Bevölkerung, sich mit Obst und Gemüse zu versorgen. Auch in beiden Weltkriegen und danach versorgten sie viele mit Lebensmitteln. Nach dem Zweiten Weltkrieg boten die Lauben sogar ein Dach über dem Kopf, wenn Wohnungen zerbombt waren.

In den 70er und 80er Jahren wurde der Spandauer Damm zum Ort des Widerstands: Die Gärtner wehrten erfolgreich Bebauungspläne ab. Rund 40.000 Berlinerinnen und Berliner setzten sich in einer Petition für den Erhalt ihres Ruhwald-Naherholungsgebietes ein und bewahrten so dieses grüne Stück Stadt.

Heute sind Kleingärten gefragter denn je. Sie bieten Raum für Erholung, Gemeinschaft und Natur. Sie sind Rückzugsorte für Mensch und Tier, verbessern das Stadtklima, speichern Regenwasser, filtern Feinstaub – und bieten Lebensraum für viele Pflanzen und Tiere, auch für bedrohte Arten.

Berlin ist in dieser Hinsicht übrigens ganz besonders: Rund 66.000 Kleingärten gibt es hier, verteilt auf über 700 Anlagen. Das sind etwa drei Prozent der gesamten Stadtfläche. Keine andere europäische Metropole hat so viele Gärten mitten in der Stadt.

Die Nutzung ist klar geregelt: Die Parzellen werden gepachtet, und müssen gärtnerisch genutzt werden – mit dem Anbau von Obst, Gemüse und Kräuter. Reine Ziergärten sind nicht erlaubt, ebenso wenig dauerhaftes Wohnen. Auch die Größe der Lauben ist begrenzt. Das alles regelt das Bundeskleingartengesetz.

Doch der Druck wächst: Berlin braucht Wohnraum, und immer wieder geraten Kleingartenanlagen ins Visier von Bauplänen. Der Senat will mit einem neuen Gesetz für mehr Schutz sorgen – zumindest für die Flächen, die dem Land Berlin gehören.

Wir drehen jetzt eine kleine Runde durch die Kolonie und gehen dann wieder zurück zum Spandauer Damm. Wir treffen uns an unserer nächsten Station: Dem DRK-Klinikum Westend.

266. Kiezspaziergang DRK Kliniken

Klinikum Westend

Wo heute der Klinikkomplex steht, befand sich Ende des 19. Jahrhunderts ein lebhafter Pferdemarkt. Hier feilschte man und handelte, erzählte Geschichten und tauschte sich aus.

Knapp hundert Jahre zuvor nutzten Napoleons Truppen dieses Gelände als Lagerplatz – und errichteten das sogenannte „le camp Napoléonbourg“. Ein kilometerlanges Lager, das sich bis zum Lietzensee zog. Charlottenburg war 1808 besetzt, musste die 7000 französischen Soldaten verpflegen – und zu allem Überfluss dafür auch noch die Kosten tragen.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wuchs Charlottenburg zur Großstadt – und brauchte dringend ein neues, modernes Krankenhaus. Das alte in der Gierkezeile war längst zu klein. Die Wahl fiel auf das Gelände des ehemaligen Pferdemarkts, etwas außerhalb der Stadt.

Der Bau begann 1901. Die Architekten Heino Schmieden und Julius Boethke planten das Krankenhaus im Stil der Neorenaissance. Das war damals nicht nur modern, sondern auch visionär. Es entstand eine großzügige Anlage in Pavillonbauweise: einzelne Gebäude, die locker gruppiert entlang einer grünen Mittelachse. Licht, Luft und Ruhe wurden Teil des Heilungskonzepts. Ein sorgfältig angelegter Park umgab alles – ab 1913 gestaltet vom Gartendirektor Erwin Barth, der später auch den Lietzenseepark und viele andere Gärten in unserem Bezirk entwarf.

Der repräsentative Eingangsbereich am Spandauer Damm, die klar gegliederten Backsteinfassaden, das elegante Zusammenspiel von Architektur und Landschaft prägen das Bild bis heute. Es war nicht nur ein Ort zum Heilen, sondern auch ein Ausdruck städtischen Selbstbewusstseins.

Das Krankenhaus öffnete 1904 und wurde bald erweitert. Im Ersten Weltkrieg diente es als Lazarett – ebenso im Zweiten Weltkrieg. Dabei wurde es mehrfach beschädigt, blieb aber in seiner Grundstruktur erhalten. In der Nachkriegszeit wurde es Teil der Freien Universität Berlin. Heute gehört es zur DRK-Schwesternschaft.

Besonders verbunden ist das Krankenhaus mit dem Dichter Gottfried Benn. Er arbeitete hier 1912 und 1913 als junger Arzt am Pathologischen Institut. Die Eindrücke dieser Zeit haben seine frühen Gedichte geprägt. In seinem berühmten Gedichtband „Morgue“ von 1912 beschrieb er mit schockierender Nüchternheit Leichen und Krankheitsbilder – aus der Sicht eines Pathologen. Das war neu und provokant. Benn brach mit traditionellen Schönheitsidealen in der Literatur und wollte die rohe Wirklichkeit zeigen – auch die hässlichen Seiten des Lebens.

Sein Stil war kühl, knapp und oft grausam ehrlich. Dennoch sprach aus vielen seiner Texte auch eine tiefe Sehnsucht – nach Sinn, nach Schönheit, nach Ordnung in einer chaotischen Welt.

In seinem berühmten Gedicht „Kleine Aster“ von 1912 schrieb er:

Ein ersoffener Bierfahrer wurde auf den Tisch gestemmt.
Irgendeiner hatte ihm eine dunkelhelllila Aster
zwischen die Zähne geklemmt.
Als ich von der Brust aus
unter der Haut
mit einem langen Messer
Zunge und Gaumen herausschnitt,
muß ich sie angestoßen haben, denn sie glitt
in das nebenliegende Gehirn.
Ich packte sie ihm in die Brusthöhle
zwischen die Holzwolle,
als man zunähte.
Trinke dich satt in deiner Vase!
Ruhe sanft,
kleine Aster!

Politisch war Benn eine umstrittene Figur. 1933 begrüßte er zunächst die Machtübernahme der Nationalsozialisten – aus Enttäuschung über die Weimarer Republik und in der Hoffnung auf einen geistigen Neuanfang. Doch schon bald distanzierte er sich. Seine Vorstellungen von Kultur passten nicht zur Nazi-Ideologie.

In späteren Jahren bezeichnete Benn sich selbst als Vertreter einer „inneren Emigration“ und rechtfertigte seine Haltung in Rundfunkdebatten. Seine Distanzierung war jedoch begrenzt, da er weiterhin Aspekte seiner früheren Position verteidigte und behauptete, die verbrecherischen Absichten des NS-Regimes seien damals nicht erkennbar gewesen. Nach dem Krieg wurde Benn zunächst isoliert, fand jedoch in der Bundesrepublik wieder Anerkennung als Dichter. Benn blieb Zeit seines Lebens ein Außenseiter – unbequem, widersprüchlich, aber immer sprachmächtig. Er gilt heute als einer der bedeutendsten Vertreter der literarischen Moderne in Deutschland.

Doch nicht nur literarische, auch medizinisch war das Westend ein Ort der Innovation: Von 1969 bis 1988 arbeitete hier Professor Emil Sebastian Bücherl – ein Pionier der Herzchirurgie. 1969 führte er hier eine der ersten Herztransplantationen in Deutschland durch und gilt als „Vater des Kunstherzens“.

Heute arbeiten im DRK Klinikum Westend rund 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In der Rettungsstelle behandelt man jährlich etwa 45.000 Patientinnen und Patienten. Stationär versorgt das Haus rund 26.000 Menschen im Jahr. Besonders eindrucksvoll: In der Frauenklinik kommen jedes Jahr über 2.500 Kinder zur Welt.

Wir setzten unseren Weg entlang des Spandauer Damms fort und sehen uns an der S-Bahnstation Westend.

266. Kiezspaziergang S-Westend/ Spandauer Brücke

S-Westend/Spandauer Brücke

Der Bahnhof eröffnete 1877 – ursprünglich unter dem Namen „Charlottenburg-Westend“. Er verband die neue Villenkolonie Westend mit dem Bahnnetz. Auch Kronprinz Friedrich, der spätere Kaiser Friedrich III., nutzte ein Kopfgleis für seinen Hofzug, da er im Schloss Charlottenburg residierte.

Das Empfangsgebäude entstand 1883/84– im Stil der Neorenaissance, aus rotem Ziegel und Sandstein. Entworfen haben es die Architekten Heinrich Kayser (mit y) und Karl von Großheim. Wegen seines prunkvollen Stils und der Nähe zum kaiserlichen Hof nannte man es bald „Kaiserbahnhof“ – ein Wortspiel, denn eigentlich hieß es „Kayser-Bahnhof“ –nach dem Architekten. Heute steht das Gebäude unter Denkmalschutz.

Der Bahnhof war einst ein wichtiger Knotenpunkt. Um 1900 gab es vier Bahnsteige: A, B, C und D – zwei Kopf- und zwei Durchgangsbahnsteige. Er bot Verbindungen zur Stadtbahn, zur Ringbahn und sogar Fernzüge hielten hier. Ein Tunnel verband die Bahnsteige. Im Februar 1929 begann der elektrische S-Bahnbetrieb.

Doch mit der Zeit verlor der Bahnhof an Bedeutung. Besonders nach dem Zweiten Weltkrieg, als Teile zerstört wurden. Der Bahnsteig A wurde stillgelegt, D schon vor der Jahrhundertwende abgerissen. 1980 kam der große Einschnitt: Wegen eines Streiks stellte die DDR-Reichsbahn den Betrieb auf dem West-Ring ein. Das Empfangsgebäude stand jahrelang leer, bis es ab Ende der 80er-Jahre als Künstlerbahnhof mit Ateliers und Ausstellungen diente.

Erst 1993 kehrte wieder Leben in den Bahnhof zurück – mit der Wiedereröffnung des Südrings und dem neuen Bahnsteig C. Dazu kamen zwei neue, moderne Zugänge aus Glas und Stahl von der Spandauer-Damm-Brücke. Der historische Bahnhof selbst hat heute keinen Zugang mehr zu den Gleisen.

Wir gehen weiter, biegen an der Sophie-Charlotte-Straße links ab und sehen uns an der Gipsformerei wieder.

266. Kiezspaziergang Gipsformerei

Gipsformerei

Wir stehen hier vor einem besonderen Ort: der Gipsformerei der Staatlichen Museen zu Berlin. Sie ist die größte Kunstmanufaktur ihrer Art – und das schon seit über 200 Jahren. 1819 gründete sie der preußische König Friedrich Wilhelm III. Damals wollte man antike Kunst nicht länger teuer aus Italien importieren, sondern selbst hochwertige Abgüsse herstellen. Mit Erfolg: Heute umfasst die Sammlung fast 7.000 Abformungen – von der kleinen Venus von Willendorf bis zur riesigen Marc-Aurel-Säule aus Rom.

Die Gipsformerei gleicht einem Gedächtnis der Kunstgeschichte. Hier lagern Nachbildungen aus allen Epochen und Kulturen – von Ägypten über Asien bis Lateinamerika. Manche Originale existieren nicht mehr – doch ihre Repliken sind hier noch erhalten.

Das Besondere: Die Repliken entstehen in aufwendiger Handarbeit – oft mit Formen, die über 100 Jahre alt sind. Gips eignet sich perfekt, weil er auch feinste Details abbildet. Malerinnen und Maler bearbeiten die Abgüsse so, dass sie wie das Original wirken – mit Patina, Rissen und Farbspuren. Dafür braucht es Erfahrung, Fingerspitzengefühl – und manchmal auch ein bisschen Improvisation.

Neben traditionellen Techniken wie der Gipsstückform nutzt man heute moderne Verfahren wie den 3D-Scan. So lassen sich selbst empfindlichste Kunstwerke schonend abformen.

Doch nicht nur die Kunst selbst wird hier gepflegt – auch das Gebäude bekommt bald eine Verjüngungskur: Das Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner plant eine umfangreiche Sanierung und Erweiterung. Die Gipsformerei wächst auf rund 13.000 Quadratmeter. Neue Werkstätten, moderne Depots und eine eigene Restaurierungsabteilung entstehen. Nachhaltigkeit steht dabei im Fokus: Man baut ressourcenschonend – mit natürlichen Materialien, wenig Technik und viel Klimabewusstsein.

Kurz gesagt: Die Gipsformerei bewahrt Kunst nicht nur, sie hält sie lebendig – mit Handwerk, Wissen und Leidenschaft.

Jetzt wechseln wir die Straßenseite und gehen in den Ernst-Bumm-Weg zum Wilhelmstift.

266. Kiezspaziergang Wilhelm-Stift

Wilhelm-Stift

Das Wilhelm-Stift ist eine der ältesten sozialen Einrichtungen in Charlottenburg – und es besteht bis heute. Gegründet wurde es im 19. Jahrhundert, als Heim für hilfsbedürftige Witwen und alleinstehende Frauen der sogenannten „gebildeten Stände“.

Die Idee dazu hatte Abelone Jensen, eine junge Dänin, früh verwaist, bei ihrer Tante aufgewachsen, streng erzogen – und mit einem großen Herzen für ältere alleinstehende Damen. Ohne eigenes Vermögen begann sie, Spenden zu sammeln, indem sie ein kleines Büchlein mit Bibelversen und Liedern vertrieb.

Als sie mit ihrem Onkel, dem Hofgärtner Fintelmann, nach Charlottenburg zog, lernte sie die Königinwitwe Elisabeth kennen. Die war sofort begeistert von Abelones Plan – und überzeugte ihren Schwager König Wilhelm, ein großes Grundstück aus dem Schlossgarten bereitzustellen. Auf dem 18.500 Quadratmeter großen Gelände begann 1866 der Bau des Stifts.

Die Unterstützung war groß: Geld kam von vielen Seiten und Baumaterial wurde gespendet. Zudem waren die Löhne niedrig. Bereits 1867 eröffnete das Stift in Anwesenheit des Königs und erhielt zu seinen Ehren den Namen „Wilhelm’s Stift“.

In den folgenden Jahren wuchs die Anlage stetig. Bis 1892 entstanden fünf Häuser, in denen 165 ältere Damen mietfrei wohnten – jede in ihrer eigenen kleinen Wohnung mit Wohnzimmer, Schlafkammer und Küche. Gemeinschaft war möglich, aber nicht verpflichtend.

Finanziert wurde das Ganze durch Aufnahmegebühren für die Bewohnerinnen – und durch viele Spenden. Einige ärmere Frauen lebten gebührenfrei auf sogenannten Freistellen. Die Nachfrage war groß, das Stift wurde eine angesehene Adresse.

Der Erste Weltkrieg brachte erste große finanzielle Probleme. Die Inflation zehrte das Vermögen auf. Aber erneut halfen Spenden – aus dem In- und Ausland. In der NS-Zeit blieb das Stift formal unabhängig, wurde aber zunehmend eingeschränkt.

Im Zweiten Weltkrieg wurden vier der fünf Häuser zerstört. Nur eines blieb schwer beschädigt stehen. Der mühsame Wiederaufbau begann 1952. Das letzte zerstörte Haus, Nummer 5, wurde nicht mehr errichtet.

Heute gehört das Wilhelm-Stift zur ProCurand AG. Die alten Gebäude sind saniert, neue Pflegeeinrichtungen hinzugekommen. Insgesamt gibt es heute 132 Service-Wohnungen, teilweise auch für Paare. Die Wohnungen sind barrierefrei, modern ausgestattet – und von einer großzügigen Parkanlage umgeben.

Wir gehen wieder zurück zum Spandauer Damm, halten uns links und gehen in Richtung Schloss bis zum Käthe-Kollwitz-Museum.

266. Kiezspaziergang Käthe-Kollwitz-Museum

Käthe-Kollwitz-Museum

Unsere nächste Station ist das Käthe-Kollwitz-Museum. Seit 2022 befindet es sich im Erdgeschoss des Theaterbaus am Schloss Charlottenburg – ein moderner, barrierefreier Ort mit viel Platz für Kunst und Begegnung. Zuvor war das Museum fast vier Jahrzehnte lang in der Fasanenstraße untergebracht, doch dort wurde es irgendwann zu eng – auch sanitäre und bauliche Bedingungen entsprachen nicht mehr den Anforderungen der Zeit.

Das neue Zuhause direkt am Schloss ist nicht nur größer, sondern liegt auch im Herzen eines kulturellen Zentrums. Hier zeigt das Museum eine Dauerausstellung mit rund 200 Werken: Zeichnungen, Druckgrafiken, Originalplakate und Skulpturen. Zudem präsentiert das Museum jährlich zwei Sonderausstellungen, oft mit Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern aus dem Umfeld von Käthe Kollwitz.

Die Geschichte des Museums beginnt mit Hans Pels-Leusden – Künstler, Galerist, Sammler und ein glühender Bewunderer von Käthe Kollwitz. Ab den 1960er-Jahren zeigte er ihre Werke in seiner Galerie am Kurfürstendamm. 1986 gründete er das Berliner Käthe-Kollwitz-Museum. Seine Sammlung bildete den Grundstock, ergänzt durch Leihgaben und Schenkungen, etwa aus dem Nachlass der Familie Kollwitz.

Und wer war Käthe Kollwitz? Geboren 1867 in Königsberg, gestorben 1945 in Moritzburg bei Dresden, zählt sie zu den bedeutendsten deutschen Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts. Mit dem Zyklus „Ein Weberaufstand“ gelang ihr 1898 auf der Großen Berliner Kunstausstellung der künstlerische Durchbruch. Ihre Werke spiegeln soziales Engagement und tiefe Empathie. Sie zeigen das Leben einfacher Menschen – oft in bitterer Not, stets mit großem Ernst. In Radierungen, Lithografien, Holzschnitten und Plastiken verarbeitete sie persönliche Erlebnisse und gesellschaftliche Missstände. Der Tod ihres Sohnes im Ersten Weltkrieg machte sie zur Pazifistin. Viele ihrer Werke mahnen gegen Krieg und Elend.

Käthe Kollwitz wurde als Frau und Künstlerin oft angefeindet. Kaiser Wilhelm II. nannte ihre Werke abfällig „Rinnsteinkunst“, die Nationalsozialisten diffamierten sie als „entartet“. Doch sie arbeitete unbeirrt weiter.

Heute tragen viele Schulen in Deutschland ihren Namen. Eine vergrößerte Kopie ihre Skulptur „Mutter mit totem Sohn“ steht heute in der „Neuen Wache“ in Berlin. Vier Museen widmen sich ausschließlich ihrem Werk – eines davon hier in Charlottenburg.

Falls Sie jetzt neugierig geworden sind: Das Museum hat noch bis zum 22. April geöffnet. Danach schließen die Ausstellungsräume bis voraussichtlich Mitte Juni dieses Jahres wegen Bauarbeiten. In dieser Zeit sind die Kunstwerke nicht zu sehen. Doch das Museum hat eine Alternative geschaffen: einen Avatar, eine 3D-Animation von Käthe Kollwitz, die über ihr Werk erzählt. Dank eines KI-gestützten Dialogsystems können Besucher mit der virtuellen Künstlerin sprechen und Fragen zu ihrer Biografie, ihrem Schaffen und ihrer Zeit stellen.

Wir gehen jetzt weiter zum Schloss Charlottenburg.

266. Kiezspaziergang Schloss Charlottenburg

Schloss Charlottenburg

Die Geschichte des Schlosses beginnt mit Sophie Charlotte, der Gemahlin des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich III., der später König Friedrich I. wurde. Sophie Charlotte war mehr als nur höfische Dekoration – sie war klug, gebildet und hatte einen ausgeprägten Sinn für Kunst, Musik und Philosophie. Sie suchte einen Rückzugsort vom steifen höfischen Leben in Berlin – einen Ort zum Denken, Reden und Träumen.

So entstand ab 1695 ein Sommerschloss in Lietzow, weit vor den Toren Berlins. 1699 wurde es eingeweiht – damals unter dem Namen “Lietzenburg”.

Sophie Charlotte umgab sich hier gern mit Intellektuellen und Künstlern. Auch der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz war häufiger Gast. Man tauschte sich aus, diskutierte, musizierte. Es war fast eine Art frühe Berliner „Salon-Kultur“. Doch das Glück währte nur kurz: Sophie Charlotte starb schon 1705 im Alter von 36 Jahren.

Friedrich, inzwischen König in Preußen, benannte das Schloss und die umliegende Siedlung zu ihrem Gedenken um – in „Charlottenburg“.

Eigentlich war für Schloss Charlottenburg ein ganz besonderes Prunkstück vorgesehen – das berühmte Bernsteinzimmer. Eine komplette Wandvertäfelung aus echtem Bernstein, die später sogar als „achtes Weltwunder“ bezeichnet wurde. Entworfen hat es der Barockbaumeister Johann Friedrich Eosander.

Doch es wurde hier nie fertiggestellt. Stattdessen baute man einzelne Teile später im Berliner Schloss ein.

Friedrich Wilhelm I., der sogenannte Soldatenkönig, konnte mit all dem Glanz wenig anfangen. Er war mehr an Uniformen als an Kunst interessiert. 1716 tauschte er das Bernsteinzimmer kurzerhand mit dem russischen Zaren Peter dem Großen – gegen ein 51 „Lange Kerls“ für seine berühmte Gardetruppe.

Doch auch ohne Bernsteinzimmer beeindruckt das Schloss. Der Park ist ein echter Schatz. Ursprünglich streng im französischen Barockstil angelegt, mit schnurgeraden Wegen, klaren Achsen und geometrischen Hecken, wurde er im 19. Jahrhundert teilweise umgestaltet. Die Mode änderte sich, die Sehnsucht nach natürlicheren Formen wuchs. Und so wurde aus dem Barockgarten ein englischer Landschaftspark mit geschwungenen Wegen, freiwachsenden Bäumen und Teichen.

Mit dem Belvedere, dem Mausoleum und dem Neuen Pavillon bietet der Garten auch architektonische Schmuckstücke.

Im Zweiten Weltkrieg wurde das Schloss dann schwer beschädigt: Bei einem Bombenangriff im November 1943 stürzte die Kuppel des Schlosses ein. Große Teile brannten aus. Zum Glück konnte ein großer Teil der Einrichtung rechtzeitig gerettet werden.

Nach dem Krieg restaurierte man Schloss Charlottenburg –mit großem Aufwand und Liebe zum Detail. Über zwei Jahrzehnte benötigten die Restauratoren für den Wiederaufbau. Heute ist das Schloss ein Museum. Man kann barocke und klassizistische Kunst bewundern, feines Porzellan aus der Königlichen Manufaktur sehen oder Gemälde aus mehreren Jahrhunderten betrachten. Die Räume erzählen vom Leben am preußischen Hof – von Macht und Glanz, aber auch von Alltag und Persönlichkeiten.

Wir verlassen das Schlossgelände und kehren zurück zum Spandauer Damm. Wir treffen uns vor der Sammlung Scharf-Gerstenberg

266. Kiezspaziergang Kaserne von Stüler

Kaserne von Stüler

Auf beiden Seiten der Schloßstraße stehen zwei herrschaftliche Gebäude. Auf den ersten Blick denkt man vielleicht an Museen – und das sind sie heute auch. Aber ursprünglich waren das Kasernen für die preußische Garde. Gebaut wurden sie Mitte des 19. Jahrhunderts von Friedrich August Stüler (1800-1865), dem Lieblingsarchitekten König Friedrich Wilhelms IV. und Schüler Schinkels. Sein Baustil war klassisch, klar und stark von der Antike beeinflusst. Dies zeigt sich auch in seinen anderen Werken, etwa dem Neuen Museum auf der Berliner Museumsinsel.

Fast hundert Jahre lang diente die Anlage hier an der Schloßstraße militärischen und polizeilichen Zwecken. In der Weimarer Republik saß hier zeitweise die Berliner Sicherheitspolizei – offiziell zum Schutz der Demokratie, in Wirklichkeit aber bald ein Sammelbecken für Republikgegner. In der NS-Zeit wurde das Gebäude zur „Führerschule der Sicherheitspolizei“ – hier wurden Gestapo- und Kripo-Leute ausgebildet, darunter auch Klaus Barbie, der als „Schlächter von Lyon“ bekannt wurde.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Gebäude schwer beschädigt. In den 1950er und 60er Jahren wurden sie wiederaufgebaut – diesmal für die Kunst.

Heute beherbergt das westliche Gebäude das Museum Berggruen mit einer der bedeutendsten Sammlungen der klassischen Moderne. Über 100 Werke von Picasso, dazu Arbeiten von Klee, Matisse und Giacometti – das alles verdanken wir dem Sammler Heinz Berggruen. Nach Jahrzehnten im Exil schenkte er seine Sammlung der Stadt Berlin – ein „Zeichen der Versöhnung“, wie er es in seiner Biographie nannte. Das Museum ist aktuell wegen Sanierung geschlossen.

Hinter uns, im östlichen Stülerbau, liegt die Sammlung Scharf-Gerstenberg. Auch dieses Gebäude diente einst als Kaserne und später als Sitz des Ägyptischen Museums.

Die Sammlung präsentiert moderne Kunst, jedoch aus einer anderen Perspektive: von Goyas düsteren Visionen bis zum Surrealismus mit Werken von Max Ernst, Dalí und Magritte. Die Sammlung stammt aus dem Nachlass des Berliner Unternehmers Otto Gerstenberg. Seit Juli 2008 sind die Kunstwerke hier zu sehen.

Wir gehen jetzt bis Ecke Nithackstraße – zu unserer letzten Station.

266. Kiezspaziergang Meilenstein vor dem Haus Nr.7

Meilenstein vor dem Haus Nr. 7

Unsere letzte Station ist ein echtes Schmuckstück – auch wenn es auf den ersten Blick unscheinbar wirken mag. Wir stehen hier vor dem alten Marstallgebäude am Spandauer Damm, direkt an der Ecke zur Nithackstraße. Und genau hier steht er: der Charlottenburger Meilenstein mit seiner vergoldeten Kugel und der kleinen Spitze obendrauf.

Dieser Meilenstein ist ein seltenes Beispiel für eine sogenannte Kugel-Meilensäule – ein Entwurf, der sich an römischen Vorbildern orientiert. Die Säule ist aus Sandstein, steht auf einem quadratischen Sockel und trägt eine eiserne Tafel mit der Aufschrift: „1 Meile von Berlin“. Gemeint ist die Entfernung bis zum alten Berliner Stadtschloss. Eine preußische Meile entsprach rund 7,5 Kilometern – das bedeutete für Fußgänger etwa zwei Stunden Gehzeit.

Wann der Stein genau aufgestellt wurde, ist unklar. Vermutlich war es um 1798, als die neue Chaussee zwischen dem Brandenburger Tor und Schloss Charlottenburg entstand. Manche behaupten, Königin Luise habe ihn aufstellen lassen – direkt vor ihrem Schlossfenster. Belegt ist seine Existenz jedoch erst ab 1846. Der Entwurf wird oft Friedrich August Stüler zugeschrieben, dem Architekten von König Friedrich Wilhelm IV.

Ursprünglich stand die Säule auf dem Luisenplatz – etwas näher am Schloss. Doch sie wurde mehrfach versetzt. Als 1869 das metrische System eingeführt wurde, hielt man Meilensteine für überflüssig. Die Säule wurde kurzerhand entfernt und als Kilometerstein in Ruhleben wieder aufgestellt – dabei verschwand auch die Meilenangabe.

Kaiser Wilhelm I. war darüber wenig erfreut. 1875 ordnete er in einer Kabinettsorder persönlich an, den „alten Stein“ zurückzubringen. Nicht wegen der Entfernung, sondern wegen der Erinnerung, die er damit verband: Der Meilenstein hatte für ihn eine besondere Bedeutung.

Seitdem trägt er wieder die Inschrift „1 Meile von Berlin“ – und steht, nach einer weiteren Versetzung um 1905, an seinem heutigen Platz. Die goldene Kugel wurde zuletzt 1990 restauriert.

So endet unser Kiezspaziergang mit einem Denkmal, das von alten Wegen erzählt, von königlichen Vorlieben – und davon, wie wichtig auch scheinbar kleine Dinge in der Geschichte sein können.

Zum Abschluss noch ein Hinweis: Der nächste Kiezspaziergang findet am Samstag, 10. Mai, statt. Treffpunkt ist um 14 Uhr am Haupteingang des Friedhofs Wilmersdorf (Feierhalle) an der Berliner Straße.

Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Samstag und frohe Ostern!

  • 266. Kiezspaziergang Kleingärten

    Kleingärten

  • 266. Kiezspaziergang DRK Kliniken

    Klinikum Westend

  • 266. Kiezspaziergang DRK Kliniken

    Klinikum Westend

  • 266. Kiezspaziergang Wilhelm-Stift

    Wilhelm-Stift

  • 266. Kiezspaziergang Wilhelm-Stift

    Wilhelm-Stift

Kontakt

Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Verkehrsanbindungen