239. Kiezspaziergang: Rathaus Charlottenburg

Das Rathaus Charlottenburg ist auch Sitz der Bezirksverordnetenversammlung

Sehr geehrte Damen und Herren!

Herzlich willkommen zu unserem 239. Kiezspaziergang. Er führt uns heute durch das Rathaus Charlottenburg. Es wird zwar derzeit viel umgebaut, aber ich denke, einige Schätze dieses Gebäudes können wir Ihnen dennoch zeigen. Wie die meisten von Ihnen schon wissen: Ich bin Kirstin Bauch, die Bezirksbürgermeisterin von Charlottenburg-Wilmersdorf.

Heinrich-Schulz-Bibliothek

1. Station: Stadtbibliothek

Wir beginnen hier im sogenannten Anbau des Rathauses Charlottenburg. Im Gegensatz zum Hauptgebäude, das bereits 1905 fertiggestellt wurde und über das wir nachher noch mehr hören werden, wurde der Anbau erst von 1911 bis 1916 nach Plänen von Stadtbaurat Heinrich Seeling errichtet. Er wurde unter anderem für die Sparkasse gebaut, die bis zur Zerstörung des Rathauses während des 2. Weltkriegs diese große Halle nutzte.
Von der mittleren Eingangstür bis zur Rückwand, an der ein nicht mehr existierendes farbiges Fenster den Abschluss bildete, erstreckte sich der Kundenraum. Zischen den Rundbögen rechts und links befanden sich die Kassenschalter. Die Wände waren mit Keramikfiguren geschmückt, die heute, teilweise zerbrochen, noch im Turm gelagert sind.

Seit 1948 befindet sich in der großen Sparkassenhalle die Heinrich-Schulz-Bibliothek.

Ursprünglich wurde das Haus im gotischen Stil geplant, dann aber entschied man sich für den so genannten Sezessionsstil mit Jugendstilelementen. Neben vielen allegorischen Schmuck-Figuren an der Fassade und im Innenbereich gibt es auch eine Reihe von in Stein gehauenen und in Holz geschnitzten Sinnsprüchen. Fast alle vermitteln Arbeitsethos und den Kampf ums Dasein. Über der Eingangstür zum Anbau können Sie zum Beispiel lesen: “Unablässige Arbeit überwindet alles.” Die meisten Bilder zeigen Arbeits- oder Kampfszenen – oft allegorische Darstellungen aus dem Tierreich, etwa Bienen, Eulen, Adler und Schlange oder Fuchs und Kaninchen.
Der Erweiterungsbau zeigt mit seiner bereits strenger gegliederten Außenfassade erste Anklänge an die beginnende Moderne.

Das Rathaus bedeckt übrigens inklusive der Innenhöfe eine Fläche von 12.603 Quadratmetern. Rechnet man das Areal des Standesamts Villa Kogge und des Parkplatzes Alt-Lietzow noch dazu, beträgt die Gesamtfläche 19.290 Quadratmeter.

Während des Zweiten Weltkriegs wurde das Rathaus schwer beschädigt. Am 1. März 1943 gab es den ersten Luftangriff auf das Rathaus, das den Bezirksverordneten-Sitzungssaal so stark beschädigte, dass er nicht mehr genutzt werden konnte. Im September desselben Jahres wurde der 4. Stock des Ost-Flügels zerstört. Die größten Luftangriffe auf Charlottenburg aber fanden in der Nacht vom 22. auf den 23. November 1943 statt. Ein erheblicher Teil der Charlottenburger Innenstadt fiel ihnen zum Opfer. Das Rathaus wurde von einer Luftmine getroffen, die über den Turm bis ins Erdgeschoss durchschlug. Danach war das Rathaus nicht mehr zu nutzen und die Bezirksverwaltung zog teilweise in die Fürstin-Bismarck-Schule an der Sybelstraße 2-4 (heute Sophie-Charlotte-Oberschule) und in das Gebäude des Reichskriegsgerichts an der Witzlebenstraße 4-5. Bei einem der letzten Luftangriffe am 24. April 1945 wurde der hintere Teil des Rathauses in Alt-Lietzow zerstört.

Von 1947 bis 1958 wurde das Rathaus unter der Leitung durch Hans Günther wieder aufgebaut. Es dauerte also recht lange bis die über den Bezirk verstreuten Verwaltungsdienststellen wieder mehrheitlich in einem Gebäude zusammenarbeiten konnten. Aber erst 1954 waren die Restaurierungsarbeiten weitgehend beendet.

Jetzt geht es die Treppe hoch ins Foyer des Rathauses

2. Station: Eingangshalle

Dieses Rathaus hier an der Otto-Suhr-Allee bringt bereits mehr als 100 Jahr Geschichte mit sich. Es ist aber nicht das erste Rathaus Charlottenburgs.

Die Gründung und der Name Charlottenburgs gehen auf die preußische Königin Sophie Charlotte zurück. Sie wurde am 30. Oktober 1668 geboren und starb schon mit 36 Jahren am 1. Februar 1705. Als König Friedrich I. nach ihrem Tod die Stadt Charlottenburg gründete, fungierte er selbst als Bürgermeister, sein Sohn Friedrich Wilhelm, der spätere Soldatenkönig, als sein Stellvertreter. Hof- und Staatsbeamte bildeten als Stadtverordnete den Magistrat. Als Rathaus kaufte der König ein Palais des Oberstallmeisters an der Schloßstraße, das mehr als 150 Jahre als Sitz der Stadtverwaltung diente. Heute befindet sich auf dem Grundstück an der Schloßstraße 2 ein Seniorenwohnhaus.

1860 wurde ein größeres Gebäude an der Berliner Straße, heute Otto-Suhr-Allee als zweites Rathaus gekauft. Es war ursprünglich der Wohnsitz des Oberhofstallmeisters Encke, der als Bruder der Gräfin Lichtenau, der Maitresse Friedrich Wilhelms II., ebenfalls hoch in dessen Gunst stand und das Palais vom König zum Geschenk erhalten hatte. Nach dem Tod des Königs wurde den Enckes das Palais vom neuen König wieder aberkannt. 1860 war das Haus im Besitz der Charité, die es an die Stadt Charlottenburg verkaufte.

Doch bereits zum Ende des 19. Jahrhunderts war das verträumte Städtchen Charlottenburg mit seinen 1850 rund 10.000 Einwohnern auf 182.000 Einwohner angewachsen und wetteiferte mit Wiesbaden darum, die reichste Stadt Preußens zu sein.

1897 entschloss man sich deshalb, auch das zweite Rathaus abzureißen und auf diesem und einem Nachbargrundstück das dritte Rathaus zu bauen. Den Wettbewerb gewannen die Architekten Heinrich Reinhardt und Georg Süßenguth für ihren Entwurf. Baubeginn war am 17. Juni 1899. Zur 200-Jahr-Feier der Stadt wurde das neue Rathaus am 20. Mai 1905 an den Magistrat übergeben. Die Turmuhr soll bereits in der Nacht zum 27. Januar, dem Geburtstag Wilhelm II. in Gang gesetzt worden sein. Der Kaiser hat es den Charlottenburgern aber angeblich nie verziehen, dass sie den Turm ihres Rathauses mit 87,50 Metern deutlich höher gebaut hatten, als die Kuppel des Schlosses. Der Kaiser soll deshalb bei Besuchen im Schloss Charlottenburg immer einen Umweg über die Bismarckstraße gefahren sein, um den Turm nicht sehen zu müssen, der schnell zu einem Symbol für den Charlottenburger Bürgerstolz geworden war.

Das Innere des Rathauses wurde sehr großzügig gestaltet. Ornamente und Figuren beleben Wände, Säulen und Geländer des Haupttreppenhauses. Schon in der Haupteingangshalle (Haupteingang eine Treppe bis zur Eingangstür) befinden sich zu beiden Seiten Reliefs an den Wänden. Sie stellen Kunst, Wissenschaft, Schulwesen, Hochbau, Tiefbau, Krankenpflege, Feuerwehr, Beleuchtungswesen, Gewerbegericht und Steuerwesen sowie Standesamt dar. Sie stammen wie die meisten figuralen Darstellungen im Rathaus von dem Bildhauer Heinrich Giesecke (1862-1937).
Breite Gänge mit gewölbten Decken durchziehen das Rathaus. Wir werden gleich noch durch einige durchkommen. Besonders eindrucksvoll ist das Haupttreppenhaus. Die beiden doppelläufigen geschwungenen Treppen führen von ersten in den dritten Stock. Das steinerne Geländer weist reichen Figurenschmuck auf. Neben den mächtigen Preußenadlern haben viele der abgebildeten Tiere symbolische Bedeutungen. Vor dem Krieg waren die Aufgänge des Treppenhauses noch mit bleiverglasten Fenstern versehen, davon fehlt aber leider bis heute jede Spur.
Wir steigen nun die Treppen hinauf in die zweite Etage und treffen uns wieder von der Gedenkhalle

Gedächtnishalle im Rathaus Charlottenburg

3. Station: Ehrenhalle

Die Ehrenhalle hier im zweiten Obergeschoss wurde nach einem Entwurf von Heinrich Seeling gestaltet. Auf den Tafeln an der Rückwand sind die Namen von Gefallenen des Ersten Weltkriegs verzeichnet. Die Gedenkhalle ist trotz der Kriegsschäden des Rathauses im Wesentlichen erhalten geblieben und wurde nach dem Krieg ergänzt. An die Opfer der Gewaltherrschaft 1933-1945 und die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs (1939-1945) gemahnen schlichte Kreuze mit Dornen, die an den Pfeilern links und rechts angebracht sind.
Sie sehen hier auch hier auf dem Boden und an den Säulen Tiere, die symbolische Bedeutung haben:
So steht das Chamäleon beispielsweise für Veränderung, das Eichhörnchen und die Eidechse gelten als Beschützer und der Schmetterling bedeutetet Abschied von Vergangenem. Der Brunnen in der Mitte der Halle wurde ursprünglich von einer Bronzefigur geziert, die allerdings am Ende des Zweiten Weltkriegs gestohlen wurde. Auch acht vergoldete Reliefs mit Sinnbildern menschlicher Tugenden verschwanden spurlos.
Wir gehen weiter zum Lily-Braun-Saal

Lily-Braun-Saal

4. Station: Lily-Braun-Saal

Wir sind jetzt im Lily-Braun-Saal, der als Sitzungssaal im Anbau gebaut worden ist und derzeit einer der wenigen Säle ist, die wegen der vielen Bauarbeiten und der Wahlvorbereitung im Haus besichtigt werden können.
Der Saal ist benannt nach der deutschen Schriftstellerin, Frauenrechtlerin und Journalistin Lily Braun (1865-1916), die sich besonders für die Vereinbarkeit von Mutterschaft und Berufstätigkeit sowie Frauenemanzipation eingesetzt hat.
Hier im Saal können sie die Porträts der Bürgermeister Charlottenburgs und nach der Fusion der Bezirksbürgermeisterinnen und -bürgermeister von Charlottenburg-Wilmersdorf sehen. Ganz lins in der Ecke sehen Sie beispielsweise Monika Thiemen, die die Tradition der Kiezspaziergänge begründet hat und meinen Vorgänger Reinhard Naumann, den sicher auch viele von Ihnen noch kennen werden.

Helene-Lange-Saal

5. Station: Helene Lange Saal

Wir können leider den ehemaligen Magistratssaal, heute Minna-Cauer-Saal, derzeit nicht besichtigen, weil darin bereits Vorbereitungen für die Wiederholungswahl getroffen werden. Wir können uns aber den ebenfalls noch sehr gut erhaltenen Helene-Lange-Saal ansehen. Die Fotogalerie hier im Vorraum zu den Sälen erinnert an Widerstandskämpfer und Opfer des NS-Regimes.
Helene Lange (1848-1930) war eine deutsche Politikerin, Pädagogin und Frauenrechtlerin. Sie setzte sich für gleiche Bildungs- und Berufschancen für Frauen ein und gilt als eine der wichtigsten Vertreterinnen des „gemäßigten“ Flügels der frühen deutschen Frauenbewegung. Sie ist auf dem Heerstraßenfriedhof in Westend beerdigt. Auf dem großen, würfelförmigen Grabstein, den der Allgemeine Deutsche Lehrerinnenverein gestiftet hat, steht das Motto: „Du musst glauben, du musst wagen“.
Im Saal ist die hölzerne Originaltäfelung mit ihren Sinnsprüchen noch erhalten. Im Uhrzeigersinn:
Unablässige Arbeit überwindet alles.
Zwischen heut und morgen liegt eine lange Frist, lerne schnell besorgen, da du noch munter bist.
Die Alten sind zäh, sollen sie zahlen, thut’s ihnen weh.
Doppelt giebt, wer schnell gibt.
Mit vereinten Kräften.

Gegenüber dem Minna-Cauer-Saal und an dessen Seite finden sich ebenfalls wieder schöne Reliefs mit einer Eule als Symbol der Weisheit, dem Bienenkorb als Symbol für den Fleiß der Bürger. Thomas Wolfes, der Leiter unserer Verwaltungsbibliothek wird Ihnen nachher noch ein altes Wappen Charlottenburgs zeigen, in dem der Bienenkorb auch eine Rolle spielt. Links von der Tür sehen sie noch einen Pelikan mit Jungen. Er soll für die Verwaltung stehen, die sich für die Bürgerinnen und Bürger aufopfert und rechts von der Türe gibt es noch zwei Hamster, die emsig Getreide für den Winter sammeln.

Wir gehen nun zum Treppenhaus und steigen die Treppe nach oben in den dritten Stock

Kuppeldecke im Rathaus Charlottenburg (3. OG)

6. Station Kuppelhalle

Der BVV-Saal in dessen Vorraum Sie hier Fotos der ehemaligen BVV-Vorsteher, aber auch der Bundespräsidenten sehen können und der Festsaal wurden erst in der Nachkriegszeit eingerichtet.

Die Decke der Kuppelhalle entstand nach einer Idee der ehemaligen Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen (2001-2011). Sie sah bei einem Spaziergang die schön bemalte Kuppeldecke des Landgerichts am Tegler Weg und schwärmte von dieser gegenüber den Bauleuten des Bezirksamtes. Bei der anstehenden Renovierung 2009 wurde die Kuppeldecke des 3. OG schließlich mit diesen filigranen Mustern bemalt.
Zum Jubiläum „300 Jahre Charlottenburg“ schenkte der Unternehmer Hans Wall dem Bezirk das Ölgemälde “Sophie Charlotte”, das seit dem 7. Dezember 2005 vor dem Festsaal hängt. Gemalt hat es Gabriela Riebow-Worreschk.
Die Carrara-Marmor-Skulptur in der Nische soll Moses darstellen. Im Auftrag von Elisa Koenigs wurde sie von einem unbekannten Bildhauer um 1920 hergestellt. In ihrem Testament vermachte Koenigs die Skulptur Ernst Mommsen. Nach Mommsens Tod 1930 ging sie in die Sammlung Charlottenburgs über.
Elise Koenigs stammte übrigens aus einer angesehenen rheinischen Fabrikantenfamilie. Sie zog nach Berlin, wo es für Frauen im Kaiserreich besonders viele Freiheiten und Möglichkeiten der Weiterbildung gab. Sie nutzte in der Hauptstadt die Chance zu wissenschaftlichem Engagement. Als erste Frau trat sie der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften bei.
Als Mäzenin kümmerte sie sich um zahlreiche wissenschaftliche Großprojekte und ermöglichte großzügig deren Finanzierung. So stellte sie beispielsweise für die textkritische Neuausgabe des Neuen Testaments im Kaiserreich rund 200.000 Mark zur Verfügung.
Der Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft Adolf von Harnack schlug sie für die Goldene Leibniz-Medaille vor: „Fräulein Königs hat sich seit mehr als 16 Jahren als wahre Patronin und Förderin der Wissenschaften bewiesen. Dabei ist ihr Wirken ein so uneigennütziges und selbstloses, dass sie stets im Hintergrund bleibt und von ihren großen Spenden möglichst wenig geredet wissen will“, schrieb Harnack. 1912 wurde ihr die Medaille überreicht.