Kiezspaziergang am 10.5.2003

durch Wilmersdorf zum Fest der Nationen

mit Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen
Treffpunkt am U-Bahnhof Blissestraße vor dem Gesundheitsamt an der Kreuzung Brandenburgische Straße, Gasteiner Straße und Sigmaringer Straße.

Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen beim Findling aus der Partnerstadt Forchheim, 10.5.2003, Foto: KHMM

Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen beim Findling aus der Partnerstadt Forchheim, 10.5.2003, Foto: KHMM

Sehr geehrte Damen und Herrn!

Herzlich Willkommen zum Kiezspaziergang, den wir wie immer am zweiten Samstag im Monat durch ein Stück unseres Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf unternehmen. Heute fällt er auf das Wochenende, an dem wir auf dem Prager Platz unser Fest der Nationen feiern. Deshalb haben wir unseren Spaziergang heute so gelegt, dass wir beim Fest der Nationen enden werden. Sie können also dort, wenn Sie möchten, gemeinsam mit uns unser traditionelles Bezirksfest feiern. Wir feiern es in diesem Jahr zum 18. Mal.

Ein Rundgang über das Fest lohnt sich in jedem Fall. Denn es gibt dort auch einen Stand unserer Bürgerbüros. Und an diesem Stand gibt es erstmals unsere neue Wanderkarte Charlottenburg-Wilmersdorf. Sie ist soeben in zweiter Auflage erschienen, aktualisiert und ergänzt um einen Wanderweg durch den Grunewald. Es ist jetzt einer von 13 Wanderwegen, die dort beschrieben sind. Die Karte kostet zwar erstmals einen Euro, aber ich denke, diese Investition lohnt sich für Wanderliebhaber und Liebhaber unseres Bezirks in jedem Fall.

Jetzt noch wie gewohnt ein Hinweis auf den nächsten Kiezspaziergang. Da ich leider verhindert bin, wird mein Kollege, Baustadtrat Klaus-Dieter Gröhler am Samstag, dem 14. Juni, von 14.00 bis 16.00 Uhr den Rundgang übernehmen. Treffpunkt wird sein um 14.00 Uhr am U-Bahnhof Wilmersdorfer Straße, an der Kreuzung Krumme Straße und Wilmersdorfer Straße südlich der Kantstraße, und es wird durch die Wilmersdorfer Straße nach Norden bis zum Kraftwerk Charlottenburg gehen.

Heute also wollen wir uns ein wenig mit dem alten Wilmersdorf, dem Volkspark und mit der Entwicklung Wilmersdorfs zur Großstadt beschäftigen.

Sigmaringer Str. 1

Die Sigmaringer Straße erhielt ihren Namen 1888. Davor hieß sie “Die kurze Trift”.

Gesundheitsamt (früher Rathaus Wilmersdorf)

Wir stehen vor dem Gesundheitsamt Charlottenburg-Wilmersdorf. 1894 wurde hier das Rathaus Wilmersdorf gebaut. Davor stand an dieser Stelle das dörfliche Armenhaus; gleichzeitig mit dem Rathaus wurde auch eine Feuerwache an der Ecke gebaut, die dann 15 Jahre später durch die Feuerwache nebenan in der Gasteiner Straße ersetzt wurde.

Das alte Rathaus Wilmersdorf war nicht viel größer als das Rathaus Schmargendorf. Es wurde bereits um 1900 für das schnell wachsende Wilmersdorf zu klein. Wilmersdorf bekam 1906 Stadtrechte und hatte bereits mehr als 100.000 Einwohner.

Ein neues, großes Rathaus sollte am nördlichen Fehrbelliner Platz, südlich des Preußenparks gebaut werden, dort wo sich heute der Parkplatz, Taxihalteplatz, Park-Café und Biergarten befinden. Für den Rathausbau wurden mehrere Wettbewerbe durchgeführt und entschieden, der Turm sollte sogar den Turm des Rathauses Schöneberg überragen, aber der Erste Weltkrieg verhinderte den Bau, und nach der Bildung Groß-Berlins 1920 wurde das Joachimsthalsche Gymnasium in der Kaiserallee, der heutigen Bundesallee, als “Stadthaus” genutzt. Es ergänzte das alte Rathaus Willmersdorf, wo nach wie vor der Sitz des Bürgermeisters war. 1944 wurde dieses Rathaus fast vollständig zerstört. Die übriggebliebenen Akten wurden in das benachbarte Goethe-Gymnasium geschafft, die Ruine später abgerissen. 1954 wurde das 1941-43 für die DAF errichtete Verwaltungsgebäude am westlichen Fehrbelliner Platz zum Rathaus Wilmersdorf, nachdem 1943 bis 45 die Verwaltung des Oberkommandos des Heeres und seit 1945 das britische Hauptquartier darin untergebracht war.

Das Verwaltungsgebäude für das Gesundheitsamt wurde in den 50er Jahren gebaut.

Habermannplatz

Alte Wilmersdorfer nennen diesen Spielplatz auch “Knochenpark”. Hier befand sich der Friedhof des Dorfes. Er befand sich damals am Rand Wilmersdorfs. Das Zentrum des Ortes befand sich in der heutigen Wilhelmsaue.

Gedenktafel

Ernst Habermann
  • 8.6.1866 6.6.1958
    Oberbürgermeister von Deutsch-Wilmersdorf
    von 1909 – 1920
    Gegenüber stand damals das Rathaus

Die Gedenktafel für Ernst Habermann wurde 1963 enthüllt. Habermann war seit 1897 Amts- und Gemeindevorsteher in Wilmersdorf, wurde nach der Verleihung der Stadtrechte am 1.7.1907 zum ersten Bürgermeister gewählt. Vom 5.10. 1909 bis zur Eingemeindung Wilmersdorfs nach Berlin 1920 war er erster und einziger Oberbürgermeister der Stadt Wilmersdorf. Der Titel war ihm von Kaiser Wilhelm II verliehen worden. Unter seiner Verantwortung entwickelte sich das Dorf zur Großstadt, wurde ein großer Teil der kommunalen Einrichtungen geschaffen. Die meisten Wilmersdorfer Schulen beispielsweise stammen aus der Zeit zwischen 1895 und 1915.

Brandenburgische Str. 2

Die Brandenburgische Straße erhielt ihren Namen 1888. Davor hießt sie seit etwa 1850 “Charlottenburger Weg”. Der frühere Name war “Priesterweg”. Der Wilmersdorfer Pfarrer versorgte die Pfarrei des Dörfchens Lietzow, dort, wo sich heute das Rathaus Charlottenburg befindet, mit und benutzte als Verbindungsstrecke den “Priesterweg”.

Dietrich-Bonhoeffer-Bibliothek

Die Dietrich-Bonhoeffer-Bibliothek ist eine der beiden Hauptbibliotheken der Stadtbibliothek Charlottenburg-Wilmersdorf. Bis zur Bezirksfusion war es die Hauptstelle der Stadtbibliothek Wilmerdorf. Die Bibliothek wurde 1893 in der Mehlitzstr. 2 gegründet, dieses Gebäude stammt von 1965. 1997 wurde die Bibliothek nach Dietrich Bonhoeffer benannt.

Ich denke, es ist gut, dass wir heute, am 70. Jahrestag der Bücherverbrennung, unseren Kiezspaziergang an einer Bibliothek beginnen. Damals, am 10. Mai 1933, wurden in fast allen deutschen Universitätsstädten Bücher von jüdischen und linksgerichteten Autorinnen und Autoren verbrannt. Und es war nicht der Pöbel, es waren nicht SA-Leute oder Nazi-Aktivisten, die die Bücher von Heinrich Heine, Sigmund Freud, Lion Feuchtwanger, Kurt Tucholsky, Heinrich Mann und Erich Kästner ins Feuer warfen, sondern es waren Studenten und Professoren, es waren deutsche Intellektuelle, die damit symbolisch das vernichten wollten, was sie “undeutschen Geist” nannten. Es war vorauseilender Gehorsam gegenüber den Nationalsozialisten, und es war eine schreckliche Aktion der Intoleranz, der geistigen Überheblichkeit, Beschränktheit und Dummheit.

Am Tag nach den Bücherverbrennungen, am 11. Mai 1933, wurde eine der vielen schwarzen Listen zur Säuberung der Bibliotheken herausgegeben. Die Wilmersdorfer Volksbücherei befand sich damals im Joachimsthalschen Gymnasium an der heutigen Bundesallee, der damaligen Kaiserallee. Dort wurden die indizierten Bücher hinter Altakten versteckt.

Ein ganz besonderer Schatz war die Sammlung Geiger: Der jüdische Goethe-Forscher Ludwig Geiger hatte 1931 dem Bezirksamt Wilmersdorf seine Privatbibliothek vererbt, eine wertvolle Sammlung geisteswissenschaftlicher Werke, insgesamt 8.000 Bände.

In der Wilmersdorfer Volksbücherei arbeitete damals die 25jährige Bibliothekarin Hertha Block. Sie war im Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller aktiv und wurde am 26. Juni 1933 verhaftet, nachdem sie sich mit Bekannten in einem Café am Tauentzien getroffen hatte, das als Oppositionellen-Treffpunkt bekannt war. Während der Nazizeit konnte sie nur noch im Frauengefängnis in ihrem Beruf arbeiten. Aber im Herbst 1945 wurde sie wieder in Wilmersdorf als Bibliothekarin eingestellt.
Unter schwierigen Bedingungen im kriegszerstörten half sie mit, die Bibliothek wieder aufzubauen. Die versteckten Bücher hatten die Nazizeit überlebt, auch der größte Teil der Sammlung Geiger. Die Bücher konnten wieder aus den Verstecken hervorgeholt und schnell zur Verfügung gestellt werden. Hertha Block baute dann ab 1952 die Zweigstelle im Rathaus Schmargendorf auf.

Die Bücher der Sammlung Geiger wurden später hier, in den Bestand der Stadtbücherei Wilmersdorf aufgenommen – als Spezialbibliothek innerhalb der Bibliothek. Sie steht nach wie vor – insbesondere für wissenschaftliche Zwecke zur Verfügung. Die Bücher können ausgeliehen werden.

Wir sind stolz darauf, dass die Bibliothek jetzt den Namen eines Widerstandskämpfers trägt, der auch ein bedeutender theologischer Schriftsteller war, der in unserem Bezirk aufgewachsen und im Grunewald-Gymnasium zur Schule gegangen ist. Dietrich Bonhoeffer wurde von den Nationalsozialisten als Widerstandskämpfer ermordet.

Am Café Blisse, 10.5.2003, Foto: KHMM

Am Café Blisse, 10.5.2003, Foto: KHMM

Blissestr. 14

Blisse 14
Blisse 14 existiert seit 1980 erfolgreich als Sozialtherapeutisches Zentrum und Café für Behinderte und Nichtbehinderte. Träger ist die Fürst-Donnersmark-Stiftung. Es gibt regelmäßig ein ausführliches Veranstaltungsprogramm

Blissestr. 18

Eva-Lichtspiele

Eva-Lichtspiele ist eines der ältesten Kinos Wilmersdorf, auf jeden Fall das älteste der noch bestehenden Kinos. Es wurde 1914 als Ladenkino in einem Wohnhaus, gebaut und lief bis 1921 unter dem Namen Roland Lichtspiele. Die kleinteilige farbige Verplättelung der Fassade mit dem schwungvollem Namenszug stammt aus den 50er Jahren. Heute hat das Kino 250 Plätze.

Es ist eines der wenigen selbständigen Kinos, das nicht zu einem großen Kinokonzern gehört. Als Spezialität hat es immer auch Kinderfilme im Programm.

Findling aus Forchheim, 10.5.2003, Foto: KHMM

Findling aus Forchheim, 10.5.2003, Foto: KHMM

Ecke Mannheimer Straße

Findling der Partnerstadt Forchheim

Der Findling stammt aus dem Partnerlandkreis Forchheim. Er wurde 1991 hier aufgestellt, als die Partnerschaft offiziell mit einer Urkunde besiegelt wurde. Der Landkreis Forchheim hatte bereits 1974 eine Patenschaft für Wilmersdorf aufgenommen. Das war in der Zeit des Kalten Krieges eine Geste der Fürsorge: Den West-Berliner Bezirken sollte damit deutlich gemacht werden, dass sie nicht vergessen waren. Aus der Unterstützung entwickelte sich eine lebendige Partnerschaft, so dass der Begriff Patenschaft bald nicht mehr zutraf. Dieser Stein symbolisiert die Stärke der Partnerschaft, die wir auch heute als Fusionsbezirk Charlottenburg-Wilmersdorf weiter pflegen.

Friedrich-Ebert-Gymnasium, 10.5.2003, Foto: KHMM

Friedrich-Ebert-Gymnasium, 10.5.2003, Foto: KHMM

Friedrich-Ebert-Gymnasium

Das Friedrich-Ebert-Gymnasium wurde 1906 als Hindenburgschule eröffnet. Später erhielt es den Namen Treitschke-Schule, dann Fichteschule. Heute ist es ein Gymnasium mit mehr als 800 Schülerinnen und Schülern. Informatik wird hier als Abiturprüfungsfach angeboten, Englisch und Französisch als 1. oder 2. Fremdsprache, Latein in Kooperation mit dem Marie-Curie-Gymnasium.

Peter-A.-Silbermann-Abendgymnasium

Ebenfalls in dem Gebäude untergebracht ist die Peter-A.-Silbermann-Schule. Das älteste Abendgymnasium Deutschlands wurde 1927 gegründet. Es bietet kostenlosen Abendunterricht für Erwachsene an und führt zur Abiturprüfung. Leider gibt es Fusionspläne des Senats. Danach soll das Peter-A.-Silbermann-Abendgymnasium mit dem Abendgymnasiums Prenzlauer Berg zusammen gelegt werden. Der gemeinsame Standort wäre dann dort in der Pasteurstraße. Das käme einer Schließung dieses Abendgymnasiums gleich. Deshalb kämpfen wir als Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf um den Erhalt dieser Schule. Für viele der 350 Schülerinnen und Schüler hier ist die gute Erreichbarkeit Hauptkriterium für die Wahl dieser Schule. Nach Prenzlauer Berg würden die wenigsten folgen. Außerdem platzt die Schule hier aus allen Nähten. In Prenzlauer Berg könnten gar nicht alle Kurse untergebracht werden. Und die Zusammenarbeit mit dem Friedrich-Ebert-Gymnasium ist seit langem eingespielt und sehr gut. Viele Fachräume gäbe es in Prenzlauer Berg nicht mehr.

Fennsee

Der Fennsee erstreckt sich 650 Meter lang zwischen Uhlandstraße und Stadtring. Er ist Teil des Volksparks Wilmersdorf und erinnert daran, dass es sich beim Volkspark um den Teil einer Eiszeitrinne handelt, die sich von Nikolassee durch die Grunewaldseenkette über das Wilmersdorfer Sportgelände bis zum Rathaus Schöneberg erstreckte.

"Das Ding", 10.5.2003, Foto: KHMM

"Das Ding", 10.5.2003, Foto: KHMM

Uhlandstraße Ecke Am Volkspark

Volkspark Wilmersdorf, Skulptur “Das Ding”

Der Volkspark Wilmersdorf wurde 1912 als Park angelegt. Er zieht sich als etwa 2,5 km langer und ca. 150 m breiter Grünzug durch Wilmersdorf und Schöneberg.

An der Uhlandstraße steht “Das Ding”, eine 5m hohe Stahlbetonsäule mit farbenfrohen Keramikscheiben von Susanne Riée von 1968.

Sportplätze (ehemaliger Wilmersdorfer See)

Da wo sich heute die Sportplätze im Verlauf des Volkspark Wilmersdorf befinden, lag bis in die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts der Wilmersdorfer See. Er wurde nach dem ersten Weltkrieg wegen Verlandung und Verschmutzung zugeschüttet.

1879 kaufte der Bauernsohn Otto Schramm am Wilmersdorfer See Land, machte eine Badeanstalt auf und eröffnete ein Restaurant, das sich schnell vom Kaffeegarten zum riesigen Tanzpalast mit großem Biergarten entwickelte. Besonders bei verarmten Adeligen beliebt waren die Töchter der Wilmersdorfer “Millionenbauern”.

Der Schriftsteller Hanns Fechner hat den Tanzsaal am Seebad beschrieben:

“Einer von Schramms Söhnen hatte einen mächtigen Tanzsaal erbaut, wohin die tanzlustigen jungen Berliner gern pilgerten, um mit den Dorfschönen ein Tänzchen zu wagen. Auch manch eine junge Berlinerin zeigte sich wie elektrisiert, wenn es hieß: ‘Karlineken, wat meenste, morjen jehn wa bei Schramm, een danzen.’

Viel, viel Geld, ein Millionensegen hatte sich über die Großbauern während der Gründerjahre dieser Zeit ergossen. Die Bauern hatten ihre sonst so wertvollen Felder an die Eisenbahnverwaltung verkauft, die sie für die Ringbahn brauchte, und an Spekulanten, die eine schnelle Entwicklung der Stadt Berlin und ihrer Vororte erhofften. Selbst der Pfarrer, der das Kirchlein betreute, durfte jetzt über sehr reiche Jahreseinkünfte verfügen, weil auch überschüssiges Kirchenland verkauft werden konnte. Fast über Nacht waren diese Bauern zu Leuten geworden, die nicht wußten, wo sie mit dem vielen Gelde hinsollten…

An den Sonntagen sah man die Dorfschönen … in die schwersten seidenen Stoffe gekleidet, mit kostbarem Schmuck behangen, sich bei Schramms oder Herzsprungs im Tanze drehen. Manch eine Millionenbauerntochter wurde von dort frisch weggeheiratet.”

Auch Max Kretzer hat in seinem Roman “Der Millionenbauer” beschrieben, wie in den großen Ausflugslokalen am Wilmersdorfer See Liaisonen von Geld und Adel entstanden. In dem Roman von 1912 beschreibt er auch den Wilmersdorfer See aus der Sicht von zwei jungen Adeligen, die Schramms Gartenlokal besuchen:

“Aus dem Grün der gegenüberliegenden Seite ragten der Kirchturm und die roten Dächer der Wohnhäuser hervor, hin und wieder tauchte zwischen den Bäumen und Sträuchern eine Villa auf, die die Nähe von Berlin verriet. Still und schweigend, in tiefgrüner Färbung, lag der Spiegel des Sees da.

Es war eine kleine märkische Idylle, der die Eisenbahn von Tag zu Tag immer mehr das städtische Gepräge gab. Die friedliche Ruhe wurde nur von dem Lärm der Gäste im oberen Teil des Gartens unterbrochen. Rechts zeigten sich die Buden der Badeanstalt. Als Heckenstett sie erblickte, fragte er sofort, ob das das berühmte Wilmersdorfer Seebad sei, von dem er bereits so viel gehört habe? Er erinnerte sich dabei, daß eine kleine Putzmacherin ihm scherzhafterweise erzählt hatte, sie pflege jeden Sommer ‘ins Bad nach Wilmersdorf zu reisen.’”

An der Stelle des Seebades Schramm wurde 1925-28 der Schrammblock gebaut, eine der ersten Wohnanlagen mit Tiefgarage. Der Schrammblock befindet sich zwischen der Straße Am Volkspark und der Hildegardstraße.

Wilhelmsaue 116-117

Die Wilhelmsaue wurde 1888 so benannt. Von etwa 1300 bis 1875 hieß die Straße Dorfaue bzw. Dorfstraße, von 1875 bis 1888 Wilhelmstraße. 1895 wurde hier an der heutigen Ecke Uhlandstraße und Wilhelmsaue ein überlebensgroßes Denkmal des Kaisers Wilhelm I aufgestellt. Wann es wieder abgerissen wurde, wissen wir nicht.

An der Stelle der heutigen Uhlandstraße befand sich im 19. Jahrhundert der Sitz des Rittergutes Wilmersdorf. Es wurde 1899 von Carl Keller gekauft. Er eröffnete kurz danach hier den Viktoriagarten, ein großes Ausflugslokal mit Zugang zum Wilmersdorfer See. Die Reste des Viktoriagartens wurden in den 50er Jahren abgerissen. Der autobahnähnliche Ausbau der Uhlandstraße mit dem Durchbruch durch die Wilhelmsaue wurde in den 60er Jahren durchgeführt.

Damals folgte man im Städtebau noch dem Leitbild der autogerechten Stadt. Heute wäre ein solcher Kahlschlag mitten im historischen Stadtgebiet wohl so nicht mehr möglich.

Blissestift

Das Blissestift wurde 1911 als Waisenhaus eröffnet, erbaut aus einer 3-Millionen-Stiftung der Wilmersdorfer Bauernfamilie Blisse.
Heute ist es in der Verwaltung des Bezirksamtes Charlottenburg-Wilmersdorf. Hier ist unter anderem die zentrale Küche und Wäscherei für die bezirklichen Kitas untergebracht, außerdem eine Kita, Angebote freier Träger unter anderem für “Lückekinder” und Autisten und die Verwaltung der Drogenhilfe Tannenhof.

Wilhelmsaue 119

Auenkirche

Die Auenkirche ist der Nachfolgebau der abgerissenen ehemaligen Wilmersdorfer Dorfkirche. Die Dorfkirche, die seit 1766 auf dem heutigen Vorplatz der Kirche stand, wurde erst nach Fertigstellung der neuen Kirche abgerissen. Die neue Kirche wurde 1895 bis 1897 von Max Spitta im neugotischen Stil mit aufwendigem, kleinteiligem Dekor als dreischiffige Backstein-Hallenkirche gebaut. Einweihung war am 31.10.1897. 1889 wurde die Orgel von Furtwängler & Hammer aus Hannover eingebaut. Es ist eine bedeutende Großorgel der Jahrhundertwende.

1922 bis 24 und in den Jahren 2001 und 2002 wurde sie erweitert;. 1992 bis 1994 wurde die gesamte Kirche vollständig renoviert.

Dank der ausgezeichneten Akustik und der wertvollen Orgel finden hier regelmäßig Konzerte statt. Es gibt Konzertmitschnitte und Schallplatteneinspielungen diverser Berliner Rundfunkanstalten.

Wilhelmsaue 120

Das Landhaus wurde 1890-91 gebaut von Wilhelm Balk für die Familie Blisse. Es steht unter Denkmalschutz. Auch das Haus Wilhelmsaue 17 gegenüber ist eine bäuerliche Stadtvilla aus dem Ende des 19. Jahrhunderts.

Wilhelmsaue 122/123

Das Haus war früher im Besitz der Bauernfamilie Gieseler. Seit der Jahrhundertwende ist es städtisch, heute Kita.

Ecke Mehlitzstraße

Findling

Der Findling auf dem grünen Mittelstreifen wurde am 11.5.1933 von den Nationalsozialisten als Schlageter-Stein aufgestellt. Albert Leo Schlageter war 1923 aktiv am Widerstand gegen die Besetzung des Ruhrgebiets beteiligt und wurde von den Franzosen standrechtlich erschossen. Nach 1945 wurde der Stein mit einer Bronzetafel versehen, die an die ehemalige Dorfstraße erinnert.

Die Hauptstraße der früheren Dorfgemeinde Wilmersdorf erhielt 1888 in der Mitte eine Grünanlage.

Der Autor der “Schwarzwälder Dorfgeschichten”, Berthold Auerbach, lebte um 1860 in Berlin und beschrieb diese Gegend in einem Brief an einen Freund am 10. April 1863:

“Gestern war ich nach so langer Zeit wieder einmal in einem Dorfe. Der Frühling ist schön, und ich muß Lerchen hören, und die singen auch über dem Sandboden, in dem sich’s freilich schwer geht. Ich war in Wilmersdorf, einem Taglöhner-Orte in meiner Nachbarschaft; der Weg durch die Saaten that mir gar wohl, ich saß eine Stunde lang unter einem Weidenbaum am Wegraine, und das war eine glückliche Stunde, ich konnte doch auch wieder eimal in die Unendlichkeit hinein träumen. Im Dorfe hörte ich doch auch wieder einmal ein lebendiges Huhn gackern, sah lebendige Gänse und Schweine; man vergißt in Berlin ganz, daß Derartiges auch lebt, man sieht es immer nur gebraten. Man sollte nicht spotten über die übertriebene Naturbegeisterung der Berliner, wenn sie hinauskommen; wenn man in dieser künstlich gemachten Stadt lebt, erscheint alle Natur, das Alltäglichste wie ein Wunder.

Im Dorfe ist, wie in Norddeutschland fast immer, das Rittergut die Hauptsache, es ist stattlich in Viehstand und Maschinen.

Die Erquickung von gestern geht mir heute noch nach, und ich habe heute schon gut gearbeitet, freilich zu einer geschlossenen Arbeit bringe ich’s nicht. Es ist der dummste Streich, den ich machen konnte, nach Berlin zu siedeln; ich muß erfrischende Naturblicke haben, sonst verkomme ich.”

Kurz danach, um 1870, beschrieb Hanns Fechner den Entwicklungsstand des Dorfes:

“Um die Hauptstraße, die Aue in Wilmersdorf, mit ihrem urtümlichen Gemeindeteichlein, auf dem sich die Enten und Gänse in buntem Durcheinander tummelten, ihren schönen uralten Linden und Kastanien, lagen die Gehöfte der Großbauern von Wilmersdorf….

Ein köstlicher Winkel lag in der Westecke der Aue, so recht ein Dorado für den Maler. Das kleine Häuschen, hinter dem wunderbare Eiben von fast zweihundertjährigem Bestehen zeugten und mit ihrem tiefen Grün an italienische Farbenwirkungen erinnerten, wurde denn auch oftmals von Malern und Malerinnen zum sommerlichen Studienaufenthalt erwählt. Hier von dem Besitztum der Geschwister Mehlitz aus eröffnete sich ein Blick über das Fenn hinaus, das sich hinter Wilmersdorf bis nach Schöneberg hin erstreckte…”

Mehlitzstraße 12a

Die Straße wurde 1902 benannt nach dem Wilmersdorfer Bauern und Grundbesitzer Daniel Ludwig Mehlitz (1826-1900). In dieser Gegend wurden eine Reihe von Straßen nach Wilmersdorfer Bauernfamilien benannt: Wegener, Blisse, Gieseler und Schramm gehören dazu.

Nr.12a

Der Malerbetrieb Becker & Sohn ist einer der größten gewerblichen Arbeitgeber in Wilmersdorf. Der Neubau wurde 1995 errichtet.

Schoeler-Schlösschen, 10.5.2003, Foto: KHMM

Schoeler-Schlösschen, 10.5.2003, Foto: KHMM

Wilhelmsaue 126

Schoelerschlösschen
Das sogenannte Schoelerschlösschen ist das älteste Haus im Ortsteil Wilmersdorf. Es wurde 1752 als eingeschossiges Bauernhaus erbaut. Bereits 14 Jahre später baute der Kaufmann Hesse es um zu einem schlichten Herrenhaus über einem auffallend hohen Sockelgeschoss. Außerdem ließ er hinter dem Haus einen Park anlegen. Über die nächsten 100 Jahre gab es mehrere Eigentümerwechsel und kleinere Umbauten. 1893 wurde das Haus von dem bekannten Berliner Augenarzt Heinrich Schoeler erworben. Seine Popularität gab dem Haus den Namen “Schoelerschlösschen”. 1929 kaufte die Heimstätten AG einen Teil des Grundstücks, Park und Haus gingen an die Stadt. In der Nazizeit wurde das schöne Haus verunstaltet: Die Hitlerjugend zog ein, und 1935 wurde es um ein Stockwerk erweitert und umgebaut, obwohl auch die Nazis den historischen Wert des Gebäudes kannten. 1936 wurde hier eine “Heimatschau” eingerichtet. Nach Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg und Reparatur wurde das Haus von 1946 bis 2003 als Kindertagesstätte genutzt. Seit einem Brand Ende Februar 2003, bei dem die Küche in der ersten Etage ausbrannte, steht das Gebäude leer. Geplant war die Schließung der Kita allerdings bereits vor dem Brand, weil der erforderliche Einbau eines zweiten Rettungswegs zu teuer geworden wäre. Jetzt versuchen wir, Interessenten für eine kulturelle Nutzung zu finden, die das Haus zumindest teilweise öffentlich zugänglich machen. Immerhin ist es das älteste Haus im Ortsteil Wilmersdorf.

Schoelerpark

Rund um den Park hat seit 1930 Fritz Buck für die Heimstätten AG eine Wohnanlage gebaut. Hier entstanden 16 mehrgeschossige Wohngebäude mit 300 Kleinwohnungen. Dadurch ist die ehemals bedeutende barocke Parkanlage nicht mehr zu erkennen. Dafür bildet die naturbelassene, mit Buschwerk und alten Bäumen bestandene Wiese eine Oase für Vögel und Insekten.

Volkspark Wilmersdorf

Der Volkspark zwischen Kufsteiner und Rudolstädter Straße ist Wilmersdorfs größte Grünanlage. Er ist mehr als zwei km lang und wurde mit drei unterschiedlich gestalteten Bereichen angelegt. Wir befinden uns hier im mittleren Teil zwischen der Bundesallee und der Mecklenburgischen Straße auf dem Gelände des ehemaligen, verlandeten Wilmersdorfer Sees. Die Anlage dieses Teils wurde 1933 von Wilhelm Riemann begonnen, 1945 vollendet und 1960 neu gestaltet durch Eberhard Fink und Karl Schmid mit Sportanlagen Wiese und Blumengarten.

Der westliche Teil zwischen Mecklenburgischer und Rudolstädter Straße ist ein Landschaftspark um den langgestreckten Fennsee mit landschaftlich gestalteten Ufern.

Über den Volksparksteg gelangen wir über die Bundesallee in den östlichen Teil, der sich bis zum Schöneberger Rudolph-Wilde-Park am Rathaus Schöneberg hinzieht. Dieser Teil wurde 1912/13 von Richard Thieme als Landschaftspark gestaltet.

Volksparksteg

Die Fußgängerbrücke Volksparksteg verbindet die beiden durch den Ausbau der Bundesallee stark getrennten Bereiche des Volksparks. In der Nähe des Stegs wurde 1921 die Bronzeskulptur ,Speerwerfer` von Karl Möbius aufgestellt, 1954 ein Neuguss.

Vom Steg aus hat man einen freien Blick über die Bundesallee, die frühere Kaiserallee. Links befinden sich die Berliner Zentrale der Sparkasse, heute Teil der Landesbank Berlin und das Hochhaus Werner-Bockelmann-Haus, ein Seniorenwohnhaus mit Seniorenfreizeitstätte. Es wurde 1973 als Seniorenheim für 300 Personen erbaut.

Prinzregentenstraße

Die Prinzregentenstraße wurde 1888 benannt. Frühere Namen waren Halberstädter Straße, Oberfeldstraße und Promenade. Die Benennung soll, am 16. März 1888, sieben Tage nach dem Tod von Kaiser Wilhelm I. zur Erinnerung an dessen Prinzregentenzeit erfolgt sein.

Prinzregentenstraße 60

Oberstufenzentrum Industrie und Datenverarbeitung

Das Oberstufenzentrum Industrie und Datenverarbeitung wurde hier 1987 eröffnet. Es war eine der ersten Schulen in Deutschland mit einer modernen Computerausstattung.

Hier kann man sich ausbilden lassen zur Industriekauffrau bzw. Verlagskauffrau oder zur IT-Systemkauffrau bzw. IT-Informatikkaufrau, wobei die Kauffrauen natürlich auch Männer sein können.

Kläre-Bloch-Abendschule

Die Kläre-Bloch-Abendschule ist eine Fachoberschule zum Erwerb der Fachhochschulreife. Das Angebot umfasst die Bereiche Sozialwesen, Technik, Wirtschaft und Verwaltung. Der Abschluss “Fachhochschulreife” ermöglicht ein Studium an allen Fachhochschulen. Die Kurse sind kostenlos und dauern zwei Jahre. Der Unterricht findet zwischen Montag und Freitag an 3 oder 4 Abenden, jeweils ab 17.00 oder 18.30 Uhr statt. Es gibt noch freie Plätze für die neuen Abendkurse. Die Kurse beginnen am 18.8.2003 und sind geeignet für alle, die einen Realschulabschluss und eine abgeschlossene Berufsausbildung haben.

Kläre Begall, am 13.02.1908 geboren, wuchs in Schmargendorf und Halensee auf. Sie erwarb den Taxiführerschein und war mit 22 Jahren Berlins erste Taxifahrerin. Ihre Bildung und ihr politisches Engagement hat sie dem Romanischen Café zu verdanken, dessen intellektuelle Gäste sie als Taxifahrerin beförderte. Sie selbst sagte über das Romanische Café: “ Es war meine Universität”. Dort lernte sie 1931 auch Erich Bloch kennen, den sie nach dem Kriege heiraten sollte. 1938 zog Kläre nach Charlottenburg, Horstweg 22, Parterre. Sie versteckte dort mehrere Menschen vor den Nazis und rettete ihnen damit das Leben. Erich Bloch, als Jude und Kommunist verfolgt, verbarg sich bei ihr von 1943 bis zur Befreiung im Mai 1945.

Seine Mutter war schon 1941 nach Theresienstadt abtransportiert worden, die Schwester wurde 1943 in Auschwitz umgebracht. Kläre Bloch war eine lebensbejahende, zupackende und optimistische Frau. Ihre Schützlinge gerieten in große Gefahr, als Mitbewohner Kläre verdächtigten, sie verstecke Juden. Mit Temperament und Mut griff sie die Denunzianten öffentlich an und brachte sie zum Schweigen. Für andere, im Untergrund lebende Verfolgte besorgte Kläre mit Geschick und List Lebensmittelkarten, so dass auch sie bis zum Kriegsende durchkamen.

Prinzregentenstr. 33-34

Rudolf-Diesel-Hauptschule

Diese einzige Hauptschule Wilmersdorfs befand sich früher in der Gieselerstraße, von 1985 bis 1989 provisorisch in der Pfalzburger Str.23, und seit 1989 hier.

Der 1858 geborene Rudolf Diesel, der Erfinder des Dieselmotors, lebte um 1900 an der Kantstraße in Charlottenburg und am Kurfürstendamm in Halensee. Er starb 1913.

Prinzregentenstr. 66

Gedenktafel für Walter Benjamin, 1989 enthüllt

In dem früher hier stehenden Haus
lebte von 1930 bis zu seiner Emigration 1933
WALTER BENJAMIN
15.7.1892 – 27.9.1940
Literaturkritiker, Essayist und Philosoph, schrieb hier
Teile der “Berliner Kindheit um 1900”.
Freitod an der französisch-spanischen Grenze
wegen drohender Auslieferung an die Gestapo

Der brillante Kulturkritiker Walter Benjamin stammte aus einem wohlhabenden jüdischen Elternhaus. Mit seiner Familie folgte er dem für das wohlhabende Berliner Bürgertum um die Jahrhundertwende typischen Zug nach Westen. Die Familie lebte bis 1895 am Magdeburger Platz im Berliner Zentrum, zog dann in die Kurfürstenstraße im sogenannten Alten Westen, weiter an den Nettelbeckplatz, dann von 1902 bis 1912 in die Carmerstraße in Charlottenburg und schließlich in die Delbrückstraße 23 in der Villenkolonie Grunewald. Walter Benjamin bezog hier, in der Prinzregentenstraße 1930 mit 38 Jahren seine erste eigene Wohnung, in der er allerdings nur 3 Jahre bleiben konnte.

Sein Buch “Berliner Kindheit um 1900” gilt als eines der schönsten Berlin-Bücher überhaupt. Er bezeichnete die Gegend hier als Berlin W.W.W. in Anlehnung an die damals übliche Bezeichnung Berlin W.W. für die westliche City rund um den Kurfürstendamm. An seinen Freund Gershom Scholem schrieb er über seine neue Wohnung:

“Also um auf das Arbeitzimmer zu kommen, so ist seine Einrichtung zwar auch nicht abgeschlossen, aber schön und bewohnbar ist es. Auch stehen nun meine ganzen Bücher und selbst in diesen Zeiten sind sie mit den Jahren von 1200 – die ich doch längst nicht alle behalten habe – auf 2000 angewachsen. Merkwürdigkeiten hat dies Arbeitszimmer: einmal besitzt es keinen Schreibtisch; im Lauf der Jahre bin ich durch eine Reihe von Umständen, nicht nur durch die Gewohnheit viel im Café zu arbeiten, sondern auch durch manche Vorstellungen, die sich an die Erinnerung meines alten Schreibtisch-Schreibens anschließen, dazu gekommen, nur noch liegend zu schreiben. Von meiner Vorgängerin habe ich ein Sofa von wundervollster Beschaffenheit zum Arbeiten übernommen.Dieses ist also die erste Merkwürdigkeit und die zweite ein sehr weiter Blick über das alte zugeschüttete Wilmersdorfer Luch, oder wie es auch hieß, den Schrammschen See.”

Kurz nach der Einweihung der großen Wilmersdorfer Synagoge, die sich nur drei Häuser weiter in unmittelbarer Nachbarschaft befand, schrieb Benjamin an Scholem über die Vorteile seines Ateliers:

“Neben allen erdenklichen Vorzügen, vor allem dem der tiefsten Stille hat es innen – wie außen – architektonisch bemerkenswerteste Nachbarschaft. Einerseits, auf der Straße eine neue Synagoge, die ich, bis Rosch ha Schnah sie einweihte, für eine Ausgeburt protestantischen Theologengeistes im Kirchenbau hielt; andererseits, auf dem Flur, einen Vetter vor mir – Arzt – neben seiner Frau, mit denen ich erfreuliche Beziehungen unterhalte”.

Über die Synagoge werden wir gleich mehr erfahren. Von hier aus ist bemerkenswert, dass wir an der Ecke Waghäuslerstraße an die Wohnhäuser angelehnt Lauben sehen, die hier seit mehr als 50 Jahren stehen. Auf alten Fotos sieht man sie angelehnt an die damalige Synagoge. Während von der Synagoge kein Stein mehr übrig geblieben ist, stehen die Lauben immer noch.

Gedenktafel für die Synagoge Wilmersdorf, 10.5.2003, Foto: KHMM

Gedenktafel für die Synagoge Wilmersdorf, 10.5.2003, Foto: KHMM

Gedenktafel Synagoge

An dieser Stelle stand einst
die Synagoge Wilmersdorf
erbaut von Alexander Beer 1928-1930
eingeweiht am 16.9.1930
angezündet und zerstört von
Nationalsozialisten am 9.November 1938
Die Pogromnacht
“hat nicht nur Glas zerschlagen,
sondern auch unsere Träume und Hoffnungen,
ein gesichertes Leben in unserem Heimatland
führen zu können”.
Rabbiner Manfred Swarsensky

Die Ruine der schwer beschädigten Synagoge wurde in den 50er Jahren abgerissen und an ihrer Stelle das Wohnhaus des Allgemeinen Blindenvereins gebaut. Die Gedenktafel wurde am 9. November 1988 zum 50. Jahrestag der Pogromnacht enthüllt.

Für das Bezirksamt Wilmersdorf war die Entdeckung erschreckend, dass die Jüdische Gemeinde nach der schweren Beschädigung ihrer Synagoge in der Pogromnacht 1938 von der Wilmersdorfer Bauaufsicht aufgefordert wurde, auf eigene Kosten, die Schäden zu beseitigen, damit Passanten auf dem Gehweg nicht gefährdet wurden. Der Architekt Alexander Beer musste daraufhin 8 Jahre nach dem Bau der großen Synagoge ihren Teilabriss leiten.

Wir stellten uns als Bezirksamt Wilmersdorf die Frage, wieweit die Kommunalverwaltung im Nationalsozialismus mitgewirkt hat an der Ausgrenzung, Demütigung, Verfolgung und schließlich Deportation und Ermordung der jüdischen Bevölkerung. Wir haben unter anderem ein Buch herausgegeben mit dem Titel “Kommunalverwaltung unterm Hakenkreuz – Berlin-Wilmersdorf 1933 – 1945”. Und eine Reihe von Gedenktafeln sind als Ergebnis dieser Forschungen entstanden. Nach wie vor halten wir es für unsere Aufgabe, an diese Zeit zu erinnern, und wie Sie wissen tun wir dies auch immer wieder bei unseren Kiezspaziergängen.

Gedenktafel Blindenverein

Der Allgemeine Blindenverein Berlin e.V.
schuf hier mit Hilfe einer hochherzigen Spende
des Berliner Zahlenlottos
70 Wohnungen für blinde Mitbürger,
Berlin im Jahre 1959

Prinzregentenstraße 72

Carstenn-Villa

Dies ist einer der beiden Standorte der Musikschule Charlottenburg-Wilmersdorf. Der andere befindet sich in Westend in der Platanenallee 16. Hier in der Prinzregentenstraße 72 finden regelmläßig Konzerte statt, beispielweise die Reihe “Mittwochsalon” Mittwoch abends und die “Sonntagskonzerte” am Sonntag Nachmittag.

Die Bezeichnung “Carstenn-Villa” geht zurück auf den Großkaufmann, Stadtplaner und Bauspekulanten Johann Anton Wilhelm von Carstenn. Er gründete Lichterfelde und bewohnte dort auch ein Haus. Dieses Haus ist eines der wenigen übrig gebliebenen aus der kurzen Phase, in der Carstenn hier ein Siedlungsgebiet mit Ein- und Mehrfamilienhäusern entwickeln wollte. 1869 trug Carstenn dem damaligen preußischen König und späteren deutschen Kaiser Wilhelm I. seine Pläne vor: “Majestät, Berlin ist zur ersten Stadt des Kontinents berufen, und was seine räumliche Ausdehnung anbelangt, so muß Berlin und Potsdam eine Stadt werden, verbunden durch den Grunewald als Park.”

In Wilmersdorf wollte er seine Idee verwirklichen. Er kaufte das gesamte Gelände des damaligen Wilmersdorfer Rittergutes und ließ 1870 sehr prächtig die Kaiserallee anlegen, die heutige Bundesallee. Sie diente einerseits als Verbindung zwischen Berlin und Lichterfelde und sollte andererseits ein großes Siedlungsgebiet erschließen. Dazu ließ Carstenn ein symmetrisches System von Straßen und Plätzen anlegen, mit der Kaiserallee als Spiegelachse.

Auf dem Stadtplan ist die symmetrische Anlage von Prager Platz und Nikolsburger Platz, Nürnberger Platz und Fasanenplatz sehr schön sichtbar, und entsprechend südlich in Friedenau rund um den Friedrich-Wilhelm-Platz. Nachdem die Straßen und Plätze Anfang der 70er Jahre fertig und die ersten wenigen Häuser gebaut waren, geriet Carstenn aber 1873 in den sogenannten Gründerkrach: Er wurde davon besonders hart betroffen und in den Konkurs getrieben, weil er einen großen Fehler gemacht hatte: Er hatte seine Großprojekte zwar mit wohlwollender Unterstützung des Kriegsministers und sogar des preußischen Königs und deutschen Kaisers durchgesetzt, aber gegen den erbitterten Widerstand der städtischen Verwaltung und der Militärverwaltung. Die Gegnerschaft der Verwaltung wurde ihm in der Krise zum Verhängnis. Sie überzog ihn mit Forderungen, die er nicht mehr erfüllen konnte. Die Westausdehnung Berlins wurde um fast 20 Jahre unterbrochen. Dann, um 1890 entwickelte sich die Stadt hier ganz anders als von Carstenn geplant. Statt kleiner Landhäuser wurden jetzt 5stöckige Mietshäuser gebaut. Diese Villa ist eines der ganz wenigen von Carstenn geplanten und bis heute erhaltenen Häuser.

Prager Platz

1888 benannt, zuvor Halberstädter Platz.

1986 wurde der Platz in dieser Form entsprechend seiner historischen Struktur neu gestaltet. Die ursprüngliche Bebauung rund um den Platz wurde nach schweren Kriegsschäden bis auf ein einziges Haus am Prager Pl. 6 abgerissen. 1987 begannen mit der Internationalen Bauausstellung die Pläne zur Neubebauung.

Im Juni 2002 wurde die “Prager Passage” mit siebzehn Gewerbeeinheiten und einem Fitnessclub durch die Firma Trigon fertig gestellt. Damit ist die letzte Lücke am Platz geschlossen.

Die neuen Gebäude am Prager Platz zeigen das traditionelle architektonische Stilmittel der Eckbekrönung zur Betonung der Kopfbauten an den Straßeneinmündungen.

Der Prager Platz war in den 20er Jahren ein kulturelles Zentrum im Berliner Westen; gelegen in dem zu Wilmersdorf und Schöneberg gehörenden Bayerischem Viertel – einem Viertel mit hoher Lebensqualität, der sogenannten “Jüdischen Schweiz” -, lebten hier viele jüdische Bürger, Künstler und Intellektuelle.

Wir veranstalten hier alljährlich unser traditionelles “Fest der Nationen”. Bis morgen können Sie hier ein buntes, internationales Programm erleben. Und – nicht vergessen – am Stand der Bürgerbüros gibt es für 1 EUR die neue Wanderkarte Charlottenburg-Wilmersdorf.