Kiezspaziergang am 14.09.2002

"Wissenschaft und Technologie in der Spreestadt"

Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen und der Stellvertretende TU-Präsident Prof. Steinbach
Besichtigung von Einrichtungen der Wissenschaft und Wirtschaft: gedas, IAV, PTZ
Treffpunkt Ernst-Reuter-Platz Ecke Marchstr./Str. des 17. Juni vor dem TU-Architekturgebäude

Sehr geehrter Herr Prof. Steinbach

Sehr geehrte Damen und Herren!

Herzlich willkommen zu unserem heutigen Kiezspaziergang. Es ist ein ganz besonderer, und das sehen Sie schon an der Anwesenheit des TU-Präsidenten. Ihm und seiner Pressereferentin Stefanie Terp möchte ich herzlich danken für die Anregung und Initiative zu diesem heutigen Spaziergang. Es geht dabei um Technik, Wissenschaft und Wirtschaft, und wir werden drei Firmen besuchen, mit denen die TU eng zusammenarbeitet. Wir werden in den Firmen ein Stück Zukunft erleben, und ich bin schon sehr gespannt darauf. Zuvor werden wir auf dem Weg dorthin durch einen Kiez gehen, der eng mit der TU verbunden ist. Präsident Kutzler wird Ihnen dabei seine TU vorstellen.

Wir sind seit einigen Monaten mit der Technischen Universität im Gespräch und wollen gemeinsam eine stärkere Öffnung der TU gegenüber der Stadt, gegenüber unserem Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf erreichen. Dieser gemeinsame Spaziergang ist dafür ein gutes Zeichen.

Wir stehen hier am Ernst-Reuter-Platz, vor dem Architekturgebäude der TU gewissermaßen an einem Schnittpunkt zwischen Bezirk und TU.

Ernst-Reuter-Platz

Die Skulptur “Flamme” von Bernhard Heiliger wurde hier 1963 aufgestellt. Sie ist dem Andenken Ernst Reuters gewidmet. Nach ihm, dem ersten Regierenden Bürgermeister West-Berlins, wurde der Platz am 1. Oktober 1953 benannt – zwei Tage nach dem Tod Ernst Reuters. Er starb am 29. September 1953. Früher hieß die Straßenkreuzung “Am Knie” und davor “Umschweif”. Die Hauptverbindung zwischen dem Berliner Schloss und dem Schloss Charlottenburg knickte hier in Richtung Nordwesten zum Schloss Charlottenburg ab. Die Verbindung über Otto-Suhr-Allee und die Straße des 17. Juni bis zum Charlottenburger Tor hieß damals Berliner Straße, und die Verlängerung hinter dem Charlottenburger Tor hieß Charlottenburger Chaussee.

Der Platz wurde nach Planungen des Architekten Bernhard Hermkes Ende der 50er Jahre angelegt. Die sechsstrahlige Straßenkreuzung wurde zu einem Platz mit ovaler Mittelinsel und Kreisverkehr umgebaut. Die Mittelinsel wurde 1959 mit Wasserspielen und Hauptfontäne durch Werner Düttmann gestaltet. Die Platzanlage mit ihrer weitläufigen Bebauung und ihrem großzügigen Ausbau für den Autoverkehr ist ein typisches Beispiel für die städtebaulichen Vorstellungen der 60er und 70er Jahre.

Mit 180 m Durchmesser ist der Ernst-Reuter Platz der größte Rundplatz Berlins. Er wurde vor 5 Jahren saniert. Die Bürohochhäuser und die Gebäude der Technischen Universität, die den Platz umgeben wurden entstanden von den 50er bis zu den 70er Jahren. Sie sind heute allesamt Baudenkmale:

Ernst-Reuter-Platz 1, Das Institut für Bergbau und Hüttenwesen wurde 1954-59 von Willy Kreuer gebaut. Es ist ein 10-geschossiger Rasterbau mit blauer Glasfassade, daneben niedrigere Anbauten. Derzeit wird ein Abriss diskutiert wegen der hohen Kosten einer anstehenden grundlegenden Instandsetzung des Gebäudes und wegen der Möglichkeit, an dieser Stelle eine Öffnung vom Ernst-Reuter-Platz in den TU-Campus hinein zu schaffen.

Ernst-Reuter-Platz 2, IBM-Haus, 1960-61 von Rolf Gutbrod und Hermann Kiess

Ernst-Reuter-Platz 3-5, Bürohaus, 1971-74 von Geber & Risse; das 10stöckige Gebäude wurde entkernt und für rund 10 Mio Euro umgebaut.

Ernst-Reuter-Platz 6, Bürohaus, 1969-74 von Bernhard Binder

Ernst-Reuter-Platz 7, Telefunken-Haus, Bürohaus, 1958-60 von Schwebes & Schoszberger, für den Telefunken-Konzert. Es wurde in den 80er Jahren von der TU übernommen. Es war das erste Haus in Berlin, das über mehr als 20 Stockwerke verfügte. Von der Caféteria im 20. Stock aus hat man einen faszinierender Blick über ganz Berlin.

Ernst-Reuter-Platz 8, Osram-Haus, Bürohaus, 1956-57 von Bernhard Hermkes

Ernst-Reuter-Platz 9-10, Büro- und Geschäftshaus (Fa. Pepper), 1960-62, 1963 von Sobotka & Müller

Marchstraße

Die Marchstraße wurde bereits 1863 benannt nach dem Keramiker und Tonwarenfabrikanten Ernst March (1798-1847), und damit hat es eine ganz besondere Bewandtnis, aber darüber will ich Ihnen mehr sagen, wenn wir uns auf dem TU-Campus hier hinter dem Architekturgebäude befinden. Jetzt gebe ich das Wort an Herrn Kutzler, der uns etwas über seine TU erzählen will.

TU-Campus hinter dem Architektur-Gebäude

Villa Bell (zwei aneinander gebaute Häuser, ehem Villa Holtz, Bellstr.20 und ehem. Villa Stilke, Bellstr.16, heute Marchstraße 6 und 8) umgeben von den Instituten für Architektur, Heizungs- und Klimatechnik, Luft- und Raumfahrt, Elektrotechnik, Nachrichtentechnik, Wasserbau und Wasserwirtschaft und Mathematik.

Wir befinden uns hier auf dem Gelände der früheren Tonwarenfabrik Ernst March und Söhne. Der Keramiker und Töpfermeister Ernst March hat sie 1836 hier auf dem damaligen sogenannten ‘Thiergartenfeld’ gegründet. Von einer kleinen Töpferei entwickelte March seinen Handwerksbetrieb zum bedeutendsten Unternehmen der keramischen Industrie auf dem europäischen Kontinent, von der Töpferei für Tonformen für die Zuckerindustrie, Hartsteingut-Gebrauchsgeschirr über Baukeramik, Herstellung von Wasserrohren, figürlichen Dekorgegenständen, Garten-Vasen, Ziegeln und Mosaiksteinen zur Technischen Keramik, besonders für die Chemische Industrie. Die Erzeugnisse der Tonwarenfabrik March sind als Terrakotten, als Ornamente, Pilasterkapitelle, Balustradenschmuck, Reliefs undsoweiter an vielen wichtigen Berliner öffentlichen Gebäuden bis heute gut erhalten: zum Beispiel am Roten Rathaus, am Martin Gropius Bau und an der Friedrich Werderschen Kirche.

Nach dem frühen Tod des Gründers 1847 führte seine Witwe Sophie March das Unternehmen bis zur Übergabe an die Söhne Paul und Emil weiter und wurde eine der bedeutendsten Unternehmerinnen des 19. Jahrhunderts – eine absolute Ausnahmeerscheinung in der ansonsten männerdominierten Industrie. Unter Pauls Sohn Albert fusionierte die Fabrik 1902 mit anderen Unternehmen der Branche zur “Vereinigten Tonwarenwerke AG”, 1904 wurden die Fabrikationsanlagen auf diesem Gelände aufgegeben, denn Charlottenburg hatte sich zur Großstadt gewandelt, rund um die Fabrik waren immer mehr Villen entstanden, und die Bewohner fühlten sich durch die Fabrik gestört. Diese Villa ist die einzig übriggebliebene vom damaligen Villenviertel. Wie Sie sehen hat sich inzwischen die TU völlig dieses Geländes in dem Dreieck zwischen Landwehrkanal, Straße des 17. Juni und Marchstraße bemächtigt. Wir haben hier den interessanten Fall eines städtebaulichen Wandels vom Industriegebiet über ein gehobenes Wohngebiet zum Wissenschaftsstandort. In der Spreestadt, die wir derzeit neu entwickeln, wollen wir alle drei Funktionen vereinen. Aber darüber später mehr.

Marchstraße

Nr. 23-24 Hier befanden sich von 1989 bis1996 die letzten besetzten Häuser West-Berlins, in denen bis zu 200 Menschen lebten. Am 8.August 1996 wurden sie polizeilich geräumt. Im letzten Jahr hat die Firma Nippon das Gelände gekauft. Sie will hier einen neuen Forschungs- und Wissenschaftsstandort errichten. Allerdings ist wohl bis heute keine Finanzierung dafür gefunden.

Einsteinufer

Früher Charlottenburger Ufer, wurde 1955 nach dem Physiker und Nobelpreisträger Albert Einstein (1879-1955) benannt. Sie merken an den Straßennamen, dass wir uns hier in einem Wissenschaftskiez befinden. Die Franklinstraße wurde bereits 1892 nach dem Schriftsteller, Politiker und Naturwissenschaftler Benjamin Franklin benannt.

Marchbrücke

1912 von Heinrich Seeling gebaut

Der Landwehrkanal wurde 1845 bis 1850 angelegt. Er geht zurück auf eine stadtplanerische Konzeption von Peter Joseph Lenné, ist 10,3 km lang und verbindet den Oberlauf der Spree am Osthafen in Friedrichshain mit der Unterspree am Spreeeck in Charlottenburg. Der Kanal hat eine Mindesttiefe von 2 Metern und ist durchschnittlich 23 Meter breit. 1883-90 wurde das südliche Kanalufer umgebaut und mit einer steinernen Uferwand und Uferpromenade versehen. Das nördliche Ufer blieb dagegen in seinem ursprünglichen Zustand erhalten, da sich die Stadt Charlottenburg geweigert hatte, sich an den Kosten zu beteiligen.

Der Kanal diente als Entlastung für die stark befahrene Spree zur Versorgung der Stadt mit Bau- und Brennmaterial. Heute dient er vorwiegend der Vergnügungsschifffahrt und wird als belebendes Element in die Stadtbildpflege einbezogen. Für Radfahrer, Jogger, Wanderer und viele andere Erholungssuchende ist der Weg am Kanal entlang eine beliebte Ausflugsstrecke.

Im Bereich zwischen Landwehrkanal und Spreebogen entsteht die Spreestadt auf dem ehemaligen Industrie- und Gewerbegelände. Die Gesamtplanung hat mindestens die Größenordnung der Potsdamer-Platz-Bebauung. Seit dem 19. Jahrhundert befanden sich hier der Salzhafen, nach dem das Salzufer seinen Namen erhielt und die Königliche Porzellan-Manufaktur KPM, seit dem 20. Jahrhundert Siemens und Daimler Benz. Jetzt entsteht hier ein neues Stadtquartier für Wissenschaft, Dienstleistung, Gewerbe und Wohnen. Nach der Mercedes-Welt von Daimler Benz erweitert derzeit die KPM ihre Anlagen, und auch die Technische Universität Berlin erweitert sich in dieses neue Stadtgebiet hinein. (Herr Kutzler)

Bevor wir jetzt den Fußweg am Landwehrkanal entlang bis zur Doverbrücke gehen und dann zielstrebig die Betriebe ansteuern, die wir besichtigen werden, möchte noch die häufig gestellte Frage nach dem nächsten Spaziergang beantworten: Wie immer am zweiten Samstag im Monat von 14.00 bis 16.00 Uhr. Erfahrene Spaziergänger wissen, dass es meistens etwas länger dauert. Also am 12. Oktober um 14.00 Uhr treffen wir uns auf dem Theodor-Heuss-Platz am blauen Obelisken. Es wird durch die Villenkolonie Westend gehen.

Doverbrücke

1911 von Heinrich Seeling gebaut

Dovestraße

1892 benannt nach dem Physiker und Meteorologen Heinrich Wilhelm Dove (1803-1879)

Helmholtzstraße

1892 benannt nach dem Arzt, Physiker und Physiologen Hermann Ludwig Ferdinand von Helmholtz (1821-1894).

Morsestraße

1908 benannt nach dem Erfinder Samuel Morse (1791-1872).

Pascalstraße

1905 benannt nach dem Philosophen, Mathematiker und Physiker Blaise Pascal (1623-1662).

Nr. 11 Firma gedas – eine der führenden internationalen Systemintegratoren in der Informationstechnologie, mehr als 5000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Ca. 620 Mio EUR Umsatz jährlich

Carnotstraße

1992 benannt nach dem französischen Ingenieur und Physiker Nicolas Léonard Sadi Carnot (1796-1832)

Nr.1 Firma IAV, eine der bedeutendsten Denkfabriken der Autobranche

Pascalstr. 8-9 Firma PTZ, Produktionstechnisches Zentrum Berlin (Institut der TU und Fraunhofer-Gesellschaft), Fabrik der Zukunft