101. Kiezspaziergang am 8.5.2010
Über die Murellenberge und zur Waldbühne
Wirtschaftsstadtrat Marc Schulte
Treffpunkt: S-Bahnhof Pichelsberg, auf dem Bahnsteig
Sehr geehrte Damen und Herren!
Herzlich willkommen zu unserem 101. Kiezspaziergang. Frau
Thiemen ist heute nicht in Berlin. Sehr gerne habe ich für sie
die Vertretung übernommen. Mein Name ist Marc Schulte, und ich
bin in Charlottenburg-Wilmersdorf Bezirksstadt für Wirtschaft,
Ordnungsangelegenheiten und Weiterbildung. Ich freue mich auf
den gemeinsamen Spaziergang mit Ihnen durch das
Naturschutzgebiet Schanzenwald, Murellenschlucht und
Murellenberge, über den Denkzeichen-Pfad, der an die
Erschießungen während der Nazi-Zeit erinnert, und zur
Waldbühne. Diese Freilichtbühne wird ja seit 2009 von der
Firma Eventim bespielt, und Herr Gross von Eventim hat uns
versprochen, uns den Zugang durch den Bühneneingang direkt auf
die Bühne zu ermöglichen. Also auch diejenigen, die bereits
in der Waldbühne waren, werden sie heute aus einer ganz neuen
Perspektive sehen können, nämlich von der Bühne aus der
Perspektive der Stars die dort auftreten.
Heute, am 65. Jahrestag des Kriegsendes, werden wir mit dem
Denkzeichenpfad ein besonderes Mahnmal besuchen, das
eindrücklich an Opfer der Naziherrschaft erinnert, die häufig
vergessen werden, nämlich Desserteure und Befehlsverweigerer,
die den Krieg nicht länger mitmachen wollten und dafür mit
dem Tode bestraft wurden.
Bevor wir starten möchte ich Ihnen den Treffpunkt für den
nächsten Kiezspaziergang mitteilen. Wie Sie wissen finden die
Kiezspaziergänge immer am zweiten Samstag eines Monats ab
14.00 Uhr statt. Der nächste beginnt also am Samstag, dem 12.
Juni, und der Treffpunkt ist um 14.00 Uhr auf dem
Theodor-Heuss-Platz an der Ewigen Flamme. Auch im Juni wird
Frau Thiemen verhindert sein. Deshalb wird Baustadtrat
Klaus-Dieter Gröhler die Führung übernehmen und Ihnen das
Messegelände mit einer alten historischen und einer neuen
modernen Messehalle und mit dem Sommergarten zeigen. Von dort
wird es dann noch zur Deutschlandhalle und zum Mommsenstadion
gehen.
Pichelsberg
Während Pichelsdorf, Pichelswerder und der Pichelssee jenseits
der Bezirksgrenze liegen und zu Spandau gehören, liegen der
Pichelsberg und der zugehörige S-Bahnhof in Charlottenburg.
Auf dem Pichelsberg entstand in der Mitte des 18. Jahrhunderts
ein Forsthaus, in dem auch Speisen und Getränke angeboten
wurden, woraus wohl der Name des Berges entstanden ist. 1798
ließ Graf Kameke neben dem Forstaus einen 11 mal 13 Meter
großen, von einem Säulengang umgebenen Pavillon bauen, der
schnell zu einem beliebten Ausflugsziel wurde. Auf halber Höhe
am Berg entstand 1873 das Restaurant
“Reichsgarten”. 1874 wurde die Chaussee von
Charlottenburg nach Pichelsberg, die heutige Heerstraße,
fertig gestellt, und 1875 die Chaussee von Beelitz nach
Pichelsberg, die heutige Havelchaussee.
Försterei, Pavillon und Reichsgarten wurden 1943 stark
beschädigt, die Försterei 1952 abgetragen und der Pavillon
1964 abgerissen. Nach einem kurzen Zwischenspiel als
Filmstudiogelände seit 1958 wurden bis 1970 von Franz-Heinrich
Sobotka und Gustav Müller drei Wohnblöcke mit 12 bis 16
Stockwerken gebaut und 1974 ein Sport- und Erholungszentrum mit
Tennisplätzen, Sauna und Schwimmbad eröffnet.
Von dem einstigen Ausflugsziel ist nichts übrig
geblieben.
Am 2. Mai 1819, einen Monat nach dem Attentat des Jenaer
Burschenschaftlers Carl Ludwig Sand auf den Schriftsteller
August von Kotzebue, fand auf dem Pichelsberg ein
‘revolutionäres Treffen’ von Burschenschaftlern
statt, von dem die Nachwelt durch einen von der Polizei
abgefangenen Brief eines Studenten erfuhr. An dem Treffen
nahmen auch die beiden protestantischen Theologen Wilhelm
Martin Leberecht De Wette und Friedrich Schleiermacher und der
Philosoph Georg Friedrich Wilhelm Hegel teil. Nach
revolutionären Gesängen ging das Fest in ein Gelage über. Am
Ende hatten die Festteilnehmer 175 Glaschen Rheinwein zu
insgesamt 123 Talern geleert und für fast drei Taler Glas
zerschlagen.
Elsa-Rendschmidt-Weg
2005 wurde auf Antrag der Bezirksverordnetenversammlung der Weg
zwischen Sarkauer Allee und Glockenturmstraße nach Elsa
Rendschmidt benannt. Die deutsche Eiskunstläuferin lebte von
1886 bis 1969. Sie war Sportlerin des Berliner
Schlittschuh-Clubs, und sie war die erste deutsche Frau, die
bei Olympischen Spielen – nämlich 1908 in London –
eine Olympische Medaille errang. Sie erhielt bei den Spielen
die Silbermedaille im Eiskunstlauf und hatte weitere große
Meisterschaftserfolge: Vize- Weltmeisterin 1908 und 1910 und
Deutsche Meisterin 1911. Am Weg liegt die Heimstätte des
Berliner Schlittschuh-Clubs.
Glockenturmstraße, Erdgaslager
Die Straße wurde 1936 nach dem gerade fertig gestellten
Glockenturm benannt, zu dem die Straße direkt hinführt.
An der Glockenturmstraße 18 wurde 1992 in 800 m Tiefe eines
der größten europäischen unterirdischen Erdgaslager mit
einem Fassungsvermögen von bis zu 1,1 Milliarden Kubikmeter in
Betrieb genommen. Das dort gelagerte Erdgas reicht aus für die
Versorgung der Berliner Haushalte für ein Jahr. Anfang 2008
führte die GASAG eine Messkampagne
durch, um die zulässige Gesamtkapazität von 1,1 Milliarden
Kubikmeter voll ausnutzen zu können. Bis dahin waren nur 750
Millionen Kubikmeter Gas eingelagert.
Saudische Schule für Diplomatenkinder
Das Grundstück links von uns war in den letzten Tagen in den
Medien. Das Areal an der Ecke Angerburger Allee beherbergte
früher eine Kita, ein Jugendhotel und ein evangelisches
Gemeindezentrum und wird nun an Saudi-Arabien verkauft. Das
Land wird dort eine Schule für Diplomatenkinder betreiben. Es
wird sich um eine Ergänzungsschule handeln, also um eine
Schule, die zusätzlich zu den allgemein bildenden Schulen
Unterricht anbietet. Der Lehrplan muss der Schulaufsicht
vorgelegt werden.
Saudische Schulen gelten unter Sicherheitsfachleuten als
sensibel. So befassten sich nordrhein-westfälische
Verfassungsschützer vor Jahren mit der saudischen
„König-Fahd-Akademie“ in Bonn, weil einige Lehrer
islamistisches Gedankengut propagiert haben sollen. Die Schule
besteht übrigens schon in Berlin, in einem Gebäude am
Fürstenbrunner Weg.
Es gehört aber zur gängigen diplomatischen Praxis, dass
Schulen zuzulassen sind, wenn sie von Botschaften beantragt
werden. So gibt es auch eine Deutsche Schule in Riad.
Baustelle Eissporthalle
Wie Sie sehen und auf dem Bauschild nachlesen können, baut
hier das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf in eigener Regie
eine neue Eissporthalle als leider etwas verspäteten Ersatz
für die frühere Eissporthalle, die 1973 an der Jafféstraße
in unmittelbarer Nachbarschaft zur Deutschlandhalle errichtet
worden war. Als Heimstatt der “Capitals” wurde sie
überwiegend als Austragungsort für Meisterschaftsspiele im
Eishockey genutzt, außerdem als leistungssportliche
Trainingsstätte des Landessportbundes und als öffentliche
Kunsteislaufbahn und Eislaufdisko. Dank eines einlegbaren
Holzplattenbodens war auch eine multifunktionale Nutzung für
andere Sportarten und Popkonzerte möglich. Nach jahrelangen
Diskussionen wurde die Eissporthalle im April/Mai 2001 im Zuge
der Südausbaus des Messegeländes abgerissen. Ersatzweise
wurde die benachbarte Deutschlandhalle provisorisch für den
Eissport umgebaut. Sie sollte den Vereinen bis zum Bau einer
neuen Eissporthalle zur Verfügung stehen. Diese wird jetzt
hier auf dem ehemaligen Parkplatz neben der Waldbühne
errichtet. Die Deutschlandhalle wurde bereits
geschlossen.
Am 26.4.2009 fand mit einem Eishockey-Juniorenturnier der
Eisbären die letzte Veranstaltung in der Deutschlandhalle
statt.
Glockenturmstr. 3-5:
Horst-Korber-Sportzentrum
Das Horst-Korber-Sportzentrum wurde 1987-90 nach Plänen des
Architekten Christoph Langhof errichtet und nach Horst Korber
benannt. Er war Präsident des Landessportbundes Berlin und
Senator für Familie, Jugend und Sport. Das Zentrum ist eine
Sporteinrichtung des Landessportbundes Berlin e.V., es
beinhaltet eine 88m lange, 48m breite und 14m hohe
Großsporthalle mit 3.500 Sitzplätzen und ein Sporthotel mit
34 Einzelzimmern. Es ist ein Landesleistungszentrum für die
Sportarten Handball, Hockey, Volleyball und Leichtathletik. Die
beiden oberirdisch getrennt erscheinenden Bauteile sind über
die unteren Geschosse miteinander verbunden.
Durch Teilungsmöglichkeiten der Halle können zwei oder drei
Veranstaltungen zur gleichen Zeit durchgeführt werden.
Darüber hinaus stehen den Sportlern ein sehr gut
ausgestatteter Kraftraum, eine Sauna sowie Physiotherapie- und
Seminarräume zur Verfügung.
Eingang Murellenschlucht
Wir stehen annähernd in der Ost-West-Achse des
Olympiageländes, vor uns der Eingang der Murellenschlucht,
rechts die Waldbühne, links hinter dem früheren Parkplatz der
Erdgasspeicher der Gasag, hinter uns das Landesleistungszentrum
für Leichtathletik.
Vor uns erstreckt sich die Murellenschlucht mit der Anhöhe des
Murellenberges und weiter nördlich angrenzend der
Schanzenwald, ein weitläufiges Gelände, das schon im 19.
Jahrhundert militärisch genutzt wurde. In der Zeit des
Nationalsozialismus war es Kaserne und Exerzierplatz, nach dem
Krieg wurde es von den Briten genutzt. Nach dem Abzug der
Alliierten wurde es zum Übungsgelände der Polizei. Seit Ende
2007 ist es überwiegend öffentlich zugänglich.
Hinter der Waldbühne geht die Murellenschlucht in das Tal der
Fließwiese über, die ihren Namen einer Fließrinne verdankt,
die ursprünglich weiter Richtung Norden durch das Spreetal
verlief und in die Spree mündete.
Im 19. Jahrhundert erwies sich die Umgebung der Fließwiese
Ruhleben für die Anlage von Schießständen als günstig. 1855
wurde eine Gewehrprüfungskommission etabliert, aus der 1860
eine Militärschießschule und 1883 eine
Infanterieschießschule hervorging.
Durch die großräumige Anlage von Schießständen wurde für
Jahrzehnte eine Bebauung verhindert. Erst um 1920 wurde auf der
Ostseite der Fließwiese die Siedlung Ruhleben und um 1950 auf
der Westseite der Friedhof Ruhleben angelegt. Auf diesen
Flächen waren zuvor 70 bis 80 Jahre lang Schießstände.
Am Murellenberg existierten militärische Anlagen mit Kasernen
und Schießständen seit der Zeit um 1840.
Denkzeichen
Der Verkehrsspiegel, vor dem wir stehen, markiert den
Ausgangspunkt des “Denkzeichens zur Erinnerung an die
Ermordeten der NS-Militärjustiz am Murellenberg” von der
Berliner Künstlerin Patricia Pisani, das 2002 eingeweiht
wurde.
Unter den Nationalsozialisten wurde hier eine
“Wehrmachtshinrichtungs-stätte” errichtet: Am Hang
des Murellenberges wurden zwischen dem 12. August 1944 und dem
14. April 1945 Deserteure, Wehrdienstverweigerer und
Befehlsverweigerer unterschiedlicher Dienstgrade, mehrheitlich
nach Urteilen des Reichskriegsgerichtes, standrechtlich
erschossen. Die genaue Zahl ist nicht bekannt, ca. 230 sind
bisher namentlich ermittelt; viele der Exekutierten wurden im
Spandauer Fort Hahneberg beerdigt.
Erst 1998 hob der Deutsche Bundestag per Gesetz die
rechststaatswidrigen Entscheidungen der
“NS-Terrorjustiz” auf und sprach den Opfern
“Achtung und Mitgefühl” aus.
Eine Initiative der evangelischen Kreissynode und einzelner
Bürger bemühte sich seit 1994, später unterstützt von der
Bezirksverordnetenversammlung, um die Errichtung einer
Erinnungsstätte.
Im Herbst 2000 lobte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung
einen Wettbewerb für ein Mahnmal aus. Im März 2001 entschied
sich die Jury einstimmig für den Entwurf der Berliner
Künstlerin Patricia Pisani: 104 Verkehrsspiegel wurden entlang
des Waldweges von der Glockenturmstraße bis in die Nähe des
Erschießungsortes hinter der Waldbühne aufgestellt; der
authentische Ort ist nicht exakt bekannt. Auf 16 Spiegeln
informieren eingravierte Texte über das Geschehen in der
Murellenschlucht. Die Künstlerin erklärte ihre Installation
so: Wie Verkehrsspiegel auf Gefahrenstellen im Straßenverkehr
hinweisen, sollen sie auch hier eine spezifische Situation vor
Augen führen, die außerhalb des Gesichtsfeldes liegt und auf
diese Weise virtuell auf die verdrängten Verbrechen der
NS-Justiz verweisen.
Einer der Spiegel steht vor dem ehemaligen Reichskriegsgericht,
dem späteren Kammergericht und heutigen Luxuswohnkomplex in
der Witzlebenstraße und verweist auf die Geschehnisse im
Gebäude und auf diesen Ort.
Die ersten Texte auf den Spiegeln lauten:
“Im Zweiten Weltkrieg wurden von Wehrmachtgerichten etwa
30.000 Todesurteile verhängt und etwa 20.000 Todesurteile
vollstreckt, zunehmend wegen Fahnenflucht oder Zersetzung der
Wehrkraft
Bundessozialgericht 1991
Die Wehrmacht und ihre Gerichte sollten dazu beitragen, den
volkerrechtswidrigen Krieg zu führen.
Bundessozialgericht 1991
Die Anwendung der Höchststrafe, auch der Todesstrafe, wurde
nicht mehr individuell durch Gerichte, sondern durch
Führererlass generell als angemessen festgelegt.
Bundessozialgericht 1991
Die massenhafte Verhängung von Todesurteilen zielte auf
allgemeine Abschreckung und sollte um jeden Preis von allen
Soldaten auch gegenüber sinnlosen Befehlen unbedingten
Gehorsam erzwingen und jegliche Abweichung und Verweigerung mit
dem Tode bestrafen.
Bundessozialgericht 1991
Keiner der am Volksgerichtshof tätigen Berufsrichter und
Staatsanwalte wurde wegen Rechtsbeugung verurteilt; ebensowenig
Richter der Sondergerichte und der Kriegsgerichte.
Bundesgerichtshof 1995
Die von der Wehrmachtjustiz wahrend des Zweiten Weltkriegs
wegen Kriegsdienstverweigerung, Desertion/Fahnenflucht und
Wehrkraftzersetzung verhängten Urteile waren unter Anlegung
rechtsstaatlicher Wertmaßstäbe Unrecht.
Deutscher Bundestag 1997”
Sie sollten sich ausreichend Zeit nehmen, die Installation auf
sich wirken zu lassen. Wir gehen zunächst die Treppe hinunter
in die Schlucht.
Rechts werden Sie das zeltartige Bühnendach der Waldbühne
durch die Bäume schimmern sehen. Unten am Fuß der Treppe
werden wir den Denkzeichenpfad zunächst verlassen und links in
die Murellenschlucht gehen. Nach einem Rundgang durch das
Naturschutzgebiet werden wir später weiter oben wieder auf den
Denkzeichenpfad stoßen.
Murellenschlucht
Die für Berliner Verhältnisse ausgesprochen bewegte
Geländeoberfläche ist eiszeitlich entstanden. Der
Murellenberg, die Pichelsberge und die Erhebung, auf der das
Olympiagelände gebaut wurde, sind Teil dieser sogenannten
Kameslandschaft im Warschau-Berliner Urstromtal.
Die beiden Findlinge am Ende der Schlucht zeugen von diesen
eiszeitlichen Materialbewegungen.
Nach Westen hin öffnete sich die Murellenschlucht
ursprünglich zum Stößensee und wurde erst durch den Bau der
S-Bahn in Richtung Spandau unterbrochen.
Und noch ein weiterer Vorgang hat die Murellenschlucht stark
verändert: Nach 1948 wurde die Südböschung und Teile der
Schlucht mit Trümmerschutt verfüllt. Der große Parkplatz
sowie die Gebäude des Erdgasspeichers stehen auf dieser
Aufschüttung.
Der Höhenunterschied zwischen dem Talgrund und dem
Murellenberg beträgt knapp 30m.
Wir stehen vor dem Südhang des Murellenberges. Die Bedeutung
dieses Hanges insbesondere für die Wildbienenfauna war einer
der wesentlichen Gründe, das Gebiet unter Naturschutz zu
stellen.
Die Ausrichtung dieses Hanges nach Süden und die damit
zusammenhängende starke Sonneneinstrahlung, der sandige Boden
sowie die lockere Krautschicht mit vielen vegetationsfreien
Stellen bilden ideale Bedingen für die Hautflügler, die ihre
Nester im Boden anlegen und auf derart trocken-warme Standorte
angewiesen sind.
Nach der Bundesartenschutzverordnung gelten alle Wildbienen als
gefährdet und stehen deshalb unter besonderem Schutz.
An diesem Standort wurden bei einer Untersuchung in den Jahren
1991/92 mehr als 100 Arten nachgewiesen.
Das gesamte Gelände ist ca. 60 ha groß und erst seit Ende
2007 für die Öffentlichkeit zum größten Teil betretbar. Die
Polizei hatte sich auf Drängen des Bezirks hin bereit
erklärt, den Schanzenwald an die Forstverwaltung zu
übertragen. Für das gesamte Gelände wurde ein
Landschaftsplan ausgearbeitet und danach eine behutsame
Durchwegung dieses landschaftlich sehr interessanten Geländes
eingerichtet, um den Bereich für eine sanfte Erholungsnutzung
zu erschließen. Finanziert wurde dieses Projekt übrigens aus
Mitteln für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen der Deutschen
Bahn.
Auf den trockenen und nährstoffarmen Böden des Murellenberges
und des Übungsgeländes dominiert der für Berlin so typische
Kiefern-Eichenwald. Kiefern-Eichenwälder gehören laut
Berliner Naturschutzgesetz zu den besonders geschützten
Biotopen.
Die Baumbestände zeichnen sich aus durch eine starke
horizontale Schichtung (Kraut-, Strauch-, Baumschicht) sowie
einen sehr gemischten Altersaufbau mit hohem
Todholzanteil.
Insbesondere unter den Eichen und Kiefern gibt es einige
Exemplare, die an die 300 Jahre alt sind.
Altholzbestände sind vor allem für baumbewohnende
Fledermausarten, höhlenbrütende Vögel und holzbewohnende
Insekten von großer Bedeutung. Vor allem die
Fledermausbestände sind gefährdet. Durch umgestürzte Bäume
ergibt sich ein urwaldartiger Eindruck.
Damit unterscheidet sich dieser Bereich deutlich von den
Baumbeständen des Grunewaldes, die überwiegend aufgeforstet
wurden und von ihrer Art her sogenannte Altersklassenbestände
sind. Die Vielfalt der Lebensräume für die einheimische
Tierwelt ist dort deutlich geringer und entsprechend auch die
Artenzahl.
Mit der Öffnung am 28.11.2007 ist dieses Gebiet nach rund 150
Jahren militärischer Nutzung wieder öffentlich
zugänglich.
Trotz teilweise massiver Eingriffe in die Landschaft durch die
militärischen Anlagen wie Schießschutzwälle, Kugelfänge und
Zaunanlagen konnten sich dort relativ ungestört
Biotopqualitäten entwickeln. Ingesamt wurden ca. 25 ha
militärischen Übungsbereiches umgestaltet, ca. 8.300 qm
Fläche entsiegelt, 2,6 km Zäune und rund 20.800 t Abfälle
und Abbruch entfernt, davon 6.500 t gefährliche Abfälle.
Schießplätze
Wir gehen jetzt durch das Gelände. Sie werden zunächst auf
der linken Seite des Weges einen kleineren, 1,2 ha großen
ehemaligen Schießplatz sehen, dann rechts den rund 4 ha
großen ehemaligen Schießplatz. Die Schießplätze wurden
durch Schutzwälle gesichert. Am Ende des großen
Schießplatzes wurde ein Rastplatz mit Spielgeräten und
Sitzgelegenheiten geschaffen. Dort ist unser nächster Halt.
Rastplatz
Hier wurde ein Rastplatz geschaffen, der zugleich einen
Überblick über die frühere große Schießanlage ermöglicht.
Die Schießwände wurden weg geräumt. Entstanden ist eine
große Trockenwiese. Sie ist Lebens- und Nahrungsraum
zahlreicher Vogel-, Laufkäfer-, Schmetterlings- und
Wildbienenarten.
Wir gehen nun zunächst zum S-Bahn-Damm, der das Gelände im
Westen begrenzt. Von dort steigen wir auf den Murellenberg und
können die Murellenschlucht, durch die wir vorhin gegangen
sind, von oben betrachten. Oben werden wir dann auch wieder auf
den Denkzeichenpfad stoßen, der am Waldbühnengelände entlang
führt.
Zwischen der Umzäunung der Waldbühne und dem Zaun des
früheren Übungsgeländes werden wir bis zum Zielpunkt des
Denkzeichens gelangen, dem Punkt, von dem aus wir den
authentischen Erschießungsort einsehen können.
Blick auf den Erschießungsort
Sie sehen, dass die Verkehrsspiegel an dieser Stelle besonders
zahlreich sind und besonders dicht stehen. Die Denkzeichen
sollen für sich sprechen.
Die Texte auf den Spiegeln lauten unter anderem:
“Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit
der Waffe gezwungen werden.
Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild
frei zu äußern.
Artikel 4 (3) und 5 (1) Grundgesetz 1949
Hier, auf dem Gelände der ehemaligen Wehrmachterschießungsstatte Ruhleben am Murellenberg, wurden zwischen August 1944 und April 1945 mehr als 230 Menschen, überwiegend Wehrmachtsangehörig, zumeist wegen Fahnenflucht oder Wehrkraftzersetzung erschossen.
Der Erschießungsplatz lässt sich heute nicht mehr exakt lokalisieren.
Wir sind immer dran vorbeimarschiert, wenn wir zum Schießplatz
gelaufen sind. Da war so eine Art Kiesgrube. Ich glaube nicht,
daß die heute noch existiert.
Zeitzeuge, 1992
Einmal mussten wir antreten. Auf einem Exekutionsplatz wurde
dann einer hingerichtet. Wahrscheinlich ein
Fahnenfluchtiger.
Zeitzeuge, 1992
Da war ein Pfahl mit 70-80 cm Durchmesser, übermannshohe und
vollkommen zerfleddert, also da sind, Tausende sind da
gestorben. Es hat täglich mehrmals geknallt. Ich habe es
gezielt einmal gesehen.
Zeitzeuge, 1992
Ein Urteil wurde verlesen und drang in Bruchstücken zu mir
hinüber Der Obergefreite … Jahre alt … wegen
Fahnenflucht … zum Tode …, der Maat … Jahre
alt… gerichtet … wegen Feigheit vor dem Feinde
… zum Tode durch Erschießen…
Zeitzeuge, 1994
Wir wurden dazu gezwungen, uns im Dreieck aufzustellen, und
dann mussten wir zusehen, wie der arme Kerl da erschossen
wurde.
Zeitzeuge, 1992”
Wir stehen hier nahe dem höchsten Punkt des Murellenberges.
Vor uns befand sich das Munitionsdepot, das von den britischen
Alliierten für den Verteidigungsfall errichtet wurde und
später von der Berliner Polizei genutzt wurde und teilweise
noch immer genutzt wird. In den Lagerhäusern, die Sie unten
erkennen können, wurde alte Munition der Nationalen Volksarmee
und teils auch beschlagnahmtes Silvesterfeuerwerk
gelagert.
Von den Briten wurde zur Übung des Häuserkampfs ein Kampfdorf
errichtet. Es wurden typische städtische Situationen
nachgebaut: kleine Häuser, Hochhäuser, eine Kirche,
Supermarkt, Tankstelle, Telefonzellen, ein Bahndamm mit ein
paar U-Bahnwagen darauf. Das Übungsgeschehen konnte über
Videokameras und Lautsprecher von einer Zentrale aus beobachtet
und gelenkt werden.
Auch dieses Kampfdorf wird noch immer von speziellen
Polizeieinheiten wie dem SEK als
Übungsgelände genutzt.
Das noch immer von der Polizei genutzte umzäunte Gelände soll in den nächsten Jahren schrittweise freigegeben werden. Geplant ist auch eine Durchwegung von Ost nach West, die es bisher noch nicht gibt.
Wenn wir jetzt den Weg hinunter gehen kommen wir direkt auf die Zufahrtsstraße zum Bühneneingang der Waldbühne. Diese Zufahrtsstraße wird in diesem Jahr erneuert. Es gibt Anwohnerproteste gegen die Belieferung der Waldbühne über diesen Weg, der von der Siedlung Ruhleben her zur Waldbühne führt. Eine zunächst angedachte Alternative über das Olympiagelände hat sich allerdings als unpraktikabel erwiesen.
Die Waldbühne
Auf dem Areal des ehemaligen Reichssportfeldes errichtete
Werner March nach Plänen von Conrad Heidenreich 1934-36 die
Waldbühne in einem 30 m tiefen Kessel der Murellenschlucht. Er
nutzte dabei geschickt die vorhandene Geländeform. Gemäß der
nationalsozialistischen Konzeption als kultische und nationale
“Weihestätte” wurde sie im Stil eines griechischen
Theaters für 20.000 Zuschauer errichtet. Sie wurde am 2.8.1936
eröffnet als “Dietrich-Eckart-Bühne”, benannt
nach einem antisemitischen nationalsozialistischen
Schriftsteller, den Hitler als Gründungsmitglied der
NSDAP “meinen väterlichen
Freund” nannte.
Während der Olympischen Spiele fanden hier Wettbewerbe im
Boxen und Geräteturnen statt.
Nach dem Krieg wurde die kriegsbeschädigte Waldbühne
zunächst vor allem für Boxveranstaltungen genutzt. Legendär
waren der Boxkampf von Max Schmeling 1948 und die Trauerfeier
für Kurt Schumacher 1952.
1961 wurde der Bühnenbereich wieder hergestellt, und die
Waldbühne entwickelte sich zu einem beliebten kulturellen
Veranstaltungsort – auch für Freiluftvorführungen innerhalb
der Berlinale, die ja in früheren Jahren regulär im Juni
stattfand. Besonders beliebt waren dabei die
Publikumsentscheide.
1965 wurden große Teile der Sitzreihen bei Tumulten nach einem
Rolling-Stones-Konzert zerstört. Danach gab es in den 1960er
und 70er Jahren nur noch vereinzelte Veranstaltungen. 1980 trat
Bob Marley in einem sensationellen Konzert auf.
Danach pachtete der Konzertveranstalter Peter Schwenkow die
Waldbühne. 1982 wrude die Zeltdachkonstruktion über der
Bühne errichtet. Seither gibt es jedes Jahr eine Reihe von
Open-Air-Veranstaltungen mit Rock-, Pop- und Klassikkonzerten,
sowie Kinovorstellungen.
Am 30.6.1984 traten erstmals die Berliner Philharmoniker in der
Waldbühne auf – unter der Leitung von Reinhard Peters.
Das Experiment mit der Freiluft-Klassik wurde zum
Publikumsrenner: Das jährliche Konzert zum Abschluss der
Saison der Berliner Philharmoniker in der ausverkauften
Waldbühne ist inzwischen ein Highlight des Berliner
Veranstaltungskalenders.
Nach einer Ausschreibung des Berliner Senats für den neuen
Pachtvertrag ab 2009 wurde der Zuschlag an den Veranstalter
CTS Eventim gegeben. Ich freue mich
sehr, dass Herr Gross von Eventim heute extra für uns
hierhergekommen ist, uns den Zugang ermöglicht hat und uns
jetzt noch etwas über die Zukunftspläne für die Waldbühne
erzählen wird.
Glockenturm
Der Glockenturm wurde 1934-36 gemeinsam mit dem Olympiastadion
errichtet. Zwischen dem Glockenturm und dem Olympiastadion
erstreckt sich das Maifeld. Nach schweren Kriegsschäden
sprengten britische Pioniere den Turm am 15.2.1947 und
vergruben die Olympiaglocke auf dem Vorplatz. Die Glocke wurde
am 16.12.1956 wieder ausgegraben und vor dem Stadion
aufgestellt. Der Glockenturm wurde 1961-62 nach den Plänen des
Architekten Werner March neu errichtet, am 23.12.1961 wurde die
neue Glocke eingebaut.
Der 77,17 m hohe Turm bietet eine prächtige Sicht über das
Olympiagelände, den Grunewald mit dem Teufelsberg,
Charlottenburg und Spandau. Nach oben fährt ein
Expressaufzug.
Zur Fußballweltmeisterschaft 2006 wurde der Turm
einschließlich der Glocke für 7 Millionen Euro saniert. Die
Glocke darf allerdings nicht geläutet werden, da sie den Turm
in so starke Schwingungen versetzt, dass diese den gläsernen
Aufzug zur Aussichtsplattform gefährden könnten.
In der Halle unter dem Glockenturm wurde im Mai 2006 ein
Dokumentationszentrum zum Geschichtsort Olympiagelände
eröffnet. Die Ausstellung ist sehr empfehlenswert, und wer
möchte, kann sie jetzt noch besichtigen, und natürlich lohnt
sich auch immer eine Fahrt auf den Glockenturm. Von oben
können Sie sich noch einmal das gesamte Gebiet, durch das wir
heute spaziert sind, anschauen, außerdem natürlich das
Olympiastadion und ganz Berlin.
Über die Passenheimer Straße und die Schirwindter Allee
erreichen Sie in wenigen Minuten wieder den S-Bahnhof