HIER WOHNTE
HELGA
ARNDTHEIM
VERH. MELMED
JG. 1927
DEPORTIERT 18.10.1941
LODZ / LITZMANNSTADT
1943 AUSCHWITZ
1945 BERGEN-BELSEN
BEFREIT
Helga Arndtheim war das einzige Kind ihrer Eltern Georg und Frieda Arndtheim. Sie kam am 28. Dezember 1927 in Berlin auf die Welt.
Die Arndtheims wohnten seit 1926 in der heutigen Fechnerstraße 5, die damals noch Lauenburger Straße und ab 1938 Walter Fischer Straße hieß.
Helga hatte eine behütete und glückliche Kindheit, die Mutter war zwar streng, aber sie kümmerte sich liebevoll um die Tochter. Zusammen mit den Eltern besuchte Helga ihre Verwandten, ging ins Kino und in den Zoo und verbrachte die Sommer in dem Landhaus der Arndtheims außerhalb Berlins.
Während des Besuchs der Grundschule am Nikolsburger Platz ab 1933 war es vorbei mit der Unbeschwertheit und Helga erfuhr bald die Diskriminierungen durch ihre Lehrer und Mitschüler. Die Eltern schulten sie um in die „Private Jüdische Waldschule Kaliski“ in Dahlem, wo den jüdischen Kindern mehr Schutz und Geborgenheit zuteil wurde. 1939 musste die Schule schließen und Helga blieb von nun an zuhause.
In der Nacht zum 18. Oktober 1941 wurden Georg, Frieda und Helga von der Gestapo aus ihrer Wohnung abgeholt. Innerhalb kürzester Zeit mussten sie notwendige Dinge zusammenpacken. Helga erinnerte sich, dass ihre Mutter ihr so viele Kleidungsstücke wie möglich übereinander anzog, damit sie die bevorstehende Kälte besser ertrüge.
Die Familie wurde zunächst in die Levetzowstraße gebracht. Eine Synagoge diente als Sammelstelle zur Vorbereitung auf die Deportation.
Es begann eine lange Reise ins polnische Łódź. Die Familie Arndtheim wurde im Ghetto in einer Behausung im Bleicherweg 16 untergebracht. Alle drei wurden sogleich zur Zwangsarbeit herangezogen, Georg musste im Außenbereich arbeiten, Frieda in einer der zahlreichen Nähereien, in denen Uniformen für die Wehrmacht hergestellt wurden und die 14-jährige Helga in einer Werkstatt, in der sie u.a. Knöpfe annähte, Blumen bastelte, „making stupid things for stupid German ladies“, wie sie selbst es ausdrückte.
Im Juni 1942 musste Helga mit ansehen, wie ihr Vater starb. Er war auf der Straße willkürlich angeschossen worden und konnte sich noch ins Haus schleppen, wo er nach der schweren Schussverletzung verblutete.
Sechs Monate später wurde Helga 15 Jahre alt. Ihre Mutter konnte ihr – eine Kostbarkeit – eine Zwiebel schenken, die sie irgendwo im Ghetto aufgetrieben hatte. Noch in derselben Nacht starb Frieda Arndtheim, an Lungentuberkulose erkrankt und halb verhungert.
Helga hatte im Ghetto Verwandte, die sich ihrer vorübergehend annahmen. Bald wurde sie zusammen mit sieben weiteren Waisenkindern von Chaim Mordechai Rumkowski, dem „Ältesten der Juden in Litzmannstadt“ in eine gesonderte Unterkunft gebracht, in der die Lebensbedingungen etwas besser waren.
1943 wurde diese Gruppe von Kindern nach Auschwitz transportiert. Helga überlebte Selektion und die darauf folgenden Monate in dem Vernichtungslager, bis sie weitertransportiert wurde in das Außenlager des KZ Neuengamme, Hamburg Sasel. Während der gesamten Zeit blieb die Gruppe der vier Waisenmädchen aus Łódź zusammen. Sie wurden zur Schwerstarbeit, der Räumung von Trümmern nach der Bombardierung Hamburgs, eingesetzt.
Im April 1945 wurde das Außenlager geräumt und die jungen Frauen nach Bergen – Belsen geschickt. Den langen Marsch mussten sie zu Fuß zurücklegen, die nackten Füße nur durch ein paar Lumpen oder Zeitungen geschützt.
Als die britischen Truppen Bergen Belsen befreiten, wog Helga noch 23 kg. Sie war an Typhus und Tuberkulose erkrankt und verbrachte die folgende Zeit im Militärkrankenhaus.
Dank des Einsatzes von Folke Graf Bernadotte gehörte Helga Arndtheim zu den ehemaligen KZ Häftlingen, die in Schweden eine Zuflucht finden sollten. In Sigtuna, in der Nähe Stockholms, konnte sie sich in einem Krankenhaus monatelang von den Strapazen der KZ Haft erholen und wieder zu Kräften kommen.
Hier lernte sie den deutschen Geschäftsmann Hans Schröder kennen, der Nazideutschland frühzeitig verlassen hatte. Er kümmerte sich um Helga und nahm sie schließlich in seine Familie auf, wo sie mit dessen zwei Töchtern eine schwesterliche Beziehung verband.
Ihre Tante Paula Bein, Schwester ihrer Mutter Frieda, hatte von den USA aus, wohin sie emigrieren konnte, über internationale Suchdienste nach Frieda, Georg und Helga geforscht. Schließlich fand sie Helga in Schweden. Sie erwirkte für ihre Nichte eine Einreiseerlaubnis in die USA. 1948 verließ Helga den europäischen Kontinent und begann ihr neues Leben in Amerika.
Die erste Zeit lebte Helga bei Tante Paula und deren Familie in New York, beschloss dann aber, sich in Philadelphia zur Krankenschwester ausbilden zu lassen. Ihre jüdische Mitstudentin war Leebe Melmed; die beiden Frauen wurden schnell beste Freundinnen. Leebe lud Helga zu sich nach Hause ein. So lernte Helga Leebes Bruder Charles kennen. Es war Liebe auf den ersten Blick.
Helga und Charles Melmed heirateten, zogen nach Florida, bekamen vier Kinder und zahlreiche Enkelkinder.
1977 besuchte Helga Melmed zum ersten Mal nach ihrer Deportation ihre Geburtsstadt Berlin auf Einladung des Berliner Senats.
Im Mai 2019 erfolgte ein zweiter Besuch anlässlich der Ausstellung „50 Jahre Besuchsprogramm des Berliner Senats für NS-Verfolgte“.
Die Biografie von Helga Melmed Arndtheim basiert auf dem zweistündigen Videointerview, das sie 1997 der von Steven Spielberg gegründeten USC Shoah Foundation gab.
Biografische Zusammenstellung: Karin Sievert
Stolpersteininitiative Charlottenburg-Wilmersdorf
Quellen:
Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945
Loose: „Berliner Juden im Getto Litzmannstadt 1941-1944
Berliner Adressbücher – Zentral- und Landesbibliothek Berlin
Yad Vashem – Opferdatenbank
Landesarchiv Berlin – Geburts- und Heiratsanzeigen;
Katalog:“Charterflug in die Vergangenheit – 50 Jahre Besuchsprogramm des Berliner Senats für NS – Verfolgte“;
USC Shoah Foundation :Jewish Survivor Hega Melmed Testimony https://www.youtube.com/watch?v=wsDT_HoHcco
Artikel über Helga Melmed in der Herald-Trbune