HIER WOHNTE
ELSA LINDER
GEB. EPSTEIN
JG. 1894
DEPORTIERT 28.3.1942
PIASKI
ERMORDET IN
TRAWNIKI
Elsa Recha Linder geborene Epstein wurde am 6. Juni 1894 in Berlin-Friedrichshain geboren.
Ihr Vater war der 32-jährige Kaufmann Max Epstein (* 22. August 1861) aus Neudeck (Świerklaniec, Polen). Ihre Mutter Euphemie Epstein geborene Blandowsky (* 1. Dezember 1869) kam aus Beuthen (Bytom, Polen) und war bei Elsas Geburt 24 Jahre alt. In Beuthen hatten die Eltern am 26. November 1888 geheiratet. Ein Jahr später, am 29. September 1889, kam ihr erstes Kind Erna in der Mendelssohn Straße 15 in Berlin zur Welt. Danach zog die Familie in die Marsiliusstraße 6 in Berlin-Friedrichshain. Hier wurde ihr zweites Kind Käthe am 22. März 1892 geboren.
Die Freude war sicherlich groß im „Drei-Mädel-Haus“, als 1898 endlich der langersehnte Sohn und Bruder Alfons Erich geboren wurde. Erich durfte das Gymnasium besuchen. Die drei Mädchen blieben, wie damals üblich, ohne Beruf. Die älteste Tochter Erna heiratete schon 1910, mit 20 Jahren, den Konditor Sigmund Adler. Bei der Trauung war ihr Vater Max Epstein Trauzeuge und gab als Beruf „Gastwirt“ an. Zusammen mit seinem Schwiegersohn baute er die Konditorei „Adler“ am Wittenbergplatz auf.
1914 brach der Erste Weltkrieg aus. Elsas Bruder Erich verließ mit 17 Jahren als Primaner die Schule, um sich freiwillig zum Kriegseinsatz zu melden. Am 8. Januar 1915 starb er, wie in der Todesanzeige angegeben, den „Heldentod fürs Vaterland in den Kämpfen im Westen“. Die Familie lebte damals in der Niederwallstraße 31 in Berlin-Mitte.
Schon zwei Monate später verlobte sich Elsas Schwester Käthe mit dem Opernsänger Erich Suckmann vom Hamburger Stadttheater. Sie heiratete ihn jedoch nicht. Die Ehe schloss sie am 15. Februar 1917 mit ihrem gleichaltrigen Cousin Arno Epstein (* 30. April 1892), Sohn ihres Onkels Hugo Epstein.
Zehn Jahre später, am 17. April 1927, starb Elsas Vater nach kurzem Leiden mit 65 Jahren in seiner Wohnung in der Nassauischen Straße 7 – 8. Elsas Mutter Euphemie Epstein wurde mit 58 Jahren Witwe und Elsa mit 32 Jahren Halbwaise. Sie arbeitete damals als Kassiererin. Wann und wo sie den sechs Jahre jüngeren Ludwig Linder (* 5. September 1900) kennenlernte, ist nicht bekannt. Er wohnte in der Augsburger Straße 29 in Berlin-Charlottenburg und war gebürtig aus Augsburg in Bayern. Elsas Schwager, der Konditoreibesitzer Siegmund Adler, Ehemann ihrer Schwester Erna, war Trauzeuge bei der Hochzeit.
Am 11. Mai 1930 wurde Elsas und Ludwigs Tochter Ursula Henriette geboren. Gut ein Jahr nach ihrer Geburt ließ sich Ludwig Linder von Elsa scheiden, um im Dezember 1931 eine andere Frau zu heiraten. Diese Ehe wurde 1934 ebenfalls geschieden. Ludwig Linder heiratete daraufhin ein drittes Mal.
Im September 1935 starb Elsas Schwager Siegmund Adler mit 54 Jahren. Es ist anzunehmen, dass seine Konditorei in dieser Zeit „arisiert“ wurde, d. h. einen nicht-jüdischen Eigentümer bekam.
Elsa lebte weiterhin mit ihrer Tochter bei ihrer Mutter in der Nassauischen Straße. Als Ursula 1936 eingeschult wurde, gab Elsa den Namen des Vaters ihrer Tochter mit dem Vermerk „katholisch” an. Auf dem Feld „Religion” war auf Ursulas Schulkarteikarte deshalb „halbjüdisch” vermerkt.
Bei der „Minderheiten-Volkszählung“ am 17. Mai 1939 waren aus der Familie Epstein nur noch Elsa und Ursula in der Nassauischen Straße gemeldet. Elsas Mutter war zu ihrer Tochter Käthe nach Den Haag in die Niederlande gereist. Elsas Schwester Erna konnte Anfang 1939 nach Palästina flüchten.
Fünf Monate später mussten Elsa und Ursula aus der Nassauischen Straße ausziehen. Sie wohnten fortan zur Untermiete bei Emmy und Max Berliner in der Brandenburgischen Straße 46. Elsa arbeitete damals als Köchin, um den Lebensunterhalt bestreiten zu können.
Ursula wechselte am 23. Oktober 1941 mit 11 Jahren von der 6. Jüdische Volksschule in die 8. Jüdische Volksschule an der Joachimsthaler Straße 13. Am 14. März 1942 musste sie ein weiteres Mal mit ihrer Mutter umziehen. Sie wohnten jetzt in der Würzburger Straße 7 bei Alice und Lisa Heymann. Dieses war ihre letzte Adresse in Berlin. Von hier aus wurden sie 14 Tage später deportiert.
Am 28. März 1942 verließen 973 Jüdinnen und Juden, darunter Elsa und Ursula Linder, in einem Zug, der hauptsächlich aus Viehwaggons bestand, Berlin. Der Zug war zwei Tage unterwegs und erreichte den Bahnhof Trawniki am 30. März 1942. Von hier aus mussten sie zu Fuß in das ca. 12 km entfernte Ghetto Piaski gehen. Im Lager Trawniki wurden sie später ermordet bzw. konnten aufgrund der katastrophalen Verhältnisse nicht überleben.
Elsa Recha Linder musste mit ca. 47 Jahren und ihre Tochter Ursula mit ca. 12 Jahren aufgrund von Rassenwahn, Verschwörungstheorien und Unmenschlichkeit sterben.
Elsas Mutter Euphemie Epstein wurde aus den Niederlanden nach Auschwitz deportiert und dort am 22. Mai 1944 ermordet. Sie starb mit 74 Jahren.
Text und Recherche: Gundula Meiering, Januar 2025
Quellen:
Gedenkbuch, Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945 – Bundesarchiv; Mapping the Lives; Berliner Adressbuch; Amtliche Fernsprechbücher Berlin; Arolsen Archives – Deportationslisten, Karteikarten; Personenstandsunterlagen / über Ancestry; My Heritage