Stolpersteine Gieselerstraße 16

Hausansicht Gieselerstr. 16

Diese Stolpersteine wurden am 16.6.2016 auf Wunsch einer Verwandten, Kimberly Gladman Jackson (Massachusetts, USA), verlegt. Großneffe Stanley Jackson (USA) mit seinen Kindern Carmen (15), Caide (20) und Miles (23) sowie Meli Solomon (Berlin) waren bei dem Gedenken anwesend.

Stolperstein Wolf Max Silberstein

HIER WOHNTE
WOLF MAX
SILBERSTEIN
JG. 1871
DEPORTIERT 5.8.1942
THERESIENSTADT
1942 TREBLINKA
ERMORDET

Stolperstein Irma Silberstein

HIER WOHNTE
IRMA
SILBERSTEIN
GEB. HAMBURGER
JG. 1878
DEPORTIERT 5.8.1942
THERESIENSTADT
1942 TREBLINKA
ERMORDET

Wolf Max Silberstein wurde am 17. April 1871 in dem Dorf Sköpen im Norden Ostpreußens geboren. Irma Silberstein geb. Hamburger wurde am 5. Oktober 1878 in Wien geboren. Sie hatten einen Sohn Fritz, dem es gelang, rechtzeitig nach New York zu flüchten. Wolf Silberstein wurde in der Familie „Max“ genannt. Im Adressbuch stand er unter „Zelluloidartikel“, später als „Kaufmann“.

Es ist nicht bekannt, wo sich Max und Irma kennenlernten und wann und warum sie nach Berlin kamen. Seit 1915 lebten sie in der Gieselerstraße 16 in der Parterrewohnung, die 3 ½ Zimmer hatte und Anfang der 1940er Jahre 107,51 Reichsmark Miete kostete. Weil sie diesen Preis zu dieser Zeit – beide waren Zwangsarbeiter bei den Riedel-Werken in Britz, er für 19 RM, sie für 18 RM Wochenlohn – nicht mehr aufbringen konnten, mussten sie zwei Untermieterinnen aufnehmen: Ruth Panthauer, die für 20 RM in dem halben Zimmer, einer fensterlosen Kammer, unterkam und Meta Wistinetzki, die in einem der Zimmer für 80 RM wohnte. Beide tauchen auf den Deportationslisten nicht auf.

Die Wohnungseinrichtung war, wie aus der Vermögenserklärung, die Max und Irma vor ihrer Deportation ausfüllen mussten, ersichtlich ist, alles in allem bescheiden, wenn man von einem Kronleuchter absieht. Immerhin wurden die Möbel sowie die Bekleidung und Wäsche auf 1926 Reichsmark geschätzt, wovon allein ein Apothekenschrank 350 RM ausmachte. Am 6. Oktober 1942 ist die Wohnung, in der sie ungefähr 37 Jahre lang gelebt hatten, geräumt worden. Für 1138,20 RM wurde das Inventar an die Händlerinnen Adeline Bernick in der Koppenstraße am Ostbahnhof und Marie Barber in der Boddinstraße in Neukölln verscherbelt. Sie haben den Besitz der Silbersteins weiterverkauft.

Wolf und Irma Silberstein waren am 5. August 1942 mit 100 Menschen, von denen nur neun überlebten, vom Anhalter Bahnhof nach Theresienstadt deportiert worden. Am 26. September 1942 wurden beide mit 2008 Menschen nach Treblinka weiterdeportiert. Sie wurden alle ermordet.

Der Nachbar Willi Cluv, Schlosser von Beruf, bat den Oberfinanzpräsidenten die Wohnung „nach Entfernung der jüdischen Möbel“ seiner Tochter zu überlassen. Aber ihm wurde geantwortet, sie sei schon zum 1. Oktober „an die Jüdin Schmuliwitz“ vermietet.

1952 erkundigte sich die Nichte Charlotte Silberstein aus Israel nach dem Verbleib eines Gepäckstücks, das sie habe bekommen sollen. Es sei aber von dem Spediteur versteigert worden. Sie beanspruche den Inhalt. Das Gepäckstück wurde nie gefunden.

Text: Stolpersteine-Initiative Charlottenburg-Wilmersdorf
Quellen: Bundesarchiv, Theresienstadt-Archiv, Brandenburgisches Landeshauptarchiv

Zum Gedenken an die ermordeten Silbersteins wurde von den Angehörigen nach dem Verlegen der Stolpersteine diese Ansprache verlesen:

bq. We gather here today to remember our relatives Wolf Max and Irma Silberstein. To the oldest generation of us now alive, they are a great-uncle and great-aunt; none of us can claim to hold them in our living memory. So what is it, on this day, we can say we know of them? At the same time very little, and so much.
We know that their American nephew Eugene visited them at this address, along with his wife Ella and his young sons Morton and Robert, in 1929. Afterward Ella, in a travel diary that has survived, recorded that she found Max and Irma “warm, kind. . .I like them.” We know, too, the facts engraved upon these stones: that they were deported from here to Theresienstadt, in August of 1942, and from there the following month, to Treblinka, where they died. A few affectionate, penciled words; a few grim entries in the archives. It is very little, hardly enough to sketch an outline of two people’s lives.
And yet in another sense, we know so much. We know that there were many people, in this country and outside it, whose actions and inaction contributed to Max Wolf and Irma’s deaths. People who filed the paperwork and ran the trains; politicians who argued and closed doors to refugees. Looking upon these stones, we know their cruelty, their selfishness, their moral blindness.
At the same time, we know that there are many people, in this country and outside it, who have worked to preserve Wolf and Irma’s story, and to learn from it. People who digitized the records and put the archives online; people who worked to create the Stolperstein project, and to help it thrive; the people whose hands build this memorial today. Looking upon these stones, we know their compassion, their honesty, their moral vision.
At Passover, Jews are enjoined to make the Exodus story our own, thereby renewing out commitment to work for the liberation of all who today, remain unfree. So too may the words upon these stones be engraved upon our hearts, guiding us to always work for justice in our day. Then will Wolf Max and Irma’s memory truly be, as the Jewish saying goes, “for a blessing.”
In the recent generations of our family, religious rituals have fallen out of use. We suspect, though, that for Wolf Max and Irma, the mourner’s kaddish would have had great meaning. So let us say for them now the words that should have been said at their passing. The ancient words that, in the face of death, extol the power of divine presence, of human memory, and of a future world at peace.
Oseh shalom bim romav
Hu ya-aseh shalom
Aleinu v’al kol Yisrael
Vim-ru
Amein.