Stolpersteine Kurfürstendamm 92

Hausansicht Kurfürstendamm 92

Diese Stolpersteine wurden am 14.4.2015 verlegt.

Stolperstein Emma Lewy

HIER WOHNTE
EMMA LEWY
GEB. MOTTEK
JG. 1892
DEPORTIERT 1.3.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Als Emma Lewy in den Güterzug steigt, der sie nach Auschwitz transportieren wird, hat man ihr bereits alles genommen: Ihre Familie, die beiden Mietshäuser am Kurfürstendamm mit der selbst bewohnten Acht-Zimmer-Wohnung darin, das Vermögen, die gefühlte Sicherheit eines großbürgerlichen Lebens. Die letzten Monate vor der Deportation verbrachte Emma Lewy in einem „Judenhaus“ in der Schwäbischen Straße 3 in Berlin-Schöneberg. Vermutlich 1942 oder 1943 wurden die Witwe und ihre minderjährige Tochter Marianne hier einquartiert. Chancen zum Überleben hatten sie nicht.

Emma Lewy wuchs in der Kleinstadt Samter (polnisch Szamotuly) auf, die bis 1918 zur preußischen Provinz Posen gehörte. Hier wurde sie am 23. April 1892 als Tochter von Theodor Tefel Mottek und seiner Frau Helene geboren. Sie hatte vier ältere Brüder und eine jüngere Schwester. Juden gab es seit dem 15. Jahrhundert in Samter. Es war eine starke Gemeinde, die zeitweise die Hälfte der Kleinstadtbevölkerung stellte. Die Motteks waren zumeist Viehhändler, aber auch Destillateure oder sie handelten mit Kolonialwaren. Wie viele Juden dieser Region wanderte zumindest ein Teil der Familie gegen Ende des 19. Jahrhunderts nach Berlin aus. Emmas Eltern wohnten im Berliner Bezirk Kreuzberg am Segitzdamm 8. Im Mai 1923 stirbt Emmas Vater 72-jährig, ihre Mutter und ihre Schwester leben noch fast zwanzig Jahre in der Wohnung nahe dem Kottbusser Tor.

Emma ist noch sehr jung, als sie den zwölf Jahre älteren Kaufmann David Lewy kennenlernt und heiratet. In ihren Papieren wird später zu lesen sein: „berufslos“. Mit 22 Jahren, am 19. Juli 1914, bekommt sie ihr erstes Kind, die Tochter Erika Hildegard. Wenige Tage später beginnt der Erste Weltkrieg. Das Ehepaar Lewy bewohnt ein prächtiges Gebäude am Kurfürstendamm 91/92. Die beiden Häuser direkt gegenüber dem Lehniner Platz waren Eigentum der Havag Hausverwaltung AG. Die Hälfte der Anteile gehörten David Lewy.

Der junge Kaufmann stammt wie seine Frau aus Posen. In das Städtchen Schildberg (poln. Ostrzeszow) nordwestlich von Breslau zogen im 19. Jahrhundert viele Juden aus dem ländlichen Umland, es gab eine Synagoge, eine jüdische Schule und einen jüdischen Friedhof. David Lewy wurde dort am 2. Mai 1879 oder 1880 geboren. Die Familie Lewy muss eine gutsituierte und auch emanzipierte Familie gewesen sein. Denn Davids drei Jahre ältere Schwester Johanna studierte ab 1903 Medizin, erst in Breslau, dann in München. Der Arztberuf war für Frauen damals noch unüblich. Nach ihrer Approbation 1909 arbeitet Dr. Johanna Lewy-Hirsch in Berlin, ist Mitglied des „Vereins sozialistischer Ärzte“ und hat später ihre gynäkologische Praxis im Hause ihres Bruders David am Kurfürstendamm.

Auch der Bankier Dr. Max Lewy, ein weiterer Verwandter von David, wird hier bald seinen Wohnsitz haben. Im Jahr 1920 gründet David Lewy das „Bankgeschäft D. und M. Lewy (Banken und Versicherungen)“. Firmensitz ist der Kurfürstendamm 91. Die Geschäfte florieren. Denn damals dominierten kleine Privatbanken das Wirtschaftsleben. In Berlin gab es Hunderte davon. Großbanken in Form von Aktiengesellschaften entstanden erst später.

Auch andere Berliner Prominente wohnen in dem luxuriösen Gebäude. Zum Beispiel der Lokalchef der „Vossischen Zeitung“ Fritz Goetz. Seine Ehefrau ist SPD-Abgeordnete in Halensee. Für die Nachbarn ist sie „die rote Alice“. Im Jahr 1933 wurde der Ullstein-Redakteur aus der Kochstraße verjagt. Das Ehepaar landete im KZ Dachau. Nachdem sie ihr gesamtes Vermögen der bayerischen SA zum „Geschenk“ gemacht hatten, konnten sie 1936 nach Palästina emigrieren.

Das Ehepaar Emma und David Lewy bekommt noch zwei weitere Kinder. Am 16. April 1919 wird der Sohn Arthur Günther geboren und sechs Jahre später, am 30. April 1925, die Tochter Marianne. Doch wenige Monate nach der Machtergreifung Hitlers trifft die Familie ein Schicksalsschlag. Das nur 53 Jahre alte Familienoberhaupt David erliegt am 13. Juni 1933 einem Nervenleiden. Er war zuletzt in der privaten Heil- und Pflegeanstalt Berolinum für „Gemüts- und Nervenkranke“ in Berlin-Lankwitz untergebracht. Die geschlossene Anstalt mit offener Abteilung hatte der jüdische Arzt James Fraenkel 1890 gegründet. Emma Lewy sorgt von nun an für sich und ihre 18, 14 und 8 Jahre alten Kinder allein. Das Bankgeschäft D. und M. Lewy wird zeitnah nach dem Tod von David Lewy liquidiert. Aber noch ist Emma Lewy vermögend.

Die Einschränkungen für Juden setzten erst nach und nach ein. Besonders nach dem Novemberpogrom von 1938 konnten Juden kaum noch am öffentlichen Leben teilnehmen, durften die Straßen nur zu bestimmten Zeiten betreten, keine Kinos, Theater oder Konzerte besuchen. Der prächtige Kurfürstendamm, auch in der Nazi-Zeit noch ein Flanierboulevard – für die Lewys war er praktisch nicht mehr vorhanden. Auch nicht das direkt gegenüberliegende Kino Universum, das der Jüdische Architekt Mendelsohn 1927/28 erbaut hatte. Noch bis 1944 fanden in dem futuristischen Gebäude Aufführungen des „Kabaretts der Komiker“ statt.

Die beiden älteren Kinder von Emma Lewy verlassen Nazi-Deutschland noch rechtzeitig. Tochter Erika emigriert nach Argentinien in die Provinz Cordoba und heiratet dort. Arthur Günther wandert in die USA aus, ändert seinen Namen in Arthur John Gunther, wird Seeoffizier, lebt erst in Los Angeles und später in New York. Emmas Schwägerin Johanna Lewy-Hirsch emigriert 1939 zusammen mit ihrem Ehemann nach London. Die jüngste Tochter Marianne bleibt in Berlin bei ihrer Mutter.

Im Februar 1940 wird das Gebäude Kurfürstendamm 91/92 „zwangsverkauft“. Das Mobiliar und alle Wertgegenstände muss Emma Lewy abliefern. Ihr hälftiger Anteil am Aktienkapital der Havag Hausverwaltung AG in Höhe von 25.000 Reichsmark wird durch das Amtsgericht Berlin einem „Vermögenspfleger“ überstellt. Später wird der Vermögensverwalter auch die zweite Hälfte des Familien-Kapitals übernehmen. Deutsche Bank und Dresdener Bank werden ebenfalls bald die „Einziehung des Vermögens zugunsten des Reiches“ an die Finanzbehörden melden. In den Berliner Adressbüchern ist Emma Lewy noch bis 1943 als Wohnungseigentümerin eingetragen. Für kurze Zeit hat sie als Untermieterin in der Salzburger Straße 16 in Schöneberg gelebt. Doch vermutlich Anfang 1943 zieht sie zusammen mit Tochter Marianne in das „Judenhaus“ in der Schwäbischen Straße 3.

Ein halbes Jahr zuvor, am 8. August 1942, war ihre acht Jahre jüngere Schwester Margot Toni erst in das KZ Ravensbrück bei Berlin und dann nach Auschwitz deportiert worden. Drei Monate später, am 6. November 1942, wurde Ihr älterer Bruder Israel Isidor nach Theresienstadt verschleppt. Beide Geschwister wurden ums Leben gebracht.

Am 1. März 1943 wird Emma mit dem „31. Ost-Transport“ nach Auschwitz deportiert. Ihre 18-jährige Tochter Marianne bleibt noch sechs Wochen im „Judenhaus“ wohnen. Am 19. April 1943 wird auch sie deportiert. Es war der „37. Ost-Transport“. Er ging nach Auschwitz-Birkenau. „Ist evakuiert“ – heißt das in den Akten der Berliner Oberfinanzdirektion, die sich noch bis kurz vor Kriegsende um die „Abwicklung“ des Immobilien-Vermögens der Familie Lewy streitet.

Der genaue Todestag der beiden Frauen ist nicht bekannt. Er wird von den Behörden mit „8. Mai 1945“ festgelegt.

Recherche und Text: Gudrun Küsel
Quellen: Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz; Landesentschädigungsamt Berlin; WGA Datenbank; Berliner Adressbücher; Brandenburgisches Landeshauptarchiv; www.geni.com; www.Jüdische-Gemeinden.de

Stolperstein Marianne Lewy

HIER WOHNTE
MARIANNE LEWY
JG. 1925
DEPORTIERT 19.4.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Marianne Lewy war noch nicht einmal zwanzig Jahre alt, als man sie ermordete. Über die Hälfte ihres Lebens war sie den Demütigungen der Nazi-Diktatur ausgesetzt. Als Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler berufen wurde, hatte die Tochter eines Bankiers ihr erstes Schuljahr absolviert. Drei Monate später erließ die Regierung das „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“. Der Anteil jüdischer Schüler durfte nur noch fünf Prozent betragen. Es war der Beginn zahlreicher Repressionen – auch für Kinder.

Als jüngstes von drei Geschwistern wird Marianne Lewy am 30. April 1925 geboren. Fünf Jahre zuvor hatte ihr Vater David Lewy das „Bankgeschäft D. und M. Lewy (Banken und Versicherungen)“ gegründet. Sein Partner, der Bankier Dr. Max Lewy, ist ein naher Verwandter. Firmen- und Wohnsitz der Familie ist der Kurfürstendamm 91/92 neben dem Lehniner Platz. Eigentümer war die Havag Hausverwaltung AG. Das Aktienkapital betrug 50.000 Reichsmark. Die Hälfte davon gehörte David Lewy. Auch die restlichen Anteile waren größtenteils im Familienbesitz. Die Geschäfte florieren. Denn damals dominierten kleine Privatbanken das Wirtschaftsleben. In Berlin gab es Hunderte davon.

In der Acht-Zimmer-Wohnung der Familie Lewy gab es für Tochter Marianne viel Abwechslung. Den Salon mit dem Blüthner-Flügel, das Herrenzimmer mit der großen Bibliothek, mehrere Schlafzimmer mit Perserteppichen, Möbel aus wertvollen Hölzern, die Halle mit Clubsesseln, das Esszimmer mit echtem KPM-Service und wertvollen Bildern, Zierrat aus Gold und Silber – und natürlich Zimmer für die elf Jahre ältere Schwester Erika Hildegard und den sechs Jahre älteren Bruder Arthur Günther.

Die Heimat des Kaufmanns David Lewy war die preußische Provinz Posen. Das Städtchen Schildberg (poln. Ostrzeszow) nordwestlich von Breslau zog im 19. Jahrhundert viele Juden aus dem ländlichen Umland an. Es gab eine Synagoge, eine jüdische Schule und einen jüdischen Friedhof. David Lewy wurde dort am 2. Mai 1879 oder 1880 geboren. Die Familie Lewy muss eine gut situierte und auch emanzipierte Familie gewesen sein. Denn Davids drei Jahre ältere Schwester Johanna studierte ab 1903 Medizin, erst in Breslau, dann in München. Der Arztberuf war für Frauen damals noch unüblich. Nach ihrer Approbation 1909 arbeitet Dr. Johanna Lewy-Hirsch in Berlin, ist Mitglied des „Vereins sozialistischer Ärzte“, wird 1927 für die Wahl zur Ärztekammer in Berlin vorgeschlagen und hat später ihre gynäkologische Praxis im Hause ihres Bruders David am Kurfürstendamm.

Auch in Berlin-Kreuzberg hat Marianne Lewy mehrere Tanten und Onkel – die Geschwister ihrer Mutter. Auch die Großeltern leben hier. Die Heimat dieser Familie war die Kleinstadt Samter (poln. Szamotuly), die bis 1918 zur preußischen Provinz Posen gehörte. Hier wurde Mariannes Mutter Emma Lewy am 23. April 1892 als Tochter von Theodor Tefel Mottek und seiner Frau Helene geboren. Sie hatte vier ältere Brüder und eine jüngere Schwester. Juden gab es seit dem 15. Jahrhundert in Samter. Es war eine starke Gemeinde mit vielen Mitgliedern. Die Motteks waren zumeist Viehhändler, aber auch Destillateure oder sie handelten mit Kolonialwaren. Wegen der deutsch-polnischen Konflikte wanderten viele Juden der Region aus. Einige Angehörige der Familie Mottek zogen gegen Ende des 19. Jahrhunderts nach Berlin.

Das Jahr 1933 war nicht nur wegen der Machtergreifung der Nazis ein Schicksalsjahr für Marianne Lewy und ihre Familie. Mit nur 53 Jahren stirbt ihr Vater am 13. Juni 1933 an einem Nervenleiden. Er war zuletzt in der privaten Heil- und Pflegeanstalt Berolinum für „Gemüts- und Nervenkranke“ in Berlin-Lankwitz untergebracht. Die geschlossene Anstalt mit offener Abteilung hatte der jüdische Arzt James Fraenkel 1890 gegründet. Mariannes Mutter sorgt von nun an für sich und ihre 18, 14 und 8 alten Kinder allein. Das Bankgeschäft D. und M. Lewy wird zeitnah nach dem Tod von David Lewy liquidiert. Aber noch ist Emma Lewy vermögend. Die Beschränkungen für Juden setzen erst nach und nach ein.

Mariannes ältere Geschwister verlassen Nazi-Deutschland noch rechtzeitig. Erika emigriert nach Argentinien in die Provinz Cordoba und heiratet dort. Arthur Günther wandert in die USA aus, ändert seinen Namen in Arthur John Gunther, wird Seeoffizier, lebt erst in Los Angeles und später in New York. Mariannes Tante, Dr. Johanna Lewy-Hirsch emigriert 1939 zusammen mit ihrem Ehemann nach London. Marianne bleibt in Berlin bei ihrer Mutter. Der Kurfürstendamm ist auch zu jener Zeit noch ein Boulevard mit Restaurants, Geschäften, Kinos und Theatern. Gleich gegenüber dem Haus der Familie Lewy befindet sich das vom jüdischen Architekten Mendelsohn 1927/28 erbaute futuristische Bau mit dem „Universum-Kino“ und dem „Kabarett der Komiker“ darin. Doch Marianne und ihrer Familie ist der Besuch dort nicht gestattet. Juden war der Besuch von Kulturveranstaltungen ab 1938 verboten.

Im Februar 1940 wird das Gebäude Kurfürstendamm 91/92 „zwangsverkauft“. Das Mobiliar der Acht-Zimmer-Wohnung und alle Wertgegenstände muss Emma Lewy abliefern. Das Aktienkapital der Havag Hausverwaltung AG in Höhe von 50.000 Reichsmark wird in der Folge „eingezogen“. Erst der hälftige Anteil der Witwe, später die Anteile der anderen Familienmitglieder. Das Amtsgericht überträgt das Geld zwecks „Abwicklung“ einem „Vermögenspfleger“. Deutsche Bank und Dresdener Bank u.a. werden später ebenfalls die „Einziehung des Vermögens zugunsten des Reiches“ an die Finanzbehörden melden. In den Berliner Adressbüchern ist Mariannes Mutter noch bis 1943 als Wohnungseigentümerin eingetragen. Für einige Zeit wohnt Mariannes Mutter als Untermieterin in der Salzburger Straße 16 in Schöneberg. Vermutlich zusammen mit ihrer Tochter. Anfang 1943 ziehen beide in das „Judenhaus“ in der Schwäbischen Straße 3.

Die 18-jährige Marianne lebt hier ohne Chancen auf eine Zukunft. Ein halbes Jahr zuvor, am 8. August 1942, war ihre Tante Margot Toni Mottek erst in das KZ Ravensbrück bei Berlin und dann nach Auschwitz deportiert worden. Ihr Onkel Israel Isidor Mottek wurde am 6. November 1942 nach Theresienstadt verfrachtet und dort ums Leben gebracht. Am 1. März 1943 wird Ihre Mutter Emma Lewy nach Auschwitz deportiert. Marianne bleibt noch sechs Wochen im „Judenhaus“ wohnen. Am 19. April 1943 wird auch sie abgeholt und in einen Güterzug nach Auschwitz-Birkenau gesteckt.

Es ist der „37. Ost-Transport“.

Die 18-jährige Marianne überlebt das KZ nicht.

Die Nazi-Behörden streiten sich noch im März 1945 – die Sowjetarmee steht 80 Kilometer vor Berlin – um die Immobilie ihrer Eltern. Es geht um eine „Wertzuwachsteuerangelegenheit“. Wenige Wochen später zerstört der Krieg das prächtige Gebäude Kurfürstendamm 91/92. Heute steht dort ein schmuckloser Neubau.

Recherche und Text: Gudrun Küsel
Quellen: www.bundesarchiv.de; Landesentschädigungsamt Berlin; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus; Berliner Adressbücher; Brandenburgisches Landeshauptarchiv; Archiv Centrum Judaicum; www.medizingeschichte.charité.de; www.geni.com