Stolperstein Fasanenstraße 2

Hausansicht Fasanenstr. 2

Dieser Stolperstein wurde am 18. Oktober 2014 im Einvernehmen mit den neuen Hoteleignern auf Initiative der Enkelin Atina Grossmann, Historikerin aus New York, in Anwesenheit von weiterer Enkel und Ur- und Ururenkel sowie zahlreicher Gäste verlegt.

Stolperstein Gertrud Grossmann

HIER WOHNTE
GERTRUD
GROSSMANN
GEB. DEWITZ
VERSTECKT 1942
DEPORTIERT 28.6.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Gertrud Grossmann mit ihrem Sohn Hans in ihrer Wohnung, 1938

Gertrud Grossmann wurde am 22. November 1873 als Gertrud Dewitz in Berlin geboren. Über ihre Eltern ist nichts bekannt. Sie heiratete den am 22. Februar 1860 wahrscheinlich im oberschlesischen Myslowitz (Mysłowice/Polen) geborenen Konfektionsfachmann und Hoflieferanten Eugen Grossmann. Nach der Jahrhundertwende setzte er sich zur Ruhe. Um seiner Familie mit einer Immobilie die Zukunft zu sichern, erwarb Eugen Grossmann 1913 das 1887 errichtete Haus Astoria, ein Mietshaus in der Fasanenstraße 2. Das Eheaar Grossmann wohnte in Schöneberg und hatte drei Söhne: Walter (1896-1961), Hans (1902-1974) und Franz (1904-1953), Zwei wurden Ärzte, der mittlere Sohn Hans Jurist und Anwalt. Nach dem Tod ihres Mannes am 3. Januar 1931 erbte Gertrud Grossmann die Immobilie. Die Witwe zog hier ein und lebte von den Mieteinnahmen. Sohn Franz betrieb eine Hausarztpraxis. Mit einer Katholikin verheiratet, lebte er mit seiner Familie zunächst in dem Winzerdorf Niederemmel (heute ein Ortsteil von Piesport) an der Mosel und seit 1939 in Frankfurt am Main.

Hans Grossmann emigrierte 1936 nach Teheran und war in den frühen 1940er Jahren in mehreren Internierungslagern für “feindliche Ausländer” in Britisch-Indien. Er kam 1946 nach New York. Walter emigrierte 1938 und wurde in Hartford, Connecticut ansässig. Im gleichen Jahr war Gertrud Grossmann im Rahmen der Arisierung gezwungen, ihr Haus an Paul Berghausen zu verkaufen. Sohn Hans reiste für die Verhandlungen aus Teheran an, die Deutsche Gesandtschaft in Teheran hatte ihm noch kein „J“ in den Pass gestempelt, sodass er auch zurückreisen konnte. Er bezeugte nach Kriegsende im Zuge eines langen bitteren juristischen Kampfes um Rückerstattung die konkreten Drohungen einer Enteignung durch Berghausen, falls Gertrud Grossmann dem Kaufangebot nicht zustimmte.

Dieser eröffnete hier 1938 das Hotel Astoria. Gertrud Grossmann zog zu ihrer – ebenfalls verwitweten – Schwester Erna Freudenthal in der Katharinenstraße in Halensee. Der viel zu geringe Verkaufserlös wurde wenig später zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen.

Als die beiden Schwestern Dewitz am 17. Juni 1942 den Deportationsbefehl zum 23. Juni 1942 (der Transport brachte – wie wir heute wissen – 50 ältere Jüdinnen und Juden nach Theresienstadt) erhielten, gelang es ihnen, im märkischen Lychen unterzutauchen. Beinahe ein Jahr lebten die beiden älteren Damen dort, bis sie Anfang Mai 1943 denunziert, festgenommen und zurück nach Berlin in das Sammellager in der Großen Hamburger Straße 26 in Berlin-Mitte verschleppt wurden. Hier wurden die Schwestern getrennt, Erna Freudenthal kam mit einem von den nationalsozialistischen Behörden als “38. Osttransport“ eingestuften Zug mit 395 jüdischen Berlinern registrierten Zug am 17. Mai 1943 nach Auschwitz.
Mit dem darauf folgenden “39. Osttransport“ am 28. Juni 1943 wurden 317 jüdische Berliner nach Auschwitz deportiert, unter ihnen Gertrud Grossmann.

Die Älteren aus dem Transport, der am 29. Juni die Rampe in Auschwitz-Birkenau erreichte, wurden sofort zur Ermordung in einer der Gaskammern selektiert. Was Gertrud Grossmann nicht wusste: Ihr jüngster Sohn Franz war ebenfalls bereits deportiert und als Häftlingsarzt im KZ Auschwitz-Monowitz im Zwangsarbeitseinsatz. Er wurde 1945 in Mauthausen befreit. 1953 starb er an den Folgen seiner KZ-Haft.

1949 strebte Hans Grossmann einen Prozess auf Wiedergutmachung gegen Paul Berghausen an. Der Beklagte argumentierte mit einer heruntergekommenen „Fehlspekulation“, die 1938 zu einem „völlig unpolitischen und […] wirtschaftlich gerechtfertigten Vertrag, bei dem irgendwelche Zwangs- oder Druckmittel in keiner Weise angewandt worden sind“ geführt habe. Das Verfahren endete am 14. September 1953 mit einer Zahlungsaufforderung von 20.000 DM an die hinterbliebenen Söhne. Laut Wertermittlung war das Haus 1938 an die 120.000 DM wert. 2008 verkaufte die Familie Berghausen das Hotel an eine Holding.

Autorinnen: Atina Grossmann, Stephanie Grossmann, Christl Wickert

Quellen:
Brandenburgisches Landeshauptarchiv: Rep. 36 A Oberfinanzpräsident Berlin-Brandenburg (II) Nr. 12663 und Nr. 56004; Landesarchiv Berlin: 2 WGA 1490/50 (Walter Grossmann) und 2 WGA 3253/50 (Franz und Hans Grossmann); Deportationslisten, siehe: http://www.statistik-des-holocaust.de
Atina Grossmann: Kämpfe um Rückerstattung. Das Hotel Astoria in der Fasanenstraße, in: dies., Juden, Deutsche, Alliierte. Begegnungen im besetzten Deutschland, Göttingen 2012, S. 187-190.
Thomas Lackmann: Baustelle Wiedergutmachung. Eine Berliner Enteignungsgeschichte, in: Der Tagesspiegel, 18. Oktober 2014, S. 16

Cay Dobberke: Ein Bett am Baufeld In der City West wird gebaut, gelärmt – das Hotel „Astoria“ gibt nach 75 Jahren auf

Patrick Bahners: Achtung, Stolperstein unserer Geschichte!, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20. Oktober 2014, S. 13.

Hinweise zur Arisierung jüdischen Eigentums:
Das Reichsbürgergesetz vom 15. September 1935 (RGBl. I S. 1146) teilte die deutsche Bevölkerung in Reichsbürger, „Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes“ und in ‚einfache‘ Staatsangehörige, Angehörige „rassefremden Volkstums“ ein. Eine der Ausführungsbestimmungen verbot in einer Verordnung zum 1. Januar 1939 Juden jeden Gewerbebetrieb. Schritt für Schritt wurde die Entrechtung der Juden weiter getrieben durch die „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ (RGBl 1938 I, S. 1580) vom 12. November 1938 und die „Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens“ (RGBl. 1938 I. S. 1709) vom 3. Dezember 1938, der Juden jedes eigene Vermögen verbot.

  • Patrick Bahners: Achtung, Stolperstein unserer Geschichte!, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20. Oktober 2014, S. 13

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