HIER WOHNTE
ADOLF HANAU
JG.1878
‘SCHUTZHAFT’ 1938
VERHAFTET 1942
SACHSENHAUSEN
DEPORTIERT 1942
AUSCHWITZ
ERMORDET 25.11.1942
Adolf Hanau wurde am 23. August 1878 in Roden, einem Stadtteil von Saarlouis, als zweites Kind seiner Eltern, dem Kaufmann Salomon Hanau (* 14. November 1851 in Roden) und Caroline Hanau geb. Mai (* 20. Juni 1850 in Waldmohr, Rheinland-Pfalz), geboren. Sein älterer Bruder Felix wurde am 17. Dezember 1876 in Saarlouis geboren. Adolfs jüngere Schwestern Bertha (* 15. November 1879), Henrietta Hermine (* 16. Juni 1881) und Emelie (* 1. März 1884) kamen ebenfalls in Saarlouis zur Welt.
Als Adolf 6 Jahre alt war, starb sein 34-jähriger Vater Salomon am 17. März 1885 in Saarlouis. Seine Mutter Caroline wurde mit 35 Jahren Witwe und ihre fünf Kinder Halbwaisen. 1903 starb die jüngste Schwester Emelie mit 18 Jahren.
Adolf wurde wie sein Vater ein erfolgreicher Kaufmann und Bankdirektor. Seit wann er den Ehrentitel Kommerzienrat führte, konnte nicht recherchiert werden. Die Verleihung dieses Titels erfolgte nicht automatisch, sondern erst nach erheblichen „Stiftungen für das Gemeinwohl“. Er wohnte vor seiner Heirat in der Aschenbachstraße 55 in Düsseldorf.
Wann und wo Adolf seine spätere Ehefrau Else (* 24. Januar 1885 in Chicago, USA) kennenlernte, ist nicht bekannt.
Else war eine geschiedene Frau, die seit 1913 zusammen mit ihrer Tochter Lotte in Wiesbaden bei ihrer verwitweten Mutter Babette Mayer (* 4. April 1857 in Ottweiler, Neuenkirchen im Saarland) lebte.
Da Ottweiler, der Geburtsort von Elses Mutter, ganz in der Nähe von Waldmohr, dem Geburtsort von Adolfs Mutter, lag, ist anzunehmen, dass die beiden Mütter sich kannten bzw. derselben jüdischen Gemeinde angehörten. Die Ehe hat im Judentum einen hohen Wert. Seit Urzeiten boten deshalb Heiratsvermittler jüdischer Gemeinden, die sogenannten Schadchan oder Schadchen, ihre Dienste an, um bei der Partnersuche zu helfen, damit die passenden Paare zusammenfanden. Auf Jiddisch nennt man den richtigen, von Gott bescherten Partner jemandes “Beschert”. Elses Schwester Natalie und ihre Tochter Ilse Lemke machten später in Berlin die Heiratsvermittlung (Institut für vornehme Eheanbahnung) zu ihrem Beruf.
Am 14. Oktober 1919 heirateten der 41-jährige Adolf und die 34-jährige Else in Wiesbaden. Adolf adoptierte Elses damals 12-jährige Tochter Lotte (* 19. Juni 1907 in Straßburg), die fortan ebenfalls den Nachnamen Hanau trug.
Im März 1921 zogen Adolf, Else und Lotte sowie Babette, Adolfs Schwiegermutter, nach Düsseldorf. Sie wohnten gemeinsam in der Grafenberger Allee 182. Die Familie war dem Pferdesport sehr verbunden. Mitte der Zwanzigerjahre ging Lotte Hanau nach Berlin, wo sie Bildhauerei an der Akademie der Künste studierte.
Am 24. November 1928 starb Adolfs Mutter Caroline mit 78 Jahren in Adolfs Geburtsstadt Saarlouis.
Lotte heiratete am 11. Juli 1929 in Düsseldorf den Fabrikanten Richard Arthur Wolff (* 29. September 1890 in Ludwigshafen) aus der Regentenstraße 5 in Berlin-Tiergarten. Das junge Paar wohnte fortan in der Bayernallee 14 im Westend (Berlin-Charlottenburg).
1933 lebten in Düsseldorf rund 5.500 Juden, von denen bis 1938 etwa die Hälfte auswanderte. Warum die Familie Hanau nicht auswanderte, als es noch möglich war, konnte nicht recherchiert werden.
Im September 1935 erließ der Reichstag die „Nürnberger Gesetze“, die Jüdinnen und Juden zu Bürgern minderen Rechts machten und sie nach der Rassenideologie der Nationalsozialisten von der „arischen“ Bevölkerung abgrenzten. Da half es auch nicht, katholisch getauft zu sein.
1936 gingen Adolf und Else Hanau sowie Elses Mutter Babette Mayer ebenfalls nach Berlin. Sie zogen in die Villa von Dr. Karl Adler (* 1. Januar 1872 in Worms), Generaldirektor des zeitweilig größten Konzerns der europäischen Lederindustrie Adler & Oppenheimer, in der Delbrückstraße 19 in Berlin-Grunewald. Die Miete betrug 750 RM. Dr. Karl Adler zog 1936 nach Baden-Baden und flüchtete 1938 mit seiner Ehefrau Rosa nach Buenos Aires, Argentinien.
Adolf und Else wohnten im Parterre und im ersten Stock des Hauses. Elses Mutter bewohnte im zweiten Stock des Hauses eine 4-Zimmer-Komfort-Wohnung. Ganz in der Nähe konnte Adolf Büroräume mieten.
Juden wurden aus der deutschen Privatwirtschaft nach und nach verdrängt. 1937 zeichnete sich die schnelle Zwangsenteignung durch den Staat ab. Adolf war gezwungen, seine Kunstsammlung versteigern zu lassen. Sein Eigentum in Düsseldorf, Köln und Siegburg wurde treuhänderisch von Louis Helkenberg – Immobilien, Hypotheken und Hausverwaltungen – aus der Leibnizstraße 72 in Berlin-Charlottenburg verwaltet, um nicht als jüdisches Eigentum beschlagnahmt zu werden.
Im August 1938 forderte das Finanzamt Adolf auf, die Reichsfluchtsteuer in Höhe von ca. 134.000 RM zu zahlen, die er mit Sicherungshypotheken auf den Grundbesitz in Köln beglich. Der Betrag der Reichsfluchtsteuer errechnete sich aus einem Viertel der Angabe seines Gesamtvermögens in Höhe von über 400.000 RM.
In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938, der Reichspogromnacht, eskalierte die Gewalt gegen Juden. Synagogen und jüdische Einrichtungen wurden angesteckt, Menschen getötet, gedemütigt, verhaftet, misshandelt und vergewaltigt, Geschäfte und Wohnungen demoliert und zerstört. Teile der nichtjüdischen Bevölkerung standen den Pogromen ablehnend gegenüber, nicht alle beteiligten sich aktiv, aber auch nur wenige halfen ihren jüdischen Nachbarn.
Adolf Hanau wurde von der Gestapo in „Schutzhaft“ genommen und am 10. November 1938 in das Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt, wo er körperlichen und psychischen Misshandlungen ausgesetzt war. Von hier schrieb er am 13. Dezember 1938, dem Tag seiner Entlassung, auf einer Postkarte an seine Ehefrau: „… wegen der Liquidation der Häuser, Vermögensabgabe, sowie der Auswanderung bitte ich alles gewissenhaft zu erledigen. Insbesondere die Büroräume kündigen.“ Außerdem fragte er nach, ob es von seiner Schwester Bertha Nachrichten gäbe. Bertha plante die Auswanderung in die USA und hatte sich eventuell auch um die Auswanderung von Adolf und Else gekümmert.
Ein paar Tage später eröffnete ihm das Finanzamt, dass er aufgrund der Durchführungsverordnung über die Sühneleistung der Juden für den Schaden der Reichspogromnacht eine Judenvermögensabgabe zu leisten habe. Die Abgabe betrug für ihn 104.300 RM und für Else 13.100 RM.
Am 19. Januar 1939 beging Lottes Ehemann, der seine Fabrik durch die „Arisierung“ verloren hatte, Selbstmord. Lotte verließ kurz darauf Berlin und setzte ihr Kunststudium in Paris und Madrid fort. In Madrid heiratete sie am 27. Juli 1940 den zehn Jahre jüngeren Amerikaner Donald Murdock McLean (* 9. September 1916 in Tuscaloosa, Alabama).
Ab September 1941 wurden Adolf, Else und Babette gezwungen, den gelben Stern zu tragen. Seit Oktober 1941 war eine Auswanderung nicht mehr möglich. Die Familie saß in Berlin in der Falle.
Am 27. Mai 1942 wurde Adolf Hanau erneut von der Gestapo abgeholt. Er war einer der 500 „Geiseln“, die als Reaktion auf den Brandanschlag der jüdisch-kommunistischen Herbert-Baum-Gruppe auf die Ausstellung „Das Sowjet-Paradies“ im Berliner Lustgarten verhaftet wurden. Als Rache für den Anschlag wurden 250 Juden in Sachsenhausen ermordet, darunter 154 von den in Berlin festgenommenen und 96 bereits in Sachsenhausen inhaftierten Häftlinge. Adolf Hanau wurde im Konzentrationslager Sachsenhausen interniert.
Else, die sich am 1. Juni 1942 zur „Evakuierung“ bei der Gestapo melden sollte, sah keinen anderen Ausweg, als mit Schlafmitteln ihrem Leben ein Ende zu setzen. Ob Adolf über den Tod seiner Ehefrau informiert wurde, ist nicht bekannt. Sie waren 22 Jahre verheiratet gewesen.
Die Gestapo deportierte Adolf zu einem unbekannten Zeitpunkt von Sachsenhausen in das Vernichtungslager Auschwitz, wo er am 25. November 1942 ermordet wurde. Er starb mit 64 Jahren.
Lotte Hanau, seine Adoptivtochter, hatte sich 1943 scheiden lassen und flüchtete von Spanien nach Buenos Aires, Argentinien, wo sie zum dritten Mal heiratete. Ab 1956 lebte sie in New York und wurde unter dem Namen Charlotte Dunwiddie eine berühmte Bildhauerin. Laut Adolf Hanaus Testament war sie die Alleinerbin seines Vermögens. Bei der Verfolgung ihrer Ansprüche beim Wiedergutmachungsamt in Berlin stand ihr nach dem Krieg der von Adolf eingesetzte Treuhänder Louis Helkenberg helfend zur Seite.
Adolfs Schwestern Bertha und Henrietta Hermine war die Auswanderung in die USA gelungen. Auch sie lebten nach dem Krieg in New York. Bertha starb am 17. Januar 1977 mit 97 Jahren und Henrietta Hermine am 19. Dezember 1964 mit 83 Jahren. Der ältere Bruder Felix überlebte in Saarbrücken und starb am 1. Juli 1965 mit 88 Jahren.
Recherche und Text: Gundula Meiering, Januar 2025
Quellen:
Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945; Berliner Adressbücher – Zentral- und Landesbibliothek Berlin; Arolsen Archives – Deportationslisten; Mapping the lives;
Landesarchiv Berlin, Personenstandsunterlagen/über ancestry; My Heritage;
Brandenburgisches Landeshauptarchiv (BLHA), Potsdam – Vermögenserklärung, Reg.36A (II) 25834 Babette Mayer geborene Kahn, Reg.36A (II) 13774 Adolf Hanau;
United States Holocaust Memorial Museum – Papier von Charlotte Dunwiddie, 1907-1995