Stolpersteine Delbrückstraße 19

Hausansicht Delbrückstr. 19

Hausansicht Delbrückstr. 19

Diese Stolpersteine wurden von der Gemeinschaft der Grunewald-Grundschule am 15. Mai 2014 verlegt. Vorbereitet und geplant wurde das Projekt von Claudia Syll, Lehrerin für evangelische Religion. Zu Gast waren Gemeinderabbiner Yitshak Ehrenberg, Staatssekretärin Hella Dunger-Löper und Bezirksstadträtin Dagmar König. Auch Eltern, Erzieherinnen und Erzieher, der jüdische Kindergarten und Anwohner der Delbrückstraße nahmen an dem Gedenken teil.

Stolperstein Adolf Hanau

Stolperstein Adolf Hanau

HIER WOHNTE
ADOLF HANAU
JG.1878
‘SCHUTZHAFT’ 1938
VERHAFTET 1942
SACHSENHAUSEN
DEPORTIERT 1942
AUSCHWITZ
ERMORDET 25.11.1942

Adolf Hanau wurde am 23. August 1878 in Roden, einem Stadtteil von Saarlouis, als zweites Kind seiner Eltern, dem Kaufmann Salomon Hanau (* 14. November 1851 in Roden) und Caroline Hanau geb. Mai (* 20. Juni 1850 in Waldmohr, Rheinland-Pfalz), geboren. Sein älterer Bruder Felix wurde am 17. Dezember 1876 in Saarlouis geboren. Adolfs jüngere Schwestern Bertha (* 15. November 1879), Henrietta Hermine (* 16. Juni 1881) und Emelie (* 1. März 1884) kamen ebenfalls in Saarlouis zur Welt.

Als Adolf 6 Jahre alt war, starb sein 34-jähriger Vater Salomon am 17. März 1885 in Saarlouis. Seine Mutter Caroline wurde mit 35 Jahren Witwe und ihre fünf Kinder Halbwaisen. 1903 starb die jüngste Schwester Emelie mit 18 Jahren.

Adolf wurde wie sein Vater ein erfolgreicher Kaufmann und Bankdirektor. Seit wann er den Ehrentitel Kommerzienrat führte, konnte nicht recherchiert werden. Die Verleihung dieses Titels erfolgte nicht automatisch, sondern erst nach erheblichen „Stiftungen für das Gemeinwohl“. Er wohnte vor seiner Heirat in der Aschenbachstraße 55 in Düsseldorf.

Wann und wo Adolf seine spätere Ehefrau Else (* 24. Januar 1885 in Chicago, USA) kennenlernte, ist nicht bekannt.
Else war eine geschiedene Frau, die seit 1913 zusammen mit ihrer Tochter Lotte in Wiesbaden bei ihrer verwitweten Mutter Babette Mayer (* 4. April 1857 in Ottweiler, Neuenkirchen im Saarland) lebte.

Da Ottweiler, der Geburtsort von Elses Mutter, ganz in der Nähe von Waldmohr, dem Geburtsort von Adolfs Mutter, lag, ist anzunehmen, dass die beiden Mütter sich kannten bzw. derselben jüdischen Gemeinde angehörten. Die Ehe hat im Judentum einen hohen Wert. Seit Urzeiten boten deshalb Heiratsvermittler jüdischer Gemeinden, die sogenannten Schadchan oder Schadchen, ihre Dienste an, um bei der Partnersuche zu helfen, damit die passenden Paare zusammenfanden. Auf Jiddisch nennt man den richtigen, von Gott bescherten Partner jemandes “Beschert”. Elses Schwester Natalie und ihre Tochter Ilse Lemke machten später in Berlin die Heiratsvermittlung (Institut für vornehme Eheanbahnung) zu ihrem Beruf.

Am 14. Oktober 1919 heirateten der 41-jährige Adolf und die 34-jährige Else in Wiesbaden. Adolf adoptierte Elses damals 12-jährige Tochter Lotte (* 19. Juni 1907 in Straßburg), die fortan ebenfalls den Nachnamen Hanau trug.

Im März 1921 zogen Adolf, Else und Lotte sowie Babette, Adolfs Schwiegermutter, nach Düsseldorf. Sie wohnten gemeinsam in der Grafenberger Allee 182. Die Familie war dem Pferdesport sehr verbunden. Mitte der Zwanzigerjahre ging Lotte Hanau nach Berlin, wo sie Bildhauerei an der Akademie der Künste studierte.

Am 24. November 1928 starb Adolfs Mutter Caroline mit 78 Jahren in Adolfs Geburtsstadt Saarlouis.

Lotte heiratete am 11. Juli 1929 in Düsseldorf den Fabrikanten Richard Arthur Wolff (* 29. September 1890 in Ludwigshafen) aus der Regentenstraße 5 in Berlin-Tiergarten. Das junge Paar wohnte fortan in der Bayernallee 14 im Westend (Berlin-Charlottenburg).

1933 lebten in Düsseldorf rund 5.500 Juden, von denen bis 1938 etwa die Hälfte auswanderte. Warum die Familie Hanau nicht auswanderte, als es noch möglich war, konnte nicht recherchiert werden.

Im September 1935 erließ der Reichstag die „Nürnberger Gesetze“, die Jüdinnen und Juden zu Bürgern minderen Rechts machten und sie nach der Rassenideologie der Nationalsozialisten von der „arischen“ Bevölkerung abgrenzten. Da half es auch nicht, katholisch getauft zu sein.

1936 gingen Adolf und Else Hanau sowie Elses Mutter Babette Mayer ebenfalls nach Berlin. Sie zogen in die Villa von Dr. Karl Adler (* 1. Januar 1872 in Worms), Generaldirektor des zeitweilig größten Konzerns der europäischen Lederindustrie Adler & Oppenheimer, in der Delbrückstraße 19 in Berlin-Grunewald. Die Miete betrug 750 RM. Dr. Karl Adler zog 1936 nach Baden-Baden und flüchtete 1938 mit seiner Ehefrau Rosa nach Buenos Aires, Argentinien.

Adolf und Else wohnten im Parterre und im ersten Stock des Hauses. Elses Mutter bewohnte im zweiten Stock des Hauses eine 4-Zimmer-Komfort-Wohnung. Ganz in der Nähe konnte Adolf Büroräume mieten.

Juden wurden aus der deutschen Privatwirtschaft nach und nach verdrängt. 1937 zeichnete sich die schnelle Zwangsenteignung durch den Staat ab. Adolf war gezwungen, seine Kunstsammlung versteigern zu lassen. Sein Eigentum in Düsseldorf, Köln und Siegburg wurde treuhänderisch von Louis Helkenberg – Immobilien, Hypotheken und Hausverwaltungen – aus der Leibnizstraße 72 in Berlin-Charlottenburg verwaltet, um nicht als jüdisches Eigentum beschlagnahmt zu werden.

Im August 1938 forderte das Finanzamt Adolf auf, die Reichsfluchtsteuer in Höhe von ca. 134.000 RM zu zahlen, die er mit Sicherungshypotheken auf den Grundbesitz in Köln beglich. Der Betrag der Reichsfluchtsteuer errechnete sich aus einem Viertel der Angabe seines Gesamtvermögens in Höhe von über 400.000 RM.

In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938, der Reichspogromnacht, eskalierte die Gewalt gegen Juden. Synagogen und jüdische Einrichtungen wurden angesteckt, Menschen getötet, gedemütigt, verhaftet, misshandelt und vergewaltigt, Geschäfte und Wohnungen demoliert und zerstört. Teile der nichtjüdischen Bevölkerung standen den Pogromen ablehnend gegenüber, nicht alle beteiligten sich aktiv, aber auch nur wenige halfen ihren jüdischen Nachbarn.

Adolf Hanau wurde von der Gestapo in „Schutzhaft“ genommen und am 10. November 1938 in das Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt, wo er körperlichen und psychischen Misshandlungen ausgesetzt war. Von hier schrieb er am 13. Dezember 1938, dem Tag seiner Entlassung, auf einer Postkarte an seine Ehefrau: „… wegen der Liquidation der Häuser, Vermögensabgabe, sowie der Auswanderung bitte ich alles gewissenhaft zu erledigen. Insbesondere die Büroräume kündigen.“ Außerdem fragte er nach, ob es von seiner Schwester Bertha Nachrichten gäbe. Bertha plante die Auswanderung in die USA und hatte sich eventuell auch um die Auswanderung von Adolf und Else gekümmert.

Ein paar Tage später eröffnete ihm das Finanzamt, dass er aufgrund der Durchführungsverordnung über die Sühneleistung der Juden für den Schaden der Reichspogromnacht eine Judenvermögensabgabe zu leisten habe. Die Abgabe betrug für ihn 104.300 RM und für Else 13.100 RM.

Am 19. Januar 1939 beging Lottes Ehemann, der seine Fabrik durch die „Arisierung“ verloren hatte, Selbstmord. Lotte verließ kurz darauf Berlin und setzte ihr Kunststudium in Paris und Madrid fort. In Madrid heiratete sie am 27. Juli 1940 den zehn Jahre jüngeren Amerikaner Donald Murdock McLean (* 9. September 1916 in Tuscaloosa, Alabama).

Ab September 1941 wurden Adolf, Else und Babette gezwungen, den gelben Stern zu tragen. Seit Oktober 1941 war eine Auswanderung nicht mehr möglich. Die Familie saß in Berlin in der Falle.

Am 27. Mai 1942 wurde Adolf Hanau erneut von der Gestapo abgeholt. Er war einer der 500 „Geiseln“, die als Reaktion auf den Brandanschlag der jüdisch-kommunistischen Herbert-Baum-Gruppe auf die Ausstellung „Das Sowjet-Paradies“ im Berliner Lustgarten verhaftet wurden. Als Rache für den Anschlag wurden 250 Juden in Sachsenhausen ermordet, darunter 154 von den in Berlin festgenommenen und 96 bereits in Sachsenhausen inhaftierten Häftlinge. Adolf Hanau wurde im Konzentrationslager Sachsenhausen interniert.

Else, die sich am 1. Juni 1942 zur „Evakuierung“ bei der Gestapo melden sollte, sah keinen anderen Ausweg, als mit Schlafmitteln ihrem Leben ein Ende zu setzen. Ob Adolf über den Tod seiner Ehefrau informiert wurde, ist nicht bekannt. Sie waren 22 Jahre verheiratet gewesen.

Die Gestapo deportierte Adolf zu einem unbekannten Zeitpunkt von Sachsenhausen in das Vernichtungslager Auschwitz, wo er am 25. November 1942 ermordet wurde. Er starb mit 64 Jahren.

Lotte Hanau, seine Adoptivtochter, hatte sich 1943 scheiden lassen und flüchtete von Spanien nach Buenos Aires, Argentinien, wo sie zum dritten Mal heiratete. Ab 1956 lebte sie in New York und wurde unter dem Namen Charlotte Dunwiddie eine berühmte Bildhauerin. Laut Adolf Hanaus Testament war sie die Alleinerbin seines Vermögens. Bei der Verfolgung ihrer Ansprüche beim Wiedergutmachungsamt in Berlin stand ihr nach dem Krieg der von Adolf eingesetzte Treuhänder Louis Helkenberg helfend zur Seite.

Adolfs Schwestern Bertha und Henrietta Hermine war die Auswanderung in die USA gelungen. Auch sie lebten nach dem Krieg in New York. Bertha starb am 17. Januar 1977 mit 97 Jahren und Henrietta Hermine am 19. Dezember 1964 mit 83 Jahren. Der ältere Bruder Felix überlebte in Saarbrücken und starb am 1. Juli 1965 mit 88 Jahren.

Recherche und Text: Gundula Meiering, Januar 2025

Quellen:
Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945; Berliner Adressbücher – Zentral- und Landesbibliothek Berlin; Arolsen Archives – Deportationslisten; Mapping the lives;
Landesarchiv Berlin, Personenstandsunterlagen/über ancestry; My Heritage;
Brandenburgisches Landeshauptarchiv (BLHA), Potsdam – Vermögenserklärung, Reg.36A (II) 25834 Babette Mayer geborene Kahn, Reg.36A (II) 13774 Adolf Hanau;
United States Holocaust Memorial Museum – Papier von Charlotte Dunwiddie, 1907-1995

Stolperstein Else Hanau

Stolperstein Else Hanau

HIER WOHNTE
ELSE HANAU
GEB. MAYER
JG. 1885
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
2.6.1942

Else Hanau geb. Mayer wurde am 24. Januar 1885 in Chicago, USA geboren. Ihre Eltern Siegmund Robert Mayer (geboren am 14. August 1853 in Maikammer, Landkreis Südliche Weinstraße, Pfalz) und Babette Mayer geborene Kahn (geboren am 4. April 1857 in Ottweiler, Neuenkirchen im Saarland) waren Anfang der 1880er Jahre zusammen mit ihrer ersten Tochter Natalie (geboren am 19. November 1877 in Kaiserslautern) in die USA ausgewandert. Es ist anzunehmen, dass sie in den 1890er Jahren zurück nach Europa kamen.

Als Else 14 Jahre alt war, heiratete am 5. Dezember 1899 ihre 22-jährige Schwester Natalie in Metz den 43-jährigen katholischen Kaufmann Edouard Charles Louis Meyer (geboren am 10. April 1856). Am 8. September 1901 wurde ihre Tochter Ilse in Metz geboren. Else wurde Tante und wohnte mit ihren Eltern in Wiesbaden.

Wann und wo Else ihren späteren Ehemann, den Rechtsreferendar Walter Karl Klein, kennenlernte, ist nicht bekannt. Sie heirateten am 2. Juni 1906 in Wiesbaden und lebten danach in Straßburg. Ein Jahr später, am 19. Juni 1907, wurde Else mit 22 Jahren Mutter einer Tochter, der sie die Namen Elisabeth Lieselotte Eugenie Natalie gaben. Da der Vater des Kindes katholisch war, ließen sie ihr Kind am 7. Juli in der katholischen Pfarrkirche in Jung-Sankt- Peter zu Straßburg taufen.

Als ihr Kind zwei Jahre alt war, starb am 2. Juli 1909 Elses Vater Siegmund Robert Mayer in Wiesbaden.

Vier Jahre später, am 12. April 1913, ließen sich Else und Walter Karl scheiden. Else und ihre 5-jährige Tochter, die sie Lotte nannten, lebten fortan bei ihrer verwitweten Mutter in Wiesbaden.

Am 14. Oktober 1919 heiratete Else in Wiesbaden den erfolgreichen jüdischen Kaufmann und Bankier Adolf Hanau (geboren 23. August 1878 in Roden, einem Stadtteil von Saarlouis) aus Düsseldorf. Er adoptierte ihre Tochter Lotte.

Im März 1921 zog sie mit ihrer Tochter und ihrer Mutter Babette nach Düsseldorf. Sie wohnten gemeinsam in der Grafenberger Allee 182. Die Familie war dem Pferdesport sehr verbunden. Mitte der zwanziger Jahre ging Lotte Hanau nach Berlin. Sie studierte Bildhauerei bei Wilhelm Otto an der Akademie der Künste. Am 11. Juli 1929 heiratete sie in Düsseldorf den Fabrikanten Richard Arthur Wolff (geboren am 29. September 1890 in Ludwigshafen) aus der Regentenstraße 5 in Berlin-Tiergarten. Das junge Paar wohnte fortan in Berlin-Charlottenburg in der Bayernallee 14 im Westend.

1933 lebten in Düsseldorf rund 5.500 Juden, von denen bis 1938 etwa die Hälfte auswanderte. Warum die Familie Hanau nicht auswanderte, als es noch möglich war, konnte nicht recherchiert werden.

Im September 1935 erließ der Reichstag die „Nürnberger Gesetze“, die Jüdinnen und Juden zu Bürgern minderen Rechts machten und sie nach der Rassenideologie der Nationalsozialisten von der “arischen” Bevölkerung abgrenzten. Da half es auch nicht, katholisch getauft zu sein.

1936 gingen Adolf und Else Hanau sowie Elses Mutter Babette Mayer ebenfalls nach Berlin. Sie zogen in die Villa von Dr. Karl Adler (geboren am 1.1.1872 in Worms), Generaldirektor des zeitweilig größten Konzerns der europäischen Lederindustrie Adler & Oppenheimer, in der Delbrückstraße 19 in Berlin-Grunewald. Die Miete betrug 750RM. Dr. Karl Adler zog 1936 nach Baden-Baden und flüchtete 1938 mit seiner Ehefrau Rosa nach Buenos Aires, Argentinien.

Else und Adolf wohnten im Parterre und im ersten Stock des Hauses. Elses Mutter bewohnte im zweiten Stock des Hauses eine 4-Zimmer-Komfort-Wohnung.

Juden wurden aus der deutschen Privatwirtschaft nach und nach verdrängt. 1937 zeichnete sich die schnelle Zwangsenteignung durch den Staat ab. Elses Ehemann war gezwungen seine Kunstsammlung versteigern zu lassen. Sein Eigentum in Düsseldorf, Köln und Siegburg wurde, um nicht als jüdisches Eigentum beschlagnahmt zu werden, von Louis Helkenberg, Immobilien, Hypotheken und Hausverwaltungen, aus der Leibnizstraße 72 in Berlin-Charlottenburg, treuhänderisch verwaltet.

Im August 1938 forderte das Finanzamt Adolf auf die Reichsfluchtsteuer in Höhe von ca. 134.000 RM zu zahlen. Er beglich diesen Betrag mit Sicherungshypotheken auf den Grundbesitz in Köln.

In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938, der Reichspogromnacht, eskalierte die Gewalt gegen Juden. Synagogen und jüdische Einrichtungen wurden angesteckt, Menschen getötet, gedemütigt, verhaftet, misshandelt und vergewaltigt, Geschäfte und Wohnungen demoliert und zerstört. Teile der nichtjüdischen Bevölkerung standen den Pogromen ablehnend gegenüber, nicht alle beteiligten sich aktiv, aber auch nur wenige halfen ihren jüdischen Nachbarn.

Für die damals 53-jährige Else muss diese Nacht voller Angst und Ohnmacht gewesen sein. Ihr Ehemann Adolf Hanau wurde von der Gestapo in „Schutzhaft“ genommen und am 10. November 1938 in das Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt, wo er körperlichen und psychischen Misshandlungen ausgesetzt war. Von hier schrieb er ihr am Tag seiner Entlassung am 13. Dezember 1938 auf einer Postkarte: „… wegen der Liquidation der Häuser, Vermögensabgabe, sowie der Auswanderung bitte ich alles gewissenhaft zu erledigen. Insbesondere die Büroräume kündigen.“

Ein paar Tage später eröffnete ihm das Finanzamt, dass er aufgrund der Durchführungsverordnung über die Sühneleistung der Juden für den Schaden der Reichspogromnacht, eine Judenvermögensabgabe in Höhe von 104.300 RM und Else in Höhe von 13.100 RM, zu leisten habe.

Am 19. Januar 1939 beging der Ehemann ihrer Tochter Lotte, der seine Fabrik durch die “Arisierung” verloren hatte, Selbstmord. Lotte verließ kurz darauf Berlin und setzte ihr Kunststudium in Paris und Madrid fort. In Madrid heiratete sie am 27. Juli 1940 den zehn Jahre jüngeren Amerikaner Donald Murdock McLean (geboren 9. September 1916 in Tuscaloosa, Alabama).

Wann Elses Schwester Natalie nach Berlin kam, ist nicht bekannt. Bei der „Minderheiten-Volkszählung“ am 17. Mai 1939 wohnte die damals 62-jährige alleine in der Motzstraße 61 in Berlin-Schöneberg. Sie fühlte sich, obwohl ihr „arischer“ Mann schon verstorben war, durch ihre „Privilegierte Mischehe“ vor der Deportation geschützt.

Seit Oktober 1941 war eine Auswanderung nicht mehr möglich. Die Familie saß in Berlin in der Falle. Am 27. Mai 1942 wurde Elses Ehemann Adolf Hanau erneut von der Gestapo abgeholt. Er war einer der 500 „Geiseln“, die als Reaktion auf den Brandanschlag der jüdisch-kommunistischen Herbert-Baum-Gruppe auf die Ausstellung „Das Sowjet-Paradies“ im Berliner Lustgarten, verhaftet wurden. Als Rache für den Anschlag wurden 250 Juden in Sachsenhausen ermordet, darunter 154 von den in Berlin Festgenommenen und 96 bereits in Sachsenhausen inhaftierten Häftlinge. Adolf Hanau wurde im Konzentrationslager Sachsenhausen interniert.
Else, die sich am 1. Juni 1942 zur “Evakuierung” bei der Gestapo melden sollte, sah keinen anderen Ausweg, als mit Schlafmitteln ihrem Leben ein Ende zu setzen. Die bewusstlose Else wurde am nächsten Morgen mit dem Krankenwagen in das Jüdische Krankenhaus in die Iranischen Straße in Berlin-Wedding gebracht, wo sie, wie die Polizei meldete, am 2. Juni 1942 um 8.45 Uhr an einer Schlafmittelvergiftung starb. Else Hanauer wurde 57 Jahre alt.

Der 15. Osttransport, der ursprünglich am 2. Juni 1942 geplant war, erfolgte ohne Else Hanau und 18 weiteren Personen, die vor dieser Deportation Suizid begangen hatten. Der Deportationszug verließ Berlin am 13. Juni 1942 mit 757 Personen in Richtung Lublin
und brachte die Menschen in das Vernichtungslager Sobibor, wo alle ermordet wurden.

Ob Adolf Hanau über den Tod seiner Ehefrau informiert worden war, ist nicht bekannt. Er wurde später von Sachsenhausen nach Auschwitz deportiert, wo er am 25. November 1942 ermordet wurde. Er starb mit 64 Jahren.

Elses Mutter blieb allein in der Villa zurück. Sie war überzeugt, dass sie in ihrem hohen Alter nicht mehr “evakuiert” werden würde. Außerdem sah sie sich durch ihre Tochter Natalie, die, wie sie meinte, „arisch versippt“ war, geschützt.

Schon Anfang Juli 1942 holte die Gestapo Babette Mayer in der Delbrückstraße 19 ab und setzte sie im Sammellager der Großen Hamburger Straße 26 fest. Am 27. Juli 1942 wurde sie in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Hier lebte sie trotz der unmenschlichen Verhältnisse im Ghetto noch vier Monate auf der Krankenstation. Sie starb laut Todesfallanzeige mit 85 Jahren am 2. Dezember 1942 an Altersschwäche.

Lotte Hanau und Donald McLean ließen sich am 26. Februar 1943 scheiden. Danach emigrierte Lotte von Spanien nach Argentinien. Dort heiratete sie 1944 in dritter Ehe Dedrick Stanley Dunwiddie (1908) und lebte mit ihm in Lima, Peru. Am 25. Juni 1948 wurde Charlotte Dunwiddie amerikanische Staatsbürgerin. Nach dem plötzlichen Tod ihres Ehemannes 1951 ging Charlotte Dunwiddie 1956 mit 49 Jahren nach New York, wo sie ihre Karriere als Bildhauerin fortsetzte. Sie wurde die erste Präsidentin der National Sculpture Society. Sie starb mit 87 Jahren am 27. April 1995 in New York.

Recherche und Text: Gundula Meiering, Januar 2025

Quellen:
Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945; Berliner Adressbücher – Zentral- und
Landesbibliothek Berlin; Arolsen Archives – Deportationslisten; Mapping the lives;
Landesarchiv Berlin, Personenstandsunterlagen/über ancestry; My Heritage;
Brandenburgisches Landeshauptarchiv (BLHA), Potsdam – Vermögenserklärung,
Reg.36A (II) 25834 Babette Mayer geborene Kahn, Reg.36A (II) 13774 Adolf Hanau;
United States Holocaust Memorial Museum – Papier von Charlotte Dunwiddie (1907-1995)

Stolperstein Babette Mayer

Stolperstein Babette Mayer

HIER WOHNTE
BABETTE MAYER
GEB. KAHN
JG. 1857
DEPORTIERT 27.7.1943
THERESIENSTADT
ERMORDET 2.12.1942

Babette Mayer geb. Kahn wurde am 4. April 1857 als zweites Kind von Wilhelm (*1828) und Johanna Kahn geborene Reichard (*1834) in Ottweiler, Neuenkirchen im Saarland, geboren. Der Erstgeborene Nathan Julius (*1855) starb schon nach einem Jahr. Das gleiche Schicksal hatten drei weitere Kinder. Neben Babette erreichten ihre Schwestern Auguste Karoline (*1859) und Mathilde Juliane (*1864) das Erwachsenenalter.

Wann und wo Babette ihren späteren Ehemann Siegmund Robert Mayer (*14. August 1853 in Maikammer, Landkreis Südliche Weinstraße, Pfalz) kennenlernte, ist nicht bekannt. Sie heirateten 1875 in St. Wendel, einer Kreisstadt im Regierungsbezirk Trier. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wanderten viele Bürger aus dem St. Wendeler Land nach Amerika aus, was auch ein Traum des jungen Paares gewesen sein muss.

Ihre erste Tochter Natalie Johanna wurde am 19. November 1877 noch in Kaiserslautern geboren und katholisch getauft. 1882 war Chicago in den USA ihr registrierter Wohnort. Hier kam am 24. Januar 1885 ihre zweite Tochter Else Alexandra zur Welt.

Ihre Zukunft sah die Familie später doch wieder in Europa, deshalb kehrten sie aus den USA zurück. Am 5. Dezember 1899 heiratete ihre inzwischen 22-jährige Tochter Natalie in Metz den katholischen Kaufmann Edouard Charles Louis Meyer (*10. April 1856 in Metz). Am 8. September 1901 wurde deren Tochter Ilse in Metz geboren. Babette wurde mit 44 Jahren zum ersten Mal Großmutter.

Ihre jüngste Tochter Else heiratete am 2. Juni 1906 in Wiesbaden den Rechtsreferendar Walter Karl Klein, der ebenfalls katholisch war. Am 19. Juni 1907 wurde Babettes zweite Enkelin Elisabeth Lieselotte Eugenie Natalie Klein in Straßburg geboren. Die Taufe des Kindes fand am 7. Juli in der katholischen Pfarrkirche Jung-Sankt-Peter zu Straßburg statt.

Am 2. Juli 1909 starb Babettes Ehemann Siegmund Robert Mayer mit 56 Jahren in Wiesbaden. Babette wurde mit 52 Jahren Witwe.

Vier Jahre später, am 12. April 1913, ließen sich Else und ihr Ehemann Dr. jur. Walter Karl Klein scheiden. Else und ihre 5-jährige Tochter Lotte lebten fortan wieder bei ihrer Mutter Babette in Wiesbaden.

Else heiratete am 14. Oktober 1919 den erfolgreichen jüdischen Kaufmann und Bankier Adolf Hanau (*23. August 1878 in Saarlouis-Roden), der ihre Tochter Lotte adoptierte.

Im März 1921 zogen Else, Lotte und Babette zu ihm nach Düsseldorf. Sie wohnten gemeinsam in der Grafenberger Allee 182. Die Familie war dem Pferdesport sehr verbunden. Mitte der zwanziger Jahre ging Lotte Hanau nach Berlin, um Kunst zu studieren. Sie heiratete am 11. Juli 1929 in Düsseldorf den Fabrikanten Richard Arthur Wolff (*29. September 1890 in Ludwigshafen) aus Berlin. Das junge Paar wohnte fortan in Berlin-Charlottenburg in der Bayernallee 14 im Westend.

1933 lebten in Düsseldorf rund 5.500 Juden, von denen bis 1938 etwa die Hälfte auswanderte. Warum Babette und die Familie Hanau nicht auswanderten, konnte nicht recherchiert werden.

Im September 1935 erließ der Reichstag die „Nürnberger Gesetze“, die Jüdinnen und Juden zu Bürgern minderen Rechts machten und nach der Rassenideologie der Nationalsozialisten von der „arischen“ Bevölkerung abgrenzten. Da half es auch nicht, katholisch getauft zu sein.

1936 gingen Adolf und Else Hanau und Babette Mayer ebenfalls nach Berlin. Sie zogen in die Villa von Dr. Karl Adler (* 1. Januar 1872 in Worms), Generaldirektor des zeitweilig größten Konzerns der europäischen Lederindustrie Adler & Oppenheimer, in der Delbrückstraße 19 in Berlin-Grunewald. Die Miete betrug 750 RM. Dr. Karl Adler zog 1936 nach Baden-Baden und flüchtete 1938 mit seiner Ehefrau Rosa nach Buenos Aires, Argentinien.

Babette bewohnte im zweiten Stock dieses Hauses eine 4-Zimmer-Komfort-Wohnung. Die Miete zahlte ihr Schwiegersohn.

In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938, der Reichspogromnacht, eskalierte die Gewalt gegen Juden. Synagogen und jüdische Einrichtungen wurden angesteckt, Menschen getötet, gedemütigt, verhaftet, misshandelt und vergewaltigt, Geschäfte und Wohnungen demoliert und zerstört. Teile der nichtjüdischen Bevölkerung standen den Pogromen ablehnend gegenüber, nicht alle beteiligten sich aktiv, aber auch nur wenige halfen ihren jüdischen Nachbarn.

Für die damals 81-jährige Babette Mayer muss diese Nacht voller Angst und Ohnmacht gewesen sein. Ihr Schwiegersohn Adolf Hanau wurde von der Gestapo in „Schutzhaft“ genommen und am 10. November 1938 in das Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt, wo er körperlichen und psychischen Misshandlungen ausgesetzt war. Gut einen Monat später, am 13. Dezember, wurde er entlassen.

Am 19. Januar 1939 beging der Ehemann ihrer Enkelin Lotte, der seine Fabrik durch die „Arisierung“ verloren hatte, Selbstmord. Lotte verließ kurz darauf Berlin und setzte ihr Kunststudium in Paris und Madrid fort. In Madrid heiratete sie am 27. Juli 1940 den zehn Jahre jüngeren Amerikaner Donald Murdock McLean (*9. September 1916 in Tuscaloosa, Alabama).

Wann Babettes älteste Tochter Natalie nach Berlin kam, ist nicht bekannt. Bei der „Minderheiten-Volkszählung“ am 17. Mai 1939 wohnte die damals 62-jährige alleine in der Motzstraße 61 in Berlin-Schöneberg. Sie fühlte sich, obwohl ihr „arischer“ Mann schon verstorben war, durch ihre „Privilegierte Mischehe“ vor der Deportation geschützt.

Am 27. Mai 1942 wurde Babettes Schwiegersohn Adolf Hanau erneut von der Gestapo abgeholt. Er war einer der 500 „Geiseln“, die als Reaktion auf den Brandanschlag der jüdisch-kommunistischen Herbert-Baum-Gruppe auf die Ausstellung „Das Sowjet-Paradies“ im Berliner Lustgarten verhaftet wurden. Als Rache für den Anschlag wurden 250 Juden in Sachsenhausen ermordet, darunter 154 von den in Berlin festgenommenen und 96 bereits in Sachsenhausen inhaftierten Häftlinge. Adolf Hanau wurde im Konzentrationslager Sachsenhausen interniert.

Ihre Tochter Else, die sich am 1. Juni 1942 zur „Evakuierung“ bei der Gestapo melden sollte, verübte am 1. Juni Selbstmord und starb am 2. Juni 1942 an Schlafmittelvergiftung im Jüdischen Krankenhaus in der Iranischen Straße in Berlin-Wedding.

Babette blieb allein in der Villa zurück. Der Hauswart der Delbrückstraße 19, den Adolf Hanau von Dr. Adler übernommen hatte, denunzierte sie bei der Gestapo. Sie würde Vermögenswerte des „inhaftierten Juden Adolf Hanau verkaufen und verschieben“. Die Gestapo behauptete sogar, dass Babette den Auftrag dazu von ihrem Schwiegersohn aus dem Konzentrationslager erhalten habe und deshalb eine „Evakuierung“ von Babette Mayer schnellstens angebracht sei.

Tatsächlich hatte Babette Einrichtungsgegenstände und Wertsachen aus der Wohnung ihrer Tochter in ihre Wohnung gebracht, denn sie glaubte in ihrem hohen Alter nicht mehr „evakuiert“ zu werden. Außerdem sah sie sich durch ihre Tochter Natalie, die, wie sie meinte, „arisch versippt“ war, geschützt.

Anfang Juli 1942 holte die Gestapo Babette Mayer in der Delbrückstraße 19 ab und setzte sie im Sammellager der Große Hamburger Straße 26 fest. Am 24. Juli 1942 füllte sie ihre Vermögenserklärung aus. Bei der Deutschen Bank hatte sie Aktien im Wert von 25.000 RM, die mit der Abschiebung in das Ghetto Theresienstadt dem Deutschen Reich zufielen.

Drei Tage später, am 27. Juli 1942, deportierte sie die Gestapo in das Ghetto Theresienstadt. Hier lebte sie trotz der unmenschlichen Verhältnisse im Ghetto noch vier Monate auf der Krankenstation. Sie starb laut Todesfallanzeige mit 85 Jahren am 2. Dezember 1942 an Altersschwäche.

Ihr Schwiegersohn Adolf Hanau wurde von Sachsenhausen nach Auschwitz deportiert, wo er am 25. November 1942 ermordet wurde. Er starb mit 64 Jahren.

Babettes älteste Tochter Natalie wurde trotz der „privilegierten Mischehe“ am 10. Januar 1944 aus der Motzstraße 64 nach Theresienstadt deportiert. Die Gestapo nannte diese Deportation „Wohnsitzverlegung von nicht mehr bestehenden privilegierten Mischehen“. Sie überlebte und ging nach der Befreiung des Ghettos Theresienstadt zu ihrer Tochter Ilse Lemke geborene Meyer nach Leipzig. Später lebten die beiden wieder in der Motzstraße 64 in Berlin-Schöneberg. Hier starb Natalie Meyer geb. Mayer, mittlerweile Geschäftsinhaberin eines Instituts für Eheanbahnung, am 26. Januar 1950 mit 72 Jahren an Darmkrebs.

Lotte Hanau geborene Klein und Donald McLean ließen sich am 26. Februar 1943 scheiden. Er trat danach in die US-Army ein und sie emigrierte von Spanien nach Argentinien. Dort heiratete sie 1944 in dritter Ehe Dedrick Stanley Dunwiddie (*1908) und lebte mit ihm in Lima, Peru. Durch die Ehe bekam sie am 25. Juni 1948 die amerikanische Staatsbürgerschaft.
Nach dem plötzlichen Tod ihres Ehemannes 1951 ging Charlotte Dunwiddie 1956 mit 49 Jahren nach New York, wo sie ihre Karriere als Bildhauerin fortsetzte. Sie wurde die erste Präsidentin der National Sculpture Society. Sie starb mit 87 Jahren am 27. April 1995 in New York.

Recherche und Text: Gundula Meiering, Januar 2025

Quellen:
Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945; Berliner Adressbücher – Zentral- und
Landesbibliothek Berlin; Arolsen Archives – Deportationslisten; Mapping the lives;
Landesarchiv Berlin, Personenstandsunterlagen/über ancestry; My Heritage;
Brandenburgisches Landeshauptarchiv (BLHA), Potsdam – Vermögenserklärung,
Reg. 36A (II) 25834 Babette Mayer geborene Kahn, Reg. 36A (II) 13774 Adolf Hanau;
United States Holocaust Memorial Museum – Papier von Charlotte Dunwiddie (1907-1995)

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