Stolpersteine Mommsenstr. 20

Hauseingang Mommsenstr. 20

Hauseingang Mommsenstr. 20

Diese beiden Stolpersteine wurden am 24. April 2014 verlegt.

Stolperstein Ella Hauschild

Stolperstein Ella Hauschild

HIER WOHNTE
ELLA HAUSCHILD
GEB.BLUMENREICH
JG. 1894
DEPORTIERT 29.1.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Ella Hauschild geborene Blumenreich wurde am 11. Oktober 1894 als Tochter des Sandgrubenbesitzers Hermann Blumenreich und dessen Frau Paula geborene Heimann im oberschlesischen Georgenberg bei Tarnowitz (heute Miasteczko Śląskie in Polen) geboren. Sie hatte drei Schwestern, Rosa (*27. August 1989), Trude (*4. September 1904) und Lisbeth, sowie einen Bruder namens Willi.

1919 heiratete Ella in ihrem Heimatort den Kaufmann Max Hauschild (*28. Februar 1891). Er stammte aus einer böhmischen Familie, die bereits seit gut dreißig Jahren in Erbendorf in der Oberpfalz ansässig war. Max’ Vater Ignatz, der aus kleinen Verhältnissen stammte, hatte dort zuerst als Gehilfe, dann als Teilhaber seines Schwagers in den 1880er-Jahren die Firma Weiß & Comp. mit aufgebaut. Zunächst hatte sie Holzperlen für Rosenkränze und Rechenschieber hergestellt, dann aber auf den Mehl- und Getreidehandel umgesattelt. Hinzu kamen später Kolonialwaren und eine Malzfabrik. Zum Zeitpunkt ihrer Hochzeit war Ellas Ehemann Max einer der vier Teilhaber dieses Unternehmens.

Ella zog mit Max nach Erbendorf, einem Städtchen mit etwa 3000 Einwohnern. Dort bekamen die Hauschilds zwei Kinder, Horst Emanuel (*5. Januar 1920) und Ingeborg Florentine, genannt Inge (*12. Januar 1925). Sie lebten zuerst im „Haus 39“, später dann in der Bräugasse 30 im ersten Stock; im Erdgeschoss wohnten Max’ Eltern.

Horst und Inge besuchten die evangelische Volksschule in Erbendorf. Horst wechselte 1930 auf das humanistische Gymnasium von Weiden und lebte dort bei einem Lehrer in Pension. Im Frühjahr 1936 musste er die Schule als letzter jüdischer Schüler verlassen. Er zog auf einen Gutshof in Neuendorf bei Fürstenwalde in Brandenburg und absolvierte dort einen „Hachschara“-Kurs, ein von der zionistischen Jugendbewegung Hechaluz organisiertes landwirtschaftliches Training, das die Voraussetzung für eine Einreisegenehmigung nach Palästina war.

Ellas Ehemann Max erkrankte 1937 an Leukämie. Zwei seiner Brüder lebten als Ärzte in Berlin und holten ihn zu sich, um ihm in einer dortigen Privatklinik besser helfen zu können; die Behandlung war erfolglos und Max starb am 15. Juli 1937 in Wilmersdorf. Er ist auf dem jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee beigesetzt. Ella Hauschild wurde mit 42 Jahren Witwe. Sie blieb mit ihrer zwölfjährigen Tochter Inge zunächst im Haus ihrer Schwiegereltern in Erbendorf.

Ihr Sohn Horst lebte inzwischen in Lehrensteinsfeld bei Heilbronn, auf einer „Hachschara“-Farm. Nach wiederholten Angriffen durch die Nazis wurde das Zentrum 1938 geschlossen. Horst kehrte zuerst zu Mutter und Schwester nach Erbendorf zurück, dann zog er nach Breslau, lebte dort mit anderen Mitgliedern von Hechaluz in einer Kommune und wurde als Jugendführer tätig. Im November 1938, am Morgen nach den „Kristallnacht“-Pogromen, wurde er mit anderen Mitgliedern von Hechaluz verhaftet und in das KZ Buchenwald verschleppt. Der Kontakt zu seiner Mutter war nicht abgerissen; mit Müh und Not und mit Hilfe des Bürgermeisters von Erbendorf, Heinrich Tretter, gelang es Ella Hauschild, die Freilassung ihres Sohnes aus dem KZ Buchenwald zu erwirken. Heinrich Tretter schrieb mehrere lange Briefe an die Gestapo-Leitstelle Breslau und bat um Horst Hauschilds Freilassung, um ihm die Emigration zu ermöglichen. Er versicherte, dass „gegen die Person des Horst Hauschild selbst Nachteiliges nicht vorliegt“ und wies auch darauf hin, dass dessen Mutter vor kurzem den Mann verloren und eine „etwas krüppelhafte Tochter“ habe; Inge war leicht gehbehindert. Herrn Tretters Briefe hatten schließlich Erfolg und Horst konnte mit einem Visum, das ihm Hechaluz besorgt hatte, nach England emigrieren.

1939 beantragte Ella Hauschild für sich und ihre Tochter Inge Reisepässe. Eine Emigration kam aber nicht zustande, stattdessen fiel der Vorgang der Gestapo in die Hände, woraufhin Frau Hauschild zu einer Geldstrafe von 2.500 RM „wegen Devisenzuwiderhandlung“ verurteilt wurde. Sie verkaufte ihre Immobilie in Erbendorf, das „Haus 39“, in dem die Familie früher gewohnt hatte, und verließ die Stadt. Ella und Inge zogen nach Berlin. 1940 wohnten sie im Haus Kurfürstendamm 183, ab April 1941 zur Untermiete in der Mommsenstraße 20. Ella musste Zwangsarbeit bei der Firma Nordland Schneeketten in der Kurfürstenstraße verrichten. Über das Deutsche Rote Kreuz gelang es Inge im Juni 1942, ihrem Bruder, der in der Nähe von Exeter in Devon lebte, eine Nachricht zukommen zu lassen: „Brüderlein! Sind gesund. Hoffen dasselbe von Dir. Mutti beschäftigt. Ich versorge Haushalt. Sei geküsst von Inge.“ Das war das letzte Lebenszeichen, das Horst von Inge bekam. Er sah seine Mutter und Schwester nie wieder.

Ella Hauschild und ihre Tochter mussten sich im Sammellager Große Hamburgische Straße 26 einfinden. Dort wurde ihnen am 27. Januar 1943 der Deportationsbescheid zugestellt. Zwei Tage später wurden sie mit dem „27. Osttransport“ ins Vernichtungslager Auschwitz Birkenau verschleppt. Dort wurden Ella und ihre Tochter wahrscheinlich gleich nach der Ankunft in der Gaskammer ermordet. Ella Hauschild war 48 Jahre alt. Ihre Tochter Inge war zwei Wochen zuvor 18 Jahre alt geworden.

Ellas Schwester Lisbeth und ihr Bruder Willi waren anscheinend jung gestorben. Ihre Schwester Trude emigrierte mit Ehemann Oskar Finger und Tochter Frieda 1938/39 in die Vereinigten Staaten. Ellas Schwester Rosa Seidler geborene Blumenreich, die einen Apotheker geheiratet hatte und mit ihm in Hamburg lebte, wurde deportiert und wahrscheinlich 1942 im Ghetto Łódź ermordet.

Ellas Sohn Horst blieb der zionistischen Bewegung treu. Er war in England in der zionistischen Jugendarbeit tätig, heiratete und leitete nach Kriegsende ein Hostel für jugendliche Überlebende des Holocaust. 1948 emigrierten Horst Hauschild und seine Ehefrau Eva (Chava) geborene Berlowitz dann nach Palästina. Horst Hauschild legte seinen deutschen Namen ab und nannte sich Menachem Magen. Zusammen mit seiner Frau arbeitete er am Aufbau eines Kibbuz mit. Mit einer immer größer werdenden Familie verbrachte Menachem sein ganzes Leben im Kibbuz. Ellas Sohn starb am 23. Juli 2024 im Alter von 104 Jahren im Kibbuz HaMa’apil. Zur Verlegung der Stolpersteine für Mutter und Schwester war er nach Berlin gereist.

Text und Recherche: Christine Wunnicke, mit Dank an Jochen Neumann

Quellen:
Yad Vashem
Gedenkbuch des Bundes
offizielle Dokumente über MyHeritage
Jochen Neumann, Das Schicksal der jüdischen Familie Hauschild aus Erbendorf, ONetz 2023
Ingild Janda-Busl, Juden im Landkreis Tirschenreuth, Bamberg 2001
Foto: Ella Hauschild mit Tochter Ingeborg und Sohn Horst, 1935.
Mit freundlicher Genehmigung des Museums Flucht Vertreibung Ankommen, Erbendorf

Stolperstein Ingeborg Hauschild

Stolperstein Ingeborg Hauschild

HIER WOHNTE
INGEBORG HAUSCHILD
JG. 1926
DEPORTIERT 29.1.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Ingeborg Florentine Hauschild, genannt Inge, kam am 12. Januar 1925 im oberpfälzischen Erbendorf in der Nähe von Tirschenreuth zur Welt. (Auf dem Stolperstein steht fälschlicherweise das Geburtsjahr 1926.) Ihr Vater Max war in dem Städtchen geboren; seine Familie stammte ursprünglich aus Böhmen. Inges Mutter Ella geborene Blumenreich war die Tochter eines Sandgrubenbesitzers aus Oberschlesien. Ella hatte einen fünf Jahre älteren Bruder namens Horst.

Inges Vater war Teilhaber der Erbendorfer Firma Weiß & Comp., die ihr Großvater Ignatz in den 1880er-Jahren mit aufgebaut hatte. Sie handelte mit Kolonialwaren, Mehl und Getreide und betrieb eine Malzfabrik. Inge wuchs im ersten Stock eines Hauses in der Erbendorfer Bräugasse auf. Im Parterre wohnten ihre Großeltern Ignatz und Bertha.

Die Familie Hauschild liebte die Musik. Der Vater spielte verschiedene Streichinstrumente, die Mutter spielte Klavier. Auch Inge nahm als Mädchen Klavierunterricht. Ihr linkes Bein war etwas kürzer als das rechte, weshalb sie ein wenig humpelte. Ebenso wie ihr Bruder besuchte sie die evangelische Volksschule in Erbendorf.

Als Inge zwölf Jahre alt war, starb ihr Vater in Berlin-Wilmersdorf an Leukämie. Weil zwei seiner Brüder dort Ärzte waren, hatte er in Berlin Hilfe gesucht, aber die Behandlung war erfolglos geblieben. Inges Bruder Horst, der 1936 als letzter Jude aus dem Weidener Gymnasium vertrieben worden war, hatte sich der zionistischen Jugendbewegung Hechaluz angeschlossen. Er absolvierte mehrere „Hachschara“-Trainings, landwirtschaftliche Kurse, die die Voraussetzung für eine Einreise nach Palästina waren, dann zog er nach Breslau. Dort wurde er nach den „Kristallnacht“-Pogromen inhaftiert und ins KZ Buchenwald verschleppt. Horsts und Inges Mutter Ella gelang es mit Hilfe des Erbendorfer Bürgermeisters, seine Freilassung zu erwirken. Im März 1939 nahm Horst Abschied von Mutter und Schwester und emigrierte nach England. Inge sah ihren Bruder nie wieder.

Auch Inge und ihre Mutter wollten emigrieren. Sie beantragten 1939 Reisepässe. Die Auswanderung kam aber nicht zustande. Ella und Inge zogen nach Berlin. Sie wohnten dort zunächst am Kurfürstendamm, ab April 1941 dann zur Untermiete in der Mommsenstraße 20. Inges Mutter musste Zwangsarbeit bei der Firma Nordland Schneeketten in der Kurfürstenstraße verrichten. Über das Deutsche Rote Kreuz gelang es Inge im Juni 1942, ihrem Bruder, der in der Nähe von Exeter in Devon lebte, eine letzte Nachricht zukommen zu lassen: „Brüderlein! Sind gesund. Hoffen dasselbe von Dir. Mutti beschäftigt. Ich versorge Haushalt. Sei geküsst von Inge.“

Ella Hauschild und ihre Tochter Inge mussten sich im Sammellager Große Hamburgische Straße 26 einfinden. Dort wurde ihnen am 27. Januar 1943 der Deportationsbescheid zugestellt. Zwei Tage später wurden sie mit dem “27. Osttransport” ins Vernichtungslager Auschwitz Birkenau verschleppt. Dort wurden Inge und ihre Mutter wahrscheinlich gleich nach der Ankunft in der Gaskammer ermordet. Ingeborg Florentine Hauschild starb zwei Wochen nach ihrem achtzehnten Geburtstag.

Ihr Bruder Horst arbeitete in England als Landarbeiter und in der zionistischen Jugendarbeit, heiratete und leitete nach Kriegsende mit seiner Frau Chava ein Hostel für jugendliche Überlebende des Holocaust. 1948 emigrierte er nach Palästina, wo er seinen deutschen Namen ablegte und sich Menachem Magen nannte. Menachem und Chava arbeiteten am Aufbau eines Kibbuz mit und blieben der Kibbuz-Bewegung ihr Leben lang treu. Ellas Bruder starb am 23. Juli 2024 im Alter von 104 Jahren in Israel. Bei der Verlegung der Stolpersteine für Mutter und Schwester war er anwesend gewesen.

Text und Recherche: Christine Wunnicke, mit Dank an Jochen Neumann

Quellen:
Yad Vashem
Gedenkbuch des Bundes
offizielle Dokumente über MyHeritage
Jochen Neumann, Das Schicksal der jüdischen Familie Hauschild aus Erbendorf, ONetz 2023
Ingild Janda-Busl, Juden im Landkreis Tirschenreuth, Bamberg 2001
FOTO: Ingeborg Hauschild, 1939 (Passbild), mit freundlicher Genehmigung des Museums Flucht Vertreibung Ankommen, Erbendorf

  • Ella, Ingeborg und Horst Hauschild

    Ella, Ingeborg und Horst Hauschild

  • Ingeborg Hauschild

    Ingeborg Hauschild