Stolpersteine Wundtstr. 64

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Diese drei Stolpersteine wurden von Jutta und Hanspeter Staffler (Andrian, Italien) gespendet und am 15.10.2013 in Anwesenheit von Martin und Paula Poppers Enkelsohn Claudio Armaleo und seiner Frau (Rom) verlegt.

Stolperstein Bella Kussel, Foto:H.-J. Hupka

Stolperstein Bella Kussel, Foto:H.-J. Hupka

HIER WOHNTE
BELLA KUSSEL
GEB. LICHTENSTEIN
JG. 1865
DEPORTIERT 7.9.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 27.9.1942

Stolperstein Martin Popper, Foto:H.-J. Hupka

Stolperstein Martin Popper, Foto:H.-J. Hupka

HIER WOHNTE
MARTIN POPPER
JG. 1861
DEPORTIERT 7.9.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 25.9.1942

Stolperstein Paula Susanne Popper, Foto:H.-J. Hupka

Stolperstein Paula Susanne Popper, Foto:H.-J. Hupka

HIER WOHNTE
PAULA SUSANNE
POPPER
GEB. SALOMON
JG. 1874
DEPORTIERT 7.9.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 19.9.1942

Martin Popper ist am 26. April 1861 in Stolp (Pommern) geboren, seine Frau Paula Popper , geb. Salomon, am 16. Dezember 1874 in Hannover. Bis September 1941 lebten sie in einer 5-Zimmer-Wohnung in der Wundtstraße 64 in Charlottenburg, als Untermieterin hatten sie Bella Kussel, eine Cousine von Paula. Danach mussten sie – wahrscheinlich weil sie sich diese Wohnung finanziell nicht mehr leisten konnten oder weil sie gezwungen wurden, die von Nazi-Funktionären beanspruchte Wohnung zu verlassen – nach Tiergarten in den Blumes Hof 15 in den zweiten Hof ziehen. Als Vermieterin gaben sie Jenny Joachimsohn an, von der es jedoch keine Spuren gibt.

Sie hatten eine Tochter Lore, geboren am 8. April 1913 in Berlin, die nach Italien ging, dort kurze Zeit Medizin studierte und 1938 den Arzt Dr. Giovanni Armaleo heiratete. Sie erwarb dadurch die italienische Staatsbürgerschaft, beide wanderten nach Abessinien aus und ließen sich in dem Ort Dire Dawa nieder, wo er als Kolonialarzt tätig war. Lore Armaleo-Popper hatte einen Stiefbruder aus erster Ehe der Mutter, der nach ihren Aufzeichnungen „von der Gestapo in Holland getötet“ worden ist.

Popper war Bank-Prokurist bei der Dresdner Bank gewesen, früher bei der Darmstädter und Nationalbank. Ende der 1920er oder Anfang der 1930er Jahre wurde er pensioniert.

Seine Vermögenserklärung vom 11. August 1942 füllte Martin Popper in schwungvoller Schrift mit Füllfederhalter aus. Die Angaben, die er darin machte, deuten auf Wohlstand hin. Er fügte eine sogfältige Aufstellung bei, aus der ein Wertpapierbesitz von 58 000 Reichsmark hervorgeht. Außerdem hatte das Ehepaar einige Versicherungen, sodass für das Alter gut vorgesorgt gewesen wäre. Nach Angaben der Tochter muss das Vermögen jedoch früher bedeutend höher gewesen sein. Die Nazis hätten schon hohe Geldbeträge konfisziert, schrieb sie später und beschrieb die Wohnungseinrichtung in der Wundtstraße: antike Möbel, Mahagoni-Schlafzimmer, Silber und Meißner Porzellan, unter den zahlreichen Gemälden ein vom Großonkel gemaltes Heinrich-Heine-Portrait, ungefähr 2000 Bücher sowie Kunst- und Musiksammlungen, ein Steinway-Klavier und ein Harmonium.

„Nur einen kleinen Teil“ des Besitzes hätten ihre Eltern retten können, schrieb die Tochter 1948 aus Rom, und „einige wenige Kisten“ wurden, „bevor sie aus dem Hause getrieben wurden, verschiedenen Leuten zur Aufbewahrung übergeben“, auch „ein wertvoller Perserteppich“. Ihre jahrelangen Nachforschungen blieben aber ergebnislos, alles war verschwunden. Nachdem sie das Vermögen ihres Mannes in Ostafrika verloren hatte, bekam sie auch von den in Deutschland gestohlenen Werten nichts zurück.

Martin Popper hatte fein säuberlich in der Vermögenserklärung notiert: „Ich bin Mit-Testamentsvollstrecker des Jacob Salomon’schen Nachlasses:“ Zusammen mit Harry Salomon, vermutlich einem Verwandten seiner Frau, der in Zürich lebte, verwalte er ein 1929 angelegtes Nießbauchkonto für deren Cousine Bella Kussel, die auch bei ihnen wohnte. Außerdem verwalte er die 1938 bei der Firma Gebr. Hardy&Co in Berlin hinterlegten Wertpapiere seiner Tochter Lore, die „unter Kontrolle der Banca d’italia“ stünden und somit von den Nazis unantastbar schienen. Es schien also alles wohlgeordnet, bis die Geheime Staatspolizei die Beschlagnahme und Einziehung dieses ganzen Vermögens verfügte.

In den Blumes Hof 15 hatten Poppers nur die notwendige Wohnungseinrichtung, Kleidung und „diverse Familienbilder“ mitnehmen können. Auf einen Wert von 574,50 taxierte Albert Dümle von der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel diese restlichen Gegenstände, die von Altwarenhändlern verhökert wurde.

Martin und Paula Popper mussten sich eines Tages zusammen mit Berta Kussel, die in einem Durchgangszimmer untergekommen war, im Sammellager in der Großen Hamburger Straße 26, einem ehemaligen jüdischen Altersheim, einfinden, um sich für die Deportation registrieren zu lassen. Am 7. September 1942 sind sie nach Theresienstadt deportiert worden. Dort starb Paula Popper 67-jährig am 19. September 1942 an einer „Lungenentzündung“, Paul Popper im Alter von 81 Jahren am 25. September 1942 infolge eines „Darmkatharrs“, wie in den „Todesfallanzeigen“ (http://www.holocaust.cz/de/document/DOCUMENT.ITI.5225 und http://109.123.214.108/de/document/DOCUMENT.ITI.6048 ) die unglaublichen medizinischen Zustände im Ghetto umschrieben wurden.

Lore Armaleo-Popper, die Italien blieb, beantragte beim Senator für Inneres Berlin 1968 die Wiedereinbürgerung. Sie ist am 9. Januar 2013 in Rom gestorben.

Bella Kussel , geb. Lichtenstein, wurde am 17. Dezember 1865 in Magdeburg geboren. Sie war verwitwet und wohnte bei ihrer Cousine Paula Popper und deren Mann, dem pensionierten Bankprokuristen Martin Popper in der Wundtstraße 64. Bei der Volkszählung am 17.5.1939 ließ sie sich mit dem Vornamen Bella eintragen, in anderen Unterlagen ist sie als Berta Kussel registriert.

Dank eines Kontoguthabens und einer Reichsschatzanweisung zu 4½ % von 1938 konnte die 75jährige alte Dame noch um 1940 herum anständig leben. Außerdem verfügte sie über eine bei der Dresdner Bank gelagerte, von Martin Popper verwaltete Lebenszeitrente, die ihr von dem 1929 gestorbenen Jacob Salomon testamentarisch vermacht worden war.

1941/42, nachdem ihre Werte vom Deutschen Reich eingezogen worden waren, musste sie aber in den Blumes Hof 15 nach Tiergarten umziehen, wo sie wie Poppers Untermieterin bei Joachimsohn war und in einem Durchgangszimmer in ärmlichen Verhältnissen lebte. „1 Bett, 1 Tisch, 1 Sessel, 1 Kommode, 1 Bettvorleger“ gab sie in ihrer „Vermögenserklärung“ an. Immerhin setzte die Möbelhandlung Margarete Pinoff, die die Wohnung am 1.2.1943 räumen ließ, 108,50 RM dafür an und ein Gerichtsvollzieher namens Hofmann stellte eine Kostenrechnung über 6,70 RM.
Am 7. September 1942 wurde sie zusammen mit 100 Menschen, darunter auch Martin und Paula Popper, vom Anhalter Bahnhof nach Theresienstadt deportiert. 20 Tage später, am 27. September 1942, wurde von drei Ghetto-Ärzten ihr Tod bestätigt. Als Todesursache gaben sie in der Sterbeanzeige eine „Herzmuskelentartung“ an.

Quellen: Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Opferdatei des Ghettos Theresienstadt; Briefe von Lore Armaleo Popper an die Britische Militärregierung (1948) – Text: Helmut Lölhöffel