HIER WOHNTE
HERMANN KIWI
JG. 1879
DEPORTIERT 18.10.1942
LODZ / LITZMANNSTADT
ERMORDET 8.5.1942
CHELMNO / KULMHOF
Hermann Kiwi wurde am 22. Februar 1879 als Sohn von Moses (Moshe, Moritz) Kiwi und dessen Frau Röschen geborene Moda in Obornik in der Nähe von Posen (heute Oborniki in Polen) geboren, einer Kleinstadt von 2.800 Einwohnern, davon etwa 350 Jüdinnen und Juden. Hermanns Vater besaß hier ein kleines Gasthaus. Wahrscheinlich hatte Hermann mehrere Geschwister; mit Sicherheit wissen wir nur von seiner kleinen Schwester Guste/Gusti (* 4. April 1884).
Hermann absolvierte eine Ausbildung in einem Sägewerk bei einer schlesischen Holz-Aktiengesellschaft. Nach einem Freiwilligenjahr bei einem Regiment in Posen 1899/1900 arbeitete er weitere sieben Jahre bei dieser Firma. 1907 machte er sich dann in Pudewitz (Pobiedziska) nicht weit von seinem Geburtsort mit einem Holzgeschäft mit Sägewerk und Landwirtschaft selbstständig, welches er von einem Verwandten übernommen hatte.
Am 2. Mai 1912 heiratete er Martha Bromberg (* 2. März 1881), Tochter eines Posener Schuhfabrikanten. Seine Firma machte gute Geschäfte mit der Waggonindustrie und mit Eisenbahnwerken und Hermann brachte es zu einigem Wohlstand. Es war nicht festzustellen, ob Hermann und Martha Kinder hatten. 1914 ging Hermann Kiwi als Freiwilliger in den Krieg. Als er zurückkam, konnte er sich mit seinem Geschäft nicht länger in Posen halten, das nun zu Polen gehörte. 1921 zog er mit seiner Frau und eventuellen Kindern nach Berlin und begann, dort wieder einen Holzhandel aufzubauen. Das Geschäftslokal befand sich in der Düsseldorfer Straße 42, die Familienwohnung am Kaiserdamm 16. In der unmittelbaren Nachkriegszeit liefen die Geschäfte nicht gut, dann kam die Inflation, das Einkommen reichte gerade für eine „einigermaßen auskömmliche Existenz“. Das Geschäft wurde in die Weimarer Straße 50 verlegt. Aber noch vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise war Hermann Kiwi insolvent.
1928 stand der Gerichtsvollzieher in der Weimarer Straße vor verschlossener Tür, „unbekannt verzogen“.
Nicht nur Hermanns Firma ging zu Bruch, auch seine Ehe scheint gescheitert zu sein. Schon 1926 verzeichnet das Adressbuch am Kaiserdamm 16 nur „Kiwi, Martha geb. Bromberg, Privatiere“. Hermann wohnte vielleicht bei seinem Holzgeschäft in der Weimarer Straße, spätestens 1928 dann zur Untermiete bei einer Frau Herforth in der Windscheidstraße 13. Als die Industrie- und Handelskammer (IHK) ihn 1929 ausfindig machte und aufforderte, seine Firma zu löschen, da er schon länger keine Geschäfte tätige, sondern als Vertreter arbeite, bat Hermann Kiwi um Aufschub, da dies „infolge der schlechten Wirtschaftslage“ nur vorübergehend der Fall sei. Er stehe im Begriff, wieder zu heiraten, „wodurch dem Unternehmen weiteres Betriebskapital zugeführt werden“ solle. Aber ein Jahr später meldete die IHK: „Die in Aussicht genommene Wiederverheiratung des Kiwi verzögert sich.“ Ob sie je stattfand, wissen wir nicht. 1931 bat Hermann Kiwi um Löschung seiner Firma aus dem
Handelsregister.
1937 gründete er eine neue Holzhandlung, wiederum in Wilmersdorf. Das Geschäftslokal befand sich diesmal in der Kaiserallee (heute Bundesallee) 27. 1940 war die Firma aus dem Adressbuch wieder verschwunden, was nicht verwundert, denn inzwischen war es für Juden fast unmöglich geworden, selbstständig zu arbeiten.
Zahlreiche antisemitische Verordnungen des NS-Regimes zielten darauf, Juden vollständig aus dem Berufsleben zu drängen, zusätzlich zu den Bestimmungen, die ihren Alltag bitter einschränkten. Hatten sie Vermögen, so durften sie nur über einen dem Existenzminimum entsprechenden Betrag verfügen. Das Mietrecht für Juden wurde außer Kraft gesetzt, oftmals wurden sie genötigt, ihre Wohnungen aufzugeben. Zum Zeitpunkt der „Minderheiten-Volkszählung“ im Mai 1939 wohnte Hermann Kiwi bereits in der Hektorstraße 5, wahrscheinlich zur Untermiete. Seine Schwester Guste, verwitwete Leschziner, die es ebenfalls nach Berlin verschlagen hatte, wohnte im selben Haus.
Die Geschwister wurden bereits mit dem ersten Berliner Deportationszug am 18. Oktober 1941 vom Gleis 17 am Bahnhof Grunewald in das Ghetto Łódź verschleppt. Dort sahen sie sich völlig unmenschlichen Lebensbedingungen ausgesetzt, an denen viele Ghettobewohner starben. Hermann und Guste überlebten bis zur ersten Maiwoche 1942; dann wurden sie beide – Guste am 7. und Hermann am 8. Mai – weiter in das 80 km entfernte Vernichtungslager Kulmhof deportiert und dort gleich nach der Ankunft in einem Gaswagen ermordet. Hermann Kiwi wurde 63 Jahre alt, seine Schwester Guste 58.
Hermanns Ex-Frau Marthe, die im Mai 1939 in der Wielandstraße 30 gewohnt hatte, wurde gezwungen, in die Krausnickstraße 13 umzuziehen. Von dort wurde sie Ende August 1942 abgeholt, in die als Sammellager missbrauchte Synagoge in der Levetzowstraße 7/8 gebracht und am 5. September 1942 vom Güterbahnhof Moabit in der Putlitzstraße mit 795 anderen Leidensgenossinnen nach Riga deportiert. Ziel war angeblich das Rigaer Ghetto, dorthin gelangte jedoch nur das Gepäck der Deportierten. Die Menschen selbst wurden, bis auf 80 zur Zwangsarbeit ausgesuchte Männer, nach der dreitägigen Reise sofort in den umliegenden Wäldern erschossen. Auch Martha Kiwi wurde am 8. September 1942 ermordet. Für sie wurde ein Stolperstein in der Wielandstraße 30 verlegt.
Recherche und Text: Dr. Micaela Haas, Christine Wunnicke
Quellen:
Yad Vashem
Gedenkbuch des Bundes
Posener und Berliner Adressbücher
Landesarchiv Berlin, Handelsregisterakten
Amtliche Dokumente über MyHeritage
“Allgemeines Lexicon sämtlicher jüdischen Gemeinden Deutschlands” 1884
mappingthelives.org