Stolperstein Pestalozzistraße 10

Hauseingang Pestalozzistr. 10

Hauseingang Pestalozzistr. 10

Dieser Stolperstein wurde am 26.04.2012 verlegt.

Stolperstein Henriette Mohr

Stolperstein Henriette Mohr

HIER WOHNTE
HENRIETTE MOHR
GEB. ZELLNER
JG. 1873
DEPORTIERT 30.7.1942
THERESIENSTADT
1942 TREBLINKA
ERMORDET

Henriette Mohr wurde am 11. Dezember 1873 als Henriette Zellner in Ostrowo/Posen geboren. Ihre Eltern waren Moritz Zellner und Emilie geb. Unger. Sie hatte eine ältere Schwester, Fanny, eine jüngere, Regina, und zwei Brüder, Leo und Joseph, beide jünger als sie. Da der Vater schon einmal verheiratet gewesen war, hatte Henriette auch drei ältere Halbgeschwister, Hugo, Millie und Jenny.

Henriette heiratete den Kaufmann Adolf Mohr, mit dem sie zunächst in Ostrowo lebte. Dort wurde am 20. Januar 1899 ihre Tochter Margot geboren. In diesem Jahr starb auch Moritz Zellner. Wir finden Henriettes Spur erst wieder 1918 und zwar in Berlin. 1918/19 waren viele Deutsche aus der Provinz Posen nach Berlin gekommen, nachdem infolge des Aufstandes der polnischen Bevölkerungsmehrheit Posen und auch Ostrowo zu Polen kamen. Laut Adressbuch wohnte Henriette 1918 schon in der Pestalozzistraße 10, die Wohnung lief auf ihren Namen. Das lässt darauf schließen, dass Adolf Mohr schon gestorben war, vielleicht im Krieg gefallen, oder dass sie geschieden waren. Nach 1923 wird Henriette im Adressbuch als Witwe oder Kaufmannswitwe bezeichnet.

In der Pestalozzistraße bewohnte Heriette Mohr eine große Wohnung mit 4 ½ Zimmern im 1. Stock. Es gibt Indizien, dass sie Zimmer vermietete, da sie 1921 einmal als „Vermieterin“ im Adressbuch eingetragen war. Möglich, dass Ihre Tochter weiter in der Wohnung lebte, nachdem sie den Kaufmann Hans Foß geheiratet hatte. Margot und Hans bekamen drei Söhne, Peter, Werner und der Jüngste, Harry, der 1933 auf die Welt kam. Hans Foß (auch Foss geschrieben) bezog eine Wohnung im Gartenhaus der Pestalozzistraße 10, vielleicht war es bei Henriette zu eng geworden. Die Familie hatte zwar eine Auswanderung nach Palästina erwogen, fand aber dort die Bedingungen zu ungünstig. Laut seinem Sohn Peter habe Hans Foß gesagt „In die Wüste gehen wir nicht!“. Nur Peter, der älteste Sohn, emigrierte 1938 dorthin.

Henriette wird ab 1934 im Adressbuch „Kauffrau“ genannt, offenbar betätigte sie sich gewerblich, wir wissen allerdings nicht womit. Das Leben war seit 1933 für Juden ohnehin immer schwieriger geworden, zahlreiche Verordnungen schränkten ihren Alltag und ihre beruflichen Möglichkeiten immer mehr ein, besonders nach der Pogromnacht im November 1938. Ziel der Nazis war die totale Ausgrenzung der Juden und der Zwang zur Emigration. Gleichzeitig wurde dies wiederum durch unmäßige finanzielle Auflagen erschwert, nach Kriegsbeginn wurde es ohnehin nahezu unmöglich. Die Nationalsozialisten setzten stattdessen bald auf Deportation und Vernichtung, getarnt als „Aussiedlung“ oder „Abschiebung“.

Auch Henriette ereilte dieses Schicksal. Nachdem sie über 20 Jahre in der Pestalozzistraße gelebt hatte, wurde sie 1942 in das von den Nationalsozialisten als Sammellager umfunktionierte ehemalige jüdische Altersheim in der Großen Hamburger Straße 26 eingewiesen, ihr Enkel Werner erinnert sich, wie er ihre Koffer getragen hat. „Wir haben nie wieder was gehört von ihr“. Am 30. Juli 1942 wurde sie nach Theresienstadt deportiert und zwei Monate später, am 26. September 1942, weiter nach Treblinka verschleppt und dort ermordet. Vielleicht – aber wenig wahrscheinlich – konnte sie in Theresienstadt noch ihre Halbschwester Jenny, inzwischen verheiratete Becker, sehen, die am 7. September in das überfüllte Lager kam und drei Tage nach Henriette, am 29. September, ebenfalls in das Vernichtungslager Treblinka weiterdeportiert wurde. Das genaue Todesdatum beider Frauen ist nicht bekannt.

Margot und Hans Foß erhielten wenige Monate nach Henriette, im November 1942, den Bescheid zur Abholung mit ihren Kindern zur Sammelstelle. In einem Schreiben der Hausverwaltung bezüglich ihrer Untermieterin Frieda Plotke wurde nebenbei erwähnt, dass „Foss auch evakuiert“ sei. Tatsächlich aber konnte die vierköpfige Familie noch am Vorabend der Abholung bei einer Freundin, Helene von Schell, in der Moabiter Waldstraße 6 untertauchen. Helene von Schell versteckte alle vier in ihrer 1-Zimmer-Wohnung bis Kriegsende. 1996 wurde am Haus von Helene von Schell ihr zu Ehren eine „Berliner Gedenktafel“ enthüllt, 2000 wurde sie in Yad Vashem als „Gerechten unter den Völkern“ anerkannt, auf Initiative der Enkel von Henriette Mohr.

Henriettes Bruder Leo Zellner wurde am 16. März 1940 im Konzentrationslager Sachsenhausen ermordet. Für ihn liegt ein Stolperstein in Senftenberg vor der Eisenbahnstraße 20.

Recherche und Text Micaela Haas und Michael Foß

Quellen:

Angaben des Urenkels Michael Foß; Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Landesarchiv Berlin; Akten des Landesentschädigungsamtes Berlin; „Versteckt in Moabit – Stille Helden“ https://moabitonline.de › uploads ; https://www.geni.com/people/Henriette-Mohr/6000000084628988184