Stolperstein Lietzenburger Str. 78

Der Stolperstein für Gertrud Luise Borck wurde am 12.04.2010 verlegt.
Der Stolperstein für Elisabeth Feiler wurde am 23.4.2013 verlegt.

Stolperstein für Gertrud Luise Borck

Stolperstein für Gertrud Luise Borck

HIER WOHNTE
GERTRUD LUISE
BORCK
GEB. HADRA
JG. 1862
DEPORTIERT 21.8.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 9.2.1943

Stolperstein Elisabeth Feiler

Stolperstein Elisabeth Feiler

HIER WOHNTE
ELISABETH FEILER
GEB. LEUCHTAG
JG. 1884
DEPORTIERT 13.6.1942
SOBIBOR
ERMORDET

Elisabeth (oder Elisabet) Feiler kam am 1. Dezember 1884 als Tochter des Kaufmanns Richard Guttmann Leuchtag und dessen Ehefrau Erna (Esther) Leuchtag, geborene Sieradzki, in Breslau (Wrocław) zur Welt. Sie war das mittlere von sechs Kindern, drei Mädchen und drei Jungen. Zusammen mit einem Sozius besaß ihr Vater eine Damenmantelfabrik sowie ein großes Damenkonfektionshaus in der Breslauer Innenstadt, Nikolaistraße 8. Er war auch Aufsichtsratsmitglied in verschiedenen anderen Unternehmen und engagierte sich karitativ, etwa in führender Position in dem österreich-ungarischen Hilfeverein Austria zu Breslau. Vielleicht aufgrund dieser Tätigkeit war ihm das kaiserlich-österreichische goldene Verdienstkreuz mit Krone verliehen worden.

Vor 1908 heiratete Elisabeth in Berlin den aus Stettin (Szczecin) gebürtigen Kaufmann Hermann Feiler (*1877). Er stammte aus kleineren Verhältnissen als sie, hatte sich jedoch gemeinsam mit seinem älteren Bruder Max zum Besitzer einer der führenden Pelzhandlungen der Stadt emporgearbeitet, „Gebrüder Feiler“ am Spittelmarkt. Bei der Gründung 1897 war Hermann gerade einmal zwanzig Jahre alt. Er reiste viel und besuchte Kunden, Bruder Max kümmerte sich um den Einkauf und die Verwaltung. Ihr Pelzhaus war eines der ersten deutschen Unternehmen, das direkt in Amerika Rohfelle einkaufte.

Das Ehepaar Feiler bekam drei Kinder, Leonie (*5. März1908), Helmut (*27. Juni 1911) und Stefanie (Steffi) (*10. Juli 1916). Elisabeths Eltern starben 1913, die Mutter nur wenige Monate nach dem Vater. Beide scheinen zu dem Zeitpunkt schon lange krank gewesen zu sein. Sie wurden auf dem israelitischen Friedhof Cosel/Breslau beigesetzt.
1916 fiel Elisabeths kleiner Bruder Martin im Ersten Weltkrieg. Er war Doktor der Jurisprudenz und zu diesem Zeitpunkt Rechtsreferendar.
Auch Elisabeths Mann Hermann war an der Front. Im letzten Kriegsjahr erkrankte er, wurde ausgemustert und in Ehren entlassen. Er kehrte zu seiner Familie zurück, die damals am Kaiserdamm in Charlottenburg lebte, und in sein Kontor am Spittelmarkt. Am 8. Oktober 1918 starb er dort, am Schreibtisch sitzend, an einem massiven Herzinfarkt. Er war 41 Jahre alt.
Elisabeth Feiler hatte ihren Mann sehr geliebt und verehrt. Für sein Begräbnis auf dem jüdischen Friedhof in Weißensee ließ sie ihm ein Mausoleum bauen, das wie ein Kriegerdenkmal aussah, mit Säulen, gekreuzten Schwertern und einem griechischen Helm – und ohne jedes Zeichen seines jüdischen Glaubens. Tochter Leonie, die damals zehn Jahre alt war, erzählte später ihren Kindern, dass ihre Mutter auf einen Schlag alle jüdischen Gebräuche in der Familie abgeschafft habe, weil sie keinem Gott dienen wollte, der ihr mit 33 Jahren den Mann wegnahm.

Zusammen mit ihrem Schwager Max führte sie sehr resolut die Pelzwarenhandlung weiter. Dann überwarf sie sich jedoch mit Max, woraufhin dieser Berlin verließ und in Leipzig ein eigenes Unternehmen gründete. Er starb bereits 1924. Der dritte Bruder, Josef Feiler, sprang ein. Unter dessen und Elisabeths Leitung florierte „Gebrüder Feiler“ noch einmal. Die Pelzhandlung zog in die Leipziger Straße 110 um, in dasselbe Gebäude, in dem früher das bekannte Berliner Billig-Textilkaufhaus „Goldene 110“ war. 1934, ein Jahr nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten, wurde „Gebrüder Feiler“ liquidiert.
Elisabeth überwarf sich auch mit ihrer Tochter. Leonie Feiler ließ sich mit 16 Jahren emanzipieren, zog aus der Wohnung am Kaiserdamm aus und wechselte mit ihrer Mutter jahrelang kein Wort mehr. Nach ihrem Abitur 1927 studierte sie Romanistik, Germanistik und Philosophie. Sie promovierte 1931 mit einer linguistischen Wortfeldstudie, „Die Bezeichnung für den Waschtrog im Galloromanischen“.

Im Studium hatte sich Leonie in ihren Kommilitonen Georg Sachs verliebt, den sie heiratete, und mit dem sie gleich nach der Machtergreifung 1933 nach Spanien emigrierte. 1937 zwang der spanische Bürgerkrieg das Ehepaar mit zwei kleinen Söhnen nach Frankreich zu fliehen. Von dort aus emigrierten sie in die USA. Leonie Sachs machte eine akademische Karriere, unter anderem als Dozentin am Hunter College in New York. Sie starb am 8. Dezember 1991.
Auch Elisabeths jüngere Kinder Helmut und Steffi überlebten. Helmut, der in einer Bank gearbeitet und geheiratet hatte, gelang es in letzter Minute, mit seiner Frau nach Bolivien zu fliehen. Steffi emigrierte 1939 über Großbritannien in die USA. Helmut starb 1994, Steffi mit fast hundert Jahren 2015.

Elisabeth Feiler - Lietzenburger Straße 78

Elisabeth, die nach Leonies Emigration wieder zaghaft mit ihrer Tochter korrespondierte, wollte von Flucht nichts wissen. Als Witwe eines dekorierten Veteranen, als Schwester eines Helden, der fürs Vaterland gefallen war, würde man nicht wagen, ihr etwas anzutun. Sie war vom Kaiserdamm in eine winzige Wohnung in der Lietzenburger Straße 78 gezogen. Die energische, verbitterte Frau lebte dort verarmt und zurückgezogen. In der Zimmerecke stand ihr gepackter Koffer. Sie hatte eine nichtjüdische Freundin, Anna Blank. Blank war die Witwe eines Kriegskameraden von Hermann Feiler. Anna Blank brachte Elisabeth manchmal Essen vorbei und schien ihr sogar angeboten zu haben, sie aufzunehmen und zu verstecken. Elisabeth lehnte alles ab. Sie wolle ihre Ruhe haben, und eines Tages ihre Kinder wiedersehen, sie benötige keine Hilfe. Anna Blank musste ins Krankenhaus und als sie entlassen wurde und nach ihrer Freundin suchte, wohnten schon andere Leute in deren Wohnung und niemand wollte gesehen haben, wie man sie abholte.

Am 13. Juli 1942 – andere Quellen sagen 2. Juli – wurde Elisabeth Feiler deportiert, wahrscheinlich zuerst in das Ghetto von Lubin und von dort in das Vernichtungslager Sobibór, wo sie ermordet wurde. Ihr Todesdatum ist unbekannt. Sie starb vor ihrem 60. Geburtstag.

Recherche und Text: Christine Wunnicke

Quellen:
Yad Vashem
Gedenkbuch
Schlesische Zeitung
Berliner Adressbücher
Klockhaus’ kaufmännisches Handels- und Gewerbe-Adressbuch 1892
„Die Jüdischen Gefallenen des dt. Heeres“ (1932)
Philipp Manes, “Die deutsche Pelzindustrie und ihre Verbände 1900-1940” (über Wikipedia)
Daniel Sachs, “Through Turmoil to Tranquility”, USA 2004 (Lebenserinnerungen von Elisabeth Feilers Enkel)