HIER WOHNTE
FRANZ LIEPMANN
JG. 1889
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
VOR DEPORTATION
FLUCHT IN DEN TOD
1.3.1943
Auf die Idee, für Franz Liepmann einen Stolperstein setzen zu lassen, kam sein Urenkel Mark Liepmann, als er bei einem Familientreffen 2019 in Berlin vom Leben und Sterben seines Urgroßvaters erfuhr.
Die Nachfahren Franz Liepmanns schrieben dessen Biografie nieder:
“Als sich Anfang der 30er-Jahre abzeichnete, wie sich die politische Entwicklung in Deutschland entwickeln würde, haben Freunde und Familie unserem Großvater dringend zur Emigration nach England oder USA geraten. Unser Großvater lehnte in der Überzeugung ab, dass er als guter Deutscher im Ersten Weltkrieg gedient habe und dafür mit dem Eisernen Kreuz geehrt worden sei, ihm werde nichts zustoßen. Zu spät erkannte er diesen fatalen Irrtum. Er ließ seine Tochter, Ursula Liepmann, bereits mit 18 Jahren für volljährig erklären, denn seine Frau, Bankierstochter, war mit Alltagsproblemen, wie z.B. Umgang mit Ämtern, überfordert. Diese Verantwortung sollte seine Tochter übernehmen.
Unser Großvater war Pelzhändler und hatte mit einem Kompagnon zusammen ein Geschäft. Als sich die politische Lage zuspitzte, kaufte ihm dieser seinen Anteil für sehr wenig Geld ab. Der Geschäftspartner versprach, dass, wenn „das alles wieder vorbei“ sei, der alte Status wiederhergestellt würde. Dies ist nie geschehen, es gab auch vom Staat keinerlei Entschädigung, mit der Begründung, Franz Liepmann sei nicht enteignet worden, sondern habe das Geschäft ja verkauft.
Bereits zur Zeit der Reichspogromnacht, (9.-10. November 1938), wurde Franz Liepmann ins KZ Sachsenhausen deportiert. Am 16. Dezember 1938 wurde unser Großvater aus Sachsenhausen entlassen. Über die Entlassung aus dem KZ kursieren mehrere Geschichten. Hatte seine Tochter Ursula dies erwirkt -wie sie es einigen Familienmitgliedern erzählte- oder hatte sich unser Großonkel, Walter Reuter, Major bei der Luftwaffe, erfolgreich für ihn eingesetzt? Nach seiner Entlassung wurde Franz Liepmann zur Zwangsarbeit bei Siemens gezwungen, vom 24. Januar 1941 bis 2. Februar 1943. Wahrscheinlich wurde er am 1. März 1943 gewarnt, (laut Dirk Liepmanns Überzeugung von diesem Großonkel, in der Erinnerung von Lorraine Liepmann von einem Mitarbeiter bei Siemens), dass die NS-Schergen gerade alle Juden abholen.
Für unseren Großvater war klar, dass er sich nie wieder den Entwürdigungen in einem KZ aussetzen werde, daher entschied er sich für den Freitod. Ein Untertauchen war für ihn nicht in Frage gekommen, weil das Schikanen für seine Familie bedeutet hätte. Er verabschiedete sich von seiner Familie, nahm seiner Tochter das Versprechen ab, ein Leben lang für ihre Mutter zu sorgen, zog sich alleine ins Schlafzimmer zurück und nahm Zyankali.
Wie unsere Mutter erzählte, habe er als Toter „friedlich“ dagelegen. Als die NS-Schergen unseren Großvater abholen wollten, sagte unsere Mutter: „Er liegt im Schlafzimmer, seinen Körper können sie mitnehmen.“
Franz Liepmann war ein sehr eleganter, stolzer selbstbestimmter Mann. Er sah seine Entscheidung für den Freitod nicht als eine Flucht, sondern als eine selbstbestimmte Handlung: Er stand vor der Wahl, entgegen aller Wahrscheinlichkeit darauf zu hoffen, das KZ vielleicht doch, auch aufs schwerste entwürdigt, zu überleben, oder selbstbestimmt sich für ein würdevolles Beenden seines Lebens zu entscheiden.
Seine letzte Ruhestätte fand unser Großvater in Bad Soden am Taunus.
Das Prinzip der Selbstbestimmung zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben der Familie Liepmann.
Der Name LIEPMANN bleibt: Unser Vater übernahm bei der Eheschließung zu Ehren von Franz Liepmann dessen Nachnamen. Seine drei Enkel, deren Ehefrauen und Kinder lassen diesen Namen weiterleben.”
Text: Dirk und Kuni, Holger und Lorraine Liepmann