Stolperstein Baraschstraße 11a

Wissmannstraße 11

Der Stolperstein ist am 21. Mai 2008 verlegt worden.

Stolperstein für Artur Barasch

HIER WOHNTE
ARTHUR BARASCH
JG. 1872
DEPORTIERT 1942
AUSCHWITZ
ERMORDET 6.11.1942

1. Reihe vorn: Lili, ihr Vater Joachim Krotoschiner, Georg Barasch, Hanni und ihre Mutter Herta Krotoschiner (Tochter von Georg Barasch), Berta Barasch, Irene Barasch-Haas 2 Reihe hinten: Werner Barasch, Lotte, Else Barasch, dann rechts hinten Erich Barasch (Sohn von Georg) und Arthur Barasch

VERLEGEORT
Wissmannstr. 11 a

BEZIRK/ORTSTEIL
Charlottenburg-Wilmersdorf – Grunewald
VERLEGEDATUM
21. Mai 2008

GEBOREN
28.01.1872 in Steinau (Schlesien) / Ścinawa
INHAFTIERT
ab 18.12.1940 bis zum 30.05.1941 im Strafgefängnis Plötzensee
DEPORTATION
im Jahre 1942 nach Auschwitz
ERMORDET
06.11.1942 in Auschwitz

Werner Barasch:

bq. Im Rückblick war die Atmosphäre zu Hause in Berlin geprägt von Liebe, Aufmerksamkeit und Herzlichkeit, die unser Leben lang unübertroffen anhielt, wohin uns das Schicksal auch schlug.

(Vgl. auch: Werner Barasch: Entronnen – Survivor. Autobiographische Skizze der Jahre 1938 bis 1946, Frankfurt/M 2001)

Arthur Barasch wurde am 28. Januar 1872 in Steinau /Schlesien geboren. Gemeinsam mit seinem etwa fünf Jahre älteren Bruder Georg gründete er die Warenhauskette „Gebrüder Barasch“ mit Geschäften in Gleiwitz, Kattowitz (1902 gegründet), Breslau (1904 gegründet und 1936 arisiert), Magdeburg, Beuthen, Braunschweig und Königsberg. In der Wirtschaftskrise 1913/14 ging das Warenhaus in Neiße in Konkurs. Die Brüder Barasch vertrieben u.a. ein Schuhputzmittel namens „Baratol“, unter dem heute der gleichnamige Sprengstoff bekannt ist. In ihrem Breslauer Warenhaus führten sie auch ein „Photographisches Atelier“.

Nach dem Ersten Weltkrieg blieb den Brüdern nur das Geschäft in Breslau. Arthur Barasch, der für seinen Einsatz im Weltkrieg das „Eiserne Kreuz“ erhalten hatte, war Freimaurer, Mitglied des Schlesischen Automobil-Clubs und gehörte 1908 dem Vorstand des „Vereins Breslauer Detaillisten“ sowie dem Gründungsausschuss der Augenklinik in Bad Liebenstein an. Für seine Mitarbeiter besorgte Arthur Barasch in Warmbrunn im Riesengebirge ein Erholungsheim, in dem seine Mitarbeiter bei Vollpension und Vergnügungsangeboten ihren Jahresurlaub verbringen konnten.

Im Dezember 1911 heirateten Arthur Barasch und Irene Barasch-Haas (geboren am 2.1.1888 in Thain-Lipnik, Mähren). Sie hatten sich in Paris kennen gelernt, wo Irene Haas Sprachen an der Sorbonne studiert und ihren Doktor gemacht hatte.

1921 zog die Familie mit den Kindern Else (geboren am 23. August 1917) und Werner (geboren am 27. Mai 1919) nach Berlin-Grunewald in die Wissmannstraße 11. Irene Barasch-Haas arbeitete – bis zur ihrer Entlassung 1933 – als Professorin für fremde Sprachen und Phonetis an der Hochschule für Musik (Dramatische Akademie) Charlottenburg. Arthur Barasch widmete sich verschiedenen Geschäften, so z.B. seinem Unternehmen „Gebrüder Barasch, Deutsch-russischer Warenaustausch Berlin“ in der Mohrenstraße 51. Wie in Breslau, wo er im Warenhaus auch Kunstausstellungen veranstaltet hatte, luden Irene und Arthur Barasch regelmäßig Künstler und bis zu 100 Gäste zu Konzerten in die Villa ein.

Else und Werner besuchten die nah gelegene Grunewald-Schule. Else ging 1932 zur Vorbereitung für das Universitäts-Eintritts-Examen an das Oxford College nach England und später in die USA. Werner studierte von 1934-1938 am Königlichen Gymnasium in Rom. Dort besuchte ihn 1938 seine Mutter, um mit ihm die bestandene Prüfung zu feiern und seine weitere Zukunft zu besprechen. Bei einem Telefonat bekam sie von ihrem Mann Arthur die Nachricht, dass sie nicht nach Berlin zurück könne. Sie hatte sich mehr als zwei Monate vom „Deutschen Reich“ entfernt und wäre bei einer Heimkehr sofort in ein Konzentrationslager gebracht worden. Um seine Frau und die Kinder im Ausland finanziell unterstützen zu können, schlug Arthur Barasch seiner Frau vor, das Grundstück Wissmannstraße 11 zu verkaufen. In der Not willigte sie ein. Am 5. Mai 1939 erwarb der Kaufmann Franz Grossmann Villa, Gartenhaus und Garten für 70.000 RM. Aus dem Erlös blieb Arthur Barasch nicht viel. Nach Abzug einer Hypothek erhielt er 30.000 RM. Davon musste er sofort Reichsfluchtsteuer und Judenvermögensabgabe zahlen. 4735 RM waren der spärliche Rest. (Der Verkauf wurde nach dem Krieg vom Treuhänder der Amerikanisch-Britisch-Französischen Militärregierung als Enteignung anerkannt.) Dazu erhielt Arthur Barasch von der Gestapo den „Vorschlag zur Ausbürgerung“ sowie die Aberkennung der Staatsbürgerschaft nicht nur von Irene, sondern auch von Else und Werner.

Bei ihrem Versuch, zu ihrer Tochter Else in die Staaten reisen zu können, wurde Irene Barasch-Haas in Ellis Island festgehalten und wartete anschließend zwei Jahre lang in Kuba auf das Einreisevisum. In dieser Zeit gab sie Sprachenunterricht. Werner hingegen reiste zu seinen Verwandten in die Schweiz, um dort auf das Visum in die USA zu warten. Schon während seines ersten Semesters im Sommer 1939 bekam er wegen „Überfremdung“ eine polizeiliche Ausweisung. Er zog nach Paris, wo er sich noch für ein französisches Sprachlehrerdiplom qualifizieren konnte. Dann begann seine Flucht vor den Nazis. Sie brachten ihn in verschiedene Internierungs- und Konzentrationslager in Frankreich und Spanien, wo er etliche Male entfloh, bis er endlich am 8. Mai 1945 auf einem Schiff den amerikanischen Hafen Philadelphia erreichte, wo ihn seine Mutter erwartete.

Zwischen Januar 1940 und Februar 1942 wurde Arthur Baraschs Vermögen sukzessive beschlagnahmt. In dieser Zeit wurde er mit dem Vorwurf eines Devisenvergehens konfrontiert, zur Zahlung von 40.000 RM und zu einer Haftstrafe vom 18. Dezember 1940 bis 30. Mai 1941 im Strafgefängnis Plötzensee verurteilt. Die Summe brachte sein Bruder Georg auf, der damals in der Schweiz lebte. Nach dem Gefängnisaufenthalt lebte Arthur Barasch noch einmal in der Wissmannstraße 11: im Kellergeschoss der Villa bis zu seiner Deportation. Seine Sekretärin Louise Härtel schrieb dem Sohn Werner, der sich zu diesem Zeitpunkt in einem Lager im spanischen Miranda befand, dass Arthur Barasch im Mai 1942 in das Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt worden war und dort gestorben sei: „Auf Staatskosten eingeäschert.” Ein anderer Freund berichtete Werner, dass sein Vater am elektrischen Zaun Selbstmord begangen hätte. Im Archiv der „Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen“ gibt es jedoch keinen Hinweis auf einen Aufenthalt oder Tod von Arthur Barasch dort.

Nach fast einjähriger gründlicher Recherche konnte im Jahr 2015 Arthur Baraschs Tod dokumentarisch belegt werden. Am 10. November 1943 teilte die Geheime Staatspolizei (Gestapo) dem Oberfinanzpräsidenten Breslau schriftlich mit, dass Arthur Barasch am 6. November 1942 im Konzentrationslager Auschwitz ums Leben gekommen ist. Ein zweiter Beleg ist ein Eintrag des Namens Arthur Barasch in das Verzeichnis der zwischen November und Dezember 1942 im Standesamt des Lagers Auschwitz ausgestellten Sterbeeintragungen. Der Stolperstein zum Gedenken an Arthur Barasch trägt demzufolge seit 2018 die richtige Inschrift “Hier wohnte Arthur Barasch, Jg. 1872. Deportiert 1942. Ermordet 6.11.1942 in Auschwitz”.

Am 14. November 2001 gab Werner Barasch in San Francisco im Rahmen des „The Bay Area Holocaust Oral History Project“ ein 2-stündiges Interview über das Leben seiner Familie in Breslau und Berlin sowie über die Jahre seiner Flucht von 1938-1945.
Es findet sich unter http://collections.ushmm.org/search…

Quellen:
Werner Barasch: „Entronnen – Autobiografische Skizze der Jahre 1938 bis 1946“, Haag und Herchen, Frankfurt am Main
Tagebuch von Werner Barasch, das er von 1940-1943 auf seiner Flucht führte
Walther-Rathenau-Gymnasium, Berlin
Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Am Mühlenberg 3, 14476 Potsdam
„Öffentlicher Bürgergarten der Erinnerung“ – www.buergergartenwissmannstrasse.wo…

Biografische Zusammenstellung

Barbara Gstaltmayr