Rede von Dr. Heinrich-Wilhelm Wörmann zur Enthüllung der Gedenkstele für das Volkshaus am 10.9.2011

Liebe Frau Bürgermeisterin,
liebe Frau Dr. Suhr,
sehr geehrte Damen und Herren!

Heute hier an dieser Stelle zu stehen, erfüllt mich mit großer Genugtuung. Denn als ich mich vor etwa 25 Jahren beim Schreiben am Charlottenburgband der Berliner Schriftenreihe der Gedenkstätte Deutscher Widerstand mit dem Volkshaus beschäftigte, das an dieser Stelle einmal gestanden hat, hätte ich mir eine Erinnerung daran gewünscht, und sei sie noch so bescheiden. Doch daran war damals überhaupt noch nicht zu denken.
Und heute weihen wir nach der Gedenktafel am Jugendzentrum in der heutigen Zillestraße, der früheren Wallstraße, innerhalb weniger Monate einen weiteren Erinnerungsort in Charlottenburg ein. Dort ging es um die Würdigung des ersten Protestes gegen den aufkommenden nationalsozialistischen Terror, hier um die Erinnerung an das Volkshaus Charlottenburg.
Dieses genossenschaftlich geprägte Haus stand nicht zuletzt für die Arbeiterbewegung und die Weimarer Republik, von den Sozialdemokraten getragen und den Gewerkschaften mitfinanziert.
Bitte haben Sie Verständnis, dass ich mich um die aktuelle Auseinandersetzung um die Stele hier im Bezirk nicht einmische. Bedenken Sie, dass es in erster Linie um die Beschäftigung mit unserer Geschichte geht und darüber eine Debatte zu führen, finde ich sehr erfreulich. Setzen Sie die bitte auch fort über die Gestaltung der Stele hier hinaus, findet doch heute die Auseinandersetzung mit Geschichte eher online statt als über den Inhalt von Gedenktafeln vor Ort. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie häufig die Gedenkstätte in der Stauffenbergstraße online angeklickt wird. Das stellt die Besucherzahlen eindeutig in den Schatten.
Heute geht es um die Erinnerung an das Volkshaus, das 1902 zu Beginn des letzten Jahrhunderts von Sozialdemokraten gegründet wurde. In den kommenden drei Jahrzehnten wurde das sozialdemokratische Gewerkschaftshaus in der damaligen Rosinenstraße, im Volksmund „Korinthengasse“, zu einem Kristallisationspunkt der Arbeiterbewegung in Charlottenburg.
Hier befand sich das Domizil der SPD und der Sozialistischen Arbeiterjugend, in den Versammlungsräumen fanden unzählige Sitzungen und Veranstaltungen statt – vom Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, der Gewerkschaften, der Sozialwissenschaftlichen Vereinigung der Roten Kämpfer, der linken SPD und der Sozialistischen Arbeiterpartei, die vergeblich für eine Verständigung von SPD und KPD eintrat, usf.
Eine Aufteilung von Sozialdemokraten, Gewerkschaften und Reichsbanner hätte man damals übrigens für kurios gehalten, vereinigten die meisten Sozialdemokraten die jeweilige Zugehörigkeit in Personalunion, man war sowohl bei der SPD, den Gewerkschaften des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes und beim Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold.
Das Reichsbanner versuchte in den letzten Jahren verzweifelt die Republik zu verteidigen.
Aber das Haus war gleichzeitig in den oberen Stockwerken auch ein Wohnhaus. Im Erdgeschoss befanden sich Läden der Konsum-Genossenschaft und an der Ecke die Gaststätte „Volkshaus Charlottenburg“ mit Biergarten und Saalbau auf dem Hof – das eigentliche Volkshaus, für Politik-, Kultur- und Tanzveranstaltungen.
1920 wurde das Haus von der Berliner Konsumgenossenschaft gekauft und ein Konsum-Warenhaus eingerichtet.
Der Genossenschaftsgedanke prägte dieses Haus und war eine der Errungenschaften der Arbeiterbewegung bis zu deren Zerstörung 1933. Warum man in der Sozialdemokratie in der Nachkriegszeit an den ureigenen genossenschaftlichen Ideen kaum mehr anknüpfte, bleibt mir bis heute unverständlich. In der letzten Zeit greift man übrigens auf das genossenschaftliche Gesellschaftsmodell wieder zurück – es wäre eine Alternative zum Heuschreckenkapitalismus.
Aber auch das kann ich Ihnen nicht ersparen, der Genossenschaftsgedanke wurde von ganz links, von der KPD angegriffen, hielt doch dieser revisionistische Ansatz die Arbeiter von revolutionären Alternativen ab. Die Sozialdemokraten waren nun einmal für die Kommunisten um Thälmann, der im März 1933 unweit von hier verhaftet wurde, als Sozialfaschisten der „Feind Nummer eins“. Die verheerende Sozialfaschismus-Theorie war von Stalin schon 1924 propagiert worden und wandte sich gegen alle sozialdemokratischen Parteien in Europa.
Doch dann fand man sich gemeinsam in SA- oder KZ- Haft wieder – nicht zuletzt hier an dieser Stelle. Im März 1933 nach den letzten halbwegs freien Reichstags- und Kommunalwahlen besetzte und beschlagnahmte die SA das Gebäude, die Konsumgenossenschaft wurde aufgelöst. Sie richtet ausgerechnet an dieser Stelle eines ihrer Sturmlokale und eine ihrer Folterstätten für politische Gegner ein.
Das Volkshaus wurde in „Maikowski-Haus“ umbenannt. Hier wütete der Sturm 6 der Standarte I der SA, der in Berlin als „Mordsturm 33“ oder „Maikowskisturm“ gefürchtet war.
Die SA war durch den Erlass des kommissarischen preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring zur Hilfspolizei ernannt worden und verhaftet geradezu wahllos politische Gegner, Kommunisten, Sozialisten und Sozialdemokraten. Die SA Leute kannten zumeist Ihre politischen Gegner persönlich. Der Terror der SA war nicht anonym, wie später der der SS.
Im Volkshaus hatte die SA sogar eine Art „Revolutionsmuseum“ eingerichtet, von dem Stefan Szende, Mitglied der SAP, berichtet. Als Glanzstück der Sammlung habe dort die in Leder gefasste rote Fahne vom Karl-Liebknecht-Haus gehangen.
Die Vernehmungen und Folterungen der politischen Gefangenen fanden hauptsächlich im Keller der ehemaligen Konsumgenossenschaft statt. Bis zu vierzig Verschleppte waren in einem großen Kellerraum eingesperrt.
Stefan Szende wurde fürchterlich misshandelt, konnte aber die Tortur überleben. Einige Kommunisten wurden zu Tode geprügelt, auch der Kommunist Harnecker überlebte die Folterungen nicht. Selbst weibliche Gefangene wie Käthe Schuftan, Agathe Rinnowitzki und Ilse Joel wurden grauenvoll misshandelt.
Einige Gefangene versuchten Selbsttötung zu begehen.
Die Verbrechen der SA blieben übrigens nicht im Verborgenen. Die Schreie der Misshandelten konnte man bis auf die Straße hören.
Elise Tilse, die spätere Kulturamtsleiterin in Kreuzberg, hatte Glück, sie galt der SA nur als Randfigur der SAP. Als ich sie mehr als fünfzig Jahre später interviewen durfte, waren Ihr die Erinnerungen an das Volkshaus noch immer völlig präsent.
Können Sie sich die unerträgliche Situation vorstellen, dort inhaftiert zu sein, wo man kurze Zeit vorher mit seinen Genossinnen und Genossen getagt und auch gefeiert hatte?
Im November 1933, während der Zeit der Inhaftierung der Charlottenburger SAP, machte der SA-Gruppenführer Prinz August Wilhelm (spöttisch „AuWi“ genannt) zusammen mit dem SA-Obergruppenführer Karl Ernst, einem früheren Listboy, eine Visite im „Maikowski-Haus“. Der SA Standartenführer Hell ließ die Gefangenen wie Trophäen im großen Saal des Volkshauses vorführen.
Die SA-Führer Ernst und Hell wurden übrigens im Zuge des von Hitler befohlenen Massenmordes an der SA-Führung am 30. Juni 1934 von der SS umgebracht. August Wilhelm starb, angeklagt wegen Kriegsverbrechen, in einem Kriegsgefangenenlager.
Bei den verheerenden Bombenangriffen im November 1943, der Krieg kam endgültig über den Himmel nach Berlin zurück, wurde das Volkshaus schwer getroffen und später wie so viele zerstörte und beschädigte Gebäude in Berlin nicht wieder errichtet.
Und heute fast siebzig Jahre später dürfen wir endlich eine Gedenkstele an das damalige Volkshaus einweihen. Lassen Sie uns trotz aller – offenbar notwendigen – Streitigkeiten nicht vergessen, dass wir heute in Berlin und Deutschland eine Gedenkkultur entwickelt haben, die es in anderen Ländern kaum gibt. Seien wir uns bewusst, dass dies eine Stärke und nicht etwa eine Schwäche unserer Zivilgesellschaft ist.
Ich danke Ihnen.