Beteiligung an kommunalpolitischen Entscheidungen des Bezirksamtes und der Bezirksverordnetenversammlung

Das Abgeordnetenhaus von Berlin hatte eine umfassende Beteiligung der Einwohnerschaft an kommunalpolitischen Entscheidungen des Bezirks beschlossen, die im Siebenten Gesetz zur Änderung des Bezirksverwaltungsgesetzes am 15. Juli 2005 veröffentlicht wurden. Nunmehr ist die Wirksamkeit der einzelnen Elemente überprüft worden und führte mit dem Zehnten Gesetz zur Änderung des Bezirksverwaltungsgesetzes zu einer Überarbeitung.

Einführende Hinweise zur neuen Fassung der maßgebenden Regelungen sollen einen Überblick verschaffen: In der Geschäftsordnung der Bezirksverordnetenversammlung sind Regelungen über folgende plebiszitäre Elemente getroffen worden:

Einwohnerfragestunde

Die Koalition hatte die zwölf Vorsteher/innen um Prüfung gebeten, ob die Einwohnerfragestunde durch eine Soll-Vorschrift stärker verankert werden sollte. Obwohl es in allen BVV Einwohnerfragestunden gibt (jedoch unterschiedlich in Art und Umfang), sprachen sie sich für eine entsprechende „Verschärfung“ aus. „Soll“ heißt „muss“ im Regelfall der ordentlichen Sitzung; Gründe einer Abweichung müssen nachvollziehbar (offenkundig) sein (Beispiel: Sitzung allein zur Wahl von Mitgliedern des Bezirksamts).

Einwohnerantrag

Begriffsbezeichnungen und Verfahren wurden den entsprechenden Regelungen zum Bürgerbegehren/-entscheid angepasst; diese wiederum orientieren sich nunmehr stärker am Abstimmungsgesetz. Der tragende Gedanke der Änderung war, das Verfahren in den Bezirken und auf Landesebene (Volksbegehren/-entscheid) zu vereinheitlichen, weil die plebiszitären Beteiligungsmöglichkeiten in der Öffentlichkeit mitunter „in einen Topf geworfen“ wurden. Das erforderliche Quorum wird bezirksübergreifend auf 1.000 Personen abgesenkt; 1 v. H. im jeweiligen Bezirk waren mindestens rd. 2.250 Personen (Spandau). Die zwölf Vorsteher/innen hatten 200 Unterschriften favorisiert, da dieses Instrument bisher fast nie zur Anwendung kam. Im Gesetzgebungsverfahren tauchten jedoch Bedenken auf, dass es mit einem solchen geringen Quorum bestimmten Gruppen leichter fallen würde, „unappetitliche“ Aufmerksamkeit zu erzielen. Der Einwand einer gewissen „Bedeutungslosigkeit“ eines (schlichten) Antrags in der BVV, der ggf. ohne Erörterung abgelehnt werden könnte, wurde nicht aufgegriffen. In Zukunft ist damit zu rechnen, dass häufiger von diesem Instrument Gebrauch gemacht wird.

Bürgerbegehren

Die Vorschriften wurden vor allem systematisch verändert, was (hoffentlich) der Transparenz dient. Sie greifen teilweise Anregungen der zwölf Vorsteher/innen auf. Die Differenzierung soll die Verständlichkeit fördern. Der Anspruch einer Initiative auf Beratung wird verdeutlicht; wer allerdings nicht will, muss nicht… Dem Bezirksamt wird ausdrücklich die Verpflichtung übertragen, den Rechtscharakter eines Bürgerbegehrens zu definieren (Entscheidung, Ersuchen oder Empfehlung). Beim Entwurf eines Bürgerbegehrentextes, der Materien von Bezirks- und Aufgabe der Hauptverwaltung „vermischt“, ist im Hinblick auf unterschiedliche Rechtsfolgen zukünftig noch zielsicherer zu ermitteln, was die Initiative tatsächlich bezweckt, und ggf. in der Beratung auf eine entsprechende Änderung zu dringen. Besonderes Augenmerk ist hinsichtlich der bisherigen Praxis von Bürgerbegehren auf Bauprojekte zu lenken, die über Bebauungsplanungverfahren gesteuert werden.

Bürgerentscheid

Die Regelung beinhaltet eine wesentliche Änderung: Die Präferenz-, Stichfrage („dritte Frage“) ist nicht mehr vorgesehen. Die Neufassung dieser Vorschrift ist ein wichtiger Eckpfeiler der Novelle, war auch ein Kernpunkt des Vorschlags der zwölf Vorsteher/innen. Die Zahl der ungültigen Stimmen soll in Fällen von konkurrierenden Vorlagen dadurch deutlich gesenkt werden. Diese „demokratietheoretisch“ besondere Möglichkeit zur Ermittlung des plebiszitären Votums der Einwohnerschaft, in dieser Form lediglich in Hamburg gesetzlich verankert, hat sich in der Praxis nicht bewährt.

Ergebnis des Bürgerentscheids

Die Änderung stellt den zweiten Eckpfeiler der Novelle dar: Wechsel vom Beteiligungs- zu einem Zustimmungsquorum durch strukturelle Anpassung an die entsprechenden Normen nach dem Abstimmungsgesetz. Die Vorschrift hat zur Folge, dass sich eine ablehnende Haltung zum Bürgerentscheid „leichter“ in einer Neinstimme realisiert, weil solche nach bisherigem Recht einem Bürgerentscheid tendenziell eher über die Hürde der 15%-Beteiligung verhalfen und deshalb nicht in der Abstimmungsurne landeten.

Mitteilung von Einzelspenden

„Geld- oder Sachspenden an die Vertrauenspersonen eines Bürgerbegehrens, die in ihrem Gesamtwert die Höhe von 5.000 Euro übersteigen, sind dem Bezirksamt unter Angabe des Namens und der Anschrift des Spenders und der Gesamthöhe der Spenden unverzüglich anzuzeigen. Für Sachspenden ist der marktübliche Preis maßgebend.“ Der Regelungsgedanke einschließlich der Höhe des Betrags war auch im Vorschlag der zwölf Vorster/innen enthalten. Der Wortlaut wurde aus § 40b Abs. 1 Abstimmungsgesetz identisch übernommen.

Spendenverbot

„Eine Vertrauensperson eines Bürgerbegehrens darf keine Geld- oder Sachspenden annehmen von
1. Parlamentsfraktionen und -gruppen sowie von Fraktionen und Gruppen der Bezirksverordnetenversammlungen,
2. Unternehmen, die ganz oder teilweise im Eigentum der öffentlichen Hand stehen oder die von ihr verwaltet oder betrieben werden, sofern die direkte Beteiligung der öffentlichen Hand 25 vom Hundert übersteigt.“

In der Geschäftsordnung der Bezirksverordnetenversammlung sind Regelungen über folgende plebiszitäre Elemente getroffen worde

§ 45 Unterrichtung der Einwohnerschaft

(1) Die Unterrichtungspflicht nach § 41 Abs. 1 BezVG erfüllt die BVV insbesondere durch eine ausführliche Darstellung der behandelten Angelegenheiten im Internet. Der Vorsteher/die Vorsteherin wird ermächtigt, die bezirksverwaltungsrechtlichen Vorschriften in geeigneter verständlicher Form zu veröffentlichen.

(2) Zeit, Ort, Tagesordnungen und Geschäftliche Mitteilungen der Sitzungen der BVV sowie der öffentlich tagenden Ausschüsse werden im Internet, durch Aushänge sowie ggf. in sonst geeigneter Form veröffentlicht. Anfragen, Beschlussvorlagen und gefasste Beschlüsse werden im Internet einsehbar gemacht. Der Vorsteher/die Vorsteherin wird ermächtigt, weitere Informationen im Internet und in sonst geeigneter Form zu veröffentlichen. Dabei ist die Einwohnerschaft darauf hinzuweisen, dass alle öffentlich zugänglichen Texte im Büro der BVV einsehbar sind.

§ 46 Einwohnerversammlung

Soll eine Einwohnerversammlung auf Antrag einer Einwohnerin/eines Einwohners vom Vorsteher/von der Vorsteherin einberufen werden, ist ein schriftlicher Antrag erforderlich, der zumindest den Gegenstand der Einwohnerversammlung bezeichnen muss. Der Vorsteher/die Vorsteherin prüft die formellen Voraussetzungen und unterbreitet der BVV in der Regel unverzüglich eine Beschlussvorlage, die zumindest den Ort und den Zeitpunkt der Einwohnerversammlung bezeichnen soll. Die Ermittlung des erforderlichen Zustimmungsquorums kann auch in sonst geeigneter Form (z. B. in einem Umlaufverfahren) erfolgen.

§ 47 Einwohnerfragestunde

(1) In der BVV kann eine Einwohnerfrage an das Bezirksamt gerichtet werden. Das Bezirksamt ist zur Beantwortung der Fragen verpflichtet.

(2) Frageberechtigt sind alle Personen mit Wohnsitz im Bezirk bzw. mit einem erkennbaren Bezug zum Bezirk. Jede Einwohnerfrage darf jeweils nur eine thematische Angelegenheit mit höchstens drei Unterfragen behandeln. In jeder Einwohnerfragestunde darf nur eine Frage durch den gleichen Einwohner/Einwohnerin gestellt werden.

(3) Die Fragen sind, um eine angemessene Beantwortung zu ermöglichen, beim Vorsteher/bei der Vorsteherin
spätestens zehn Tage vor der Sitzung der BVV schriftlich oder elektronisch einzureichen. Sie werden veröffentlicht.

(4) Eine Einwohnerfrage wird mündlich beantwortet, sofern die Fragestellerin bzw. der Fragesteller in der öffentlichen Sitzung der BVV anwesend ist. Im Zuge der Einbringung kann sogleich ausschließlich eine schriftliche Beantwortung verlangt werden.

(5) Die Ausschüsse können die Einrichtung von Einwohnerfragestunden für ihren Zuständigkeitsbereich beschließen.

(6) Vor der Beantwortung soll die Einwohnerfrage durch die Sitzungsleitung verlesen oder sinngemäß zusammengefasst werden. Eine Übertragung des Fragerechts bei Abwesenheit ist zulässig und muss vorab angekündigt werden. Eine solche Verfahrensvertretung darf nur für höchstens zwei Fragesteller/innen übernommen warden.

(7) Im Rahmen der Einwohnerfragestunde haben der Fragesteller/die Fragestellerin und die Fraktionen Anspruch auf eine schriftliche Beantwortung. Der Anspruch ist durch die abschriftliche Überlassung des Wortlauts der Beantwortung oder die Überlassung des Manuskripts der Beantwortung erfüllt. Es gilt das gesprochene Wort.

(8) Es ist eine Zusatzfrage zulässig.

(9) Sollte die Zeit der Einwohnerfragestunde zur Beantwortung aller Fragen nicht ausreichen, erfolgt eine schriftliche Beantwortung.

§ 48 Einwohnerantrag

(1) Der Vorsteher/die Vorsteherin ist verpflichtet, einen Einwohnerantrag unverzüglich an das Bezirksamt zur Prüfung der formalen Zulassungskriterien zu leiten. Sie/Er kann sich dazu mit dem Ältestenrat abstimmen.

(2) Das Bezirksamt ist verpflichtet, dem Vorsteher/der Vorsteherin unverzüglich festgestellte Zulässigkeitsmängel schriftlich mitzuteilen.

(3) Der Vorsteher/die Vorsteherin hat den Vertrauenspersonen zur Behebung festgestellter Zulässigkeitsmängel in schriftlicher Form eine angemessene Frist, die zumindest zwei Wochen umfasst, zu setzen und die Antwort unverzüglich dem Bezirksamt vorzulegen.

(4) Nach Abschluss der Prüfung ist dem Vorsteher/der Vorsteherin das Ergebnis schriftlich durch das Bezirksamt mitzuteilen. Die Frist von zwei Monaten nach § 44 Abs. 5 BezVG beginnt von diesem Zeitpunkt.

(5) Die Feststellung über die Zulässigkeit des Einwohnerantrags im Sinne von § 44 Abs. 2 Satz 5 BezVG soll mit der Vorlage zur Beschlussfassung an die BVV verbunden werden.

(6) Das Rederecht der Vertrauenspersonen in der BVV und ihren Ausschüssen entspricht zeitlich dem Rederecht einer Fraktion. Dem im Rahmen der Anhörung von den Vertrauenspersonen vorgetragenen Wunsch auf Vertagung der Angelegenheit ist zu folgen. Die Frist von zwei Monaten nach § 44 Abs. 5 BezVG wird ggf. entsprechend verlängert.

§ 49 Bürgerbegehren und Bürgerentscheid

(1) Das Bezirksamt ist verpflichtet, der BVV die Anzeige eines beabsichtigten Bürgerbegehrens unverzüglich zur
Kenntnis zu geben.

(2) Das Bezirksamt ist verpflichtet, der BVV eine Klage vor dem Verwaltungsgericht gegen die Feststellung, dass das Bürgerbegehren nicht zustande gekommen ist, unverzüglich zur Kenntnis zu geben. Vor einer beabsichtigten Klageerwiderung ist dem Vorsteher/der Vorsteherin Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen. Diese Stellungnahme soll im Benehmen mit dem Ältestenrat erfolgen.

(3) Ist eine dem Bürgerbegehren entgegenstehende Entscheidung oder der Vollzug einer derartigen Entscheidung aus rechtlichen Gründen im Sinne von § 45 Abs. 5 BezVG zwingend, hat das Bezirksamt die BVV unverzüglich durch eine Vorlage zur Kenntnisnahme zu unterrichten.

(4) Der Vorsteher/die Vorsteherin ist verpflichtet, der BVV ein zustande gekommenes Bürgerbegehren unverzüglich als Vorlage zur Beschlussfassung zu unterbreiten und die Frist nach § 46 Abs. 1 Satz 1 BezVG zu überwachen.
(5) War ein Bürgerbegehren als Ersuchen oder Empfehlungen im Sinne von § 13 BezVG erfolgreich, gilt § 44 entsprechend.

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