Rede des Wilmersdorfer Bezirksbürgermeisters Michael Wrasmann

Zur zweiten Enthüllung des Bismarck-Denkmals in der Kolonie Grunewald am Sonntag, dem 2.6.1996, 11.00 Uhr auf dem Bismarckplatz

Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister, Senor Espinoza Villareal, Euer Durchlaucht, sehr geehrte Frau Cölle-Lück, sehr geehrte Damen und Herren!

Vor 99 Jahren, am 10. Mai 1897, wurde hier, am damaligen Joachimsplatz, das von dem Bildhauer Max Klein geschaffene Bismarck-Denkmal enthüllt. Der damals 82jährige Fürst Bismarck war eingeladen, konnte aber wegen seines angegriffenen Gesundheitszustandes nicht an der Feier teilnehmen. Er starb ein Jahr später, am 30. Juli 1898 in Friedrichsruh. Danach wurde der Joachimsplatz in Bismarckplatz umbenannt.

Die Villenkolonie Grunewald war erst 6 Jahre alt, als einige ihrer Bewohner beschlossen, ein Bismarck-Denkmal zu errichten. Innerhalb eines Jahres war die Finanzierung durch Spenden und Bankbürgschaften gesichert, und nach einem weiteren Jahr das Denkmal fertiggestellt. Was hat Privatleute, die sich eben hier niedergelassen hatten, dazu bewogen, ein Bismarck-Denkmal aufzustellen?

Die Inschrift auf dem Sockel, der beide Weltkriege überdauert hat, mag einen ersten Hinweis geben: “Dem Fürsten Otto von Bismarck. Die dankbare Villenkolonie Grunewald”

Zweifellos war dieses Gelände rund um die Grunewaldseen eine idyllische Wohnanlage. Schnell waren die Grundstücke verkauft. Wissenschaftler, Künstler, Architekten, Verleger, Schriftsteller, Industrielle und Bankiers zogen hierher – überwiegend war es ein konservativ-liberales Bürgertum. Der jüdische Anteil war überdurchschnittlich hoch. Aus vielen Memoiren spricht die Begeisterung der Bewohner über ihre Millionärskolonie, wie sie in Berlin bald genannt wurde. Es lag nahe, dieser Begeisterung Ausdruck zu verleihen. Wie aber kamen die Grunewalder auf Bismarck?

Der Reichskanzler hatte angeregt, den Kurfürstendamm vom Reitweg zum Boulevard auszubauen, und aus dieser Idee entstand in gewisser Weise als Nebenprodukt die Villenkolonie Grunewald. Ein für den Ausbau des Boulevards gegründetes Bankenkonsortium, die Kurfüstendamm-Gesellschaft, hatte das Gelände erschlossen und für die nötige Infrastruktur gesorgt. Es war also nicht unbedingt selbstverständlich, Bismarck als Gründer der Villenkolonie Grunewald zu feiern. Er war nur indirekt an ihrer Entwicklung beteiligt, und die Inschrift des Sockels trägt dem Rechnung: Sie teilt uns nichts mit über die Beziehung Bismarcks zur Villenkolonie.

Vielleicht verrät uns die Figur selbst mehr über die Beweggründe ihrer Stifter und über die historische Situation, in der sie entstand. Bismarck war von dem jungen Kaiser Wilhelm dem Zweiten knapp 2 Jahre nach dessen Regierungsantritt entlassen worden. Wir alle haben die berühmte Karikatur vor Augen: Der Lotse mußte von Bord gehen, und Bismarck wurde gleichsam in politischer Quarantäne gehalten. Wer mit ihm weiterhin Kontakt pflegte, der mußte auf eine politische Karriere im wilhelminischen Kaiserreich verzichten. Dies tat aber seiner Popularität keinen Abbruch. Zu seinem 80. Geburtstag am 1. April 1895 mußte das Postamt in Friedrichsruh um 23 Mitarbeiter verstärkt werden, damit die 460.000 eingehenden Telegramme, Briefe, Postkarten und Drucksachen zugestellt werden konnten.

Bismarck wurde schon zu Lebzeiten zum Mythos, zum lebenden Denkmal. Ohne ihn als politisch denkenden aktiven Menschen noch wahrzunehmen, stellte man ihn auf Hunderte von Denkmalsockeln, meist in Kürassieruniform, mit Helm und Säbel. Das Klischee vom Eisernen Kanzler entstand, passend zum hohlen Pathos des wilhelminischen Kaiserreichs. Dieses Klischee konnte man später umstandslos in eine Reihe stellen, die scheinbar direkt zu Adolf Hitler führte. Hier in Grunewald dagegen tritt uns nicht der eisernen Kanzler entgegen, sondern der zivile Bismarck, der nachdenkliche Mensch. Wir sehen Bismarck hier fast als Gegenfigur zum auftrumpfenden Kaiser Wilhelm II. Vielleicht war dies die Absicht der Grunewalder Bürger und des Bildhauers Max Klein.

Der Bezirk Wilmersdorf hat in den letzten Jahren viel getan zur Auseinandersetzung mit unserer Geschichte. Gerade hier im Grunewald haben wir allen Anlaß dazu. Walther Rathenau wurde nur wenige Schritte von hier ermordet. Menschen wie Alfred Kerr oder Lion Feuchtwanger mußten vor den Nationalsozialisten aus Deutschland fliehen, und Dietrich Bonhoeffer wurde als Widerstandskämpfer ermordet. An sie und viele andere erinnern wird mit Gedenktafeln, und das Mahnmal am Bahnhof Grunewald soll verhindern, daß die Deportation Tausender Berliner Juden nach Auschwitz in Vergessenheit gerät. Wir werden in dieser Erinnerungsarbeit nicht nachlassen, und ich begrüße, daß die Deutsche Bahn AG auch auf ihrem Gelände am Bahnhof Grunewald eine Gedenkstätte errichten wird.

Aber zur Auseinandersetzung mit unserer Geschichte gehört auch die Erinnerung an Bismarck, und eine ernsthafte Auseinandersetzung wird zu einem differenzierten Bild führen. Niemand wird bestreiten, daß er Fehler gemacht und Niederlagen erlitten hat, am spektakulärsten mit den Sozialistengesetzen. Aber er war auch der Architekt der ersten deutschen Einigung, er war der Begründer des Sozialstaates in Deutschland, und er war der geniale Außenpolitiker, der eine Politik der Bescheidenheit und des vernünftigen Interessenausgleichs betrieb. Großmachtstreben war ihm fremd.

Bismarck predigte keineswegs den Verzicht auf Selbst- und Machtbewußtsein des Deutschen Reiches, aber das Reich sollte sich nicht aufspielen – so sagte er – “wie jemand, der plötzlich zu Geld gekommen ist und nun, auf die Taler in seiner Tasche pochend, jedermann anrempelt.” Bismarck war ein begnadeter Rhetoriker mit großer Überzeugungskraft, und er war ein geschickter politischer Taktiker, ein Meister im Schmieden immer neuer politischer Koalitionen zur Durchsetzung seiner Pläne.

Gerade heute gibt es viele Gründe, an Bismarck zu erinnern und ihn als wichtige Persönlichkeit unserer Geschichteernstzunehmen, ihn jenseits des falschen Klischees neu zu entdecken. Bismarck selbst wollte nicht auf Denkmalsockel gestellt werden: “Auf Titel und Orden habe ich niemals großen Wert gelegt, so wenig wie auf Denkmäler, die man mir errichtet hat und errichten will; ich will weder ein Schaustück sein noch mich versteinert oder am wenigsten bei Lebzeiten als Mumie sehen. Mir genügt mein einfacher Name, und ich hoffe, daß er auch in der Zukunft genügen wird, die vielleicht weniger auf hohe Titel als auf erfolgreiche Taten sehen wird.”

Paradoxerweise könnte die Wiederherstellung dieses Denkmals dazu ein Anlaß sein. Es zeigt uns den zivilen Bismarck, der gerade hier, im Kontext der Villenkolonie Grunewald, viel Stoff zum Nachdenken bietet.

Ich freue mich, daß es gelungen ist, hier auch im denkmalpflegerischen Sinne den historischen Zustand wiederherzustellen. Heute wie damals ist es der Privatinitiative einzelner Bürgerinnen und Bürger zu verdanken, daß wir dieses Denkmal enthüllen können. Ich danke allen, die daran mitgewirkt haben, vor allem dem Wilmersdorfer Heimatverein mit dem früheren Vorsitzenden Werner Goldberg und der jetzigen Vorsitzenden Anita Cölle-Lück, der Bankgesellschaft Berlin mit dem Vorstandsvorsitzenden Dr. Knut Fischer und Dr. Dietrich Beier und der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin, dem Bildhauer Harald Haacke und der Gießerei Noack.

Lassen Sie mich zum Schluß noch sagen, daß ich mich alsWilmersdorfer Bezirksbürgermeister ganz besonders darüber freue, daß nicht nur der Regierende Bürgermeister an dieser Veranstaltung teilnimmt, sondern auch der Bürgermeister von Mexiko-Stadt Senör Espinoza Villareal, den ich herzlich willkommen heiße.

Im Gegensatz zur Ersten Enhüllung vor 99 Jahren nimmt heute Fürst Bismarck an unserer Feier teil. Ich begrüße herzlich seine Durchlaucht Ferdinand Fürst von Bismarck. Vielen Dank dafür, daß Sie sich bereit erklärt haben, bei dieser Denkmalenthüllung zu sprechen.