Thema des Monats Februar 2004

Vorschule und Horte in Charlottenburg-Wilmersdorf - Basis der bezirklichen Bildungsarbeit

Die Bezirksverordnetenversammlung diskutiert

In der letzten Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung am 22. Januar wurde kontrovers und engagiert über Vorschul- und Horterziehung diskutiert. Dabei ging es vor allem darum, wie sich die Entscheidung von Senat und Abgeordnetenhaus auf den Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf auswirkt, die vorschulische Erziehung bis zum Alter von 5 ½ Jahren den Kitas und die Horterziehung den Ganztagsgrundschulen zu übertragen. Beschlossen wurde ein Antrag, die Horte von freien Trägern zu sichern und dazu Gespräche mit der Liga der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege und anderen Anbietern über die künftige Zusammenarbeit bei der Hortbetreuung von Schulkindern zu führen. Im Folgenden stellen Bezirksverordnete die Position ihrer jeweiligen Fraktion dar.

SPD-Fraktion

Die Nachbeben der Pisa-Studie haben dazu geführt, dass sich die Politik in Deutschland endlich verstärkt mit der Bildungspolitik befasst. So investiert die Bundesregierung etwa vier Milliarden Euro in die Förderung der schulischen Ganztagsangebote. Unser Bezirk hat sich bereits sehr früh und erfolgreich um die Ausweisung geeigneter Standorte gekümmert. Mit der Cäcilien-Grundschule und der Nehring-Grundschule beginnt der Bezirk gleich mit zwei Standorten.
Bildung beginnt jedoch schon in der vorschulischen Erziehung. Sie ist Basis der bezirklichen Bildungsarbeit, auf der Grundschule und weiterführende Schulen aufbauen. Bereits im Herbst 2002 hat der Jugendhilfeausschuss weiterführende Beschlüsse zu Strukturveränderungen in der Tagesbetreuung gefasst – mit den Zielen Optimierung der regionalen Betreuungsstruktur insbesondere im Hortbereich und Beibehaltung der Anzahl der vorhandenen 12.000 Plätze in den bezirklichen Einrichtungen (davon 4.000 Hortplätze). Insbesondere im Charlottenburger Westen ist es zu umfangreichen Umstrukturierungen gekommen. Die Betreuung der unter 10-Jährigen wird in der Folge stark verbessert. Die Kindertagesstätte Ruhwald wurde in die Länderallee verlagert; die Dietrich-Bonhoeffer- und die Reinhold-Otto-Grundschule wurden durch die Überführung aller Hortplätze in die Kitas Bolivarallee und Kastanienallee zu verlässlichen Halbtagsgrundschulen mit Ganztagsangebot.
Begleitet wurde die Umsteuerung durch die Entscheidung des Senates, die vorschulische Erziehung bis 5 ½ Jahren ganz den Kitas, die schulische Erziehung an die Schulen zu übertragen.
Der Ausbau der Ganztagsangebote und die vorschulische Erziehung sind für die SPD-Fraktion, die im Bezirk den Stadtrat für Jugend, Familie, Schule und Sport und den Vorsitzenden des Jugendhilfeausschusses stellt, von zentraler Bedeutung für eine sozialdemokratische Bildungspolitik. Die bisher – trotz der Haushaltsnot! – gefassten Beschlüsse stellen einen wichtigen Erfolg dar.
Fréderic Verrycken

CDU-Fraktion

Wieso Basis? Gerade jetzt? Basis ist etwas Festes, Unverrückbares, Beständiges. Genau das ist im Bezirk nicht mehr vorhanden, seitdem das Jugend- und Bildungsamt, der Senatsverwaltung zum Gefallen, berlinweit am schleunigsten mit der Umstürtzung der Einrichtungen vorprescht. Die Fraktion der CDU in der BVV, mit ihr viele Bürger, mit denen wir monatlich sprechen, kann da nicht in das Aufbruchs-Hurra mit einstimmen; eher befällt uns nagende Sorge.
Sorge darum, dass mit der Verdrängung der Vorschule in einem geschrumpften Kindergarten und dem Verschlucken des Horts durch eine längst nicht definierte Ganztagsschule das jahrzehntelang bewährte Berliner Modell der Kindertagesstätte zerschlagen wird. Dieser Aktionismus ist aber nicht nur Willkür, er hat auch Methode. Indem dem Kindergarten Bildungsaufgaben übergehäuft und der Schule Erziehungsarbeit zugewiesen werden, läuft man populistischen Tagesthemen aus den Medien hinterher, ohne die notwendigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen.
Unsere Prognose: Der Kindergarten (1. bis 5. Lebensjahr) wird die ihm von Senator Böger im Bildungsprogramm überzogenen Aufgaben mangels Fortbildung der Dienstkräfte nicht erfüllen. Der Hort wird, genau wie der sozialpädagogische Bereich an den Gesamtschulen seit 1974, zum Hilfsorgan der Lehrerschaft herabgewirtschaftet werden.
Wir, die CDU-Fraktion in der BVV, hätten es gerne eine Nummer kleiner: so viele Ganztagsschulen wie sozialpolitisch ( und nicht ideologisch! ) notwendig, daneben möglichst viele bunte Einrichtungen, die erfahrungsgemäß die Schulen von der Erziehungsaufgabe entlasten und die Initiative der Eltern und der freien Träger zur vollen Entfaltung kommen lassen.
Albrecht Förschler

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Bündnis90 / Die Grünen wollen die Kita als erste Stufe des Bildungssystems – als eigenständigen Erfahrungs-, Lern- und Lebensort für Kinder – qualifizieren. Denn die wesentlichen Grundlagen für die soziale, kognitive und motorische Entwicklung werden im frühen Kindesalter gelegt. Dabei darf Chancengleichheit nicht auf der Strecke bleiben. Das bedeutet, dass auch zukünftig für alle Kinder die vorschulische Bildung gesichert sein muss. Wir setzen uns deshalb für ein kostenfreies letztes Kitajahr ein.
Das momentan in Überarbeitung befindliche Bildungsprogramm für Kindertageseinrichtungen bietet die Chance, die Bildungseinrichtung Kita weiter zu qualifizieren. Allerdings wird die Entwicklung der Qualität der Bildung und Erziehung in den Kitas nicht kostenneutral erreicht werden können. Durch die Kürzungen des Senats im vorschulischen Bereich wird dieses Vorhaben sogar mehr als konterkariert. Die Verlagerung der Vorklassen an die Kitas und der Horte an die Schulen sind dennoch richtige Schritte und werden von uns grundsätzlich begrüßt. Allerdings sollten auch die Rahmenbedingungen stimmen.
Freie Träger müssen die Möglichkeit erhalten, in Kooperation mit Schule ein Angebot zu machen, das nach Gesichtspunkten und Standards der Jugendhilfe ausgestattet ist. In der freien Trägerschaft existieren Schülerläden und Horte, die großes Interesse haben, ihre Kompetenz speziell in die Bildung und Betreuung von Schulkindern einzubringen und die Horte als Bestandteil von Ganztagsschulen weiterzuführen.
Bei dem Übergang des Personals von Jugendhilfe an die Schulen ist es dringend erforderlich, dass nicht nur Erzieherinnen übernommen werden, sondern auch die notwendigen Leitungskräfte aus den bisherigen Einrichtungen. Wer für bessere Bildung eintritt, muss nicht nur inhaltliche Konzepte auf den Tisch legen, sondern auch die finanziellen und personellen Rahmenbedingungen schaffen. Dies hat der Senat bisher versäumt.
Jochen Wieseke

FDP-Fraktion

Vorschulen und Horte haben wesentlich dazu beigetragen, das Fundament zu errichten, auf dem eine erfolgreiche schulische Entwicklung fußt. Die Abschaffung der Vorschule sowie Personalabbau und Frequenzanhebung in den Kitas sind auf dem Weg in die Wissensgesellschaft nicht hilfreich. Wenn die rot-dunkelrote Koalition aus SPD und PDS sich in ihrer Koalitionsvereinbarung für eine Priorisierung der Bildung aussprach, ist dies nun ad absurdum geführt worden. Auf diesem Weg kann eine Qualitätsverbesserung nicht stattfinden.
Nur durch mehr Eigenständigkeit und Wettbewerb im Bildungssystem kann mehr Qualität erreicht werden. Die Einrichtungen sollten eine weitgehende Budget- und Personalhoheit erhalten. Die freien Träger spielen bei der anstehenden Reform des Bildungssystems eine wichtige Rolle. Dieses Angebot ist weiter unverzichtbar.
Die FDP kritisiert insbesondere, dass die Eingangsstufe für 34 Schulen schon in diesem Sommer auslaufen soll. Das hat zu Verwirrungen in den Grundschulen beigetragen und es ist kaum noch möglich, den betroffenen Eltern eine alternative Schulwahl einzuräumen. Mit anderen Worten, es besteht keinerlei Planungssicherheit.
Für die Europaschulen gelten die Vorklassen als Voraussetzung für den zweisprachigen Unterricht. Die Liberalen fordern daher die Senatsverwaltung nachdrücklich auf, wenigstens hier Ausnahmen zuzulassen.
Dr. Wilfried Fest / Florian P. Block