Thema des Monats Dezember 2004

Lentzesiedlung: Kann das einmalige Ensemble erhalten bleiben?

Die Bezirksverordnetenversammlung diskutiert

Die unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg 1920/21 von Heinrich Schweitzer für die Mitarbeiter der Preußischen Oberfinanzdirektion erbaute Lentzesiedlung an der Lentzeallee 16-74, Misdroyer Str. 1-27 und Zoppoter Str. 36-64 steht unter Denkmalschutz. Die Gesobau hat sie 1992 vom Bezirksamt Wilmersdorf übernommen und jetzt an die Stuttgarter Holding IWG weiterverkauft. Die zweigeschossigen Häuser umschließen einen großen Innenhof, in dem die Hausgärten direkt an die Küchen anschließen.
Jetzt protestieren die Mieter, deren Kaufangebot nicht zum Zuge gekommen ist, weil sie wegen Neubauplänen um ihre Mietverträge und um den Charakter der Siedlung fürchten.

SPD-Fraktion

Die landhausartige Reihenhaussiedlung an der Lentzeallee steht zu Recht unter Denkmalschutz und erfreut sich auch heute noch großer Beliebtheit. Ganz unabhängig davon, wer der Eigentümer ist, wird die Sieldung erhalten bleiben. Niemand darf sie abreißen, sie wesentlich verändern oder das Zusammenspiel von Wohnen und Gartenanlage auflösen.
Und es gibt Chancen! Der Eigentümer kann endlich die Häuser und Keller trockenlegen, die Dächer sanieren und das Notwendige tun, um Energieeinsparungen zu erreichen. Es wird noch viel Unruhe in der Siedlung geben, wenn es sich der neue Eigentümer nicht zur Aufgabe macht, mit den Bewohnern zusammen zu arbeiten, ihr Informationsbedürfnis zu erfüllen und ihre Rechte zu berücksichtigen.
Die SPD-Fraktion wird immer wieder mit Nachdruck versuchen, dies dem Eigentümer nahe zu bringen, und sie wird die Bewohner in diesen Forderungen unterstützen.
Im Ausschuss für Bauleitplanung wurde deutlich, dass der Bildung von Einzeleigentum nichts entgegengesetzt werden kann und auch eine möglicherweise geplante ergänzende Bebauung auf dem ehemaligen Parkplatz nicht zu verhindern ist. Aber wir werden mitreden, wenn es darum geht, ob und wie sich neue Gebäude in das Ensemble einfügen, und in diesem Sinne mit den Bewohnerinnen und Bewohnern im Gespräch bleiben.
Wir wollen sichergestellt wissen, dass auch künftig Kinder in der Wohnanlage gefahrlos spielen und dass die Bewohner ihre Gärten behalten können.
Claus E. Klar

CDU-Fraktion

In der Lentzesiedlung rumort es.
Die Anwohner zwischen Lentzeallee, Misdroyer, Zoppoter Straße befürchten eine Zerstörung ihrer Siedlung, wenn der neue Besitzer im Innern der Anlage baut. Da vor Ort alles eher heimlich geschieht, wächst die Unruhe.
Die CDU setzt sich für die Anwohner ein. Wir wollen Klarheit und Transparenz. Wir wollen, dass der Charakter der Anlage gesichert und der Denkmalschutz beachtet wird, um so das Heimatgefühl der Anwohner zu erhalten.
Sehr geehrte Anwohner der Lentzesiedlung, die CDU bleibt Ansprechpartner für Sie. Wir begrüßen Ihre Überlegung, durch einen Mieterbeirat Ihre Interessen eindringlicher zu vertreten. Ich hoffe, dass der neue Besitzer schnell merkt, dass es besser ist, mit Ihnen gemeinsam zu planen, denn heimliches Vorgehen schafft nur Unruhe. Wir wollen, dass Sie in die Entscheidungsfindung einbezogen werden! Die Lentzesiedlung soll Ihre Heimat bleiben.
Sehr geehrte Bürger, wenn Sie Ihr Weg an der Lentzesiedlung vorbei führt, zeigen Sie den Anwohnern, dass Sie Verständnis haben für deren Sorgen um eine gesicherte Wohnqualität in unserem Bezirk.
Joachim Dannert

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Die ehemals landeseigene Lentzesiedlung wurde an einen privaten Investor verkauft. Viele Mieterinnen und Mieter bemühten sich, zum Beispiel durch die Gründung einer Genossenschaft, selbst Vertragspartner der GeSoBau zu werden. Diese hat einen Investor vorgezogen, der mit 5,8 Mio. EUR 700.000 EUR mehr geboten hatte. Das vorrangige Prinzip der “Mieterprivatisierung”, obwohl erklärtes Ziel von Abgeordnetenhaus und Senat, blieb unbeachtet.
Auf einer Mieterversammlung am 2.11.04 fand der neue Eigentümer schöne Worte über die Siedlung und vermied jede konkrete Äußerung über seine Pläne. Das versprochene Protokoll lag am 17.11. noch nicht vor. Zahlreiche Mieter waren zum Bauleitplanungsausschuss gekommen, Investor und Architekt waren eingeladen, fehlten aber ohne Absage.
Vom Bezirksamt wurde die für die Mieter wenig vorteilhafte Rechtslage dargestellt. Das Bezirksamt und die Mehrheit im Ausschuss ermutigten ebenso deutlich die Mieterinnen und Mieter, ihre Forderungen öffentlich zu machen und nachdrücklich auf allen Ebenen zu vertreten.
Wir unterstützen die Positionen der Interessenvertretung vom 17.11.04. Insbesondere halten wir die gründliche und fachgerechte Sanierung und den Verzicht auf eine Bebauung im Innenbereich für entscheidend für den langfristigen Erhalt der Siedlung. Auf dieser Basis wird eine Mieterprivatisierung auch für den Investor ein wirtschaftlich angemessenes Ergebnis bringen.
Jürgen Hess

FDP-Fraktion

Das Bezirksamt hat hinsichtlich der 1920/21 von Heinrich Schweitzer für die Mitarbeiter der Preußischen Oberfinanzdirektion erbauten und unter Denkmalschutz stehenden Anlage gegenüber einem Investor eine Bauberatung durchgeführt. Offensichtlich ist dabei deutlich geworden, dass das Baurecht mehr Wohnbebauung zulässt, als im Augenblick tatsächlich vorhanden ist. Auch geäußerte Bedenken, gestützt auf den Denkmalschutz, erweisen sich als stumpfes Schwert, da der Erhalt des Charakters der Gartenanlage auch bei einer solchen zusätzlichen Wohnbebauung in den Planungen berücksichtigt ist.
Die Einflussmöglichkeiten des Bezirks sind daher begrenzt, denn es ist kein Bebauungsplanverfahren nötig. Trotz dieser Sachlage wäre der Investor gut beraten, in einen Dialog mit den Mietern vor Ort einzutreten, wenn er nicht eine privatrechtliche Klagewelle riskieren möchte. Der vorgelegte Denkmalpflegeentwurfsplan des Investors könnte eine Möglichkeit sein, den Bewohnern bestehende Ängste teilweise zu nehmen. Soweit einem Bauherrn jedoch ein Baurecht zusteht, das ohne rechtliche Bedenken ausgeübt werden kann, muss es nach Auffassung der FDP auch möglich sein, dieses Recht wahrzunehmen.
Corinna Holländer

Fraktionslose Bezirksverordnete (Die Linkspartei.PDS)

Berlin ist eine schrumpfende Stadt. Vor allem junge Familien flüchten ins Grüne, zumeist in den Speckgürtel. Wenn Stadt und Bezirke wollen, dass die Menschen hier bleiben, müssen sie entsprechende Anreize schaffen. Vor 80 Jahren war Berlin anscheinend schon weiter… Genau deshalb muss die Lentzesiedlung erhalten bleiben. Menschen mit Geschichtsbewusstsein und Menschen, die des anonymen Einheitsbreis der neueren Einfamilienhaussiedlungen überdrüssig sind, werden nicht freiwillig in Stadtvillen ziehen, die ein denkmalgeschütztes Ensemble – eine soziale Idee aus den 20er Jahren – zu einer ordinären Reihenhaussiedlung herabwürdigen.
Es geht aber auch darum, dass der bisherige Eigentümer an eine stadtfremde Holding verkauft, obwohl eine Mietergenossenschaft in ähnlicher Höhe mitgeboten hatte. Und es bleiben dringende Fragen: Ist der neue Investor überhaupt an Erhalt und Sanierung der Gebäude interessiert? Sind sich Bezirk und Investor bewusst, dass Denkmal- und Wohnwert des Ensembles besonders auf Mietergärten und Freiflächen zurückzuführen sind?
Das soziale Wohnkonzept aus der Weimarer Republik – “Luft, Licht, Sonne” – geht immer noch auf; das zeigt die anhaltende Beliebtheit der Lentzesiedlung. Wie Neubauten in das Ensemble integriert werden können, ist dabei nicht nur eine stadtgestalterische Frage. Wenn anschließend niemand mehr dort leben möchte, hilft es wenig, sich auf festgeschriebene Bebauungsdichten zu berufen.
Benjamin Apeloig, Jürgen Hornig