Gedenken an Magnus Hirschfeld am 14.5.2015

Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann zum Gedenken an Magnus Hirschfeld am 14.5.2015, um 12.00 Uhr an der Magnus-Hirschfeld-Stele, Otto-Suhr-Allee 93

Sehr geehrte Damen und Herren!
Wenn wir heute die Vielfalt und Kreativität Berlins feiern und insbesondere mit Blick auf die City West uns über den Aufschwung und das große internationale Interesse freuen, dann knüpfen wir damit erfolgreich an die Goldenen Zwanziger Jahre an. Damals, in der jungen deutschen Demokratie, wurde vieles möglich, was bis dahin undenkbar war.
Es war wie eine Explosion der kulturellen und wissenschaftlichen Vielfalt, aber auch eine neue Freiheit der unterschiedlichen Lebensformen. Das Leben insgesamt wurde bunt und frei.
Menschen wie Magnus Hirschfeld haben dazu entscheidend beigetragen.
Seine Biografie ist ein Beispiel dafür, dass diese Vielfalt im Deutschen Kaiserreich trotz vieler Hindernisse und gegen politische Widerstände längst vorbereitet worden war. Die Nationalsozialisten zerstörten nicht nur die Weimarer Demokratie, sondern eine lange Tradition der Humanität und der Emanzipation in Deutschland.
Der große Arzt und Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld wurde am 14. Mai 1868 in Kolberg geboren, und er starb am 14. Mai 1935 in Nizza im Exil. Heute ist also sein 147. Geburtstag und sein 80. Todestag.
Von 1896 bis 1910 hat Magnus Hirschfeld hier gelebt.

Er forderte die Emanzipation der sexuellen Minderheiten von staatlicher Verfolgung und gesellschaftlicher Ächtung. Er kämpfte für die volle Verwirklichung der sexuellen Menschenrechte weltweit. Zu einer Zeit, als dies alles andere als gesellschaftlich wohl gelitten, geschweige denn anerkannt war.

Für ihn war es wichtig, dass dieser Kampf nicht allein auf einer ethischen Grundlage basierte, sondern dass er auch durch wissenschaftlich belegbare Tatsachen zu begründen war. Auf seinem Grabstein in Nizza steht sein Lebensmotto: „Per scientiam ad justitiam“ („durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“).

Hier in seiner Charlottenburger Wohnung an der damaligen Berliner Straße 104 gründete er am 15. Mai 1897 mit dem Verleger Max Spohr, dem Juristen Eduard Oberg und dem Schriftsteller Franz Joseph von Bülow das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee (WhK), zu dessen Vorsitzenden er gewählt wurde. Es war die weltweit erste Organisation, die sich zum Ziel setzte, Sexualität zwischen Männern zu entkriminalisieren.
Eine Petition an den Reichstag, den berüchtigten Paragraphen 175 aus dem Strafgesetzbuch zu streichen, scheiterte zwar, aber das Wissenschaftlich-Humanitäre Komitee konnte mit dem Aufbau der ersten deutschen Homosexuellen-Bewegung beginnen.
Von 1899 bis 1923 gab Hirschfeld 23 Jahrgänge der Zeitschrift “Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen” heraus.
1919 gründete Hirschfeld gemeinsam mit dem Dermatologen Friedrich Wertheim und dem Psychotherapeuten Arthur Kronfeld sein Institut für Sexualwissenschaft. Im gleichen Jahr war er Berater und Mitwirkender in dem Film “Anders als die Andern” von Richard Oswald. Es war der erste Film der Filmgeschichte, in dem die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Liebe kritisch thematisiert wurde. Der Film wurde 1921 von der Zensur verboten.
In den ehemaligen Richard-Oswald-Lichtspielen an der Kantstraße Ecke Joachimsthaler Straße – mitten in der City West – zeigte Oswald damals, in den 1920er Jahren seine Aufklärungsfilme, die er mit Unterstützung und wissenschaftlicher Beratung von Magnus Hirschfeld drehte.
Dieser organisiert 1921 die „Erste internationale Tagung für Sexualreform auf sexualwissenschaftlicher Grundlage“. Auf dem zweiten Kongress 1928 in Kopenhagen wurde die „Weltliga für Sexualreform“ gegründet. Das Zentralbüro hatte seinen Sitz im Berliner Institut für Sexualwissenschaft von Magnus Hirschfeld.
Für Hirschfeld waren wissenschaftliche Forschung und politisches Engagement für ihn als Sozialdemokraten untrennbar verbunden. Damit setzte er sich öffentlichen Anfeindungen aus und geriet auch persönlich immer wieder in Gefahr. Auch wegen seiner jüdischen Herkunft wurde er angefeindet – übrigens ebenso wie der Regisseur Richard Oswald.
Bereits 1920 wurde Hirschfeld nach einem Vortrag in München von Rechtsradikalen schwer verletzt. In den darauffolgenden Jahren wurden seine Vorträge oft von Nazi-Schlägertrupps gestört.
Spätestens seit 1930 wusste Hirschfeld, dass er seines Lebens in Deutschland nicht mehr sicher sein konnte. Von einer Vortragsreise in die USA 1931 kehrte er nicht mehr zurück, sondern bereiste Asien und den Orient und ging anschließend ins Exil in der Schweiz und schließlich in Paris und Nizza.
Die Machtübernahme der Nationalsozialisten machte Hirschfelds Arbeit zunichte und nahm alles zurück, was in Deutschland in den 20er Jahren erreicht worden war im Kampf um die Anerkennung der Homosexualität als gleichberechtigte Lebensform.

Bereits am 6. Mai 1933 wurde das Institut für Sexualwissenschaft von nationalsozialistischen Studenten geplündert und zerstört. Viele Homosexuelle wurden im nationalsozialistischen Deutschland wegen ihrer sexuellen Orientierung ermordet.
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg hat es lange gedauert, bis in Deutschland erfolgreich die weitgehende rechtliche Gleichstellung von Homosexellen und Transsexuellen erkämpft werden konnte.

Vor 20 Jahren, am 14. Mai 1995, haben wir – damals noch gegen manche Widerstände – hier auf öffentlichem Straßenland vor dem Haus Otto-Suhr-Allee 93 die von August Jäkel und Emanuel Scharfenberg gestaltete Gedenkstele aufgestellt, mit der wir an Magnus Hirschfeld erinnern.
Aber wir sind längst nicht am Ende des Kampfes angekommen, und wenn wir uns heute die Situation in den meisten Ländern dieser Welt anschauen, dann müssen wir ohne Illusionen feststellen:
Homophobie wird politisch propagiert und instrumentalisiert. Auch bei uns gibt es unverkennbare Anzeichen der Gegner eines gesellschaftlichen Roll Backs (Bildung).

Am kommenden Sonntag, dem 17. Mai, ist der Internationale Tag gegen Homophobie und Trans*phobie. Ich unterstütze die Aktion des schwulen Anti-Gewalt-Projekts MANEO an diesem Tag. Stellvertretend für alle Übergriffe, die im letzten Jahr in Berlin stattgefunden haben, wird an zwei Orten, mit einem Kuss ein sichtbares Zeichen für Liebe, Vielfalt und Toleranz gesetzt.
Auch mit diesen Aktionen erfüllen wir das Vermächtnis von Magnus Hirschfeld. Er würde sich darüber freuen, ebenso über die Verleihung des Magnus-Hirschfeld-Preises 2015 am vergangenen Dienstag durch die QueerSozis u.a. an das Schwule Museum.

Herzlichen Glückwunsch!