Dr. Helga Frisch: Statement für den Fernbahnhof Zoo

zur PRESSEKONFERENZ AM 27.02.2006 IM EUROPA-CENTER

Vor einigen Wochen hat unsere Bürgerinitiative gegen die Schließung des Fernbahnhofs Zoo ihr erstes Ziel mit 100.000 Unterschriften erreicht. Die Berliner haben nicht aufgehört zu sammeln, ich bekomme jetzt immer noch täglich mehrere hundert Unterschriften, es sind schon wieder 3000 mehr als 100.000. Dazu hat auch beigetragen, dass immer wieder einmal meine Telefonnummer in den Medien veröffentlicht wurde, so dass Leser und Hörer anrufen konnten, um sich Unterschriftenlisten zuschicken zu lassen. Aber auch viele Läden, Restaurants, Arztpraxen und Apotheken sammeln unaufhörlich weiter, dafür bin ich sehr dankbar, denn wir können unserem Ziel nur Nachdruck verleihen, wenn die Zahl der Unterschriften steigt.

Es ist ein Skandal, dass die Deutsche Bahn AG erst dreistellige Millionenbeträge erhalten hat, um den Bahnhof Zoo für den Fernverkehr auszubauen und dann mehr als 10 Milliarden für einen überdimensionierten Hauptbahnhof im Niemandsland verbaut hat, um anschließend den Bahnhof Zoo vom Fernverkehr abzukoppeln. Wie wir aus zuverlässiger Quelle wissen, hat die Vermarktungsfirma für die Läden am Hauptbahnhof die Zusage von der Bahn erhalten, dass die Konkurrenz am Bahnhof Zoo ausgeschaltet wird. Es wurden also reichlich Steuergelder ausgegeben, um die westliche City in entscheidender Weise zu benachteiligen.

Die Deutsche Bahn steht zwar ganz vorn beim Ausschalten der westlichen City, aber sie steht damit nicht allein da. Vor einer Woche gab es eine große Demonstration gegen die Schließung der Ku-Damm-Theater, weil die Deutsche Bank-Tochter Real Estate die Gewinnmaximierung über die Bewahrung eines wichtigen Kulturzentrums stellt. Die Situation der westlichen City ist in letzter Zeit – auch in den überregionalen Medien – häufig thematisiert worden. Denn niemand kann annehmen, das es mit Berlin aufwärts geht, wenn die westliche Hälfte der Stadt einen von Großkonzernen und Finanzspekulanten verursachten Niedergang erlebt.

Rolf Hochhuth hat bei der Demonstration für die Ku-Damm-Theater vor einer Woche sogar von “Raubtierkapitalismus” gesprochen. Ich kann dazu nur sagen: wenn der letzte Fernzug an Berlin vorbeigefahren ist und immer mehr Theater, Kinos, Restaurants und Cafés im Westen Berlins geschlossen sind, dann werden sich wohl auch die Deutsche Bahn und die Deutsche Bank fragen, warum sie keine Kunden mehr haben und warum ihr Image so miserabel ist. Sie werden merken, dass man einen guten Ruf nicht kaufen und dass man Geld nicht essen kann.

Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen noch gar nicht begriffen haben, dass der Fernbahnhof Zoo am 28. Mai tatsächlich geschlossen werden soll. Kurz vor der Fußballweltmeisterschaft wird dann ein riesiges Nahverkehrschaos ausbrechen. Ich habe unsere Unterschriftenliste aktualisiert und das darin noch einmal ausdrücklich betont: am neuen Hauptbahnhof gibt es keine U-Bahn, keine Straßenbahn, keine Nord-Süd-S-Bahn, nur wenige Busse. Bei der Anreise zum neuen Hauptbahnhof ist man aus der westlichen City 30 bis 50 Minuten länger unterwegs, weil 70 % der Reisenden mindestens einmal umsteigen müssen. Und dort am “Bahnhof der langen Wege” ist auch auf 5 Stockwerken mit nur einem einzigen Zugang niemand unter 20 bis 25 Minuten im Zug, weil alle an den neuen Läden vorbeilaufen sollen. Man spricht auch von einem “Ladenzentrum mit Gleisanschluss”.

Selbst wenn die S-Bahn auf der einzigen direkten Nahverkehrsstrecke im Minutentakt fahren würde, könnte sie die erwarteten 400.000 Reisenden, die zur Weltmeisterschaft täglich erwartet werden, nicht vom Hauptbahnhof weitertransportieren. Es sind auch nur 6 Taxihalteplätze und 6 Plätze für Reisebusse fest eingeplant. Zwar sollen 90 Taxihalteplätze neu entstehen, aber bis jetzt ist noch nicht einmal der Ort bekannt, wo sie gebaut werden. Dagegen soll das größte und ausgezeichnet funktionierende Nahverkehrszentrum am Bahnhof Zoo für den Fernverkehr wegfallen: am Zoo gibt es 2 U-Bahnlinien, 5 S-Bahn-Linien, 23 Buslinien mit Direktverbindungen in alle Teile der Stadt, 50 Taxihalteplätze und genügend Plätze für Reisebusse.

Reinhard Linde hat einen beachtlichen Aufsatz über den neuen Hauptbahnhof geschrieben mit dem Titel “Berlin Entlehrter Bahnhof”, den er in einer gekürzten Fassung heute auch für die Medien mitgebracht hat. Er stellt fest, dass mit einer riesigen Mittelverschwendung durch ein verfehltes Haltekonzept das innerstädtische Netz regelrecht destrukturiert wird. Die Bahnpläne haben bis jetzt bei den Kunden nur Unverständnis und Empörung ausgelöst. Ausserdem passt der ICE gar nicht ganz in die obere Halle, weil das Dach verkürzt wurde, so dass 25 bis 35 % der Reisenden beim Ein- und Aussteigen im Regen stehen, die fertigen Teile des Glasdaches lagern in irgendwelchen S-Bahn-Bögen. Da das Angebot an ICE-Zügen insgesamt nur sehr gering ist (4-5 Züge pro Gleis in der Stunde in der unteren Halle), müssen alle Züge einen Zwangshalt von 10-20 Minuten im Hauptbahnhof einlegen, sonst wäre die Halle gähnend leer. Und dann will die Bahn 3-4 Minuten für einen Halt am Bahnhof Zoo einsparen!

Nun werden wir dieses ganze Szenario mit dem Nahverkehrschaos und dem absurden “Entlehrten Bahnhof” nicht einfach abwarten. Die Bürgerinitiative und ihre zahlreichen Verbündeten haben schon eine ziemlich genaue Vorstellung davon, welche Schritte wir unternehmen und welche Veranstaltungen und Aktionen wir planen:

1.Am 24. April um 18 Uhr wird es in Zusammenarbeit mit der AG City eine große Podiumsdiskussion mit den Spitzenkandidaten der 4 großen politischen Parteien geben mit anderen wichtigen Entscheidungsträgern. Da können sich die Parteien im Wahlkampf positionieren und darlegen, was sie für den Erhalt des Bahnhofs Zoo tun wollen. Als Frau Merkel mit dem gesamten Kabinett ein Machtwort sprach, durfte die Bahnzentrale nicht von Berlin nach Hamburg gehen. Die Bahn gehört schließlich dem Bund, und wir warten auch beim Bahnhof Zoo auf ein Machtwort. Wie wäre es mit dem Verkehrsminister? Wir werden ihn vielleicht einladen und fragen.

2.Sollte es zur Schließung des Fernbahnhofs Zoo kommen, werden wir verschiedene Aktionen durchführen, zum Beispiel an den letzten Zügen Getränke mit Trauerflor an die Reisenden verteilen und Trauerkränze auf dem Bahnsteig niederlegen.

3.Es wird auch Demonstrationen und Happenings geben. Vielleicht kleben wir mal alle Unterschriftenlisten auf eine Rolle und legen diese längste Plakatwand der Welt dann über den Ku-Damm vor den Bahnhof Zoo. Denkbar sind auch Rollstuhldemos oder Demos mit Kinderwagen, denn der Hauptbahnhof ist als “Bahnhof der langen Wege” mit seinen 5 Stockwerken extrem benutzerfeindlich gerade für Mütter mit Kindern, ältere und behinderte Menschen.

4.Wichtig ist vor allem, dass dieser Widerstand nach der vorgesehenen Schließung des Fernbahnhofs Zoo nicht nachlässt. Bahnchef Mehdorn hat auf einem Wirtschaftsforum in der Industrie- und Handelskammer am 16.11.05 gesagt, er kenne die Widerstände gegen die Schließung des Bahnhofs Zoo, die nach der Umstellung am 28. Mai noch zunehmen würden. Sollte der Widerstand dann anhalten oder sogar noch zunehmen, dann müsse man umplanen. Wir werden im Wahjahr schon dafür sorgen, dass der Widerstand nicht nachlässt und dass sich auch die Politiker dazu etwas einfallen lassen.

5.Es wird nach dem 28. Mai auch einige spektakuläre Aktionen geben, die ich jetzt noch nicht bekannt geben kann, weil sie Überraschungscharakter haben. Man darf jedenfalls gespannt sein, weil uns noch allerhand einfällt.

Wie die Berliner zu dem ganzen Thema stehen, haben sie am Jahresende 2005 deutlich gemacht durch die Wahl von Herrn Mehdorn zum “Peinlichsten Berliner der Jahres”. Ich wurde vorgeschlagen für die Wahl zum “Berliner des Jahres” und dann unter den “Top 50” auf Platz 7 gewählt, darüber habe ich mich sehr gefreut, und ich bedanke mich an dieser Stelle noch einmal herzlich bei allen, die dazu beigetragen haben. Ich bedanke mich auch bei Herrn Lehrke für die gute Zusammenarbeit mit der AG City, und ich bin dankbar dafür, dass die Bürgermeisterin von Charlottenburg-Wilmersdorf, Frau Thiemen, so eine tolle Frau ist, mit der wir gemeinsam gegen den organisierten Unsinn der Bahn mit der geplanten Schließung des Fernbahnhofs Zoo kämpfen können.

Dr. Helga Frisch