Rede des Stellvertretenden Bezirksbürgermeisters Klaus-Dieter Gröhler zur Enthüllung einer Gedenktafel für Mildred Harnack-Fish

Rede des Stellvertretenden Bezirksbürgermeisters Klaus-Dieter Gröhler

Zur Enthüllung einer Gedenktafel für Mildred Harnack-Fish am 6.7.2009 im Spiegelsaal der Peter-A.Silbermann-Schule, Blissestr. 22

Sehr geehrter Herr Dr. Coppi!
Sehr geehrte Frau Grüner!
Sehr geehrte Frau Wendland!
Sehr geehrte Damen und Herren!

Vielen Dank für die Einladung zu dieser Feierstunde zur Enthüllung einer Gedenktafel für die herausragende Übersetzerin und frühere Lehrerin an dieser Schule, Mildred Harnack-Fish .
Seit 25 Jahren beschäftigen sich viele Bürgerinnen und Bürger, viele Städte und Gemeinden in Deutschland und die Berliner Bezirke mit ihrer eigenen Geschichte im Nationalsozialismus.
Wir haben viel daraus gelernt, wir haben begriffen, dass diese Aufarbeitung der Vergangenheit nicht abschließbar ist, sondern dass es sich dabei um einen fortdauernden Prozess handelt. Jede Generation stellt neue Fragen, findet neue Quellen und kommt zu neuen Erkenntnissen.
Inzwischen gibt es in Charlottenburg und Wilmersdorf mehr als 300 Gedenktafeln, von denen viele an bedeutende Persönlichkeiten erinnern, die vor den Nationalsozialisten fliehen mussten, die verfolgt, inhaftiert oder ermordet wurden. Diese Menschen hatten und haben eine große Bedeutung für die deutsche Geschichte. Als Schriftsteller, Künstler, Wissenschaftler, Industrielle oder Politiker haben sie Großes geleistet. Sie haben zur sprunghaften Entwicklung und zu dem großen weltweiten Ansehen Deutschlands im Kaiserreich und in der Weimarer Republik entscheidend beigetragen.
Ohne sie wäre Deutschland ärmer gewesen, und wenn wir allein die lange Liste der Namen in Charlottenburg-Wilmersdorf ansehen, dann begreifen wir, wie viel die Nationalsozialisten zerstört haben. Es ist geradezu grotesk, dass sie für sich das Nationale in Anspruch nahmen, dass sie sich als Patrioten und als wahre Vertreter der deutschen Interessen darstellten. Das Gegenteil ist richtig: Niemand hat Deutschland so sehr geschadet wie die Nationalsozialisten. Nicht nur der von ihnen begonnene Zweite Weltkrieg hat Deutschland zerstört, sondern auch und vor allem der Krieg, den sie gegen die Besten im eigenen Land geführt haben.
Der 1878 in Görlitz geborene jüdische Deutsche Peter E. Silbermann ist ein Beispiel dafür. 1917 schickte das Auswärtige Amt den begabten Pädagogen als Direktor einer deutschen Schule in die Türkei.
1920 kehrte er nach Berlin zurück und engagierte sich in der Erwachsenenbildung. 1927 gründete er das Abendgymnasium, das er bis 1933 leitete. Er war dabei so erfolgreich, dass seine Schule zum Modell wurde. Auch in anderen deutschen Städten entstanden Silbermann-Schulen. 1933 wurde er von den Nationalsozialisten entlassen und musste Deutschland mit seiner Familie verlassen.
Wenn wir uns mit den Biografien der Menschen beschäftigen, die als jüdische Deutsche oder als Widerstandskämpfer verfolgt wurden, dann ist es oft geradezu erschütternd, zu sehen, wie gerade sie Deutschland geliebt haben. Viele von ihnen haben es in ihren Werken dokumentiert, oder sie haben es privat und öffentlich formuliert: Deutschland war ihre Heimat, aus der sie nun verstoßen wurden.
Das gilt auch für die in Milwaukee geborene Mildred Harnack-Fish, die 1926 als Dozentin für deutsche Literatur in den USA den deutschen Juristen Arvid Harnack kennen lernte und mit ihm 1929 nach Berlin zog.
Hier arbeitete sie als Übersetzerin, Universitätsdozentin und Lehrerin. Sie liebte nicht nur ihren Mann, sondern auch sein Land, und so war es für sie selbstverständlich, dass sie sich am Widerstand gegen das barbarische Nazi-Regime beteiligte, das im Begriff war, Deutschland zu zerstören. Bevor sie am 16. Februar 1943 in Plötzensee hingerichtet wurde, waren ihre letzten Worte: “Und ich habe Deutschland so geliebt.”
Ich freue mich sehr, dass die Peter-A.-Silbermann-Schule sich mit ihrer großen Englischlehrerin beschäftigt hat und sie jetzt mit einer Gedenktafel ehrt, um die Erinnerung an sie wach zu halten.
Sie ist für uns alle ein großes Vorbild.