Rede des ehemaligen Bezirksbürgermeisters Dr. Roman Legien beim Empfang zu seinem 80. Geburtstag am 19.1.2008

Rede des ehemaligen Bezirksbürgermeisters Dr. Roman Legien

Beim Empfang zu seinem 80. Geburtstag am 19.1.2008 im Rathaus Charlottenburg

Sehr verehrte Frau Bürgermeisterin,
sehr verehrte Damen und Herren,

ich danke Ihnen allen für Ihr Kommen und Ihre guten Wünsche. Und mein besonderer Dank gilt Frau Thiemen für diesen Empfang, für diese so freundliche Geste über Parteigrenzen hinweg.

Wenn ich mein Manuskript am Ende meiner kleinen Rede aus der Hand gelegt habe, werde ich Sie, liebe Frau Thiemen, umarmen – nicht aus politischer Berechnung, sondern aus herzlicher Verbundenheit.

Irgendjemand hat einmal gesagt, alt zu werden, würde nichts anderes bedeuten, als die Jugend in verschiedenen Abschnitten zu genießen. Ein schöner Satz. In diesem Sinne sehe ich mich hier nur von Jugendlichen umgeben und mich selbst als Mittelpunkt einer Art Jungbürgerveranstaltung. So betrachtet hätte ich Sie auch mit einem von Ausgelassenheit zeugenden jugendlichen “Hallo!” begrüßen können. Und lyrisch ausgedrückt könnte man die Situation eines Achtzigjährigen auch so beschreiben:

Alt? – Nur weil vor der Null steht eine Acht ? Das wäre doch gelacht!

Eine mir oft gestellte Frage lautet: Wie geht es Ihnen? Und ich pflege dann zu antworten: Ganz gut. Aber in meinem Alter wird man etwas reparaturanfällig. Dafür weitet sich der Lesestoff aus. Die Beipackzettel der Medikamente kommen hinzu. Manche sind ja spannend wie ein Thriller. Was die Nebenwirkungen anbetrifft. Man nimmt etwas ein und weiß nicht genau, wie es ausgeht. Was die Nebenwirkungen anbetrifft. Häufig oder selten.

Oft fängt es ja mit den Ohren an. Und gerne erzähle ich einen Witz, den ich im Tagesspiegel gefunden habe. Da sagt eine Frau zu ihrem Ehemann: Du solltest endlich mal zu einem Ohrenarzt gehen. Daraufhin etwas verärgert der Ehemann: Aber ich war doch schon beim Augenarzt. Ich kann das so unbekümmert wiedergeben, weil ich selbst Hörgeräte trage. Wenn ich sie nicht vergessen habe.

In manchen Fällen vermittele ich als Antwort auf die Frage nach meinem Befinden auch die Erkenntnis: Mit 8o sollte man nicht mehr mit dem Reiten anfangen. Aber, wenn man es kann, sollte man nicht mit 80 aufhören. Inzwischen habe ich nach längerer Pause wieder zwei Reitstunden hinter mir. Im Anschluss an Reitstunden meiner kleinen Enkeltochter Yanara.
Im kommenden Sommer werde ich weiter- machen. Mal sehen, was die Pferde dazu sagen.

Aber lassen wir das mit dem medizinischen Befund, den man ja ohnehin gerne für sich behält.

Versuchen wir eine Antwort auf die Frage: Wie sieht man als 80-Jähriger die Welt? Da könnte man versucht sein, sich eine Antwort zu Eigen zu machen, die schon ein 53-Jähriger, nämlich der österreichische Volksmusikstar Hansi Hinterseer gegeben hat, als er gefragt wurde, wie er das Älterwerden einschätze. Einer Pressemeldung zufolge sagte er: “Das ist wie mit dem Bergsteigen. Je weiter man raufgeklettert ist, desto dünner wird die Luft. Aber desto mehr hat man die Übersicht.” Ende des Zitats. Aber wie weit reicht die Übersicht? Was vermittelt sie?

Doch bevor ich mehr dazu sage, möchte ich Sie erst behutsam darauf vorbereiten. Als Sie die Einladung von Frau Thiemen und Herrn Gröhler erhielten, haben Sie sicher spontan und arglos angenommen, es würde, von den Glückwün- schen für mich abgesehen, in entspannter Atmosphäre um die bezirkliche Selbstverwaltung und die mangelhafte finanzielle Ausstattung der Bezirke gehen. Zu diesen Themen werde ich zum Schluss auch etwas sagen. Aber vorweg etwas Außergewöhnliches:

Ich werde die Frage nach Gott stellen und Ihnen behutsam zu vermitteln versuchen, zu welchem Ergebnis ich gekommen bin. “Krass”, werden Sie jetzt vielleicht denken. Oder: “Muss das sein? Hätte er sich nicht eine andere Gelegenheit aussuchen können, so etwas zu bekunden?” Aber ich wage es einfach mal. – Vor dem Hintergrund einer Schlagzeile in der Berliner Morgenpost vom 17.Dezember letzten Jahres. Sie lautet: “Jeder fünfte Deutsche ist tiefreligiös.” Und sie ist mit dem Zusatz verbunden: “Dafür sind viele Kirchenmitglieder nicht gläubig.”

Also: Es gibt, wie Sie wissen, die Ansicht, die Existenz Gottes sei schon durch das Vorhanden- sein der Schöpfung belegt. Was uns umgibt, müsse doch geschaffen worden sein. Aber, so frage ich mich, wer hat Gott geschaffen? Und wenn dann erklärt wird, Gott sei eben von Anfang an da gewesen, ohne geschaffen worden zu sein, dann muss man es konsequenterweise ebenso für möglich halten, dass auch die Natur -gesetze und die Gegebenheiten, die zu der jetzigen Existenz des Weltalls geführt haben, von Anfang an da waren, ohne erst geschaffen wor-den zu sein. Von Anfang an da waren.

Ich hole jetzt tief Atem zu einer Zwischenbe- merkung: Gönnen Sie mir den Versuch, diesen Empfang zu nutzen, solche Gedanken auszu- breiten. In meinem Alter hat man eben nicht mehr so oft die Möglichkeit, sich in aller Öffentlichkeit vor einer anspruchsvollen Zuhörerschaft auszusprechen. Und, wenn man mitten im Leben steht, wird man von der Rätselhaftigkeit der Schöpfung nicht anhaltend irritiert.

Und wie sieht die Naturwissenschaft den Anfang? Im Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft fand ich vor kurzem die folgende Darstellung:

“ Die Wissenschaftler haben beschrieben, wie sich Raum und Zeit in den ersten Sekundenbruchteilen nach dem Big Bang entwickelten – und zwar mit einem neuen Modell im Rahmen der Stringtheorie. Ihre Ergebnisse weisen den Weg, wie das Universum aus der Phase der Quantengravitation in die Ära des kosmologischen Standardmodells übergeht, wie es die Relativitätstheorie beschreibt.

Bei der Geburt des Weltalls war die Materie unendlich dicht und die Raumzeit in einem Punkt unendlich stark gekrümmt. An dieser so genann- ten Singularität setzen die Vorschläge für eine Theorie der Quantengravitation an – ?” Soweit also das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft.

Und noch ein Zitat. Eine Stelle aus dem Buch, das ich geschrieben habe und das 1989 erschienen ist. Und in dem ich mich über alle möglichen Zeiterscheinungen lustig gemacht habe. Aber diese Stelle gehört zu den ernst gemeinten.

“So wie es immer wieder etwas radikal Neues gab, wird es nach dem Menschen mit seinen Fähigkeiten von heute sicher eines Tages auch einen Menschen mit einer weiteren, völlig neuen Fähigkeit geben: Der Fähigkeit, Gott zu erfassen, so wie er ist. Wir sind selbst Natur. In uns hat sie zu denken angefangen, ist sie sich ihrer bewusst geworden. Sie hat sich über Jahrmilliarden unbewusst entwickelt, warum soll sie sich nicht in uns auch bewusst weiterentwickeln? Wenn die Menschheit eines Tages . . . dazu übergehen sollte, völlig neue, künstliche Gene herzustellen, weil das Ziel mit den bisherigen nicht zu erreichen ist, wird auch dies nichts anderes sein, als dass die Natur s i c h weiterentwickelt.” Ende des Zitats.

Was ist nun die Schlussfolgerung, zu der ich als 80-Jähriger gelangt bin? Sie lautet: Ich weiß nicht, ob es einen Gott gibt. Ich weiß nicht, wie er ist. Ich kann meine Einstellung nicht einmal als Glauben bezeichnen. Aber ich habe die inständige Hoffnung, dass es Gott gibt. Und dass man sich an ihn wenden kann. Diese Hoffnung trägt mich. Aus ihr heraus bete ich auch und gehe ich auch in die Kirche, gehe meinen eigenen Gedanken nach und spreche meine eigenen stillen Gebete. Auf die Möglichkeit hin, dass es ihn gibt. Den für uns noch unbeschreibbaren Gott.

An einer Stelle der Heidegger-Biographie von Safranski heißt es:

“Wenn Heidegger auf Wanderungen zu Kirchen und Kapellen kam, nahm er stets Weihwasser und kniete er stets nieder. Als er gefragt wurde, ob das nicht inkonsequent sei, da er doch von den Dogmen der Kirche Abstand genommen habe, sagte er: Geschichtlich muss man denken. Und wo so viel gebetet worden ist, da ist das Göttliche in besonderer Weise nah.” Ende des Zitats.

So stellt sich die “Übersicht” für einen 80-Jährigen dar. Für einen von vielen 8o-Jährigen.

Aber zum Schluss noch etwas zur bezirklichen Selbstverwaltung. Aber erwarten Sie nichts Sensationelles. Ich könnte mir eigentlich erlauben, etwas sehr Kritisches zu sagen, denn ich strebe keine politische Karriere mehr an. Aber alle Erfahrungen, die ich gemacht habe, lassen mich positiv urteilen. Die bezirkliche Selbstverwaltung gewährleistet Bürgernähe und Problemnähe. Dies verlangt eine entsprechende finanzielle Ausstattung. Unbestreitbar ist, dass überbezirkliche Probleme überbezirkliche Kompetenzen erfordern. Streit, was bezirklich und was überbezirklich zu regeln ist, kann es im Einzelfall immer geben. Die Idee, den Bezirks- bürgermeistern ein Rederecht im Abgeordneten- haus einzuräumen, halte ich für gut. Und keine Sorge: Nicht jeder wird wie ich heute Vormittag eine solche Gelegenheit ausnutzen, um seine Weltsicht darzulegen.

Ich bin seit 56 Jahren in der CDU. Das ist keine Alterserscheinung und nicht etwa darauf zurückzuführen, dass man, je älter man wird, Veränderungen scheut. Es ist vielmehr . . . Aber lassen wir das. Dies ist ja keine Wahlkampf-veranstaltung.

Ganz innigen Dank an meine liebe Frau, die in der Zeit meines politischen Wirkens unsere Kinder umsorgte, die ich an meiner Seite hatte, wenn es um den gesellschaftlichen Bereich ging und die bis heute mein nie versiegender Kraftquell ist.

Ich habe mich in den Kreisverbänden Charlotten- burg und Spandau immer sehr wohlgefühlt und weiß es zu schätzen, dass hier und heute auch altvertraute Parteifreunde dabei sind.

Nach der Wende habe ich dann meine Über- weisung an den CDU-Kreisverband Havelland beantragt, weil ich meinte, ich müsste dort beim politischen Laufenlernen helfen. Aber dieses Laufenlernen ging so schnell, dass ich mich dort mit gutem Gewissen sehr bald fast völlig aus der aktiven Politik zurückgezogen habe. Ganz herzlichen Dank auch für das Kommen dieser Parteifreunde, allen voran Herrn Dieter Dombrowski, MdL und Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes Havelland sowie Herrn Adrian, Vorsitzender des CDU-Gemeindeverbandes Wustermark.

Mein Dank gilt allen, die mich während meines politischen Wirkens unterstützt haben und allen politischen Gegnern, die trotz gegensätzlicher Auffassungen fair geblieben sind. Es ist wunderbar, dass Sie alle gekommen sind: Amtierende Bezirksamtsmitglieder, frühere und jetzige Mitglieder der BVV, frühere Kollegen und Mitarbeiter – Sie alle aus dem politischen Bereich von nah und fern, aus Vergangenheit und Gegenwart. Sie alle haben mir damit wirklich eine große Freude bereitet.

Und jetzt kommt die zu Beginn meiner kleinen Rede angekündigte Umarmung.