Rede der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen zum Holocaust-Gedenktag am 27.1.2007

Rede der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen

Zum Holocaust-Gedenktag am 27.1.2007

am 27.1.2007, 11.30 Uhr auf dem Joachimstaler Platz

Sehr geehrte Damen und Herren!

Heute vor 62 Jahren wurde das Konzentrationslager Auschwitz befreit. Die 12 Jahre davor von 1933 bis 1945 waren die dunkelste Zeit in unserer Geschichte. Der nationalsozialistische Terrorstaat war ein Einbruch in die Zivilisation mitten im 20. Jahrhundert. Der Nationalsozialismus mit seinen Gräueltaten, mit seiner rassistischen Menschenverachtung und mit seinen millionenfachen Morden erscheint uns heute wie ein Regime aus grauer Vorzeit, aus dem Mittelalter vielleicht, jedenfalls aus einer Epoche weit vor unseren demokratischen Errungenschaften.
Aber wir wissen: Es ist noch nicht einmal ein Menschenleben her. Erst vor 62 Jahren konnte das nationalsozialistische Terrorregime besiegt werden, konnten die Opfer aus den Konzentrationslagern und konnte unser Land von der Diktatur befreit werden.
Vielfach wird heute über die Opfer gesprochen, als ob sie nicht zu uns gehört hätten, als ob es keine Deutschen gewesen wären. Wenn wir über die verfolgten und ermordeten Juden sprechen, dann vergessen wir manchmal, dass sie Deutsche waren, Nachbarn, Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt und dieses Landes. Es ist den Nationalsozialisten gelungen, sie nahezu vollständig von den übrigen Menschen in diesem Land zu trennen, bevor sie dann mit ihrer systematischen Ermordung begannen.
Ihr Ausschluss aus der Gesellschaft und aus dem öffentlichen Leben, ihre Konzentration in eigenen Ghettos waren die Voraussetzung dafür, dass es so wenig Solidarität und Unterstützung durch Nichtjuden gab. Umso bemerkenswerter sind die einzelnen Beispiele, die es gab, die stillen Helden, die verfolgten Juden Unterschlupf gewährt haben, sie im Berliner Untergrund unter Lebensgefahr versteckt und mit Lebensmitteln versorgt haben.
Gestern haben wir an der Uhlandstraße 167/168 eine Gedenktafel für Jenny und Walter Rieck enthüllt. Der Pädagoge und aktive Sozialdemokrat Walter Rieck wurde im Frühjahr 1933 aus allen Ämtern entlassen. Gemeinsam mit seiner zweiten Frau Jenny half er der untergetauchten Jüdin Inge Deutschkron und ihrer Mutter, während des Nationalsozialismus zu überleben. Walter Rieck wurde 1945 erster Stadtrat für Volksbildung in Wilmersdorf und war von 1946 bis 1951 Wilmersdorfer Bezirksbürgermeister.
Heute am Holocaust-Gedenktag steht das Schicksal der Juden im Mittelpunkt, denn der millionenfache Mord an den Juden, der Versuch, alle in Europa lebenden Juden zu ermorden ist und bleibt das größte Verbrechen des 20. Jahrhunderts.
Aber die Nationalsozialisten richteten sich in ihrem Rassereinheitswahn auch gegen andere Minderheiten im eigenen Land. Eine dieser Minderheiten war die der Homosexuellen. Sie soll in diesem Jahr im Mittelpunkt des Gedenkens stehen.
Seit 1995 erinnert an der Otto-Suhr-Allee 93 eine Gedenkstele an den Arzt Magnus Hirschfeld, der hier in Charlottenburg 1897 das “Wissenschaftlich-humanitäre Komitee” gründete, die weltweit erste Organisation, die sich für die Rechte der Homosexuellen einsetzte.
Die Machtübernahme der Nationalsozialisten machte Hirschfelds Arbeit zunichte und nahm alles zurück, was in Deutschland in den 20er Jahren erreicht worden war im Kampf um die Anerkennung der Homosexualität als gleichberechtigte Lebensform. Magnus Hirschfeld floh nach Frankreich ins Exil, wo er 1935 starb. Viele Homosexuelle wurden im nationalsozialistischen Deutschland wegen ihrer sexuellen Orientierung ermordet.
Vor 62 Jahren konnten wir mit der Unterstützung der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges beginnen, die Demokratie aufzubauen, in der wir heute leben und die uns als so selbstverständlich erscheint, dass wir sie manchmal kaum noch zu würdigen wissen.
Aber gerade das Beispiel Homosexualität zeigt uns, wie lange es gedauert hat, diese Demokratie so zu entwickeln, dass die Menschenrechte für alle uneingeschränkt gelten. Viele nationalsozialistische geprägte Vorurteile haben noch Jahrzehnte nachgewirkt.
Unsere Geschichte lehrt uns, dass Demokratie eben nichts Selbstverständliches und nichts Statisches ist, sondern dass sie auf aktive Demokraten angewiesen ist, die für sie eintreten und sie ständig weiter entwickeln.
Auch heute gibt es in unserem Land Menschen, die im Nationalsozialismus ein erstrebenswertes Ziel und in Hitler ein Vorbild sehen. Aber sie sind wohl nicht die größte Gefahr für unsere Demokratie. Die liegt eher in der Bequemlichkeit und Gedankenlosigkeit, mit der wir ihre Vorteile genießen und uns ansonsten nicht aktiv um sie kümmern.
Deshalb ist eine Organisation wie das Bündnis Demokratie Jetzt! so wichtig. Sie bietet auch Menschen eine politische Perspektive an, die sich nicht in einer Partei engagieren wollen, aber die sich aktiv für unsere Demokratie einsetzen wollen.
Denn nur das kann die Lehre aus der Geschichte sein: Wir müssen alles tun, damit etwas Ähnliches nie mehr geschieht.