Rede der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen zum Neujahrsempfang des Deutschen Journalisten Verbandes DJV Berlin am Freitag, 28.1.2005, ab 19.00 Uhr im Stilwerk, Kantstr. 17

Rede der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen

zum Neujahrsempfang des Deutschen Journalisten Verbandes DJV Berlin

am Freitag, 28.1.2005, ab 19.00 Uhr im Stilwerk, Kantstr. 17

Sehr geehrter Herr Kulpok!
Sehr geehrte Damen und Herren!

Herzlich willkommen in Charlottenburg-Wilmersdorf! Ich freue mich, dass Sie in diesem Jahr den Weg in unseren Bezirk gefunden haben, mitten in die City West und mitten in unser Jubiläumsjahr.

Es ist ja nicht nur sinnvoll, einmal bei uns vorbeizuschauen, weil wir gerade an der Reihe sind, sondern wir meinen schon, dass unser Bezirk gerade in diesem Jahr besonders viel zu bieten hat.

Verständlicherweise hat sich nach dem Mauerfall die Aufmerksamkeit auf die Bezirke Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain konzentriert. Aber inzwischen ist es doch an der Zeit, Berlin wieder als Ganzes wahrzunehmen. Und spätestens seit der Entwicklung der City West vor mehr als 100 Jahren liegt die besondere Attraktion Berlins ja gerade darin, dass es mehrere Zentren hat, die miteinander wetteifern.

Die Situation der eingemauerten West-Berliner Stadthälfte ist ja inzwischen in der historischen Rückschau bereits zur Episode geworden. Wir wollen uns für die Gestaltung der Zukunft lieber an den lang wirkenden Traditionen orientieren. Charlottenburg und die City West haben eine bedeutende Tradition. Das wollen wir in diesem Jubiläumsjahr bewusst machen. Und wir wollen auf die Zukunftspotentiale aufmerksam machen, die unser Bezirk für ganz Berlin zu bieten hat.

Das neue alte Olympiastadion ist schon jetzt eine der größten Attraktionen für Berlin, und es wird im nächsten Jahr die weltweite Berichterstattung von der Fußballweltmeisterschaft aus unserer Stadt beherrschen.

Nördlich der Straße des 17. Juni zwischen Landwehrkanal und Spree entsteht mit dem KPM-Quartier und darüber hinaus derzeit ein komplett neues Stadtviertel, die Spreestadt. Das Investitionsvolumen ist dreimal so hoch wie am Potsdamer Platz, und dort entsteht rund um die Mercedes-Welt, das Ernst-Reuter-Haus, die KPM und das Haus der Spitzenverbände des Gesundheitswesens eine Mischung aus Gewerbe, Wohnen und Dienstleistung, die ihresgleichen sucht.

Der Breitscheidplatz wird umgestaltet und in der City West wir ein Neubau nach dem anderen eröffnet.

Das Helmut-Newton-Museum für Fotografie und die neue Volkswagen-Universitätsbibliothek ergänzen ideal den Wissenschafts- und Kulturstandort zwischen Bahnhof Zoo und Ernst-Reuter-Platz.

Das Ägyptische Museum mit der berühmten Nofretete wird uns zwar demnächst verlassen, aber in den östlichen Stülerbau wird die Sammlung Scharf/Gerstenberg mit surrealistischer Kunst einziehen, eine ideale Ergänzung zur Sammlung Berggruen im gegenüber liegenden westlichen Stülerbau, die ihrerseits längst einer der stärksten Berliner Magneten für Kunstfreunde geworden ist.

Rund um die Technische Universität und das Fraunhofer-Institut an der Spree hat sich ein kreatives und innovatives Netzwerk von Unternehmen und Firmen entwickelt, die gemeinsam mit der TU angewandte Wissenschaft und Technologieforschung unmittelbar umsetzen in neue Produkte für die Industrie.

Noch wird das von den Medien weniger wahrgenommen als Adlershof und Buch, aber ich bin überzeugt, dass sich das bald ändern wird.

Das alles hat unser Bezirk für Berlin und für die Zukunft unserer Stadt zu bieten, und ich könnte noch lange fortfahren damit. Aber ich hoffe, dass ich Ihnen ein wenig Lust auf Charlottenburg-Wilmersdorf vermitteln konnte. Lust, uns nicht nur zu einem Neujahrsempfang zu besuchen, sondern auch aus professionellem Interesse, mit neugierigen Blicken und kritischen journalistischen Fragen.

Das gedruckte Programm für unser Jubiläumsjahr kann ich Ihnen leider noch nicht anbieten. Es wird in etwa zwei Wochen erscheinen und dann in allen unseren Einrichtungen und natürlich auch hier im Stilwerk ausliegen.

Bis dahin möchte ich Sie auf unsere Website im Internet verweisen. Sie ist leicht zu merken: www.charlottenburg-wilmersdorf.de , und dort finden Sie alles über unseren Bezirk – nicht nur zum Jubiläum.

Ich weiß, dass diese Website gerade bei Journalisten sehr beliebt ist, weil sie dort in aller Regel alle Informationen finden, die sie suchen. Vielleicht erhalten wir deshalb immer wieder besonders gute Noten dafür und haben bisher bei entsprechenden Bezirksvergleichen immer als Beste abgeschnitten.

Wir wollen unser Jubiläumsjahr dazu nutzen, auf die Zukunftspotentiale Charlottenburgs hinzuweisen, aber diese Zukunftsaussichten ergeben sich aus der Tradition, und deshalb ist das Jubiläum natürlich auch Anlass zur Beschäftigung mit der 300jährigen Geschichte Charlottenburgs Dafür gibt es viele Projekte, und viele beschäftigen sich mit den Chroniken, befragen Zeitzeugen und forschen in den Archiven.

Ich weiß nicht, ob es auch Presseartikel über die Entstehungsgeschichte Charlottenburgs gibt. Deshalb habe ich einmal versucht, mir vorzustellen, wie die Schlagzeilen damals ausgesehen haben könnten. Ein wichtiger Termin war der 1. Februar 1705. Am Tag danach konnte man vielleicht in den Zeitungen lesen:

“Preußen und Hannover trauern: Die kluge, schöne Königin ist tot”

Sophie Charlotte starb mit nicht einmal 37 Jahren während eines Besuchs bei ihren Eltern in Hannover. Der preußische König Friedrich I. ist untröstlich. Der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibnitz, ein enger Freund der Königin, ist tief erschüttert: “Sie war meine wichtigste Gesprächspartnerin.” Das war sein erster Kommentar, als ihn die Nachricht erreichte. Noch kann niemand sagen, was jetzt aus Charlottes Musenhof Schloss Lietzenburg wird.

Natürlich werden die nächsten Wochen in den Medien beherrscht sein von Sophie Charlotte, ihrem Charme, ihrer Intelligenz und ihrem hohen Ansehen im In- und Ausland, an den Fürstenhöfen, vor allem aber auch unter den Schriftstellern, Musikern, Künstlern, Philosophen und Wissenschaftlern.

Das nächste wichtige Datum ist der 5. April 1705. Am Tag danach müsste eigentlich in den Zeitungen gestanden haben:

“Eine neue Stadt für Sophie Charlotte: Charlottenburg soll auch in 300 Jahren noch an die preußische Königin der Herzen erinnern.

König Friedrich I. hat sich für seine verstorbene Frau entschieden. Ihr zu Ehren wird nicht nur Schloss Lietzenburg mit sofortiger Wirkung umbenannt in Charlottenburg, sondern die wenigen Häuser am Schloss erhalten Stadtrechte – ebenfalls unter dem Namen Charlottenburg.

Der Gebrauch des alten Namens ist ab sofort verboten und mit einer Strafe von 16 Groschen belegt. Friedrich I. wird in wenigen Tagen einen Magistrat bestellen und sich selbst als Ersten Bürgermeister einsetzen. Der König hat sich mit seiner mutigen Entscheidung gegen erhebliche Widerstände seiner Verwaltung durchgesetzt. Nach wie vor gibt es dort große Bedenken, ob sich zwischen Berlin und Spandau eine weitere Stadt auf Dauer halten können wird, oder ob sie nicht für immer abhängig bleiben wird vom Schloss – und schließlich stehe keineswegs fest, ob und wie dieses Schloss künftig vom Hofstaat genutzt wird. Wir werden die Entwicklung Charlottenburgs aufmerksam verfolgen und sind gespannt, ob es einmal eine richtige Stadt werden wird.”

Nun, ich will es Ihrer eigenen Fantasie überlassen, sich vorzustellen, wie die Zeitungen den Werdegang Charlottenburgs weiter verfolgten.

Unser heutiger Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf hat jedenfalls seine wesentlichen Grundlagen den früheren selbständigen Städten Charlottenburg und Wilmersdorf zu verdanken.

Damals wurden die Straßen angelegt, die wichtigsten öffentlichen Verkehrsmittel eingerichtet, Kanalisation und Wasserversorgung, Schulen, Universitäten, Kultureinrichtungen, Theater des Westens, Schillertheater, die Oper die Rathäuser und vieles mehr geschaffen.

Selbst an der Stelle des Olympiastadions wurde bereits 1913 ein Kaiser-Wilhelm-Stadion eröffnet – für die Olympischen Spiele 1916, die dann wegen des Ersten Weltkriegs ausfielen.

Wer mit offenen Augen durch den Bezirk geht, der wird sehen, dass fast alles, was unser Bezirk uns heute bietet, damals entstand. Danach wurde das Bestehende erweitert, vieles zerstört, wieder aufgebaut, manches nicht gerade zu seinem Vorteil erneuert, aber bis heute zehrt der Bezirk von dem, was in den damaligen Großstädten geschaffen wurde.

Daraus folgt nun nicht unbedingt, dass wir wieder selbständig werden und aus der Einheitsgemeinde Berlin austreten wollen. Obwohl manche meinen, wir sollten es uns überlegen, wenn das Charlottenburger Tor frisch renoviert sein wird. Nein wir wissen, dass der Aufstieg Charlottenburgs im 19. Jahrhundert ohne die Nähe Berlins nicht möglich gewesen wäre. Wir wissen auch, dass die Eingemeindung 1920 folgerichtig und längst überfällig war.

Aber wir sollten ebenfalls nicht vergessen, dass die Tradition und die große Attraktion Berlins eben nicht auf Zentralismus beruht, sondern darauf, dass Berlin aus vielen selbständigen Städten und Gemeinden zusammengewachsen ist und dass es diese Eigenständigkeit der Bezirke und der Kieze immer gepflegt und zum Ausdruck gebracht hat. Ich bitte Sie, dies bei Ihrer Arbeit zu berücksichtigen und sich so intensiv wie möglich um die Bezirke und die Kieze in Berlin zu kümmern.

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