Rede der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen zur Eröffnung des Jubiläumsjahres "300 Jahre Charlottenburg" am Sonntag, 2.1.2005, 20.30 Uhr in der Deutschen Oper Berlin

Rede der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen

zur Eröffnung des Jubiläumsjahres "300 Jahre Charlottenburg"

am Sonntag, 2.1.2005, 20.30 Uhr in der Deutschen Oper Berlin

Sehr geehrte Damen und Herren!
Sehr geehrte Frau Harms!

Herzlichen Dank für diese Opernaufführung. Herzlichen Dank für dieses schöne Geburtstagsgeschenk. Die Deutsche Oper Berlin und das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf, wir wollen damit gemeinsam ein Jubiläumsjahr eröffnen, in dem wir hoffentlich noch viele schöne Geschenke erhalten werden zum 300. Geburtstag Charlottenburgs.

Viele haben sich in diesen Tagen gefragt, ob es angebracht ist zu feiern angesichts der Menschheitskatastrophe, die sich vor einer Woche ereignet hat und die ja mit dem Zurückfließen der Wassermassen keineswegs beendet ist. Ihre Folgen werden uns alle noch lange beschäftigen.

Es ist bestürzend zu verfolgen, wie die Zahl der Toten, der Verletzten und der Vermissten von Tag zu Tag steigt. Wir können nur ahnen, welches menschliches Leid sich hinter den Zahlen verbirgt. Wir haben eine Naturkatastrophe bisher ungekannten Ausmaßes erlebt. Ihre Auswirkungen treffen auch uns in Deutschland, in Berlin, in Charlottenburg-Wilmersdorf.

Unsere Anteilnahme gilt allen Menschen, die Verwandte oder Freunde verloren haben oder die nach wie vor keine Lebenszeichen bekommen haben und eine Zeit quälender Ungewissheit durchleben.

Ich finde, es war eine gute, verantwortungsbewusste Reaktion, Silvesterfeiern dafür zu nutzen, sich gemeinsam der Dimension des Geschehens bewusst zu werden und Hilfe für die Opfer zu mobilisieren. Ich begrüße auch die Aufrufe unseres Bundespräsidenten und unseres Bundeskanzlers, neben der Soforthilfe, die jetzt dringend gebraucht wird, schon jetzt darüber nachzudenken, wie wir langfristig unserer globalen Verantwortung gerecht werden können.

Zehntausende Menschen sind ums Leben gekommen, Zehntausende sind verletzt, unübersehbar ist die Zahl der Menschen, die alles verloren haben. Unsere Hilfe ist notwendig, denn getroffen von der Naturkatastrophe wurden vor Ort die Ärmsten der Armen. Ich begrüße Aktionen wie die Beteiligung der Deutschen Oper Berlin an der Spendenaktion für die Opfer der Flutkatastrophe. Mein Appell An Sie: Spenden Sie bitte – Sie unterstützen damit die Überlebenden.

Unser Jubiläum “300 Jahre Charlottenburg” ist eine gute Gelegenheit dafür, auch zukünftig Feiern und Helfen zu verbinden.

Wir haben uns aber schon bei der Vorbereitung des Jubiläumsjahres, lange vor der Flutkatastrophe, gefragt: Kann man den 300. Geburtstag einer Stadt feiern, die seit 85 Jahren nicht mehr existiert? Seit 4 Jahren gibt es nicht einmal mehr den Bezirk, denn er wurde mit seinem Nachbarbezirk Wilmersdorf fusioniert. Charlottenburg existiert nur noch als Namensbestandteil, beispielsweise beim Schloss Charlottenburg, beim Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf oder beim SCC , dem Sportclub Charlottenburg – immerhin wurde die Herren-Volleyballmannschaft dieses Vereins nicht nur zweimal Deutscher Meister, sondern sie spielt auch in der Champions Leage und macht damit dem Namen Charlottenburg nicht nur in ganz Deutschland, sondern auch in Europa alle Ehre.

Was also berechtigt uns dazu, in diesem Jahr daran zu erinnern, dass Charlottenburg am 5. April 1705 vom preußischen König Friedrich I gegründet wurde? Und nicht nur daran zu erinnern, sondern es sogar ein ganzes Jahr lang gebührend zu feiern?

Ich behaupte: Charlottenburg ist nicht vergangen. Im Gegenteil: Wir zehren bis heute von dem, was in der Stadt Charlottenburg geschaffen wurde, als sie noch selbständig war. Es gibt wenig in unserem Bezirk, was seine Existenz nicht den früheren Städten Charlottenburg und Wilmersdorf verdankt. Gerade weil sie nicht mehr existieren, droht dies manchmal in Vergessenheit zu geraten. Und gerade deshalb ist es nicht nur möglich, sondern dringend geboten, ein Jubiläum zu feiern, das daran erinnert: Unsere Gegenwart und unsere Zukunft innerhalb Berlins gründet sich auf eine bedeutende eigenständige Tradition.

Wo könnten wir das besser nachvollziehen als hier in der Deutschen Oper Berlin. Wir befinden uns in einem Gebäude von Fritz Bornemann, das am 24. September 1961, also kurz nach dem Mauerbau, eröffnet wurde. Aber an dieser Stelle wurde bereits in der Kaiserzeit vor dem Ersten Weltkrieg am 7.November 1912 in Charlottenburg das Deutsche Opernhaus eröffnet.

Der Charlottenburger Magistrat wollte in seiner Stadt ein Opernhaus als bürgerliche Alternative zur königlichen Hofoper Berlins Unter den Linden errichten, und er hat es mit tatkräftiger Unterstützung des Charlottenburger Bürgertums geschafft.

Diese Oper war Bestandteil einer höchst aktiven und erfolgreichen Bildungs- und Kulturpolitik, und man verstand damals Bildungs- und Kulturpolitik in Charlottenburg als Teil der Sozialpolitik:

Auch die niederen Stände sollten Teil haben können an der bürgerlichen Kultur. Sie sollten durch diese Teilhabe in die bürgerliche Gesellschaft einbezogen werden, und ihnen sollten Aufstiegsmöglichkeiten eröffnet werden. Wir können heute viel lernen von den damaligen Anstrengungen der Kommunalpolitik in Charlottenburg.

Die Geschichte unserer Volkshochschule ist ein weiteres besonders eindrucksvolles Beispiel für weitsichtige Politik in Charlottenburg. Sie wurde vor hundert Jahren vom Charlottenburger Magistrat in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität gegründet und hat in vielerlei Hinsicht Pionierarbeit geleistet.

Es lohnt sich also für uns heute und für unsere Zukunft, uns die Tradition Charlottenburgs bewusst zu machen.

Ich freue mich sehr, dass Frau Harms sich schon mehrmals öffentlich auch zur sozialen Verantwortung unserer Oper bekannt hat, und ich halte es für außerordentlich wichtig, dass auch Karten zu kleinen Preisen für die Oper angeboten werden. Aber vielleicht könnten wir gerade auf diesem Gebiet noch mehr lernen von unseren Vorfahren in Charlottenburg. Kultur und Soziales waren damals nicht nur Anliegen des Magistrats, sondern auch Anliegen der vermögenden Bürgerinnen und Bürger.

Mit Stiftungen und einem engagierten Mäzenatentum haben sie sich kulturell und sozial engagiert. Darunter waren besonders viele jüdische Bürgerinnen und Bürger. Wir wollen im Jubiläumsjahr auch an sie erinnern, und wir sollten uns an ihnen heute ein Beispiel nehmen.

Der heutige Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf hat seine wesentlichen Grundlagen den früheren selbständigen Städten Charlottenburg und Wilmersdorf zu verdanken. Vor ihrer Eingemeindung nach Groß-Berlin 1920, vor allem in den Jahren des Kaiserreichs zwischen 1871 und 1914 wurden die Straßen angelegt, die wichtigsten öffentlichen Verkehrsmittel eingerichtet, Kanalisation und Wasserversorgung, Schulen, Universitäten, Kultureinrichtungen, Theater des Westens, Schillertheater, die Oper die Rathäuser und vieles mehr geschaffen.

Selbst an der Stelle des Olympiastadions wurde bereits 1913 ein Kaiser-Wilhelm-Stadion eröffnet – für die Olympiade 1916, die dann wegen des Ersten Weltkriegs ausfiel.

Wer mit offenen Augen durch den Bezirk geht, der wird sehen, dass fast alles, was unser Bezirk, was unsere Stadt uns heute bietet, damals entstand. Danach wurde das Bestehende erweitert, vieles zerstört, wieder aufgebaut, manches nicht gerade zu seinem Vorteil erneuert, aber bis heute zehrt der Bezirk von dem, was in den damaligen Großstädten geschaffen wurde.

Können wir also den 300. Geburtstag Charlottenburgs feiern, obwohl es seit 85 Jahren nicht mehr existiert? Meine Antwort ist: Wir können nicht nur, sondern wir sind dazu verpflichtet.

Und wir müssen es nicht um der Vergangenheit willen, sondern für unsere Gegenwart und unsere Zukunft tun. Nur wer sich seiner Geschichte bewusst ist, kann seine Zukunft gestalten. Wir müssen uns bewusst machen, dass diese Oper, dass die City West und Charlottenburg keinesfalls Produkte des eingemauerten West-Berlins sind. Im Gegenteil: Diese unnatürliche Situation im eingemauerten Berlin stellt sich bereits aus heutiger Sicht als kurze, kuriose Episode dar. Viel wichtiger sind die lang wirkenden Traditionen. Und die sind für die Deutsche Oper Berlin, für die City West und für Charlottenburg viel älter. Nur wenn wir uns dieser Traditionen bewusst sind, können wir die richtigen Entscheidungen für die Zukunft treffen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir das Charlottenburger Jubiläum nutzen, um diese großen Traditionen bewusst zu machen.

Die richtigen Entscheidungen für die Zukunft zu treffen, das heißt nicht unbedingt wieder selbständig zu werden und aus der Einheitsgemeinde Berlin auszutreten. Obwohl manche meinen, wir sollten es uns überlegen, wenn das Charlottenburger Tor frisch renoviert sein wird. Nein wir wissen, dass der Aufstieg Charlottenburgs im 19. Jahrhundert ohne die Nähe Berlins nicht möglich gewesen wäre. Wir wissen auch, dass die Eingemeindung 1920 folgerichtig und längst überfällig war.

Aber wir sollten ebenfalls nicht vergessen, dass die Tradition und die große Attraktion Berlins eben nicht auf Zentralismus beruht, sondern darauf, dass Berlin aus vielen selbständigen Städten und Gemeinden zusammengewachsen ist und dass es diese Eigenständigkeit der Bezirke und der Kieze immer gepflegt und zum Ausdruck gebracht hat.

Diese Eigenständigkeit sollten wir auch in Zukunft weiter gestalten zum Wohle unseres Bezirks und zum Wohle ganz Berlins. Denn auch heute lebt Berlin vor allem von der Vielfalt, die in seinen Bezirken zum Ausdruck kommt. Auch dies wollen wir in unserem Jubiläumsjahr zeigen.

Ich lade Sie herzlich ein zu unseren Veranstaltungen. Sie finden sie alle auf unserer Website im Internet und bald auch in gedruckter Form. Die Höhepunkte sind eine Gala der Friseurinnung im Theater des Westens mit historischer Moden- und Frisurschau und einer Vorpremiere der 3 Musketiere am 20. März, ein Konzert zum Geburtstag am 3. April in der Gedächtniskirche und zum Festakt am 5. April im Schloss Charlottenburg, das große Jubiläumsfest vom 17. bis 19. Juni vor dem Schloss und auf der Schloßstraße, das Schlossgartenfest vom 1. bis zum 3. Juli und schließlich der Silvesterball im Rathaus Charlottenburg. Das ganze Jahr über gibt es Vorträge, Ausstellungen, Konzerte und vieles mehr.

Ich danke der Intendantin Kirsten Harms und allen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Deutschen Oper Berlin herzlich dafür, dass sie uns mit dieser Opernaufführung und mit dem heutigen Empfang einen so schönen Auftakt für unser Jubiläumsjahr gegeben hat. Und ich freue mich auf eine weitere gute Zusammenarbeit unseres Bezirks mit der Deutschen Oper Berlin in diesem Jubiläumsjahr und danach.

Danken möchte ich auch zwei Sponsoren, die diesen Galaempfang maßgeblich unterstützt haben:

Der Sekt wurde gespendet von Herrn Majer, Gastronom des Festzentrums der Trabrennbahn Mariendorf – einigen bestimmt von unseren Bezirksrenntagen “Charlottenburg-Wilmersdorf auf Trab” bekannt und diesjähriger Veranstalter des Festes der Nationen vom 9. bis 11. September am Prager Platz und des Silvesterballs im Rathaus Charlottenburg.

Mein zweiter Dank geht an Herrn Streich, Berliner Kindl. Trotz interner Umstrukturierungen war es wieder einmal möglich eine Veranstaltung des Bezirksamtes mit Mineralwasser und Berliner Gerstensaft zu unterstützen. Herzlichen Dank dafür.

Ihnen allen wünsche ich ein gutes, glückliches, gesundes und erfolgreiches Neues Jahr 2005, und ich heiße Sie herzlich willkommen im Jubiläumsjahr “300 Jahre Charlottenburg”.

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