Einbürgerungsfeier

Rede der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen

zur Einbürgerungsfeier

am Mittwoch, dem 15.2.2006, um 19.00 Uhr im BVV-Saal im Rathaus Wilmersdorf

Sehr geehrte Damen und Herren!

Herzlich willkommen im Rathaus Wilmersdorf und herzlich willkommen als deutsche Bürgerinnen und Bürger im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf. Ich freue mich, dass Sie sich dafür entschieden haben, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Sie haben damit zum Ausdruck gebracht, dass Sie gerne in unserem Land leben, dass Sie sich in Berlin und wie ich hoffe auch in unserem Bezirk wohl fühlen.

Berlin hat sich nicht zuletzt deshalb so erfolgreich entwickelt, weil hier schon seit Jahrhunderten verschiedene Kulturen friedlich zusammen existieren. Wir wissen: Berlin hat einen großen Teil seiner erfolgreichen Entwicklung den Ausländerinnen und Ausländern zu verdanken, die sich hier angesiedelt haben, die sich integriert haben, die unsere Stadt mit geprägt haben. Die ersten Bewohner Charlottenburgs waren die Kammertürken Ali und Hassan. Sie haben die ersten Häuser gebaut in der Stadt, die 1705 von König Friedrich I. gegründet wurde.
Auch heute ist das friedliche Neben- und Miteinander der verschiedenen Kulturen in unserem Land eine entscheidende Grundlage für unser Wohlergehen und für eine erfolgreiche wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Entwicklung. Manche reden in diesen Tagen wieder einmal vom “Kampf der Kulturen”. Die gewaltsamen Reaktionen auf die in einer dänischen Zeitung im September des letzten Jahres erstmals veröffentlichten Karikaturen scheinen ihnen Recht zu geben.
Umso mehr habe ich mich darüber gefreut, dass die Demonstrationen von Muslimen in Berlin und anderen deutschen Städten gegen die Karikaturen friedlich waren. Diese friedlichen Demonstrationen haben den Eindruck bestätigt, dass die Muslime in unserem Land sich im Karikaturenstreit sehr verantwortungsbewusst verhalten haben. Sie haben zwar ebenfalls ihre Bestürzung und ihren Abscheu gegenüber den Karikaturen geäußert, mit denen sie ihren Propheten Mohammed verunglimpft sehen, aber sie haben nicht zur Gewalt aufgerufen, sondern friedlich demonstriert. Ich denke, dies ist auch ein gutes Zeichen für eine gelungene Integration in unsere Gesellschaft.
In den vielen Diskussionen, die derzeit in unseren Medien geführt werden, kommen Vertreter des Islam häufig zu Wort. Und das ist gut so. Vielleicht hat ja die Auseinandersetzung auch einen positiven Effekt: Der Dialog der Kulturen kommt – zumindest bei uns – endlich in Gang.
Vermutlich haben Sie die deutsche Staatsbürgerschaft auch deshalb gewählt, weil Sie festgestellt haben, dass unsere freiheitliche Grundordnung es Ihnen ermöglicht, sich individuell frei zu entfalten und frei zu äußern. Unsere Rechtsordnung garantiert Ihnen Ihre persönlichen Freiheitsrechte, und davon können Sie so lange Gebrauch machen, wie Sie nicht die Freiheitsrechte anderer einschränken.
Der Schriftsteller George Orwell hat einmal gesagt: “Wenn Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann vor allem das Recht, anderen Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen.”
Auch in unserem Rechtsstaat hat die Meinungsfreiheit zwar Grenzen. Aber diese Grenzen werden von den Gerichten festgelegt, nicht von Kirchen oder Religionsgemeinschaften. Eine Zensur findet nicht statt, und es wäre nicht akzeptabel, wenn Journalisten Angst davor haben müssten, Kritik zu äußern. Selbst wenn wir diese Kritik nicht teilen, müssen wir dafür sorgen, dass sie geäußert werden kann. Wer Kritik öffentlich äußert, der muss zwar mit Widerspruch rechnen. Notfalls muss er sich auch vor Gericht verantworten. Aber er darf nicht mit Gewalt bedroht werden.
Das heißt, Meinungsfreiheit bedeutet auch, dass wir einiges aushalten müssen, wenn wir es ernst meinen mit der Freiheit. Das heißt nicht, dass wir alles hinnehmen müssen, was uns gegen den Strich geht. Im Gegenteil: Widerspruch ist erwünscht, und unsere Demokratie lebt vom Streit der Meinungen.
Streitkultur ist eine der wichtigsten Grundlagen unserer Gesellschaft. Denn erst durch den Streit der Argumente werden Lösungen gefunden, die für alle akzeptabel sind.
Ich bin davon überzeugt, dass der Streit um die Mohammed-Karikaturen dazu führen wird, dass Journalisten und wir alle verantwortlicher mit der Pressefreiheit umgehen. Ich hoffe aber, dass auch betroffene Anhänger des Islam einsehen, dass für die Veröffentlichung von Karikaturen in einer Zeitung bei uns nicht ein Staat verantwortlich gemacht werden kann, sondern dass dies eine freie Meinungsäußerung ist – nicht mehr und nicht weniger.
Unser Grundgesetz und unsere Rechtsordnung bieten – so glaube ich – eine gute Grundlage für den friedlichen Meinungsstreit. Wir werden den Meinungsstreit in diesem Jahr auch hier in Berlin im Wahlkampf erleben, und auch dieser Streit um die richtige Politik in unserer Stadt ist wichtig für unsere Demokratie. Ich bitte Sie deshalb: Setzen Sie sich mit den Argumenten der Parteien und der Kandidaten auseinander! Nehmen Sie möglichst aktiv teil am Meinungsstreit! Und vor allem: Gehen Sie am 17. September zur Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses und der Bezirksverordnetenversammlungen. Wählen Sie die politische Partei und die Politiker, die Sie überzeugt haben.
Wer nicht zur Wahl geht, der schadet unserer Demokratie, indem er sie entweder ablehnt oder gering schätzt. Wir haben in unserer Geschichte gelernt, dass Demokratie nichts Selbstverständliches ist, sondern dass wir uns immer für sie einsetzen müssen.
Hitler konnte in Deutschland zur Macht kommen, weil es in der Weimarer Republik zu wenige Demokraten gab, weil zu viele Menschen die Demokratie verachteten. So etwas darf in unserem Land nie mehr geschehen.
Unsere Demokratie lebt von den Demokraten, von den Menschen, die sie aktiv mit gestalten. Und Demokratie bedeutet eben nicht nur die Herrschaft der Mehrheit, sondern Demokratie bedeutet auch Rechtsstaatlichkeit, Schutz von Minderheiten, Toleranz und Vielfalt der Kulturen.
Wir sollten für unsere Demokratie eintreten und – wenn nötig – kämpfen. Wir sollten sie uns nicht nehmen lassen von Extremisten, die meinen, sie seien im Besitz der absoluten Wahrheit und die ihre Kultur und ihre Lebensauffassung mit Gewalt allen Menschen aufzwingen wollen.
In unserem Land sollen sich die Menschen mit ihrem jeweils unterschiedlichen kulturellen Hintergrund frei entfalten können. Für uns alle ist es wichtig, dass wir gemeinsam die Regeln des Zusammenlebens, das heißt unsere freiheitliche demokratische staatliche Ordnung, und insbesondere unser Grundgesetz akzeptieren.
Dazu gehört die Gleichberechtigung von Mann und Frau, und dazu gehört die Freiheit der Religionsausübung. Alle Menschen sind gleich viel wert – völlig unabhängig davon, ob sie sich einer Religion verpflichtet fühlen oder nicht.
Unsere deutsche Geschichte lehrt uns, dass wir kulturell und wissenschaftlich immer dann erfolgreich waren, wenn verschiedene Kulturen sich in unserem Land in der Mitte Europas getroffen haben, wenn sie sich vermischt und gegenseitig befruchtet haben.
Aber dies geht nur, wenn die verschiedenen Religionen und Kulturen ihrerseits Toleranz üben und die Trennung von Kirche und Staat akzeptieren. Wir können nicht dulden, dass eine Religion den Hass gegen Nichtgläubige predigt, dass sie die staatliche Ordnung in Frage stellt, dass sie Kinder am Schulbesuch hindert, dass sie Frauen ihre Entfaltung in unserer Gesellschaft verbietet.
Wir haben in der Vergangenheit zu wenig getan, um die Integration der hier lebenden Ausländer in unsere Gesellschaft zu fördern. Und wir haben sie wohl auch zu wenig gefordert. Wir haben es bei einer Toleranz belassen, die im Grunde für viele nur Gleichgültigkeit bedeutet hat. Solange sie uns nicht gestört haben, hat uns nicht interessiert, wie unsere ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger bei uns leben, woran sie glauben, wovon sie überzeugt sind, wie sie ihre Feste feiern und wie sie sich bei uns fühlen, ob sie an unserer Gesellschaft teilhaben, ob sie unsere Demokratie mit gestalten.
Sie haben sich für die deutsche Staatsbürgerschaft entschieden. Sie haben sich damit nicht für den Abschied von Ihrer Kultur entschieden. Ich hoffe, dass aus dem uninteressierten Nebeneinander ein informiertes Miteinander wird, dass aus Toleranz Neugierde wird und aus Gleichgültigkeit Anteilnahme.
Wir wollen zusammenleben, ohne zu verleugnen, dass wir unterschiedlich sind. Wir wollen keinen Kampf der Kulturen, aber wir wollen eine pluralistische Gesellschaft, in der die verschiedenen Kulturen miteinander ins Gespräch kommen und im Gespräch bleiben. Lassen Sie uns gleich heute damit beginnen.
In diesem Sinne wünsche ich uns allen noch einen schönen Abend und Ihnen alles Gute für Ihre Zukunft als Deutsche.

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