Rede des Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann beim Festakt zur Benennung der Paula-Fürst-Schule am 16.8.2013 in der Schulaula, Sybelstr. 20/21

Rede am 16.08.2013 beim Festakt zur Benennung der Paula-Fürst-Schule

Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann in der Schulaula, Sybelstr. 20/21

Sehr geehrter Herr Grunenwald!
Sehr geehrter Herr Ehlert!
Liebe Schülerinnen und Schüler!
Sehr geehrtes Lehrerkollegium!
Sehr geehrte Eltern!
Sehr geehrt Damen und Herren!

Herzlichen Glückwunsch zur gelungenen Namensfindung. Der Name Paula Fürst ist besonders gut geeignet, ein Leitbild zu geben und Identität für die gesamte Schulgemeinschaft zu stiften.
Aber mit der Ehrung der bedeutenden Pädagogin Paula Fürst setzt die Schule auch ein Zeichen für einen hohen ethischen und pädagogischen Anspruch.
Unweit von hier, am Kaiserdamm 77-79, erinnert eine Gedenktafel an Paula Fürst, die dort von 1933 bis 1938 die Theodor-Herzl-Schule leitete. Obwohl ihr dringend geraten wurde, Deutschland zu verlassen und obwohl sie noch im August 1939 einen Kindertransport nach London begleiten konnte, kam sie zurück.
Sie war in der ‘Reichsvereinigung der Juden’ für die jüdischen Schulen in ganz Deutschland zuständig und versuchte bis zuletzt, einen Schulbetrieb für die jüdischen Kinder und Jugendlichen aufrechtzuerhalten. Im Juni 1942 wurde sie nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Ihr Schicksal und das Schicksal ihrer Schule führt uns eindringlich unsere Geschichte vor Augen: Viele von den Nationalsozialisten ausgegrenzte, verfolgte, vertriebene und ermordete deutsche Juden waren nicht nur Bürgerinnen und Bürger wie alle anderen auch, sondern sie hatten durch herausragende Leistungen einen großen Anteil daran, dass Deutschland weltweit Spitzenpositionen einnahm in der Wissenschaft, Kultur, Medizin und auch in der Pädagogik.
Der mörderische Antisemitismus der Nationalsozialisten war nicht nur ein Menschheitsverbrechen, sondern er war auch ein Zerstörungswerk an der eigenen deutschen Kultur, das nicht wieder gut zu machen ist. Bis heute leiden wir an dem Verlust, und wir sind es nicht nur den Opfern schuldig, uns zu erinnern, sondern uns selbst. Deshalb ist die Benennung einer Schule nach Paula Fürst nicht nur für die Schule von großer Bedeutung, sondern für uns alle.
Vor einigen Jahren haben wir in der Kommunalen Galerie in Wilmersdorf mit einer Ausstellung und einer kleinen Publikation an die jüdischen Schulgründerinnen in Wilmersdorf erinnert: Dr. Leonore Goldschmidt, Lotte Kaliski, Anna Pelteson, Toni Lessler und Vera Lachmann. Sie alle haben mit bewundernswerter Energie unter immer schwierigeren Bedingungen in der Zeit des Nationalsozialismus Staunenswertes geleistet. Weil die jüdischen Schülerinnen und Schüler von den deutschen Schulen vertrieben wurden, mussten in kürzester Zeit jüdische Schulen einspringen.
Diese Schulen haben ihren Schülerinnen und Schülern nicht nur die überlebensnotwendigen Kulturtechniken und die für die Emigration nötigen Sprachkenntnisse vermittelt, sondern sie haben auch die Kultur der Aufklärung und des Humanismus weitergetragen, von der sich ihr Land längst verabschiedet hatte.
Meist wurden diese Schulen von Frauen geleitet. Wie Paula Fürst haben alle diese Pädagoginnen “Inseln der Geborgenheit” in einer immer feindlicher werdenden Umwelt geschaffen, das haben viele Überlebende Schülerinnen und Schüler übereinstimmend berichtet.
Die jüdischen Schulen waren für die meisten zunächst nur ein notdürftiger Ersatz für die regulären deutschen Schulen, von denen sie vertrieben worden waren. Aber sie wurden schnell zur letzten Rettung. Sie vermittelten Schutz und Hoffnung – Hoffnung auf das eigene Überleben und Hoffnung auf das Überleben der Kultur und Menschlichkeit.
Auch Paula Fürst war eine leidenschaftliche Pädagogin, die in einem Wilmersdorfer humanistischen Gymnasium zur Schule gegangen war, im Victoria-Luise-Oberlyceum, dem heutigen Goethe-Gymnasium an der Gasteiner Straße.
Hier wurden ihr nicht nur Wissen und Techniken vermittelt, sondern auch Ethik und Moral, von der sie so lange nicht glauben konnte, dass sie seit 1933 plötzlich radikal außer Kraft gesetzt waren. Auch die Montessori-Pädagogik, die sie – ebenfalls in Wilmersdorf – erstmals praktizierte, wurde von den Nationalsozialisten abgeschafft und verboten.
Durch ihre herausragenden pädagogischen und organisatorischen Leistungen von 1933 bis 1942 hat Paula Fürst Schulgeschichte geschrieben – nicht nur jüdische Schulgeschichte, sondern auch deutsche Schulgeschichte. Die Geschichte der jüdischen Schulen im Nationalsozialismus ist Teil der deutschen Schulgeschichte.
Sie ist ein wesentlicher Teil der Tradition, in der unser Schulwesen heute steht.
Hier geht es um Fragen, die auch für uns heute aktuell sind.
Wie kann die Schule als lebendiger Ort auf das Leben vorbereiten? Wie kann die Schule Heimat bieten und Perspektiven eröffnen? Bei Paula Fürst finden wir Antworten auf solche Fragen.
Das persönliche Schicksal von Paula Fürst ist bewegend. Wie konnte so etwas in unserem Land geschehen? Wir können nur hoffen, dass die Erinnerung hilft, dass nie wieder etwas Ähnliches geschieht.
Sie haben sich und Ihre Schule mit der Namensgebung auch eine Verpflichtung auferlegt, nicht zu vergessen und aus der Erinnerung die richtigen Schlüsse für die Zukunft zu ziehen. Ich danke Ihnen dafür und ich wünsche Ihnen viel Glück und viel Erfolg auf diesem Weg in der Paula-Fürst-Schule.