Gesundheitliche Versorgung

Gesundheitliche Versorgung von Opfern von Gewalt

Gewalt macht krank. Häusliche und sexuelle Gewalt führt häufig zu langfristigen Erkrankungen von Frauen. Doch die Einrichtungen der Gesundheitsversorgung sind darauf noch längst nicht ausreichend vorbereitet.

Gesundheitliche Folgen von Gewalt

Berlin hat in den vergangenen Jahrzehnten ein differenziertes Angebot an Hilfe- und Unterstützungseinrichtungen für Frauen, die von häuslicher und sexueller Gewalt betroffen sind, auf- und ausgebaut. Neben Frauenhäusern, Zufluchtswohnungen und Beratungsstellen wurden Kooperationen mit der Polizei, der Justiz und dem Gesundheitswesen entwickelt, um die Angebote effektiv und an den aktuellen Bedarfen orientiert auszugestalten. So sind die schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen erlebter Gewalt erst in den vergangenen 10 bis 15 Jahren stärker in das Bewusstsein einer breiteren Fachöffentlichkeit des Gesundheitswesens getreten. Erste Ansätze für den Aufbau einer adäquaten medizinischen und psychologischen Versorgungsstruktur für die Betroffenen bedürfen des weiteren Ausbaus.

Eine Spirale nach unten

Frauen, die in ihrer Kindheit von sexuellem Missbrauch oder in einer späteren Lebensphase von häuslicher oder sexueller Gewalt betroffen sind, weisen neben körperlichen Verletzungen häufig psychosomatische Schädigungen auf. Sie äußern sich unter anderem in Form von Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Erschöpfungszuständen und Depressionen bis hin zu Suizidversuchen.
Nicht selten geht mit der Verschlechterung der physischen und psychischen Gesundheit auch eine Verschlechterung der sozialen Situation der Betroffenen einher. Häufige Krankheit kann den Arbeitsplatz gefährden. Fehlendes Verständnis in der unmittelbaren Umgebung verstärkt vorhandene Ängste und Misstrauen gegenüber anderen Menschen und wird so zum Teil einer Spirale nach unten. Die Gefahr, dass fehlende adäquate Hilfe zu Suchtproblemen, Wohnungslosigkeit und/oder manifesten psychischen Erkrankungen führt, ist groß.

Was wird getan

Beschäftigte im Gesundheitssystem nehmen eine zentrale Rolle ein im Erkennen von gewaltbedingten Verletzungen und Beschwerden. Ihre Reaktion kann bedeutend sein für weitere Schritte, die Frauen unternehmen. Im Ergebnis eines Kooperationsprojekts zwischen den für Frauen und für Gesundheit zuständigen Berliner Senatsverwaltungen unter Einbindung von Fachkräften aus Anti-Gewalt-Einrichtungen und dem Gesundheitswesen wurde 2007eine umfassende Bestandsaufnahme der bestehenden Versorgungssituation, bestehender Versorgungslücken, -defizite und dringender Bedarfe im ambulanten, komplementären und klinischen psychiatrischen Bereich sowie bei den Anti-Gewalt-Einrichtungen in Berlin veröffentlicht. Der Bericht formuliert erste Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen. Diese Arbeit erfolgte vor dem Hintergrund, dass viele von häuslicher und sexueller Gewalt betroffene Frauen im Verlauf ihres Lebens psychische bzw. psychosomatische Krankheiten entwickeln. Der Anteil an Migrantinnen unter den Betroffenen ist hoch. Eine Zusammenarbeit zwischen den Anti-Gewalt-Einrichtungen Berlins und dem psychiatrischen Versorgungssystem wurde auf der Basis des Berichts angebahnt.
Als ein Modell für weitere Kooperationen dient die 2009 abgeschlossene Kooperationsvereinbarung zwischen der Zufluchtswohnung im Bezirk Tempelhof/Schöneberg und dem Sozial-Psychiatrischen Dienst des Bezirks, der sich inzwischen weitere in dem Feld tätige Einrichtungen angeschlossen haben.

Das Angebot eines FrauenNachtCafès des Vereins Wildwasser e.V. für Frauen, die insbesondere nachts bei der Bewältigung von Ängsten und traumatischen Erlebnissen besondere Unterstützung benötigen, wurde deutlich erweitert. Die Gesundheitsverwaltung fördert seit 2010 eine „Koordinierungs- und Interventionsstelle zur Förderung und Weiterentwicklung der Prävention und Intervention in der gesundheitlichen Versorgung bei häuslicher und sexualisierter Gewalt“. Ein wesentlicher Schwerpunkt ihrer Arbeit besteht in der Sensibilisierung von Fachkräften des Gesundheitswesens. In Berliner Kliniken, für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden in Kooperation mit der Berliner Ärztekammer Fortbildungen zum Erkennen von und zum Umgang mit gesundheitlichen Folgen einer Gewalterfahrung durchgeführt.

Der Verein S.I.G.N.A.L.- Intervention im Gesundheitsbereich gegen häusliche und sexuelle Gewalt hat die Veröffentlichung des Staatenberichts der Bundesregierung zur “Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt” (sog. Istanbul-Konvention) am 01.09.2020 zum Anlass genommen, einen 3-minütigen Erklärfilm mit dem Titel „Signale wahrnehmen – statt wegschauen“ online zu stellen. Er wendet sich direkt an die Gesundheitsfachkräfte und stellt die zentralen Handlungsschritte für eine sensible gesundheitliche Versorgung von Betroffenen häuslicher und sexueller Gewalt vor.

Verankerung von Hilfeangeboten im Gesundheitswesen

Über die bestehenden Angebote hinaus ist die Verankerung adäquater Hilfeangebote in den Strukturen des Gesundheitswesens erforderlich. Dazu gehören
  • die Verankerung von Bausteinen zum Thema gesundheitliche Folgen von Gewalt in den medizinischen Aus- und Fortbildungen,
  • die Einrichtung niedrigschwelliger Krisenunterkünfte,
  • die Schaffung von Traumastationen und Angeboten der Tageskliniken speziell für die betroffenen Frauen.

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