Protokoll der 4. Sitzung vom 20.05.2019

Vierte Sitzung des Runden Tisches Sexarbeit

Am 20.05.2019, 13:00 Uhr bis 16:00 Uhr
In der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung

Themenschwerpunkte: Arbeitsbedingungen und Verlagerung der Sexarbeit ins Internet

Tagesordnung

TOP 1: Eröffnung und Begrüßung

Die Moderatorin, Frau Caroline Ausserer, begrüßt die anwesenden Teilnehmer_innen.
Frau Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler und Frau Staatssekretärin Barbara König begrüßen ebenfalls die Anwesenden.

TOP 2: Verabschiedung Protokoll und Handlungsempfehlungen „Betriebsstätten“

Das bereits im Vorfeld versendete Protokoll der 3. Sitzung vom 06.03.2019 wird ohne Änderung angenommen. Das finale Protokoll wird auf der Webseite des Runden Tisches veröffentlicht.
Zu den im Nachgang der 3. Sitzung in einer Unterarbeitsgruppe finalisierten Handlungsempfehlungen zum Themenbereich „Betriebsstätten“, die ebenfalls im Vorfeld der Sitzung an die Teilnehmer_innen versendet wurden, gibt es keine weiteren Anmerkungen oder Änderungswünsche.

TOP 3: Inputs und Diskussion der Handlungsempfehlungen zum Themenbereich „Arbeitsbedingungen“

Andrei Craciun, SMART-berlin, subway/Hilfe für Jungs e.V.

  • Bei den Arbeitsbedingungen in der mann-männlichen Sexarbeit sind besonders die Unterschiede im Vergleich zu weiblichen Sexarbeitenden relevant: Laut unseren Informationen gab es sowohl vor, als auch nach dem Inkrafttreten des Prostituiertenschutzgesetzes keine Betriebe in Berlin, in denen Männer arbeiten können. Aus diesem Grund gab es bei den männlichen Sexarbeitern, anders als bei den Frauen, keinen Übergang von Bordellen ins Internet durch das ProstSchG.
  • In Berlin arbeiten Männer in der Sexarbeit aktuell weitgehend selbstorganisiert im Escort-Bereich. Die meisten männlichen Sexarbeiter arbeiten zu Hause, direkt bei den Freiern oder in Hotels.
  • Eine große Problematik stellt der Wohnungsmarkt in Berlin dar – auch wenn die betreffende Person alle benötigten Unterlagen und die erforderlichen monetären Ressourcen besitzt, um eine Wohnung zu mieten. Vielschichtige Problematiken, die sowohl mit der Sexarbeit als auch mit Diskriminierung zu tun haben, spielen oft zusammen: fehlender Arbeitsvertrag bzw. monatlicher Verdienstnachweis, Stigmatisierung, Homofeindlichkeit, etc. Diese schwierige Situation führt häufig dazu, dass ungerechtfertigt hohe Mieten verlangt werden oder die Sexarbeitenden sich aufgrund der wenigen Optionen von Bekannten oder Freiern abhängig machen (versteckte Wohnungslosigkeit) und unklare Abmachungen getroffen werden.
  • Verschiedene Schwierigkeiten durch das neue ProstSchG betreffen auch die mann-männlichen Sexarbeitenden. Die Kondompflicht nach ProstSchG widerspricht sich häufig mit anderer Beratung im Bereich der Gesundheitsprävention, die Nutzung von PrEP (Prä-Expositions-Prophylaxe) ist z.B. im Gesetz nicht vorgesehen.
  • Die mann-männliche Sexarbeit findet hauptsächlich auf Internetplattformen statt, die einerseits Datingplattformen sind, auf denen andererseits aber auch sexuelle Dienstleistungen angeboten werden können. Seit dem ProstSchG lässt sich eine Verlagerung in den „privaten“ Bereich, d.h. die verstecktere Ausübung der Sexarbeit, beobachten.
  • Das neue Angebot von SMART-berlin richtet sich nur an volljährige Personen. Durch Präsenz im Internet und in der schwulen Partyszene soll Aufklärung über Sexarbeit, die rechtlichen Rahmenbedingungen, Gesundheitsprävention, etc. bei der Zielgruppe erreicht werden. Zusätzlich sind das Empowerment von Sexarbeitenden und die Sensibilisierung der schwulen Szene in Berlin in Bezug auf Sexarbeit wichtige Bestandteile der Arbeit von SMART-berlin.
  • SMART-berlin ist ein Angebot von subway. Subway hat als Zielgruppe Jungen* und junge Männer*, die anschaffen, mit einem Fokus auf Minderjährige. Die Beratung zur Professionalisierung in der Sexarbeit richtet sich nur an Volljährige, deswegen ist eine klare Trennung der Angebote von SMART und von subway notwendig. Die Beratung von SMART-berlin kann aus diesem Grund nur außerhalb der Öffnungszeiten von subway stattfinden. Aktuell arbeitet nur ein Mitarbeiter mit einem Umfang von 30 Stunden pro Woche für SMART, das ist nicht ausreichend um ein komplettes Konzept für die Professionalisierung, Entstigmatisierung und Gesundheitsprävention zu realisieren.
  • Die Forderung von SMART-berlin lautet daher, dass Personalressourcen aufgestockt und eigene Räume für das Projekt zur Verfügung gestellt werden müssen.

Samantha Yamoah, Leitung der „Sexworker-only”-Gruppe

  • Das zweite Treffen der „sexworker only“-Gruppe hat im Vorfeld des Runden Tisches im Hydra Café stattgefunden. Die Themen waren auch dort die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Sexarbeitenden und die Verlagerung der Sexarbeit ins Internet.
  • Die Arbeitsbedingungen in den Betriebsstätten haben sich durch die neuen Standards des ProstSchG teilweise verbessert.
  • Ein Problem für eine hohe Anzahl Sexarbeitender ist die unsichere Aufenthaltssituation in Deutschland, Nicht-EU-Bürgerinnen werden durch ein fehlendes Arbeitsvisum illegalisiert.
  • Ein weiteres Problem sind die fehlenden Arbeitsorte, wenn das Marketing im Escort-Bereich über das Internet erfolgt. Es gibt in Berlin nur sehr wenige Stundenhotels.
  • Weiterhin ist auch an die Verantwortung der Kunden zu appellieren, sie sind als Zielgruppe bei entsprechenden Maßnahmen ebenfalls zu berücksichtigen. Der Stigmatisierung und auch Kriminalisierung der Kunden soll entgegengewirkt werden, da dies auch Sexarbeitende in die Illegalität drängen würde. Sogenannte „Freierforen“ im Internet sollen allerdings eingedämmt bzw. besser kontrolliert werden.
  • Die Arbeit über das Internet birgt außerdem neue Problematiken im digitalen Bereich, z.B. im Bereich des Outings, durch Erpressung oder Doxxing (Veröffentlichung privater Informationen im Internet).

In der sich den Inputs anschließenden Diskussion zeichnet sich ab, dass einige offene Fragen geklärt werden müssen. Die Aufnahme von Sexarbeit in Antidiskriminierungsgesetze wird ausführlich diskutiert und es soll nun zunächst geprüft werden, welche Tatbestände bereits durch bestehende Gesetze abgedeckt sind, damit Lücken identifiziert und geschlossen werden können. Außerdem sollen bestehende Angebote auch für die Zielgruppe der Sexarbeitenden besser beworben und bekannt gemacht werden. Bei der Ombudsstelle, die im Landesantidiskriminierungsgesetz vorgesehen ist, muss die Zuständigkeit für Sexarbeitende geklärt und das Angebot bekannt gemacht werden. Fachberatungsstellen können hier als Multiplikatorinnen dienen. Wichtig ist festzuhalten, dass Sexarbeitende z.B. in Behörden aufgrund ihrer (ehemaligen) Sexarbeit Diskriminierung erfahren.

TOP 4: Inputs und Diskussion der Handlungsempfehlungen zum Themenbereich „Verlagerung der Sexarbeit ins Internet“

Johanna Kern, BERLINintim

  • Bei BERLINintim ist eine Beratung bzw. Austausch mit den Verantwortlichen für das Onlineportal auch vor Ort in Berlin möglich, dies wird von Sexarbeitenden gern genutzt.
  • Hier ist durch das ProstSchG ebenfalls ein starker Trend zur Vereinzelung zu beobachten, auch wenn z.B. Bordelle als Arbeitsort bevorzugt werden würden, arbeiten jetzt viele Sexarbeitende unabhängig über das Internet.
  • Das Bedürfnis nach Vernetzung und Informationsaustausch ist bei den Sexarbeitenden sehr stark, gleichzeitig gibt es zahlreiche Bedenken und Ängste in Bezug auf die neuen Regelungen nach ProstSchG. Beispielsweise existieren Unsicherheiten zur Datensicherheit bei der Anmeldung als Prostituierte und die Angst vor einem ungewollten Outing.
  • Diese Unsicherheiten können nur durch gute und gebündelte Bereitstellung von Informationen abgefedert werden.

Susanne Bleier-Wilp, Communitymanagerin, KaufMich

  • Der Austausch mit anderen Sexarbeitenden ist vor allem bei einer isolierten Arbeitsweise, z.B. über das Internet, wichtig. Hier fehlt der direkte Austausch mit anderen Sexarbeitenden, den es beispielsweise in Bordellen oder Clubs häufig gibt.
  • Auch im Internet ist ein Communitybuilding unter Sexarbeitenden anzustreben, z.B. über „sexworker only“-Foren wie bei KaufMich. Hier sind ca. 140.000 aktive Sexarbeitende registriert.
  • Aktuell wird als Non-Profit-Projekt eine neue Onlineplattform aufgebaut, die unter anderem an das „sexworker only“-Forum auf der KaufMich-Seite angedockt ist. Hier sollen Sexarbeitende über ihre Rechte, Themen wie Steuern und Onlinesicherheit informiert werden, um den Job professionell und möglichst sicher ausüben zu können. Die Zielgruppe der Plattform sind vor allem Personen, die neu in die Branche einsteigen.
  • Die Ergänzung der Onlineressource durch die Möglichkeit eines anonymen und mehrsprachigen Chats ist gerade in Arbeit. Dies ist vor allem für die Personen wichtig, für die der Besuch in einer Beratungsstelle bereits eine zu große Hürde darstellt. Möglichst niedrigschwellige Online-Angebote sollen hier Abhilfe schaffen und auch dieser Zielgruppe entsprechende Informationen und Unterstützung zur Seite stellen.

In der sich anschließenden Diskussion werden zahlreiche Möglichkeiten zur Unterstützung von Sexarbeitenden auch im digitalen Bereich diskutiert. Als Beispiel wird die Lola-App genannt, die in Nordrhein-Westfalen entwickelt wurde. Ein wichtiger Aspekt ist außerdem auch bei Online-Angeboten immer die Verbindung zu „analogen“ Angeboten, wie z.B. Beratungsstellen. Die Frage, ob eine Bündelung der Angebote auf einer zentralen Seite sinnvoll ist oder viele unabhängige Angebote nebeneinander bestehen sollten, muss noch abschließend geklärt werden. Eine dritte Variante wäre eine unabhängige Plattform, auf der die Angebote verschiedener Seiten gebündelt verlinkt und zusammengebracht werden.
Ein weiteres niedrigschwelliges Angebot könnte eine Telefonhotline sein, die rund um die Uhr erreichbar ist, ähnlich der BIG-Hotline.

TOP 5: Festlegung der Themen für die nächste Sitzung

Die Themen für die kommende Sitzung sind „soziale Absicherung“ und „Gewalt/ Ausbeutung“. Zur Vorbereitung der Themen werden wieder zwei Arbeitsgruppentreffen stattfinden, die Termine werden zeitnah bekanntgegeben. Auch ein „sexworker only“-Treffen soll vor dem nächsten Termin des Runden Tisches erneut stattfinden.

Protokollnotiz:
Es wird zu Protokoll genommen, dass bei der Umsetzung von Handlungsempfehlungen zum Themenbereich Straßenprostitution im Kurfürstenkiez auch die Anrainer, konkret das Arbeitsgericht, einbezogen werden sollen. Besonders im Vorfeld der Aufstellung von Toiletten oder Verrichtungsboxen soll das zuständige Bezirksamt Mitte hierzu den Austausch mit dem Arbeitsgericht suchen.

Die nächste Sitzung des Runden Tisches findet am 08. August 2019 statt.

Download des Protokolls als PDF

  • Protokoll Runder Tisch Sexarbeit 20.05.2019

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