Auszug - Strategien gegen Rechtsextremismus in Berlin, speziell in unserem Bezirk Gast: Frau Dr. Lehnert, Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus  

 
 
Öffentliche Sitzung des Ausschusses für Integration und Migration
TOP: Ö 3
Gremium: Integration und Migration Beschlussart: erledigt
Datum: Do, 14.05.2009 Status: öffentlich
Zeit: 17:00 - 19:00 Anlass: ordentliche Sitzung
Raum: Sitzungsraum 1051
Ort: Yorckstr. 4-11
 
Wortprotokoll

Frau Dr

Frau Dr. Lehnert berichtet sehr informativ über neuere Entwicklungen in der rechten Szene sowie best practice-Modelle für die zivilgesellschaftliche Arbeit gegen Rechtsextremismus. Im Ausschuss werden zahlreiche Nachfragen gestellt, die in die folgenden Notizen eingearbeitet sind.

Die mbr wird durch das Landesprogramm des Integrationsbeauftragten des Berliner Senats sowie das Bundesprogramm "kompetent. für Demokratie - Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus" gefördert. Die Arbeit ist nachfrageorientiert: Schulen, Bezirksämter, Projekte und engagierte Gruppen treten an die mbr heran und erhalten eine kompetente Beratung auf der Grundlage aktueller und ortspezifischer Erkenntnisse.

 

Für unseren Bezirk bedeutet dies, den Unterschied zwischen einem deutschen Rechtsextremismus, der in Friedrichshain zu beobachten ist, und spezifischen - teils sehr unterschiedlichen - Formen der Ungleichheitsideologie, die in Kreuzberg existieren, wahrzunehmen. Was rechtfertigt es, trotz dieser Unterschiede, hier dennoch von Rechtsextremismus zu sprechen? Die mbr definiert Rechtsextremismus als eine Einstellung oder Verhaltensweise, bei der

- von der Ungleichheit und Ungleichwertigkeit der Menschen ausgegangen,

- ein ethnisch homogenes Volk konstruiert und

- die Gemeinschaft vor das Individuum gestellt wird.

Dabei wird Gewalt akzeptiert oder selbst angewandt.

 

Die einzelnen Aspekte rechter Einstellungen (von völkischem Nationalismus über Demokratiefeindlichkeit bis Rassismus und Sozialdarwinismus) treten in sehr unterschiedlichen Erscheinungsformen zu Tage:

- Protest und Provokation

- Wahlverhalten

- Vergesellungsformen (Parteien, Kameradschaften, Vereine, Geschäfte...)

- Propaganda (Flugblätter, Internet, Aufkleber, Publikationen...)

- kulturelle Aspekte (Lifestyle, Kleidung, Symbole, Musik...)

- Gewalt, Terror.

Grob lässt sich zwischen einem parteiförmigen und einem aktionsorientierten Rechtsextremismus unterscheiden, wobei im Gegensatz zu DVU und Reps die NPD beide Formen verbindet. Rechte Subkulturen, Kameradschaften, Rocker und Hooligans kooperieren mit der NPD, ebenso das rechte Musiknetzwerk. Die Verbindung zwischen Kameradschaften, NPD und Netzwerk Musik stellt heute das Zentrum rechtsextremer Strukturen dar.

 

In Berlin ist die NPD relativ schwach, dennoch ist sie hier die wichtigste Partei der extremen Rechten. Ihre Kooperation mit Kameradschaften lässt sie als "kämpferische" Kraft erscheinen, im Gegensatz zu früheren Rechtsextremen wie den "bürgerlicheren" REPs (die 1989 bei den Berliner AH-Wahlen 7,5 % bekamen).

 

Vergleicht man die Zustimmung zu rechtsextremen Einstellungen in Deutschland und Berlin im Jahre 2008, so zeigt sich in Berlin eine durchaus niedrigere Verbreitung (Gesamtzustimmung zu den einzelnen Einstellungen in Dt.: 10%, Berlin: 7%). Nationaler Chauvinismus (Dt.: 37%, Berlin: 24%) und Sozialdarwinismus (Dt.: 23%, Berlin: 19%) sind dabei die beiden dominanten ideologischen Merkmale. Während der Antisemitismus in Berlin geringer ausgeprägt ist (Dt.: 17%, Berlin: 10%), der Rassismus nur unwesentlich geringer (Dt.: 20%, Berlin: 16%), sind die Werte bei der Befürwortung einer Diktatur (Dt.: 14%, Berlin: 12%) und der Verharmlosung des Nationalsozialismus (17% und 15%) sehr ähnlich. Hierbei ist zu bedenken, dass es sich um Zahlen aus Befragungen (von Stöss/Niedermayer) handelt, also um Selbstauskünfte der Interviewten.

 

In der Berliner Statistik rechtsextremer Gewalt liegt der Ortsteil Friedrichshain mit 30 Angriffen im Jahr 2008 an einsamer Spitze (anschl. Lichtenberg 15, Pankow 13, Marzahn 12, Treptow 9, am Ende: Steglitz 1, Wilmersdorf 0). Diese Gewalt ist eindeutig männlich geprägt, Frauen sind an diesen Angriffen mit max. 10% beteiligt.

 

In den Parteien der Rechten arbeiten etwa 20% Funktionärinnen, in Kameradschaften und Cliquen liegt der Frauenanteil zwischen 10 - 33%, rechte Wähler sind zu etwa 33% weiblich, bei den Einstellungen gibt es keine signifikante Geschlechterdifferenz. Daraus läßt sich ablesen, dass Frauen in der rechtsextremen Szene zwar eine untergeordnete Rolle spielen, es aber mit dem "Ring Nationaler Frauen" (RNF) inzwischen deutliche Anstrengungen gibt, Frauen stärker anzusprechen. Dazu gehören etwa Demos mit Sicherheitsthemen, die Inszenierung des "deutschen Paars" Jörg und Stella Hähnel in der NPD, die Öffnung des RNF auch für Nichtmitglieder rechter Parteien. Eine rechtsextremer "Feminismus" will Ansprüche von Frauen in der Szene durchsetzen, wird aber regelmäßig von der Männerdominanz abgewertet. Ziel ist eine neue Zusammensetzung der Rechten

durch mehr aktive Frauen, die aber im Rahmen fester Rollenverteilungen, in denen das rechte Gesellschaftsmodell bereits sichtbar wird, aktiv werden sollen.

 

In den rechtsextremen Jugendkulturen wird seit langem eine Pluralisierung/Mischung der Stile und der alltagsästhetischen Zeichen beobachtet: Kapuzenpullis, Palituch, Schrifttypen aus der HipHop-Kultur, modische Variationen von chiffrierten Zeichen ("18" als Pop-Button) u.v.m. (siehe Broschüren zu Thor Steinar und "Versteckspiel", hg. vom antifaschistischen Pressearchiv apabiz). Rechte Modeläden wie Tromsö haben hier eine Türöffnerrolle: Der rechte Lifestyle soll bis in den gesellschaftlichen mainstream hinein verbreitet werden, die Zugangsschwellen zu rechtsextremen Erlebniswelten und Accessoires gesenkt. Die Läden sollen als "normaler Bestandteil" der Straße durchgesetzt werden. Dazu dient auch die Strategie verschwimmender Grenzen: Das Sortiment enthält sowohl völlig unverfängliche Produkte wie eindeutig rechtsextreme Bedeutungsträger. Ziel solcher Läden ist die kulturelle "Normalisierung" rechter Stile voranzutreiben, der Gewöhnungseffekt. Zudem erhöht sich der rechtsextreme Publikumsverkehr, was die potenzieller Opfer von Angriffen bedroht und einschüchtert und damit die Bewegungsfreiheit einschränkt. Auch der black block style ist in der rechten Szene aufgegriffen worden und ermöglichst es, sich unerkannt unter Demos zu mischen.

 

Auf Websites der Rechten finden sich gezielte Infos zu "Linken Läden" bzw. antifaschistischen Projekten, mit Angaben von Adressen und Einzelbeschreibungen der Aktivitäten. Solche Websites dienen der Einschüchterung und der Strategieplanung der sog. Anti-Antifa. Deutlich ist auch, dass verstärkt soziale Themen (Hartz IV) aufgegriffen werden, wie etwa in der NPD-Kampagne "Sozial geht nur national, Deutsche Arbeit zuerst für Deutsche" und in der Profilierung eines rechten Antikapitalismus von Seiten des Kameradschaftsspektrums ("Nationalen Sozialismus durchsetzen").

 

Die mbr-Beratung zielt auf folgende Handlungsstrategien:

- Intervention: durch klare Grenzziehungen, Regelwerke durchsetzen, Ausschluss Rechtsextremer. Beispiele: "Servicewüste für Nazis" (hier liegen noch keine Auswertungen vor) oder Bühnenprogramm gegen Rechts auf der Biermeile.

- Prävention: langfristig angelegte Förderung demokratischer Kultur und Kompetenz.

Besonders wichtig ist das Zusammenwirken von Zivilgesellschaft und Politik/Verwaltung:

- Durch zivilgesellschaftliches Engagement Diskussionen anstoßen, gesellschaftliches Klima verändern und Druck erzeugen,

- durch praktische Unterstützung von Initiativen (z.B. durch unbürokratisches Vorgehen, feste Ansprechpersonen, finanzielle Hilfe) können Impulse verstärkt werden und die Präventionsarbeit kann institutionell oder über Projekte gefördert werden.

 

Die mbr hat einen Mustergewerbemietvertrag erarbeitet, der Klauseln gegen rechtsextreme Wirtschaftsunternehmungen enthält. Ziele sind:

- ein klares politisches Signal des Vermieters 

- Abschreckung potenzieller rechtsextremer Mieter

- Erleichterung der Mietvertragskündigung.

In den Mietvertragsklauseln versichert der Mieter mit seiner Unterschrift, dass sein Sortiment keines rechtsextremen, rassistischen und antisemitischen Inhalte hat. Der Verkäufer versichert, dass im Laden keine Produkte, Modemarken oder Accessoires verkauft werden, die in der Öffentlichkeit mit einem Bezug zur rechtsextremen Szene wahrgenommen werden.

 

Sehr gut ist nach Einschätzung der mbr die Entwicklung kommunaler Standards und Kriterien für die Jugendarbeit in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, wie sie im Jugendhilfeausschuss Treptow-Köpenick am 2.4.08 als verbindliche Grundlage für alle nach § 11 KJHG finanzierten Projekte beschlossen wurde. Darin sind festgelegt:

- professionelles demokratisches Selbstverständnis alle Jugendarbeiter/innen

- Zuständigkeiten und Ziele der Jugendarbeit im Bezirk in Bezug auf Rechtsextremismus

- Handlungsempfehlungen für Mitarbeiter/innen von Jugendfreizeiteinrichtungen zum Umgang mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen

- Prozessmerkmale und Kriterien eines glaubhaften Ablösungsprozesses aus der rechtsextremen Szene

- Kriterien zum Umgang bzw. der pädagogischen Arbeit mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen (Sympathisanten, Mitläufern).

 

Fort- und Weiterbildungen sollten geleistet werden für

- die Regeldienste (Hilfen zur Erziehung, Allgemeiner sozialer Dienst etc.), um Hintergrundwissen zu rechten Jugendkulturen zu vermitteln und zu aktualisieren, die Auseinandersetzung mit Alltagsrassismus zu fördern und das demokratische Selbstverständnis im Team zu unterstützen

- Lehrerinnen und Lehrer. Es gibt dafür zu wenig Freistellungen durch Schulleitungen, häufig fehlen direkte Ansprechpartner/innen an der Schule, d.h. keine Rechtsextremismus- oder Demokratiebeauftragten, zu wenig Anerkennung von engagierten Lehrer/innen durch die Schulleitungen. Spezifische und aktualisierte Angebote für Schulen sind nötig, darüber hinaus mehr Demokratiepädagogik.

 

Die mbr hat einen Koffer mit Materialien für Auszubildende erarbeitet und arbeitet mit den Gewerkschaften zusammen, damit es vermehrt zu Betriebsvereinbarungen kommt, die einen innerbetrieblichen Konsens gegen Rechtsextremismus festschreiben. Zudem muss die Jugendarbeit mit den Folgen von Hartz IV umgehen.

 

Der bisherige Wirkungseffekt des antirassistischen Zusatz-Passus in der Berliner SPAN

kann von der mbr zur Zeit noch nicht bewertet werden, da im Sport sehr viele ehrenamtlich Engagierte tätig sind, zu denen wenig direkte Kontakte existieren. Dementsprechend ist im Einzelfall auch unklar, wie ggf. eine mögliche Anschlussarbeit gegen rechte Vorfälle ausgestaltet sein könnte

 

Der Ausschuss legt fest, dass in der nächsten Sitzung über eine parteiübergreifende Beschlussempfehlung zum Thema beraten wird. Die Ausschussmitglieder sind eingeladen, hierzu Anregungen vorab zu formulieren.

 

 
 

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