Palermo 11.09.2023
Am 4. September begann meine erste von vier Hospitationswochen in der Stadtverwaltung Palermo, der Provinzhauptstadt der Autonomen Region Sizilien und Wohnsitz von über 650.000 Einwohner*innen. Dank der sehr freundlichen Kommunikation mit der Koordinatorin vor Ort, Daniela Messina, die fließend Deutsch spricht, hatte ich bereits vor Ankunft das Gefühl, vor Ort gut aufgehoben und betreut zu sein. Palermos hinreißende, barocke Altstadt, ist nicht nur die größte, zusammenhängende Altstadt Europas, sondern auch UNESCO-Weltkulturerbe. Diese verfiel nach dem 2. Weltkrieg, zunehmend, während die Mafia Infrastrukturprojekte, wie den Bau von Sozialwohnungen, fest in der Hand hatte. Seit den 80er und 90er Jahren gelang es wieder, die Stadt zu beleben und zu sanieren, und die organisierte Kriminalität zurückzudrängen – das Andenken an die beiden 1992 ermordeten Mafia-Richter Falcone und Borsellino ist weiterhin allgegenwärtig.
Mein erster Tag begann mit einer sehr herzlichen Begrüßung durch Frau Messina und dem Kennenlernen meiner ersten Station, im Settore Rigenerazione Urbana e centro storico. Servizio per la Rigenerazione Urbana e la Qualità dello Spazio Pubblico e dell’Abitare Responsabile PO Progettazione Strategica – hinter dem sehr langen Namen verbirgt sich, nach einer Umstrukturierung, die Behörde für Stadterneuerung und für die Altstadt, sowie für die Qualität des öffentlichen Raums und für Strategische Planung. Dem Namen angemessen, befindet sich die Behörde in einem ehemaligen Kloster, mit historischen Kreuzgängen und Blick auf das Meer. Wie ich auch in den kommenden Tagen lernen durfte, wurden viele ehemalige Klöster umgewandelt und werden nun für andere Zwecke genutzt.
Gemeinsam mit Caterina Guerico, Irene Chinnici, Maurizio Ruggiano und Luisa Leggio der Behörde wurde mir mein Programm für die nächsten Wochen vorgestellt, sowie die Grundzüge der palermitanischen Verwaltung vorgestellt. Der Sindaco, der Bürgermeister, ist seit 2022 Roberto Lagalla, nachdem der zuvor viele Jahre der als „Antimafia“ und pro Migration bekannte Bürgermeister Leoluca Orleando nicht mehr antrat. Der Sindaco ernennt 11 Assessori, die den Gemeinderat bilden, und für verschiedene Themen zuständig sind. Anders als in Berlin, sind die acht Circoscrizioni, die Bezirke Palermos, weitestgehend ohne Macht und Budget, haben jedoch auch einen eigenen Rat und eine*n Präsidenten*in.
Im Sommer befindet sich ganz Italien im kollektiven Urlaub, weshalb auch meine erste Woche noch viele Besichtigungen außerhalb des Verwaltung beinhaltete. Am zweiten und dritten Tag besuchte ich, gemeinsam mit Maurizio Ruggiano, die Stadtbibliothek, die Biblioteca Communale di Palermo, die, nicht ganz unerwartet, in einem ehemaligen, riesigen Klostergelände untergebracht ist. Teilweise verwahrlost, war es eine zivilgesellschaftliche Initiative, die begann, das große Gelände vor ein paar Jahren aufzuräumen. Nachdem die historische Bibliothek im 2. Weltkrieg von einer Bombe getroffen wurde, wurde die Hälfte des Bestands von 12.000 Werken vernichtet. Dabei handelt es sich teilweise um über 500 Jahre alte Drucke. Aktuell wird der verbleibende Bestand digitalisiert und der Öffentlichkeit online zur Verfügung gestellt. Der sehr freundliche Guide antwortete ausweichend auf die Frage der Finanzierung der Bibliothek, von der Stadtverwaltung habe man vor einigen Jahren noch einmal
148 Euro erhalten (meine ungläubige Reaktion „…Tausend, oder?“ blieb unbeantwortet), ansonsten sei man auf EU-Drittmittel angewiesen.
Im Stadtarchiv Palermos, das einer Synagoge nachempfunden ist, aber ursprünglich ein Kloster war, hat die Digitalisierung noch nicht begonnen. Über 800 Jahre Geschichte sind allen Besucher*innen frei zugänglich, gesammelt in monumentalen Räumen in Regalen bis unter die Decke, das Gedächtnis der Stadt auf Papier.
Grundsätzlich ist die große Freundlichkeit und Flexibilität unter den palermitanischen Kolleg*innen sehr sichtbar und beeindruckend. Einen Besuch im Ethnografischen Museum Guiseppe Pitrè, das von der Stadt unterhalten wird, etwas außerhalb von Palermo, begleitete spontan die Direktorin Felice Patrizia d’Amico und stellte mir die eindrucksvolle Sammlung vor, die die sizilianische Kultur und Geschichte, vor allem durch Alltags- und Kulturgegenstände, Werkzeug, Schmuck und Kleidung, präsentiert. Die Neueröffnung vor fünf Jahren nach einer umfassenden Renovierung, nachdem das Museum bereits seit 1935 besteht, war ein Kulturprojekt des ehemaligen Bürgermeisters Orleando. Die Sammlung wird stetig durch Ankauf und private Spenden, bzw. Vererbung, erweitert.
Kultur, so schien es, könnte in der Stadtpolitik jedoch eine noch größere Rolle spielen, wurde mir in der Woche vermittelt. Spannende Pilotprojekte hat Palermo auch durchaus zu bieten, wie das Street Art Palermo-Projekt, bei dem die Stadtverwaltung Fassaden und Flächen für Künstler*innen zur Gestaltung freigab und das mir Irene Chinnici vorstellte. 58 Künstler*innen wurden mit ihrem Vorschlag ausgewählt und bemalten und besprühten 2021 Häuserwände und Mauern in der ganzen Stadt, vor allem in den teils sozial etwas benachteiligten Außenbezirken. Relativ großzügige Guidelines gaben dabei kaum Grenzen vor, gleichzeitig lässt die historische Altstadt nicht viele Spielräume zu. Darauf angesprochen, ob das Projekt in internationalen und städtepartnerschaftlichen Kontext zu übertragen sei, antwortete Irene bescheiden, Mailand habe größere Projekte in dem Rahmen umgesetzt. Dennoch erschienen das Projekt und auch der interne Prozess in einer Stadt, die sich nicht
zuletzt über ihr historisches und ästhetisches Erbe definiert, sehr wegweisend.
Ein ganz anderes Projekt ist das Centro Astalli, das ich, nach großen Bemühungen meiner Koordinator*innen, besuchen durfte. Die Freiwilligenorganisation gehört zu einem italienweiten Netzwerk an Einrichtungen und setzt sich mit unterschiedlichen Angeboten für sozial benachteiligte Menschen und Geflüchtete ein. Das umfasst ein kostenloses Frühstück- und Abendessen, Waschmöglichkeiten und Wäsche, ebenso wie die Unterbringung von Asylsuchenden, Italienischkurse, Rechtsberatung und Gesundheitsuntersuchungen. Das Centro ist auf Spenden angewiesen, das große Gelände erhielt es vom Jesuitenorden. Man habe Platz um noch mehr geflüchtete Menschen aufnehmen, betonte der Leiter beim Rundgang und man sei gleichzeitig sehr dankbar für das Engagement der Freiwilligen, wobei es gerade herausfordernder würde, junge Menschen langfristig für ein Projekt zu gewinnen – eine Erfahrung, die mir von unseren ehrenamtlichen Städtepartnerschaftsvereinen bekannt vorkam.
Und zum Abschluss noch eine Erkenntnis aus der ersten Woche in Palermo: Die Stadtverwaltung habe wohl keinerlei Nachwuchsmangel, die Arbeit in der Verwaltung streben viele junge Menschen, auf der Suche nach einer sicheren Anstellung im von Jugendarbeitslosigkeit geplagten Süden Italiens, an. Für eine Stadt wie Palermo, mit großem historischen Erbe und gleichzeitig viel Dynamik und Kreativität, ist das doch eine große Chance!
Bettina Böhm