Schrittweise mehr Platz – Projekt Graefekiez startet: Maßnahmen für mehr Verkehrssicherheit, Klimaanpassung und Mobilitätswende
Pressemitteilung Nr. 62 vom 14.03.2023
Ausgehend vom Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) am 29. Juni 2022 setzt das Bezirksamt im Graefekiez ein Testfeld zur Umnutzung von Kfz-Stellplätzen um. Das Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) evaluiert die Maßnahmen. Vorausgegangen war eine umfassende Klärung der rechtlichen Machbarkeit. Ziel ist es, die Verkehrsberuhigung im Kiez zu stärken, Gefahrenquellen insbesondere mit Blick auf die Schulen und anderen sozialen Einrichtungen zu beseitigen, den Wirtschaftsverkehr zu verbessern und die Stadt gegenüber den Folgen des Klimawandels widerstandsfähiger zu machen.
Schritt für Schritt
Das Projekt Graefekiez wird schrittweise umgesetzt. In einem ersten Schritt werden Möglichkeiten zur Umnutzung von Parkständen getestet. Im Kernbereich von Teilen der Böckhstraße / Graefestraße werden ab Frühsommer 2023 Parkplätze entsiegelt bzw. umgenutzt. Koordiniert und unterstützt von paper planes e.V., werden die Anwohner*innen dazu aufgerufen, neue Nutzungen zu erproben. Diese Aktivitäten im Kernbereich werden ergänzt durch die Einrichtung von 13 Jelbi-Stationen, welche für Anwohner*innen Mobilitätsalternativen bieten. Mittels Lade- und Lieferflächen im gesamten Graefekiez werden Angebote für Wirtschaftsverkehr geschaffen. Eine Durchfahrtsperre an der Ecke Schönleinstraße / Lachmannstraße wird die Durchfahrt von Durchgangs- und Schwerlastverkehr verhindern.
Im zweiten Schritt wird durch das Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) aus den Erfahrungen des Testfeldes ein Verkehrs- und Freiflächenkonzept für das gesamte Gebiet entwickelt. Dieses Konzept wird auf den Ergebnissen der Beteiligung im Kerngebiet sowie der weiteren wissenschaftlichen Begleitforschung beruhen. Auch die Evaluation des gesamten Testfeldes wird darin einfließen. Das Freiflächenkonzept wird als Ergebnis des Projektes der BVV voraussichtlich im Mai 2024 vorgelegt.
Mit der Verkehrswende weitergehen
Der Kernbereich wurde gewählt, da sich dort mehrere Schulstandorte befinden. Durch die geplanten Maßnahmen werden Sichtbeziehungen verbessert und Fahrgeschwindigkeiten reduziert. Im Ergebnis werden Konfliktsituationen entschärft und die Schulwegsicherheit erhöht. Damit geht der Bezirk ein lange bestehendes Problem an: Hier wurde vor über 40 Jahren ein verkehrsberuhigter Bereich beschildert, jedoch baulich nicht entsprechend konsequent umgesetzt. Denn in diesem soll der der sichere Aufenthalt / das Spielen auf der Straße im Vordergrund stehen. Alle Verkehrsteilnehmenden sind gleichberechtigt. Dieses „gebaute Missverständnis“ hat Folgen für die Verkehrssicherheit. Es wird zu schnell gefahren, es gibt Konflikte mit Lieferverkehren und zudem ist die Straße schlecht einsehbar. Insbesondere für die Schüler*innen der vier Schulen im Kiez ist das gefährlich – aber auch für alle anderen die zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs sind. Mit dem Projekt
Graefekiez soll ein Versuch unternommen werden, dieses Problem zu beheben.
Platz für den Alltag der Vielen
Mit dem Projekt soll erlebbar gemacht werden, wie Flächen der gesamten Nachbarschaft zur Verfügung gestellt werden können.
Derzeit stehen die Parkplätze nur einigen wenigen zur Verfügung, die oft tagelang ihre Autos darauf abstellen. Täglich suchen derweil andere in ihrem Alltag nach Stellplätzen: Lieferfahrzeuge, Pflegedienste, Mobilitätseingeschränkte. Die Umnutzung der Plätze soll dazu führen, dass der Alltag für viele Menschen entspannter und sicherer wird. Der Raum wird neu verteilt und zweckgebunden, beispielsweise durch Lade- und Lieferflächen oder Sharing-Stationen. Diese können durch viele Menschen täglich benutzt werden. Das schafft Verlässlichkeit für alle: Von Anwohnenden über Kurierdienst bis zur Müllabfuhr.
Die meisten Menschen im Kiez haben kein Auto: Nur 182 von 1.000 Bewohner*innen im Graefekiez haben einen Pkw, im Berliner Durchschnitt sind es 335 Pkw. Sie alle profitieren von der veränderten Raumaufteilung. Das Projekt Graefekiez macht Angebote für eine moderne Mobilität, wie sie bereits heute gelebt wird. Immer mehr Menschen steigen auf Sharing-Fahrzeuge um. Im Graefekiez werden erstmals engmaschig Stationen für den Zugang geschaffen (sog. Jelbi-Stationen und Jelbi-Punkte). Zudem kann das Parkhaus am Hermannplatz zu einem verlässlichen Tarif genutzt werden, um das eigene Auto sicher abzustellen. Für die vorhandenen Gewerbetreibenden sowie die seit Jahren zunehmenden Lieferverkehre werden in großer Anzahl Lade- und Lieferflächen geschaffen. So wird der stressige Alltag für alle ein wenig entspannter.
Gemeinsam ausprobieren wie es gut geht
Mit der temporären Umnutzung von Parkplätzen werden im öffentlichen Raum neue Nutzungsmöglichkeiten erprobt. Mit verschiedenen Aktionen und Angeboten wird der neu gewonnene Raum gestaltet und genutzt. Für die kommenden Monate sind vor Ort zahlreiche Termine vorgesehen, bei denen Interessierte sich informieren und beteiligen können. Wie eine autoreduzierte Straße zu einem sicheren und lebenswerten Raum wird, zeigen Anwohnende, Kitas, Schulen, lokale Gewerbetreibende und Nachbarschaftsinitiativen gemeinsam. Es gibt Möglichkeiten, die eigene Meinung einzubringen aber auch sich konkret an der Umgestaltung zu beteiligen, zum Beispiel durch Bauworkshops oder Pflanzaktionen.
Annika Gerold, Bezirksstadträtin für Verkehr, Grünflächen, Ordnung und Umwelt hebt die Besonderheit des Projektes hervor: „Öffentlicher Raum ist knapp. Mit dem Projekt Graefekiez erproben wir gemeinsam mit der Nachbarschaft, wie Straßen der Zukunft aussehen. Der Bezirk reagiert damit auf die veränderten Anforderungen für die Verkehrsgestaltung. Wir erhöhen die Verkehrssicherheit, reagieren auf den Klimawandel, verbessern die Situation für Gewerbe und Lieferdienste und schaffen einen verbesserten Zugang zu geteilten Mobilitätsangeboten. Unser Ziel ist es, mehr Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmenden zu schaffen und dabei auch dem Wirtschaftsverkehr mehr Möglichkeiten einzuräumen.“
Alle Maßnahmen werden in ein umfassendes Evaluations- und Beteiligungskonzept eingebunden. „Wir werden die Menschen vor Ort einladen, sich an dieser Umgestaltung des Raumes aktiv zu beteiligen, jede und jeder kann mitmachen“ erläutert Simon Wöhr von Paper Planes e.V., der koordinierend die Beteiligungsformate übernimmt.
Unter der Koordination des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) werden Teams unter anderem von TU Berlin, dem RIFS in Potsdam sowie dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) ermitteln, wie sich die Veränderungen auf das Verhalten aller Verkehrsteilnehmenden auswirken. Diese Forschungs- und Beteiligungsaktivitäten werden unterstützt durch die Stiftung Mercator, die Deutsche Bundesstiftung Umwelt sowie das Climate Change Center.
Professor Andreas Knie vom WZB hebt hervor: „Wir werden alle Anwohnenden, Gewerbetreibenden sowie Besuchende in umfassender Weise befragen. Wir messen auch den Verkehrsfluss sowie die Lärm- und Schadstoffentwicklung vorher und während der Maßnahmen.“
Alle Informationen zum Projekt Graefekiez sind hier zu finden: www.projekt-graefekiez.de
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