Volkshochschule - erst Amt, dann Zuhause

Programmhefte der Volkshochschule Berlin Mitte

Volkshochschule Berlin Mitte (VHS), Anne Nguyen: Hallo Nari Park. Es ist schön, endlich mit Ihnen zu sprechen. Ende letzten Jahres haben wir beschlossen, das Bild von Ihnen auf dem Titelblatt unseres Programms für das Jahr 2020 zu platzieren (siehe oben). Damals hatten wir nicht einmal geplant, ein Foto von Ihnen zu machen. Der Fotograf Thabo Thindi und ich waren auf dem Weg von dem Interior-Design-Kurs zum Smartphone-Video-Kurs, als wir im Treppenhaus an Ihnen vorbeikamen. Es war ein so schönes Bild, wie Sie im Fensterrahmen saßen und träumten…

Nari Park: Ja, ich erinnere mich noch gut an diesen Moment. Es war im Oktober 2018, ich kam gerade aus meinem Deutschkurs A1.1. heraus. Mein Kopf war unglaublich schwer. Ich musste einfach innehalten und die schönen roten Weinblätter am Volkshochschulhaus ansehen. Der Moment, in dem er das Foto von mir machte, fühlte sich nach dem komplizierten Deutschunterricht wie eine Art Heilung an. Zuerst zögerte ich, dem Foto zuzustimmen. In Korea macht man so etwas nicht ohne jede Vorbereitung. Aber ich dachte, es wäre nur ein winziges Bild irgendwo weiter hinten im Programmheft…

Nari Park während des Interviews

Nari Park während des Interviews

VHS: Sie brauchten keine Vorbereitung, glauben Sie mir. Später haben Sie es auch auf ein anderes Bild der Volkshochschule geschafft. Letzten Sommer warben wir mit einer Smiley-Postkarte für unsere neuen Sommerkurse. Wissen Sie noch? Ich ging durch das Haus und fotografierte jeden Kollegen, jede Kursleiterin und jeden Teilnehmer, den ich auf dem Flur finden konnte. So sind Sie zusammen mit dem Bezirksbürgermeister von Mitte, Stephan von Dassel, in einem Video gelandet.

Park: Wirklich?

VHS: Ja. Wollen Sie es sehen?

Sie holt ihre Kopfhörer raus, und wir sehen uns das Video auf dem Laptop in einem Café an.

Nari Park mit der Smiley-Postkarte

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Formate: video/youtube

Im Jahr 2018 lebte Nari Park mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Seoul, als ihr Mann ihr aus dem Nichts erzählte, dass seine Firma ihn nach Deutschland schickt. Einen Monat später fanden sie sich in einer Wohnung in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofs mit einer 5-jährigen Tochter wieder. Alle drei kannten weder ein Wort deutsch noch eine Menschenseele in der Stadt.

Nari Park mit Familie

Nari Park mit ihrer Familie

Park: Das erste Jahr war schrecklich. Es war ganz und gar nicht so, wie wir es uns vorgestellt haben. Ich habe meinen Mann vor 14 Jahren in Kanada kennengelernt. Das Leben dort war damals so einfach, ich war die meiste Zeit in Kanada Single, ich lernte schnell die englische Sprache, hatte viel Freizeit und konnte tun, worauf ich Lust hatte. Dieses Mal, in Deutschland, verheiratet und mit einem Kind, fühlte ich mich festgefahren. Es fühlte sich so an, als würde ich nur versuchen zu überleben. Ich hatte vor allem Angst. Wir hatten keine Freunde, konnten die Sprache nicht, mussten eine Wohnung für uns und eine Schule für unsere Tochter finden – und aaaaall diese Dokumente! Man kann keinen Antrag bei einer Behörde online machen. Man muss wochenlang auf alles warten und persönlich zu allen möglichen Ämtern gehen.

Auch die Anmeldung an der Volkshochschule für meinen Deutschkurs fühlte sich an, als ob ich zu einem Amt gehen würde. Aber schon bald nach Beginn meines Deutschkurses A1.1 fühlte es sich beim Betreten des Gebäudes an, als würde ich nach Hause kommen. Hier begann mein Leben in Berlin.

VHS: Was hat sich also nach dem ersten Jahr geändert?

Park: Oh, nach einem Jahr konnten wir drei uns nicht mehr vorstellen, nach Korea zurückzugehen. Wir lieben Berlin. Meine Tochter hasste den Kindergarten in Seoul. Aber sie ist begeistert von der Schule in Berlin und sagt zu mir: “Ich fühle mich hier so frei, Mama”. In Korea müssen die Kinder schon im Kindergarten drinnen sitzen und lernen. Sie sind nur einmal im Monat für eine besondere Aktivität draußen, zum Beispiel zur Kartoffelnernte. Aber natürlich gräbt nur die Erzieherin in der Erde. Die Kinder dürfen zuschauen und lächeln dann für das Beweisfoto. Für viele Eltern ist es zu traurig, ihre Kinder in die Kita zu schicken. Da es in Korea kaum Teilzeitjobs gibt, kündigt man normalerweise und wird Hausfrau.

Nari Park - fashion design for kids

Nari Park - Modedesign für Kinder

Bevor wir ein Baby bekamen, war ich fast 10 Jahre lang Modedesignerin für Kinder. Danach habe ich studiert, um Koreanisch für Ausländer zu unterrichten. Zwischendurch lernte ich ein wenig Psychologie, weil ich die Psyche von Kindern verstehen wollte. Ich unterrichtete 6 Monate lang Koreanisch an einer Universität, bevor wir nach Berlin zogen. Die Arbeitszeiten in Korea sind normalerweise sehr lang und Überstunden werden vorausgesetzt.

Hier ist alles so viel familienfreundlicher! Kennen Sie den Familienpass? Es gibt so viele Dinge, die man umsonst machen kann. Meine Tochter hat in ihren letzten Sommerferien in einem Chor mitgemacht. Sie übten jeden Tag und hatten am Ende sogar einen Auftritt auf der Bühne mit einem großen Orchester. Alles kostenlos! Können Sie sich das vorstellen?

VHS: (lacht) Ja, das kann ich. Wie haben Sie sonst Menschen in dieser riesigen Stadt kennengelernt?

Park: Nun, ich habe meine Lieblingsmenschen in meinem Deutschkurs kennengelernt. Wir sind eine Gruppe von fünf Leuten. Eine kommt aus Chile, eine aus Schweden, eine aus Japan und die andere aus den USA. Wir hatten viel Spaß beim Deutschlernen, besonders mit unserer Lehrerin Monika Ebersbach. Ohne meine Freundinnen könnte ich mir ein Leben hier nicht vorstellen. Aber ich muss zugeben: Immer wenn wir uns treffen, sprechen wir Englisch…

Und im letzten Jahr habe ich im Koreanischen Kulturzentrum am Potsdamer Platz gearbeitet, wo ich Koreanisch unterrichtet habe. Meine deutschen Studenten stehen total auf K-Pop (Anm. d. Red.: koreanische Popmusik) und ich werde meine ehemaligen Studenten nächste Woche zum K-Pop-Karaoke mitnehmen.

Ich würde gerne wieder in der Modebranche und als Koreanischlehrerin arbeiten.

Nari Park am Koppenplatz

VHS: Abgesehen vom Deckblatt – welche Seite ist Ihre Lieblingsseite in unserem Programmheft?

Park: Oh, sind diet Seiten 24/25 mit den interkulturellen Kochkursen aus verschiedenen Ländern. Ich würde gerne an diesen teilnehmen. Da 90 Prozent meiner Freunde aus dem Ausland kommen, möchte ich nicht nur das Kochen der Gerichte lernen, sondern auch etwas über die verschiedenen Kulturen erfahren. Und ich suche nach einem Englischkurs. Letztes Jahr habe ich einen Pilates-Kurs an der Volkshochschule gemacht, wo ich ein hartes Training einschließlich Schweiß erwartete. Ich hätte die Kursbeschreibung besser lesen sollen! (lacht)

Nachdem ich meine Deutsch B1-Prüfung bestanden hatte, habe ich einen B2-Kurs an der Jüdischen Volkshochschule begonnen. Unser Lehrer dort ist weniger streng. Nächsten Monat werde ich wieder an die Volkshochschule zurück kommen, um B2 zu wiederholen. Ich bin bereits angemeldet, weil ich Angst habe, zwischendurch eine Pause zu machen.

Meine größte Motivation, weiterzumachen, ist meine Tochter. Ich möchte weiterhin in der Lage sein, all ihre Fragen zu beantworten.

Nari Park stellt das Coverbild des Programmheftes nach

Nachstellen des Coverbildes