Verkehrsschule am Wassertorplatz

Herr Kolipost und Frau Greim

In Friedrichshain-Kreuzberg gibt es drei Verkehrsschulen, zwei in Kreuzberg und eine in Friedrichshain. Alle drei Verkehrsschulen werden vom Verein KidBike e.V. im Auftrag des Schul- und Spotamtes betrieben. Die Verkehrsschule am Wassertorplatz ist die zweitgrößte im Bezirk. Sie verfügt über 4.500 Quadratmeter Fläche. 2020 wurde die damalige Jugendverkehrsschule in Verkehrsschule umbenannt. Mit dem neuen Namen möchte man der Tatsache gerecht werden, dass es auch viele Angebote für Erwachsene gibt, etwa ein Verkehrssicherheitstraining aber auch Radfahr-Lernangebote für Erwachsene.

Boris Kolipost leitet die Verkehrsschulen. Seit über 20 Jahren ist er beruflich mit den Verkehrsschulen im Bezirk verbunden. Seine Kollegin Diana Greim betreut unter anderem das Frauenprojekt am Standort. Der Verein KidBike e.V. hatte die Verkehrsschulen 2018 von einem anderen Träger übernommen. Die Verkehrsschule ist ein außerschulischer Lernort.

Neben der Leitung sind an der Verkehrsschule ein Hausmeister und ein Hausmeister-Helfer sowie technische Mitarbeiter und zwei Honorarkräfte beschäftigt. Ein Fahrradmechaniker, der auch in den anderen Verkehrsschulen schon eingesetzt ist, kommt zweimal die Woche, um die Räder zu warten.

Fahrrad-Piktogram

7.400 Besucher*innen im Jahr

Vormittags arbeitet die Verkehrsschule mit Kitas und Schulen zusammen. Auch Kinder mit körperlicher oder geistiger Einschränkung kommen in die Verkehrsschule. Hierfür wird eine besondere Ausstattung, wie Roller, bereitgehalten.

Am Nachmittag dürfen alle in der Verkehrsschule vorbeikommen, ob mit oder ohne Kinder. Kinder können sich ja ausprobieren und sich austoben. Boris Kolipost: „Die Bewegungsfreude der Kinder wird hier bei uns mit Unfallprävention verbunden. Eltern und Kinder können zusammen etwas erleben und gleichzeitig lernen.“ Pro Jahr zählt die Verkehrsschule 7.400 Besucher*innen.

Jährlich kommen 1.300 Grundschüler*innen aus den vierten Klassen aus zwölf Kreuzberger Grundschulen zur Fahrradprüfung in die Verkehrsschule. Die Fahrradprüfung ist fester Bestandteil des Mobilitätsunterrichts in der Grundschule. In der dritten Klasse starten die Kinder mit Theorieunterricht, im nächsten Schuljahr folgt dann die Praxis. „Das ist ein elementarer Bestandteil des Unterrichts“, erklärt Boris Kolipost. Für die Radfahrprüfungen ist die Polizei ein wichtiger Kooperationspartner. Die dort angesiedelten Verkehrssicherheitsberater*innen unterstützen die Grundschulen. Die vierten Klassen kommen dreimal zum Üben in die Verkehrsschule. Beim vierten Besuch wird dann die Prüfung abgenommen. Die Viertklässler*innen können auch in der Freizeit am Nachmittag in die Verkehrsschule kommen, um das Fahren zu trainieren. „Das nehmen viele Kinder und ihre Eltern gern wahr!“

In der Verkehrsschule werden die Schüler*innen mit Rädern ausgestattet, damit alle die gleichen Voraussetzungen haben. Außerdem würde es zu lange dauern, bei den eigenen Rädern der Kinder zu überprüfen, ob sie unfallsicher und ergonomisch richtig eingestellt sind.

Fahrradweg

Fahrradprüfungen für Viertklässler*innen

Bei der Radfahrprüfung müssen die Schüler*innen unter anderem den Schulterblick beherrschen, die Vorfahrtsregeln beachten, das indirekte Linksabbiegen beherrschen und das korrekte Anzeigen des Abbiegevorgangs durchführen können. Durch diese Prüfung können die Schüler*innen auch durchfallen. Das passiere in der letzten Zeit vermehrt. Aktuell gibt es eine Durchfallquote von bis zu 70 Prozent, die damit wesentlich höher liegt als in den anderen beiden Verkehrsschulen. Für diejenigen, die bei der Prüfung durchgefallen sind, gibt es Nachholtermine.

Das Team der Verkehrsschule macht sich Gedanken, woran es liegt, dass die Durchfallquote hier so hoch ist. Boris Kolipost: „Das hängt viel damit zusammen, wie viel in der Familie Rad gefahren wird. Welche Vorkenntnisse haben die Kinder? Wie gut beherrschen sie das Fahrrad?“ Nur wer das Radfahren motorisch beherrscht, kann sich auf die Verkehrsregeln konzentrieren. Entscheidend sei also, mit wie viel Vorerfahrungen die Kinder in die Verkehrsschule kämen. Ob das Kind ein eigenes Fahrrad hat oder wie viel die Familie in der Freizeit mit dem Rad unterwegs sei, habe einen Einfluss auf die Radfahrkompetenz der Grundschüler*innen.

Kleinkind auf Fahrrad

So früh wie möglich rauf auf's Rad

Wann sollten Kinder das Radfahren lernen? Boris Kolipost hat hierzu eine klare Haltung: „So früh wie möglich. Das können sie gar nicht zu früh lernen. Wenn ein Kind mit drei Jahren schon Interesse am Radfahren hat, kann man es mit einem 12-Zoll-Fahrrad fahren lassen.“ Boris Kolipost kann sich erinnern, dass er in der zweiten Klasse auf einem Klapprad seine ersten Radfahrversuche unternommen hat, die in einem Stacheldrahtzaun an einer Weide endeten. Diana Greim hat selbst erst mit 14 Jahren das Radfahren gelernt, angeleitet von ihrem Vater.

Von Stützrädern raten beide vehement ab. Viel besser sei es, den Gleichgewichtssinn mit einem Roller oder Laufrad zu trainieren. Stützräder sein überflüssig. Boris Kolipost: „Ich habe alle Stützräder an unseren Rädern demontieren und wegschmeißen lassen. Auch die Verkehrssicherheitsberater*innen der Polizei raten von deren Nutzung ab.
Seine Kollegin Diana Greim hat beobachtet, welchen Einfluss das Radfahrverhalten der Eltern auf das Fahrenlernen der Kinder hat: „Wenn die Mütter selbst sicher Fahrradfahren können, ist das oftmals kein Problem. Dann werden die Kinder ermutigt ohne Stützräder zu fahren.”“

Da Kinder ab zehn Jahren auf der Straße fahren müssen, empfiehlt er, dass sie vorher so viel Fahrradfahren wie möglich, um möglichst viel Erfahrung und Motorik trainiert zu haben. „Je früher ein Kind anfängt, Fahrrad zu fahren, desto besser. Schon Kita-Kinder können gut mit dem Fahrrad unterwegs sein.“ Ab etwa acht Jahren könnten Kinder dann Mehrfachhandlungen gut durchführen, was beim Radfahren im Straßenverkehr entscheidend ist.

Fahrradweg

Wochenendöffnungszeiten für alle

Neu sind am Wassertorplatz die Öffnungszeiten am Wochenende, die mit Mitteln aus dem Fördertopf Europa im Quartier finanziert werden. Das Team der Verkehrsschule hatte festgestellt, dass es im Kiez einen großen Bedarf gibt, in Ruhe Radfahren zu lernen – für Kinder, aber eben auch für Erwachsene. Dafür gebe es sonst keine Orte mehr. „Es fehlen einfach Räume zum Ausprobieren“, erklärt Diana Greim. Diese Öffnungszeiten am Wochenende sind für alle Interessierten offen. Die Wochenendöffnungszeiten laufen seit Anfang Mai. Die Nachfrage sei sehr groß. Auch der Fuhrpark der Verkehrsschule wird in diesem Zeitfenster zur Verfügung gestellt.

In Kreuzberg leben viele Erwachsene, die keinerlei Radfahrpraxis hätten. Sie kämen vielfach aus Ländern, in denen man nicht so viel Rad fährt. „Wir haben in Deutschland eine große Radfahrkultur. Das ist nicht überall so“, schildert Diana Greim. „Es gibt viele Länder, in denen es unüblich ist, Fahrrad zu fahren oder es als ärmlich gilt.“ Die Lust, Rad zu fahren, sei bei vielen Kiezbewohnerinnen da, es brauche aber einen sicheren Rahmen. Sie arbeitet beispielweise auch mit Menschen aus Ländern mit Linksverkehr. Diese nutzen das Angebot der Verkehrsschule um den Rechtsverkehr einzuüben. Grundsätzlich gelte: „Ein Fahrrad vereinfacht die Wege und bedeutet Freiheit für alle.“