2017 stieß sie auf die sogenannte „Krefeld-Studie“, die belegt, dass die Insektenmasse in Deutschland zwischen 1989 und 2016 um rund 75 % zurückgegangen ist. „Das bedeutet Artensterben“, sagt Annie Stamm-Grossjohann. Für sie war klar: Sie muss handeln, ganz nach dem Motto: „Wenn ich es nicht mache, macht es niemand!“ Also begann sie, kahle Flächen im Kiez mit Wildblumen zu bepflanzen. Zwar wurden diese Pflanzen oft wieder abgemäht, und nicht alle Hundebesitzer*innen waren begeistert, aber sie blieb dran. „Ich merkte schnell: Ich muss mit den Verantwortlichen im Bezirk sprechen, um herauszufinden, was wo überhaupt möglich ist.“ Über das Kiezbüro in der Rigaer Straße kam der Kontakt zum Bezirksamt zustande, „ein echter Türöffner“, wie sie sagt.
2018 gründete sie GreenKiez, der seit 2022 auch als eingetragener Verein aktiv ist; insbesondere im Samariterkiez. Gemeinsam mit anderen Engagierten wurden u.a. die Beete an der Bänschpromenade bepflanzt, um dem kargen Mittelstreifen neues Leben einzuhauchen und heimischen Pflanzen und Insekten neue Lebensraum zu bieten. Besonders am Herzen liegt ihr das Projekt „GreenKids“. In Kooperation mit der Grundschule an der Pettenkoferstraße bepflanzen Kinder Blumenkästen oder bauen Nisthilfen für Wildbienen. „Das Wissen über regionale Pflanzen und Tiere darf nicht verloren gehen“, umso wichtiger ist es Annie, möglichst viele Menschen für das Thema zu begeistern.
Sie betont, wie entscheidend kleine nachbarschaftliche Initiativen für den Erhalt gesunde urbaner Grünflächen sind. Sie können im Kleinen Großes bewirken: „Für Insekten zählt jeder Quadratmeter. Jede kleine Grünfläche am Straßenrand kann in ein kleines Biotop verwandelt werden.“ Gleichzeitig erinnert sie wie entscheidend die Pflanzenwahl dabei ist: „Es werden oft eher Zierpflanzen bepflanzt, ohne Rücksicht darauf, ob Arten Wert für unsere Insekten haben oder ob es sich sogar um invasive Pflanzen handelt.“ GreenKiez möchte deshalb nicht nur anpflanzen, sondern auch genau dieses Wissen vermitteln. Und gemeinschaftliches Gärtnern sei eine wunderbare Gelegenheit, um mit Nachbar*innen in den Austausch zu kommen und den Kiez zu beleben. „Wir feiern gemeinsame Erfolge“, sagt sie. „Wenn ich an einem Beet vorbeigehe und sehe, dort fliegt ein Schwalbenschwanz, weil er dort seine Wirtspflanze bepflanzt hat „da flipp ich aus.“
Nachhaltigkeitsziel 13: Maßnahmen für den Klimaschutz – Wie Annie Stamm-Grossjohann Friedrichshain-Kreuzberg erblühen lässt
Aktiv für den Erhalt der Artenvielfalt: Annie Stamm-Grossjohann
Bild: Lisa Hehemann / BA FK
Im Bezirksticker stellen wir inspirierende Projekte aus Friedrichshain-Kreuzberg vor, die ganz konkret zu den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) der Vereinten Nationen beitragen. Denn: Global denken – lokal handeln beginnt direkt bei uns im Kiez. Annie-Stamm Grossjohann zeigt hier in Friedrichshain-Kreuzberg, wie bereits kleine Maßnahmen zum Klimaschutz beitragen können.
Wenn es darum geht, Wildblumen, Wildbienen und Co. in Friedrichshain-Kreuzberg ein neues Zuhause zu bieten, ist Annie Stamm-Grossjohann nicht weit. Seit Jahren engagiert sie sich für den Erhalt der Artenvielfalt im Bezirk – als Gründerin von Green Kiez e.V., und seit Kurzem auch über die Koordinierungsstelle „Gemeinschaftliches Gärtnern”:https://www.berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg/politik-und-verwaltung/service-und-organisationseinheiten/klima-und-internationales/artikel.1588993.php“. Besonders in einem der am dichtesten bebauten Bezirke Berlins ist es eine Herausforderung, der Natur den Raum zu geben, den sie braucht.
Von den Wäldern Amerikas nach Berlin
Die Verbindung zur Natur begleitet Annie Stamm-Grossjohann schon ihr ganzes Leben: „Ich bin in Upstate New York (USA) aufgewachsen, gemeinsam mit meinem Stiefvater habe ich damals viel Zeit in den riesigen Wäldern verbracht. Wir sind dort viel in der Natur unterwegs gewesen und sind gemeinsam durch die Nationalparks der USA gepaddelt.“ Daher war es naheliegend, dass sie nach der Schule ein Umweltwissenschaftsstudium am Antioch College in Ohio begann. Während ihres Studiums nahm sie an einem besonderen Programm teil: Gemeinsam mit zwanzig Kommiliton*innen erforschte sie den Einfluss von Städten auf die umliegende Natur und lebte dabei mehrere Monate in der Wildnis. „Manche von uns schliefen unter freiem Himmel. Es war eine Wette unter uns, wer am längsten ganz ohne Zelt schlafen könnte“, eine wirklich aufregende Zeit“, erinnert sich Annie Stamm-Grossjohann.
Nach dem Studium arbeitete sie zunächst als Erzieherin, bevor sie 2002 nach Deutschland kam. Ihr Vater, ein Deutscher, überzeugte sie, ebenfalls nach Berlin zu ziehen. In Berlin war sie zunächst wieder als Erzieherin tätig und arbeitete zusätzlich als Filmübersetzerin, unter anderem untertitelte sie alte DDR-Filme für Filmmuseen. Den Zugang zu ihrer wahren Leidenschaft, Pflanzen und Insekten, hat sie in all der Zeit jedoch nie verloren.