Kiezlotsinnen – Ehrenamt auf den Spielstraßen

Kiezlotsinnen

Cathrin Blöss und Hildegard Hofmann

Im Sommerhalbjahr verwandeln sich in Friedrichshain-Kreuzberg jedes Jahr zahlreiche Straßenabschnitte in temporäre Spielstraßen. Sie bieten Kindern und Anwohner*innen die Möglichkeit, öffentlichen Raum auf kreative und spielerische Weise zu nutzen – ohne Autoverkehr und in sicherer Umgebung. Damit sie sicher und reibungslos durchgeführt werden können, ist das Bezirksamt jedoch auf Unterstützung aus der Nachbarschaft angewiesen. Ehrenamtliche Kiezlots*innen richten die Spielstraße ein und bauen sie wieder ab. Während der Durchführung sind sie Ansprechpersonen und sorgen für die Verkehrssicherheit.

Zwei von ihnen sind die Kreuzbergerinnen Cathrin Blöss und Hildegard Hofmann. Hildegard war gleich zu Beginn der temporären Spielstraßen dabei. Als während der Corona-Pandemie im Frühling 2020 in Friedrichshain-Kreuzberg eine Vielzahl von temporären Spielstraßen ermöglicht wurden, war die Rentnerin auf dem Lausitzer Platz unweit ihrer Wohnung dabei. „Da hat sich durch die Fußgängerzone das Kiezlotsinnen-Dasein ja inzwischen erledigt.“ Ihr Engagement wollte die Kreuzbergerin jedoch gern weiterführen und ist nun in der Spielstraße in der Wassertorstraße eingesetzt. „Dort gab es deutlich weniger Ehrenamtliche als in manchen anderen Straßen und das Engagement wurde dringend gebraucht.“

Hildegards Freundin Cathrin kam 2022 aus Nürnberg zurück in ihre Heimatstadt Berlin. Auch sie ist in Rente und wollte sich gern engagieren. So stieß sie ebenfalls als Kiezlotsin in der Wassertorstraße dazu.

Lausitzer Platz

Gelebte Nachbarschaft

Hildegard hat selbst kein Auto und findet es schön, wenn die Straßen anders genutzt werden. „Die Straßen sind schließlich für alle da, auch für die Alten und die Kleinen und die Langsamen. Das muss man auch mal zeigen.“ Wichtig sei ihr zudem der Nachbarschaftsgedanke. Auch in einer Großstadt sollte man sehen, wer der eigene Nachbar ist und zwanglos ins Gespräch kommen.

Beruflich war Hildegard ebenfalls mit der Einführung der Spielstraßen in Berlin befasst. Als Kitaberaterin beim Dachverband der Kinderläden war sie aktiv in deren Entwicklung eingebunden. „Das Thema ist mir eine Herzensangelegenheit. Schon als Pädagogikstudentin in den 80er Jahren habe ich meine Magisterarbeit darüber geschrieben, wie und was Kinder draußen spielen. Es begeistert mich einfach, wie man hier auf der Spielstraße mit den Leuten ins Gespräch kommt.“ Nachbarschaft könne ganz anders gelebt werden. „Plötzlich unterhält man sich auch mit Menschen, die man nicht kennt.“ Außerdem nehme sie die Jahreszeiten viel bewusster wahr, seit sie im Einsatz als Kiezlotsin draußen unterwegs ist. „Die Länge der Schatten, das Laub der Bäume, die Dämmerung. Alles verändert sich von Woche zu Woche.“

Spielstraße

Aufmerksam und ansprechbar sein

Die Schicht der Lotsinnen dauert vier Stunden. In der Wassertorstraße beginnt sie um 14 und endet um 18 Uhr. Zu Beginn der Schicht stellen die Lotsinnen die Absperrbaken und die Verkehrsschilder auf, die das Straßen- und Grünflächenamt dort für sie lagert und angeschlossen hat. Generell sei alles gut vorbereitet.

Dann räumen die Lotsinnen die Spielzeuge aus, die bereitgestellt werden. „Da sind tolle Sachen dabei. Besonders Geräte und Fahrzeuge, die mehrere Kinder gleichzeitig nutzen können.“ Wichtig sei dies auch, da viele der Kinder im Kiez keine eigenen Fahrzeuge hätten. Hildegard malt außerdem regelmäßig Labyrinthe oder Irrgärten für die Kinder mit Kreide auf die Straße.
Während der Schicht tragen die beiden Westen, um als Kiezlotsinnen erkennbar zu sein. Wichtig sei, freundlich zu bleiben und ansprechbar zu sein. Während der Schicht habe es oberste Priorität, jederzeit aufmerksam zu sein. Es dürfe nicht zu unklaren Situationen kommen. „Ich hatte mir das tatsächlich aggressiver vorgestellt mit dem Autoverkehr“, erklärt Cathrin. Zwar würden Autofahrer*innen manchmal vergessen, an welchem Nachmittag die Spielstraße stattfindet und ihr Auto nicht wegfahren. „Aber dann lässt man sie einfach rausfahren und dann passt das. Dass sich die Autofahrer dann aufplustern, ist eigentlich nicht der Fall.“ Auch die Paketbot*innen seien sehr gleichmütig. „Die tragen das alles mit Fassung“, beschreibt es Cathrin. Natürlich gebe es auch Ausnahmen für Härtefälle. „Wer die Schwiegermutter im Rollstuhl im Auto hat, darf natürlich durch.“

Spielstraße

Positive Resonanz

Die Spielstraße in der Wassertorstraße werde sehr gut angenommen. Viele Eltern kämen gemeinsam mit ihren Kindern zur Spielstraße herunter. „Andere Kinder kommen eigenständig ohne ihre Eltern auf die Straße runter, teilweise mit Geschwistern zusammen“, erklärt Cathrin. Abends beim Einpacken und Auflösen der Spielstraße bekommen die beiden viel Unterstützung von den Kindern. „Ich habe anschließend immer das Gefühl, einen schönen Nachmittag erlebt zu haben“, fasst Hildegard zusammen.

„Wir bekommen sehr gute Rückmeldungen. Gerade neulich habe ich mich mit einem älteren türkischstämmigen Mann unterhalten, der sich sehr gefreut hat, weil ihm das Spiel auf der Straße an seine eigene Kindheit erinnert hat, in der er auch sehr viel draußen auf der Straße gespielt hat.“, erzählt Hildegard. Auch die Kiezlotsinnen fühlen sich an ihre eigene Kindheit erinnert, in der sie viel draußen gespielt hätten: Gummitwist, Brennball oder Rollschuhe. Cathrin ist in der Bamberger Straße in Wilmersdorf aufgewachsen, wo sie viel auf dem Gehweg gespielt habe.

„Für mich war immer klar, dass ich mich ehrenamtlich engagieren möchte, wenn ich nicht mehr arbeite. Ich wollte unbedingt etwas Sinnvolles machen. Es ist einfach befriedigend, wenn man helfen kann“, schildert Cathrin. Sie hat noch zwei weitere Ehrenämter inne. Im Mehrgenerationenhaus in der Gneisenaustraße gibt sie einmal in der Woche eine Digitalsprechstunde. Außerdem sitzt sie im FELD-Theater in Schöneberg an der Theaterkasse. Schon, als sie noch berufstätig war, war sie ehrenamtlich aktiv. „Ehrenamt macht einfach Freude.“

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Interessierte, die als Kiezlots*innen an der Umsetzung von Spielstraßen mitwirken wollen, können sich an spielstrasse.sga@ba-fk.berlin.de wenden.