Der Kammerchor besteht seit 2016. Es ist ein gemischter Chor. Jedoch gehören ihm, wie fast allen gemischten Chören, mehr Frauen an als Männer. „Das zieht sich eigentlich durch alle Chöre, die ich kenne!“, bestätigt auch Jake Walsh. „Es ist schade, dass das so ist, und bleibt einer Herausforderung, das zu lösen.“ Aber woran liegt es? „Dazu unterhalte ich mich tatsächlich regelmäßig mit anderen Chorleitungen und Musiker*innen.“ Vermutlich läge es an Genderrollen und Sozialisierung. Singen stehe dafür, Gefühle zu vermitteln, gehört zu werden und sich dadurch verletzlich zu zeigen. Auch habe er über die Jahre in der Arbeit mit unterschiedlichen Chören immer wieder gesehen, dass der soziale Aspekt des gemeinsamen Singens und sich Treffens für die Frauen eine bedeutendere Rolle spiele als für Männer. „Ich beobachte, dass Frauen in der Pause bei Proben oder auf Chorfahrten zusammenfinden und sich unterhalten. Die Männer bleiben häufig an Ort und Stelle sitzen und warten, bis die Probe wieder losgeht.“
Als Jake Walsh den Chor übernahm, hatte er nur noch 15 Mitglieder. „Viele waren durch die Lockdowns und die dadurch abgesagten Proben verloren gegangen.“ Nach und nach kamen neue Sänger*innen hinzu. Der Chor besteht aus rund 40 Mitgliedern zwischen 18 und dem Rentenalter. Die meisten Sänger*innen sind zwischen 30 und 50. Fast alle wohnen in Kreuzberg in unmittelbarer Nachbarschaft des Bethanien. Wie viele andere Chöre, die klassische Musik singen, spreche auch der Kammerchor eine gewisse sozioökonomische Zielgruppe an. Die meisten Mitglieder seien Akademiker*innen. Dieses Phänomen kennt der Chorleiter bereits. Bei klassischer Musik hätten viele Berührungsängste. „Wer nicht mit klassischer Musik aufgewachsen ist und vom Elternhaus her einen Bezug dazu hat, wird sich meistens keinem klassischen Chor anschließen.“ Das sei schade, da die Stimme an sich komplett egalitär sei. „Die Stimme ist ja im Vergleich zu anderen Instrumenten sehr niedrigschwellig. Man muss sich nicht erst ein Cello für 3.000 Euro kaufen oder in der Wohnung Platz für ein Klavier finden. Bis auf wenige Ausnahmen laufen wir alle mit einem funktionierenden Instrument herum.“ Generell werde aber heute nicht mehr viel gesungen – ob in der Kita oder auf Hochzeiten. Man müsse die Menschen also erstmal wieder ans Singen und die Musik heranführen. Das sei eigentlich erstaunlich, denn: „Wenn man beim Singen keinen Spaß hat, macht man etwas falsch!“