Vorstellung des Kammerchors des Musikschule

Kammerchor bei einem Auftritt

Das Instrument des Jahres 2025 ist die Stimme. Für all diejenigen, die nicht nur unter der Dusche oder beim Kochen singen möchten, gibt es in unserem Bezirk ein vielfältiges Angebot an Chören – mit ganz unterschiedlichen Profilen. Allein die Musikschule unseres Bezirksamtes hat elf verschiedene Chöre für Sänger*innen ab vier Jahren, einer davon ist der Kammerchor Bethanien.

Jake Walsh leitet den Chor seit 2023. Damals übernahm er die Leitung von einem Kollegen, der sich anderen musikalischen Projekten widmete. Der Chor singt Kammermusik, also Stücke, die für einen kleineren Rahmen gedacht sind, entweder a cappella oder mit Klavierbegleitung. „Kammerchor bedeutet, dass alles ein bisschen kleiner ist – die Stücke sind kürzer, die Besetzung und die Räume sind kleiner.

Erfahrungen in der Leitung von Chören hatte der Musiker bereits in Spandau und anderen Teilen Berlins gesammelt. Über eine Zusammenarbeit mit Sänger*innen an einer privaten Musikschule und die Bewerbung auf eine Chorassistenzstelle knüpfte er nach und nach Kontakte innerhalb der Berliner Musikszene und arbeitete an Projekten mit. Seit er 21 ist, hat er mit verschiedenen Chören und Bands zusammengearbeitet. Dazu gehörte der Mitarbeitendenchor der Diakonie, die Chöre und Ensembles der Hochschule für Technik und Wirtschaft und mehrere Kirchenchöre.

Jake Walsh

Kammerchorleiter Jake Walsh

„Wenn man beim Singen keinen Spaß hat, macht man etwas falsch!“

Der Kammerchor besteht seit 2016. Es ist ein gemischter Chor. Jedoch gehören ihm, wie fast allen gemischten Chören, mehr Frauen an als Männer. „Das zieht sich eigentlich durch alle Chöre, die ich kenne!“, bestätigt auch Jake Walsh. „Es ist schade, dass das so ist, und bleibt einer Herausforderung, das zu lösen.“ Aber woran liegt es? „Dazu unterhalte ich mich tatsächlich regelmäßig mit anderen Chorleitungen und Musiker*innen.“ Vermutlich läge es an Genderrollen und Sozialisierung. Singen stehe dafür, Gefühle zu vermitteln, gehört zu werden und sich dadurch verletzlich zu zeigen. Auch habe er über die Jahre in der Arbeit mit unterschiedlichen Chören immer wieder gesehen, dass der soziale Aspekt des gemeinsamen Singens und sich Treffens für die Frauen eine bedeutendere Rolle spiele als für Männer. „Ich beobachte, dass Frauen in der Pause bei Proben oder auf Chorfahrten zusammenfinden und sich unterhalten. Die Männer bleiben häufig an Ort und Stelle sitzen und warten, bis die Probe wieder losgeht.“

Als Jake Walsh den Chor übernahm, hatte er nur noch 15 Mitglieder. „Viele waren durch die Lockdowns und die dadurch abgesagten Proben verloren gegangen.“ Nach und nach kamen neue Sänger*innen hinzu. Der Chor besteht aus rund 40 Mitgliedern zwischen 18 und dem Rentenalter. Die meisten Sänger*innen sind zwischen 30 und 50. Fast alle wohnen in Kreuzberg in unmittelbarer Nachbarschaft des Bethanien. Wie viele andere Chöre, die klassische Musik singen, spreche auch der Kammerchor eine gewisse sozioökonomische Zielgruppe an. Die meisten Mitglieder seien Akademiker*innen. Dieses Phänomen kennt der Chorleiter bereits. Bei klassischer Musik hätten viele Berührungsängste. „Wer nicht mit klassischer Musik aufgewachsen ist und vom Elternhaus her einen Bezug dazu hat, wird sich meistens keinem klassischen Chor anschließen.“ Das sei schade, da die Stimme an sich komplett egalitär sei. „Die Stimme ist ja im Vergleich zu anderen Instrumenten sehr niedrigschwellig. Man muss sich nicht erst ein Cello für 3.000 Euro kaufen oder in der Wohnung Platz für ein Klavier finden. Bis auf wenige Ausnahmen laufen wir alle mit einem funktionierenden Instrument herum.“ Generell werde aber heute nicht mehr viel gesungen – ob in der Kita oder auf Hochzeiten. Man müsse die Menschen also erstmal wieder ans Singen und die Musik heranführen. Das sei eigentlich erstaunlich, denn: „Wenn man beim Singen keinen Spaß hat, macht man etwas falsch!“

Kammerchor bei einem Auftritt frontal

Großes Konzert im März

Bei einem ersten gemeinsamen Auftritt im Konzertsaal der Musikschule in Friedrichshain sang der Chor eine Mischung aus Liedern aus dem Barock, der Klassik, der Romantik bis hin zu Jazz und zeitgenössischer Klassik. Es sei ein Musik-Potpourri gewesen, um alles einmal auszuprobieren. „Das war die perfekte Gelegenheit, um den Chor kennenzulernen und zu schauen, ob er lieber Renaissancemusik singt oder etwas anderes.“ Das nächste große Konzert steht im Frühjahr an. Am 9. März um 18 Uhr singt der Kammerchor im Hochmeistersaal der evangelischen Halensee-Gemeinde die „Petite Messe Solenelle“ von Rossini. Dabei wird der Kammerchor von professionellen Solist*innen begleitet.

Der Kammerchor probt außerhalb der Ferien dienstags von 19.15 bis 21.45 Uhr im Bethanien. Interessent*innen sind herzlich willkommen. „Ich bin kein Fan vom Vorsingen bei Laienchören. Es gibt gute Stimmen, die sich nicht zum Chor trauen würden, wenn sie vorsingen müssten. Die Nachteile eines Vorsingens überwiegen meiner Meinung nach die Vorteile.“ Ein Vorsingen können zu starkem Wettbewerbsdenken führen. „Bei einem Freizeitchor mit Laien sollte der Leistungsgedanke aber nicht im Vordergrund stehen.“ Vielmehr habe ein Chor immer etwas mit Gemeinschaft zu tun. „Die soziale Funktion eines Chores hat aus meiner Sicht eine höhere Bedeutung als der musikalische Aspekt.“ Es gehe im Chor darum, gemeinsame Erfahrungen zu machen und sich auszutauschen. „Da ist es kein Problem, wenn mal eine Note nicht perfekt gesungen ist.“

Klavier und Noten

"Ein wirklch tolles Angebot!"

In der Regel stellten die meisten Menschen für sich selbst fest, ob sie mit ihrer Gesangskompetenz zum Chor passen oder nicht. „Das klappt meistens von allein durch die Selbsteinschätzung. Außerdem stabilisieren sich Menschen, die zusammen singen, auf einem Niveau.“ Wer nicht so gut singen kann, finde meist Strategien, um innerhalb des Chores damit umzugehen – etwas leise zu singen oder an schwierigen Stellen im Lied auszusetzen. Generell lässt Jake Walsh die neuen Mitglieder immer erstmal ankommen. „Die meisten haben eine steile Lernkurve und werden sehr schnell besser.“ Aber er müsse die Qualität des Chores schon sichern. Denn auch im Laienchor gebe es gewisse Ansprüche. „Wenn Beschwerden von innerhalb des Chores kommen, dass jemand schief singt und sich über einige Proben hinweg nicht verbessert, spreche ich die Leute an.“ Im Laufe seiner Tätigkeit sei es allerdings nur drei Mal vorgekommen, dass er Sänger*innen mitteilen musste, dass dieser Chor nicht der richtige für sie sei – unangenehme Gespräche, aber eine Aufgabe, die zur Chorleitung dazugehöre. „Da bin ich auch einfach der Gruppe verpflichtet.“

Die Teilnahme am Kammerchor ist kostenlos. Ein Vertrag mit der Musikschule ist nicht notwendig. „Das ist ein wirklich tolles Angebot!“, fasst Jake Walsh es zusammen. Im Kammerchor spielt das Gemeinschaftsgefühl eine große Rolle. Nach Ende der Probe blieben viele Sänger*innen noch fürs Gespräch da, häufig mit einer Flasche Wein oder einer Kleinigkeit zu essen. Da sei es ein Vorteil, dass fast alle im Kiez wohnen und am späten Abend nur kurze Heimwege hätten. „Wir sitzen zusammen und sprechen über Gott und die Welt. Das ist wirklich schön.“

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Wer Interesse bekommen hat, mitzusingen, kann sich direkt an Jake Walsh wenden: jake.walsh@gmx.net
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Regelmäßig trifft sich auch der Kitschchor Kreuzberg e. V., der für Kitsch vom Feinsten und so viel mehr als einfach nur singen steht. Wir haben im März über den Kitschchor berichtet.