FHXB-Museum - Bezirks- und Migrationsgeschichte(n) bis unters Dach

Die Kulturwissenschaftlerin und Stadtforscherin Natalie Bayer leitet seit 2018 das Bezirksmuseum

Natalie Bayer leitet seit 2018 das FHXB-Museum

In der Kreuzberger Adalbertstraße 95 A beherbergen die großen hellen Räumlichkeiten eines alten Fabrikgebäudes seit 1990 das heutige FHXB Friedrichshain-Kreuzberg-Museum. Hier wirkt die Kulturwissenschaftlerin und Stadtforscherin Natalie Bayer (48) seit 2018 als Leiterin des Bezirksmuseums.

„Wir sind hier für alle Menschen, die sich für unseren besonderen Bezirk interessieren, und die mehr über soziale Bewegungen, zur Migration und unserer Bezirksgeschichte erfahren wollen.“ Damit möglichst viele Menschen sich die Dauer- und auch wechselnden Ausstellungen ansehen können, bietet das Team bequeme Öffnungszeiten, auch am Wochenende bis 20 Uhr an.

Die gebürtige Münchnerin interessierte sich bereits während ihres Studiums der Europäischen Ethnologie und Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München für die Arbeit im Kreuzberger Backsteingebäude. „Ich bin immer wieder hier in Berlin gewesen, habe mir die Ausstellungen angesehen, und habe mit Kolleg*innen gesprochen.“ Auch für Fachvorträge und Gesprächsrunden über Migration führte sie ihr Weg oft an die Spree. „Migration war lange Zeit kein Thema in der Museumswelt. Ich habe in ganz Deutschland und auch im Ausland Vorträge zu diesem Thema gehalten.“

Hier im Bezirk habe sich die Dauerausstellung „Ortsgespräche – Ferngespräche – Ortsgeschichten“ bereits im Jahr 2012 sehr mit dem Kernthema Migration auseinandergesetzt. „Heute können unsere Besucher*innen Friedrichshain-Kreuzberg mit ihrem Smartphone so erkunden, wie die einzelnen Orte von Bewohner*innen mit Migrationsbezug und geflüchteten Neu-Berliner*innen geprägt wurden.“

Kreuzberg wäre nicht so, wie es jetzt ist, gebe es nicht die Migrant*innen, besonders die aus der Türkei. „Es waren Frauen und Männer oft aus südosteuropäischen Ländern, die mutig auf die Straße gingen, v.a. Frauen.“ Zum Beispiel die Mitarbeiterinnen der ehemaligen Deutschen Telephonwerke DeTeWe, aus der Kreuzberger Zeughofstraße, die 1981 für höhere Löhne streikten. Hier liefen sie in erster Reihe vorn mit und protestierten für Gleichberechtigung der Frauen.

Die Dauerausstellung „Ortsgespräche – Ferngespräche – Ortsgeschichten“ setzt sich bereits seit 2012 mit dem Kernthema Migration auseinander

Die Dauerausstellung „Ortsgespräche – Ferngespräche – Ortsgeschichten“ setzt sich bereits seit 2012 mit dem Kernthema Migration auseinander

Seit 2012 begeistert die Dauerausstellung „Ortsgespräche – Ferngespräche – Ortsgeschichten“

So waren es auch viele Migrant*innen, die den Mythos Kreuzberg mit den Hausbesetzungen mit zum Leben erweckten. „Sie waren großartige Kämpfer*innen für Wohnraum, die heute aus der Hausbesetzer*innen- und Protest-Szene nicht wegzudenken sind.“

Das zeigen auch einige überlebensgroße Fotografien, die in der ersten Etage aushängen und für die Zeit der Kreuzberger Proteste sprechen. „Dieses Ausstellungsarchiv über die Kämpfe gegen Rassismus ist so angelegt, dass sie ständig mit Materialien von Interessent*innen erweitert werden kann.“ Es sei auch eine Besonderheit des Hauses, dass diese Ausstellung mit der Eröffnung nicht „fertig“ gewesen sei, und im Laufe der Zeit mit weiteren Informationen angereichert werden könnte.

Gemeinsam mit drei festangestellten Mitarbeiter*innen* in den Bereichen: Sammlungskoordination, Öffentlichkeitsarbeit und Kooperationsprojekte, Koordination Gedenken im öffentlichen Raum, drei Volontär*innen, und fünf ehrenamtlichen Mitarbeiter*Innen präsentiert das Team unterschiedliche Ausstellungen, und füllt damit das Haus ganzjährig mit Besucher*innen aus der ganzen Welt.

„Ohne unsere ehrenamtlichen Kolleg*innen könnten wir unseren Betrieb nicht so umfassend anbieten. Sie übernehmen Aufsichtsfunktionen in den Ausstellungen und beantworten sehr engagiert aufkommende Fragen. Andere Freiberufler*innen bieten Führungen oder Stadtspaziergänge an. Oder sie erklären unseren Gästen zum Beispiel Druckvorgänge in unserer Druckwerkstatt.“ Der Eintritt ins Bezirksmuseum ist immer frei, jährlich besuchen über 50.000 Menschen das Bezirksmuseum.

„Alle unsere Ausstellungen präsentieren wir auf Deutsch und auf Englisch. Perspektivisch würden wir gerne zusätzlich auch andere Sprachen wie Türkisch, Arabisch und Polnisch anbieten. Damit wollen wir den zahlreichen Migrant*innen gerecht werden, die unseren Bezirk mit ihrer Kultur belebt und geprägt haben.“

Aus langjähriger Verbundenheit mit dem Museum weiß Natalie Bayer: „Die Kreuzberger hatten einen anderen Ansatz, als andere Museen. Schon als ich damals meine Stelle als Kuratorin am Stadtmuseum München antrat und dort in Sachen Migration im musealen Umfeld Aufbauarbeit leistete, hatte ich das Bezirksmuseum von Friedrichshain-Kreuzberg immer im Auge.

Ausstellungsplakat "O-Platz" - Bezirksgeschichte wird auf der Straße geschrieben

Ausstellungsplakat "O-Platz" - Bezirksgeschichte wird auf der Straße geschrieben

Intensive Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Interessengruppen

Für die Zukunft hatte sie zwei Museen im Auge, für die sie München verlassen wollte. „Dabei hatte ich immer das FHXB Museum in Berlin an erster Stelle im Blick. 2018 hatte ich dann die Möglichkeit, die freie Stelle der Leitung im FHXB Museum zu übernehmen – Bis heute bin ich sehr glücklich darüber.“

Auch wenn die Budgetstruktur schwierig und noch zu wenig Platz für Exponate und entsprechende Ausstellungen vorhanden sei, arbeitet Natalie Bayer sehr gern hier. „Ich kann hier mit meinem Team sehr schnell reagieren.
Normalerweise benötigen wir für eine Ausstellung zwei Jahre Vorlauf. In dieser Zeit stellen wir mit unterschiedlichen Initiativen und Fachleuten Inhalte und Ausrichtung der Ausstellung auf die Beine und besorgen Drittmittel, damit auch die Finanzierung steht.“

„Bei der intensiven Arbeit mit unterschiedlichen Interessengruppen und Initiativen lernen wir alle sehr viel über den Zustand der Gesellschaft. Zusätzlich planen und organisieren wir bis zu zwei zusätzliche Interventionsveranstaltungen.“ Der Eintritt für diese Ausstellungen ist wie der reguläre Museumseintritt immer frei.

In der fünften Etage des Hauses, erreichen die Besuch*innen barrierefrei mit einem Aufzug einen großen Veranstaltungsraum. „In diesem Raum organisieren wir mit Initiativen, Einzelpersonen und anderen Einrichtungen im Bezirk Buchpräsentationen, Film-Abende oder Gesprächsrunden.“ Hier werde auch die besondere Lage Kreuzbergs und Friedrichshains direkt an der ehemaligen Mauer und die Fusion der ehemaligen West- und Ostbezirke thematisiert.

Erfolgreiche Ausstellung aus dem Nachlass von dem Kreuzberger Peter Plewka

Erfolgreiche Ausstellung aus dem Nachlass von dem Kreuzberger Peter Plewka

Bezirksspaziergänge und Stadtführungen

„Leider“, und das bedauert die engagierte Museumsleiterin sehr, „haben wir keine eigene Museumspädagogik hier im Haus.“ Dafür gebe es aber Druckpädagog*innen, die im Erdgeschoss, in der historischen Druckerei für Gruppen ein interessantes Angebot bieten. „Sie sprechen mit den Teilnehmenden, schauen sich unterschiedliche Drucktechniken an und finden dabei eigene Themen, die dann auf Druckplatten verarbeitet werden.“

So haben Schulklassen unmittelbar nach Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine ihre Ängste und Sorgen in einem Friedenstauben-Projekt Ausdruck verliehen. „Die Jugendlichen informierten sich genau, wie Frieden in der Kunstgeschichte bisher dargestellt wurde. Davon inspiriert entwickelten sie dann ihre eignen Ideen.“ Die Setzerei wird ebenfalls für Workshops und auch von der Volkshochschule genutzt. Aber auch Themen wie Revolution und Wohnen sind Themen der Druckworkshops.

„Unsere Bezirks-Geschichte wird auch auf der Straße geschrieben, deshalb bieten wir auch Bezirksspaziergänge und Stadtführungen an.“ Auf den Spuren der Geschichte die Gegenwart zu betrachten, das sei ein Ziel der zahlreichen Führungen, die das FHXB Museum anbietet. „Durch die sehr engagierte Nachbarschaft, pflegen wir eine gelebte Erinnerungskultur z.B. über Widerstandsgeschichten, Kämpfe für Gerechtigkeit und über das jüdische Leben im Bezirk. Hier sind wir auch den zahlreichen Nachbarschaftsinitiativen sehr dankbar, die uns mit ihrem Wissen unterstützen.“

Vor einigen Jahren erreichte das Museum die wohlsortierte Postkartensammlung aus dem Nachlass von dem Kreuzberger Peter Plewka. Mit über 5.600 Postkarten die den Bezirk von 1890 bis 1945 abbilden. „So eine Schenkung, so gut systematisch sortiert und gut erhalten, ist sehr selten. Wären die Ansichtskarten ungeordnet und durcheinander in Umzugskartons zu uns gekommen, hätten wir möglicherweise ablehnen müssen.“ Denn es fehle an Personal für die Bearbeitung solch eines großen Nachlass.

Oft erreichen diverse historische Nachfragen zum Bezirk das Museum: „Viele suchen historische Fotos von Plätzen, oder vom Haus, in dem sie gerade wohnen. Da helfen wir gern, wenn wir können. Jeder kann unser Recherche-Archiv nutzen und bei uns forschen.“

Natalie Bayer: „Wir sind hier für alle Menschen, die sich für unseren besonderen Bezirk interessieren"

Natalie Bayer: „Wir sind hier für alle Menschen, die sich für unseren besonderen Bezirk interessieren"

Leuchtbuchstaben von „Ellis Bierbar“

Anderes herum freuen sich die Museumsmitarbeiter*innen über Materialien in Verbindung mit historisch wichtigen Ereignissen. „Ich denke da zum Beispiel auch an die Besetzung des Oranienplatzes im Jahr 2012. Vor 2018 hatten wir kaum Bestände dazu. Durch einen Kontakt mit ehemaligen Besetzer*innen konnten wir eine Sammlung anlegen. Dies war historisch wichtig für unseren Bezirk und über die Stadt hinaus.“

Ein Angebot konnte sie – trotz Platzmangel – nicht ablehnen, da es wie ein Lichtbild, stellvertretend für die Offenheit des Bezirks steht: „Uns wurden die Leuchtbuchstaben von „Ellis Bierbar“ angeboten. Es handelt sich hier um eine der ersten homosexuellen Bars im Bezirk, eine Legende, eine Künstler-Kneipe, die in der Skalitzer Straße 50 bis zum Jahr 1997 betrieben wurde.“ Jetzt lagern die Fassadenbuchstanden im Archiv – „Wir werden uns etwas Besonderes dafür ausdenken.“